Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Landrat; Abwahl; Abberufung; Kreistag; Widerspruch; aufschiebende Wirkung;...

Landrat; Abwahl; Abberufung; Kreistag; Widerspruch; aufschiebende Wirkung; Verwaltungsakt; Anhörung; offene Abstimmung; geheime Wahl


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 12. Senat Entscheidungsdatum 07.01.2010
Aktenzeichen OVG 12 S 101.09 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 128 Abs 3 KomVerf BB, § 40 KomVerf BB, § 39 KomVerf BB, § 123 Abs 2 BG BB, § 35 VwVfG

Leitsatz

Die Abwahl eines Landrates durch den Kreistag nach § 128 Abs. 3 BbgKVerf ist kein Verwaltungsakt. Soweit § 128 Abs. 3 Satz 5 BbgKVerf neben der Abwahl eine Abberufung des Landrates fordert, gehen von dieser im Hinblick auf § 123 Abs. 2 Satz 1 LBG keine Rechtswirkungen aus.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.

Auf die Beschwerde des Antragsgegners zu 1. wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 30. September 2009 geändert. Die Anträge zu 2. und 3. des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes werden, soweit das Verwaltungsgericht Cottbus ihnen stattgegeben hat, abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

1. Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das nach § 146 Abs. 4 VwGO den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt, rechtfertigt keine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass dem Widerspruch des Antragstellers vom 11. Juli 2009 gegen seine am 9. Juli 2008 durch den Kreistag beschlossene Abwahl keine aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO zukommt.

a) Entgegen der umfassend begründeten Beschwerde handelt es sich bei der auf § 128 Abs. 3 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg – BbgKVerf – gestützten Abwahl des Landrates durch den Kreistag nicht um einen Verwaltungsakt nach § 35 VwVfG. Zwar hat die Abwahl zur Folge, dass der Landrat kraft Gesetzes mit Ablauf des Tages seiner Abwahl aus dem Amt ausscheidet, sein Beamtenverhältnis mithin beendet wird (§ 123 Abs. 2 Satz 1 des Beamtengesetzes für das Land Brandenburg – LBG - in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Beamtenrechts im Land Brandenburg vom 3. April 2009 – GVBl. I S. 26). Es kann jedoch offen bleiben, ob dem Beschluss über den Abwahlantrag – wie das Verwaltungsgericht meint - dennoch keine Außenwirkung zukommt (vgl. zur fehlenden Außenwirkung auch OVG Brandenburg, Urteil vom 20. September 2000 – 1 A 197/98 -, UA S. 14).

Maßgeblich ist hier, dass der Kreistag mit seiner Abstimmung über den Antrag auf Abwahl keine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit im Sinne von § 1 Abs. 1 VwVfG ausgeübt hat. Die Entscheidung über die Abwahl stellt sich - unabhängig von ihrem Regelungscharakter und ihrer Außenwirkung - als Akt der kommunalpolitischen Willensbildung dar (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 4. Januar 1989, DVBl. 1989, 934; VG Frankfurt/Main, Urteil vom 3. August 2005, NVwZ 2006, 720; OVG Brandenburg, Urteil vom 20. September 2000 – 1 A 197/98 -, UA S. 15; vgl. ferner BVerfG, Beschluss vom 17. Oktober 1957, BVerfGE 7, 155 ff.). Insoweit ist sie jedenfalls mit der nicht als Verwaltungsakt zu qualifizierenden Wahl des Landrates vergleichbar. Anders als die Beschwerde meint, kann der Rechtscharakter einer Entscheidung sehr wohl davon abhängen, in welchem Kontext, mit welchem Ziel und durch welches Organ sie getroffen wird.

Im Übrigen wird dieses Ergebnis - auch wenn die Beschwerde dem entgegentritt - dadurch bestätigt, dass die Abwahl als politische Entscheidung des Organs einer kommunalen Selbstverwaltungskörperschaft keiner Begründung bedarf und in einem gerichtlichen Verfahren im Wesentlichen nur daraufhin überprüft werden kann, ob ihre gesetzlich normierten Bedingungen verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere Art. 33 Abs. 5 GG, genügen, ob sie einem mit dem Gesetz zu vereinbarenden Zweck widerspricht und ob Form- und Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind (vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1989, Buchholz 11 Art. 33 Abs. 5 GG Nr. 68; BVerwG, Beschluss vom 22. September 1992, NVwZ 1993, 377; OVG Sachsen, Beschluss vom 9. Juni 2009 – 4 B 411/07 – juris, Rn. 7). Nach alledem kommt es auf die Ausführungen der Beschwerde zu der durch den Antragsgegner zu 1. vorsorglich angeordneten sofortigen Vollziehung nicht entscheidungserheblich an.

b) Die Einwendungen, die die von dem Verwaltungsgericht abgelehnten Hilfsanträge zu 1. a) bis c) betreffen, greifen nicht durch. Mit dem sinngemäß gerügten Gehörsverstoß macht der Antragsteller nicht glaubhaft, warum ihm die erstinstanzlich angebotene Akteneinsicht in der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts nicht möglich war. Unabhängig davon zeigt die Beschwerde nicht auf, warum sich der Antragsteller die von ihm zur Substantiierung seines Vortrags begehrten Informationen nicht wenigstens im Beschwerdeverfahren mittels Akteneinsicht verschaffen konnte. Vor diesem Hintergrund sind die Zweifel des Antragstellers an der Eigenhändigkeit der von den Kreistagsmitgliedern geleisteten Unterschriften weiterhin ohne Substanz. Im Übrigen sieht sich auch der Senat aufgrund der eingereichten Verwaltungsvorgänge nicht veranlasst, die in § 128 Abs. 3 Satz 1 BbgKVerf geforderte Eigenhändigkeit in Frage zu stellen.

Gleiches gilt im Hinblick auf die behauptete Nichteinhaltung der Frist des § 128 Abs. 3 Satz 2 BbgKVerf. Insoweit setzt sich der Antragsteller nicht hinreichend mit der erstinstanzlichen Würdigung auseinander, weil er wiederum lediglich geltend macht, er habe seinen Vortrag mangels gewährter Akteneinsicht nicht nachprüfen können. Auch insoweit fehlt es an der Glaubhaftmachung, warum sich dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren keine Gelegenheit bot, Akteneinsicht zu nehmen. Unabhängig davon ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass an der Einhaltung der Frist des § 128 Abs. 3 Satz 2 BbgKVerf keine durchgreifenden Zweifel bestehen.

Schließlich stellt die Beschwerde die erstinstanzliche Würdigung nicht mit Erfolg in Frage, soweit das Verwaltungsgericht eine – gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehene - Anhörung nicht für geboten hält. Abgesehen davon, dass sich der Senat den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts und der von ihm zitierten Rechtsprechung zur Entbehrlichkeit einer Anhörung anschließt, verhält sich die Beschwerde vor allem nicht dazu, dass der Antragsteller dem Verwaltungsgericht zufolge vor dem Beschluss über den Abwahlantrag ausreichend Gelegenheit hatte, sich zu äußern und dies auch getan hat.

Schließlich macht die Beschwerde nicht mit Erfolg geltend, dass die angegriffene Entscheidung des Antragsgegners zu 1. an einem Verfahrensfehler leidet, weil sie nicht in geheimer Wahl durchgeführt worden ist. Das Verwaltungsgericht hat sich insoweit im Wesentlichen auf den Wortlaut des § 128 Abs. 3 Satz 3 BbgKVerf gestützt, wonach über den Antrag auf Abwahl abzustimmen ist. Daraus hat es gefolgert, dass es sich bei der Entscheidung nach § 128 Abs. 3 BbgKVerf um eine offen durchzuführende Abstimmung im Sinne von §§ 131 Abs. 1, 39 Abs. 1 BbgKVerf und nicht um eine geheim durchzuführende Wahl im Sinne dieser Regelung handele. § 128 Abs. 3 Satz 3 BbgKVerf stelle eine abweichende gesetzliche Bestimmung im Sinne von § 40 Abs. 5 BbgKVerf dar.

Diese Würdigung hat auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens Bestand. Der Hinweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs zur Kommunalverfassung verfängt nicht, weil die angeführte Textpassage aus zwei verschiedenen, nicht zusammenhängenden Zitaten besteht, die zum einen lediglich die Überschrift zu § 60 BbgKVerf (Landtags-Drs. 4/5056 S. 234) und zum anderen den dem Verwaltungsgericht zufolge nicht anwendbaren § 40 Abs. 5 BbgKVerf betreffen (Drs. 4/5056 S. 192). Soweit die Beschwerde dem Begriff „abstimmen“ einen anderen Wortsinn beimessen möchte als das Verwaltungsgericht, handelt es sich um eine abweichende Auffassung, die die am Wortlaut des § 39 Abs. 1 BbgKVerf orientierte Auslegung des Verwaltungsgerichts nicht mit Erfolg in Frage stellt. Die Annahme der Beschwerde, dass es für die geheime Durchführung sowohl der Wahl als auch der Abwahl einen sachlichen Grund - nämlich die Sicherung einer unabhängigen Entscheidung der kommunalen Mandatsträger - gebe, verbietet dem Gesetzgeber keine Regelung, wonach der Kreistag über die Abwahl des Landrates in offener Abstimmung entscheidet. Die von der Beschwerde insoweit geforderte Parallelität zwischen Wahl und Abwahl ist nicht zwingend.

2. Die Beschwerde des Antragsgegners zu 1. hat Erfolg. Die durch ihn ausgesprochene Abberufung des Antragstellers vom 9. Juli 2009 stellt sich nicht als Verwaltungsakt im Sinne von § 35 VwVfG dar, sodass der hiergegen gerichtete Widerspruch des Antragstellers keine aufschiebende Wirkung im Sinne von § 80 Abs. 1 VwGO entfalten konnte.

Zwar hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass Art. 128 Abs. 3 BbgKVerf grundsätzlich ein „gestrecktes“ (zweistufiges) Verfahren vorsieht, weil sich an den von dem Kreistag getroffenen Abwahlbeschluss gemäß § 128 Abs. 3 Satz 5 BbgKVerf eine Abberufung des Landrates durch seinen Stellvertreter anschließt. Hier bedarf es jedoch keiner Umsetzung des strittigen Abwahlbeschlusses mittels der in § 128 Abs. 3 Satz 5 BbgKVerf normierten Abberufung mehr, weil diese Regelung mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Beamtenrechts im Land Brandenburg vom 3. April 2009 (GVBl. I S. 26) obsolet geworden ist. Rechtswirkungen werden allein durch den Abwahlbeschluss begründet, weil § 123 Abs. 2 Satz 1 LBG bestimmt, dass Kommunale Wahlbeamte mit Ablauf des Tages ihrer Abwahl aus dem Amt ausscheiden. Mit dieser kraft Gesetzes eintretenden Beendigung des Beamtenverhältnisses verliert der kommunale Wahlbeamte zugleich seinen kommunalverfassungsrechtlichen Status. Einer zusätzlichen kommunalverfassungsrechtlichen Regelung bedarf es nicht mehr, sie geht ins Leere.

Dass der Gesetzgeber den früher in § 92 Abs. 2 LBG a.F. normierten Begriff der Abberufung in § 123 Abs. 2 Satz 1 LBG durch den Begriff der „Abwahl“ ersetzt hat, ohne § 128 Abs. 3 Satz 5 BbgKVerfG entsprechend zu modifizieren, kann aufgrund des eindeutigen Wortlautes in § 123 Abs. 2 Satz 1 LBG nicht dazu führen, den Begriff der Abwahl in dienstrechtlicher Hinsicht erweiternd auszulegen. Es lässt sich § 128 Abs. 3 BbgVerfG nicht entnehmen, dass die Abwahl, auf die § 123 Abs. 2 Satz 1 LBG Bezug nimmt, sowohl den Abwahlbeschluss des Kreistages als auch die Abberufung umfasst. Dem Wortlaut zufolge spricht vielmehr alles dafür, dass mit der Abwahl allein der Abwahlbeschluss gemeint ist. Angesichts dessen ist eine Korrektur des Gesetzeswortlautes in § 123 Abs. 2 Satz 1 LBG selbst dann nicht angezeigt, wenn der Gesetzgeber § 92 Abs. 2 LBG a.F. lediglich in redaktioneller Hinsicht hätte ändern wollen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).