Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 29.06.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 M 10.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 166 VwGO, § 114 ZPO, § 15 Abs 1 WoGG 2009 |
§ 15 Abs. 1 WoGG 2009 dürfte - ohne dass dies im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens abschließend beurteilt werden müsste - nicht den Ausschluss materieller Ansprüche bezwecken, sondern lediglich festlegen, aus welcher zeitlichen Perspektive die Behörde die Verhältnisse zu beurteilen hat.
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Januar 2011 geändert. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt und ihr Rechtsanwalt H… beigeordnet.
Die Beschwerde der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 und § 121 der Zivilprozessordnung - ZPO - einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das erstinstanzliche Verfahren.
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet im Verfahren der ersten Instanz hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig. Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
Das Verwaltungsgericht hat hinreichende Erfolgsaussichten der auf Bewilligung von Wohngeld im Zeitraum ab März 2009 gerichteten Verpflichtungsklage mit der Begründung verneint, die monatlichen Zuwendungen ihrer Eltern in Höhe von durchschnittlich 686,67 Euro seien als Einkommen der Klägerin anzurechnen. In dem für die Entscheidung erheblichen Zeitpunkt der Wohngeldantragstellung sei nicht ersichtlich gewesen, dass die Klägerin zur Rückzahlung der von ihren Eltern für sie aufgebrachten Studiengebühren verpflichtet gewesen wäre. Der erst im Klageverfahren eingereichte Darlehensvertrag und das daran anknüpfende Vorbringen, die Studiengebühren seien von ihren Eltern vorfinanziert worden, sei zum einen zu spät erfolgt, um Berücksichtigung finden zu können und zum anderen sei das Vorbringen mit den Angaben in dem vorhergehenden Wohngeldantragsverfahren nicht vereinbar.
Mit dieser Begründung hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht hinreichende Erfolgsaussichten verneint. Die Frage, ob das Vorbringen der Klägerin hinsichtlich des Darlehensvertrages tatsächlich verspätet gewesen ist, hängt maßgeblich von der Auslegung des § 15 Abs. 1 WoGG 2009 ab. Nach dieser Vorschrift ist bei der Ermittlung des Jahreseinkommens gemäß § 15 Abs. 1 WoGG 2009 das Einkommen zugrundezulegen, das im Zeitpunkt der Antragstellung im Bewilligungszeitraum zu erwarten ist. Hinsichtlich der Frage, welche Bedeutung dem Merkmal „im Zeitpunkt der Antragstellung“ zukommt, ist der Ausgang des Rechtsstreits offen. Das Verwaltungsgericht interpretiert § 15 Abs. 1 WoGG 2009 gleichsam als eine Art materielle Ausschlussnorm, indem es der Klägerin in der angefochtenen Entscheidung insoweit verspätetes Vorbringen vorhält. Der Senat neigt demgegenüber zu der Ansicht, dass die Vorschrift nicht den Ausschluss materieller Ansprüche bezweckt, sondern lediglich festlegt, aus welcher zeitlichen Perspektive die Behörde die Verhältnisse zu beurteilen hat. Zudem hat der Senat in seinem Beschluss vom 14. Juni 2011 - OVG 6 N 32.11 - (juris) hierzu ausgeführt, dass nach dem Wortlaut dieser Vorschrift für die zu treffende Prognoseentscheidung zwar auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen ist, dass dies aber nicht ausschließt, objektiv erkennbare Umstände, die der Wohngeldbehörde aber erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Kenntnis gelangen, bei der Entscheidung zu berücksichtigen. Unter welchen Voraussetzungen eine solche Berücksichtigung zu erfolgen hat und ob diese im vorliegenden Fall erfüllt sind, bedarf im Rahmen des vorliegenden Prozesskostenhilfeverfahrens allerdings keiner Klärung, sondern muss im Rahmen der Sachentscheidung abschließend beurteilt werden.
Soweit es um die Frage geht, ob die fraglichen Zuwendungen der Klägerin von ihren Eltern lediglich darlehensweise gewährt wurden und deshalb nicht als Einkommen im wohngeldrechtlichen Sinne zu berücksichtigen sind, hätte das Verwaltungsgericht nicht ohne weiteres davon ausgehen dürfen, dass es der Klägerin nicht gelingen wird, ihr Vorbringen zu beweisen. Zu fragen ist insoweit danach, ob der Sachvortrag der Klägerin geeignet ist, den in Rede stehenden Beweis zu führen und ob - sein Vorliegen als wahr unterstellt - der Beweis geführt wäre. Beides war hier anzunehmen. Insbesondere ist hier kein Fall gegeben, in dem eine in Betracht kommende Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Klägerin als Prozesskostenhilfe beantragende Partei ausgeht, so dass ausnahmsweise eine Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren zulässig wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 1997 - 1 BvR 296/94 -, NJW 1997, S. 2745). Die Frage, ob ein Darlehensvertrag vorliegt, dürfte vielmehr maßgeblich von der Glaubwürdigkeit der als Zeugen zu vernehmenden Eltern der Klägerin und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben abhängen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).