Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 19. Senat | Entscheidungsdatum | 26.03.2013 | |
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Aktenzeichen | L 19 AS 1900/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 44 Abs 1 SGB 10 |
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 06. Juni 2012 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Überprüfung diverser Bescheide seit Januar 2006 hat.
Die 1972 geborene Klägerin lebt mit ihren 1990, 2002 und 2011 geborenen Kindern zusammen in einer Bedarfsgemeinschaft. Sie bezieht seit dem 18. Februar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Erstmals am 17. Mai 2010 stellte der Bevollmächtigte der Klägerin für die Bedarfsgemeinschaft einen Antrag auf Überprüfung aller bestandskräftigen Bescheide gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Den Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29. Juli 2010 ab und wies den ohne weitere Begründung eingelegten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2010 (W 1874/10) mangels Bevollmächtigung als unzulässig zurück.
Am 16. Dezember 2010 beantragte die Klägerin erneut die Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide seit dem 01. Januar 2006 inklusive aller Aufhebungs- und Erstattungsbescheide. Auf die Bitte des Beklagten mit Schreiben vom 17. Dezember 2010, konkret die einzelnen zu überprüfenden Bescheide und den Grund für die Überprüfung zu benennen, teilte der Bevollmächtigte der Klägerin mittels Stempelaufdruck auf dieses Schreiben mit, es sollten sämtliche Bescheide auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Mit Bescheid vom 27. Dezember 2010 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Eine Überprüfung sämtlicher Bescheide in der Sache sei nicht vorzunehmen. Trotz Aufforderung seien keine konkreten Verwaltungsakte benannt worden, die überprüft werden sollten. Ein schlüssiger Vortrag diesbezüglich und die damit verbundene Benennung der konkreten Verwaltungsentscheidung stelle jedoch die Minimalanforderung an die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X dar. Ein solcher Antrag ohne das Benennen des konkret erlassenen Verwaltungsaktes sei als rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme anzusehen. Den dagegen ohne Begründung eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02. März 2011 (W 39/11) zurück. Die Klägerin habe nichts vorgebracht, was für die Unrichtigkeit der Entscheidung sprechen könne. Es ergäben sich auch keine neuen Erkenntnisse, die dafür sprächen, dass die Entscheidung falsch sei. Eine sachliche Prüfung der Bescheide, die seit dem 01. Januar 2006 erlassen worden seien, sei daher abzulehnen.
Dagegen hat allein die Klägerin am 10. März 2011 Klage bei dem Sozialgericht Cottbus erhoben. Begehrt würden höhere Grundsicherungsleistungen. Die Klage richte sich gegen insgesamt 30 Bescheide, Änderungsbescheide und Aufhebungs- und Erstattungsbescheide. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 22. März 2011 Bezug genommen.
Mit Gerichtsbescheid vom 06. Juni 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klage sei insoweit unzulässig, als nunmehr im Klageverfahren einzelne Bescheide genannt worden seien, über die der Beklagte wegen des unbestimmten Überprüfungsantrags nicht entschieden habe. Dabei handele es sich um eine Klageerweiterung, der der Beklagte nicht zugestimmt habe und die auch nicht sachdienlich im Sinne von § 99 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sei. Denn die Frage, ob die einzelnen Bescheide inhaltlich rechtmäßig gewesen seien, seien von dem Beklagten in einem gesonderten Verwaltungsverfahren zu überprüfen. Die im Übrigen zulässige Klage sei unbegründet. Der Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, auf der Grundlage des gestellten Überprüfungsantrags eine Sachprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide vorzunehmen. Auch die Kammer sei von Amts wegen nicht zu weiterer Sachverhaltsaufklärung verpflichtet. Gegenstand der Überprüfung im gerichtlichen Verfahren sei nur, ob der Beklagte den Überprüfungsantrag zu Recht zurückgewiesen habe und sich dabei auf die Bestandskraft der Bescheide habe berufen können. Der im Klageverfahren eingebrachte neue Vortrag sei unbeachtlich.
Am 20. Juni 2012 ist der Gerichtsbescheid zugestellt worden. Am 25. Juni 2012 hat die Klägerin mündliche Verhandlung beantragt und vorsorglich Berufung eingelegt. Den Antrag auf mündliche Verhandlung hat das Sozialgericht durch Beschluss vom 05. Juli 2012 als unzulässig verworfen, da die Berufung statthaft sei und nicht der Zulassung bedürfe.
Zur Begründung der Berufung führt die Klägerin aus, es bedürfe nicht irgendeines Antrags zur Einleitung eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X. Erforderlich sei vielmehr, dass sich die Rechtswidrigkeit der bisher ergangenen Bescheide ergebe. Die Rechtswidrigkeit der bisherigen Bescheide ergebe sich aus der Verwaltungsakte. Insofern bedürfe es keines weiteren Vortrags.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 06. Juni 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 27. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. März 2011 zu verurteilen, die Bescheide vom 06. Juni 2006, 11. Februar 2008, 10. Juni 2008, 01. August 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27. Januar 2009, 27. Januar 2009 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 05. März 2009, 16. März 2009 und 03. Juli 2009, den Bescheid vom 04. August 2009 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 02. Dezember 2009 und 19. März 2010, den Bescheid vom 04. Februar 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 19. März 2010 und 26. April 2010 sowie den Bescheid vom 20. Mai 2010 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 08. Juni 2010, den Änderungsbescheid vom 21. Februar 2007 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 10. April 2007 sowie die Änderungsbescheide vom 07. Mai 2007, 29. Mai 2007 und zwei Änderungsbescheide 24. September 2007, den Aufhebungsbescheid vom 05. Februar 2007 und die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 18. April 2007, 26. April 2007, 15. August 2007, 11. Februar 2008, 06. Oktober 2009, 11. Februar 2010 und 22. Februar 2010 zurückzunehmen und den Beklagten zu verurteilen, ihr höhere Grundsicherungsleistungen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.
Die form- und fristgerecht eingelegte, statthafte Berufung ist zulässig aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme der von ihr benannten Bescheide, denn der Beklagte hat zu Recht den Überprüfungsantrag vom 16. Dezember 2010 mit Bescheid vom 27. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. März 2011 abgelehnt.
Rechtsgrundlage für den Überprüfungsantrag vom 16. Dezember 2010 ist § 44 SGB X i. V. m. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht (§ 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X).
Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Sie hat keinen Anspruch auf eine schranken- und voraussetzungslose Sach- und Rechtsprüfung der seit Januar 2006 erlassenen Bescheide des Beklagten. Der Beklagte war berechtigt, sich ohne inhaltliche Prüfung auf die Bestandskraft der im Einzelnen nicht benannten Verwaltungsentscheidungen zu berufen.
Der Klägerin ist zwar darin zuzustimmen, dass die von § 44 SGB X vorgesehene Überprüfung nicht antragsabhängig ist, sondern auch von Amts wegen erfolgen kann (Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. A. 2010, § 44 RdNr. 39). Die Behörde hat daher, wenn ihr ein Fehler bekannt wird, die Pflicht, den Verwaltungsakt von Amts wegen zurückzunehmen (Voelzke/Hahn, Bestandskraft versus materielle Gerechtigkeit - Grenzen bei der Überprüfung bestandskräftiger belastender Verwaltungsakte, in SGb 2012, 685, 686 m. w. N.). Wird ein Antrag nach § 44 SGB X gestellt, hat die Behörde auf diesen das Verfahren eröffnenden Antrag (i. S. des § 16 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -) auch eine rechtsbehelfsfähige Entscheidung über das Überprüfungsbegehren zu treffen (Schütze, a. a. O., § 44 RdNr. 38). Das hat der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. Juni 2011 getan.
Die Klägerin kann ihren geltend gemachten Anspruch aber nicht mit Erfolg auf die fehlende Antragsabhängigkeit stützen, denn der Anspruch auf Überprüfung nach § 44 SGB X ist ein subjektiv-öffentliches Recht, das inhaltlichen Grenzen unterliegt.
§ 44 SGB X entscheidet im Grundsatz die mit der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einerseits und der Rechtssicherheit andererseits bestehenden widerstreitenden Interessen nahezu durchgehend zugunsten der Gesetzmäßigkeit und zulasten der Bestandskraft des Verwaltungsakts. Er eröffnet damit eine weitgehende Durchbrechung der Bestandskraft rechtswidriger, nicht begünstigender unanfechtbarer Verwaltungsakte (Baumeister in juris-PK, § 44 RdNr. 18).
Die weitgehende Durchbrechung der Bestandskraft von Verwaltungsentscheidungen ist mit § 44 SGB X aber nicht grenzenlos eingeräumt. Dies ergibt sich schon aus Wortlaut und Systematik des § 44 SGB X selbst.
Mit der Regelung, dass Sozialleistungen, die sich aus der Aufhebung eines überprüften Verwaltungsaktes ergeben, nur mit Rückwirkung von bis zu vier Jahren gewährt werden (§ 44 Abs. 4 SGB X), gibt der Gesetzgeber einen ersten Hinweis auf die Grenzen eines Anspruchs auf Rücknahme bestandskräftiger Entscheidungen. Maßgebend für den Beginn der Frist des § 44 Abs. 4 SGB X ist das Antragsdatum (Abs. 4 Satz 3). Obwohl es sich bei der Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht nur um eine spezialgesetzliche materiell-rechtliche Einschränkung des nachträglich bewilligten Anspruchs auf Sozialleistungen für die Vergangenheit handelt (so BSG, Urteil vom 11. April 1985 - 4b/9a RV 5/84 -; BSG in SozR 1300 § 44 Nr. 17), sondern um eine analogiefähige Regelung, die auch im Anwendungsbereich des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zur Anwendung kommt (BSG, Urteil vom 27. März 2007 - B 13 R 58/06 R -; BSG in SozR 4 - 1300 § 44 Nr. 9), wird an ihrer Ausgestaltung zweierlei erkennbar:
Das Gesetz begrenzt mit § 44 Abs. 4 SGB X praktisch die Folgen der Durchbrechung der Bestandskraft des Abs. 1 und 2 im Interesse der Rechtssicherheit (dazu BSG, Urteil vom 23. Juli 1986 - 1 RA 31/85 -, zitiert nach juris). Beruht die positive Überprüfungsentscheidung im Zugunstenverfahren auf einem Antrag des Berechtigten, ist dieser für die Berechnung des rückwirkenden Zeitraumes maßgebend und erlangt somit im Rahmen der Anspruchsbegrenzung zugunsten der Rechtssicherheit und Finanzierungsstabilität Bedeutung. Für den Bereich des SGB II hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01. April 2011 die Bedeutung der Rechtssicherheit weiter hervorgehoben und durch eine Ergänzung in § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II die Rückwirkung auf nur ein Jahr begrenzt. Damit sollte auch zur Entlastung der Leistungsträger und Sozialgerichte beigetragen werden (BT-Drucksache 17/3404 S. 114).
§ 44 Abs. 1 SGB X umschreibt zudem bereits im Wortlaut eine Anspruchsbegrenzung sachlich-inhaltlicher Art für das Recht eines Antragstellers auf Überprüfung. Dieser hat jeweils nur Anspruch auf Überprüfung einzelner Verwaltungsakte und -entscheidungen, nicht auf ein gesamtes ggf. umfangreiches Verwaltungshandeln über einen Zeitraum von mehreren Jahren (so auch Landessozialgericht <LSG> Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. Juni 2012 - L 20 AS 947/12 B PKH -, zitiert nach juris). Erkennbar wird das im Text an den beiden Tatbestandsmerkmalen, wonach sich „im Einzelfall“ ergeben muss, dass „bei Erlass eines Verwaltungsaktes“ Recht unrichtig angewandt oder ein unzutreffender Sachverhalt zugrund gelegte wurde. Schon der verwandte Begriff des „Einzelfalles“ steht in unmittelbarem Bezug zum erlassenen Verwaltungsakt (vgl. § 31 SGB X). Darüber hinaus benennt die Vorschrift den Gegenstand der Überprüfungsentscheidung, nämlich den (einzelnen) Verwaltungsakt. Daraus folgt objektiv-rechtlich, dass die Behörde nicht verpflichtet ist - zumal bei einem Dauerrechtsverhältnis - (regelmäßig) ihre Akten auf fehlerhafte Verwaltungsakte/Verfügungssätze zu durchforsten. Dies gilt selbst dann, wenn bedeutsame Rechtsprechungsänderungen bekannt werden (Kasseler Kommentar- Steinwedel, 75. Ergänzungslieferung 2012, § 44 SGB X RdNr. 24; Voelzke/Hahn, a. a. O., S. 685, 686). Mangels Fehlens einer solchen objektiven Pflicht kann konsequenterweise auch kein subjektiv-öffentliches Recht des Leistungsempfängers auf eine entsprechend umfassende Sach- und Rechtsprüfung aller vergangenen Bescheide oder Leistungsbewilligungen/-absenkungen, respektive des gesamten Verwaltungshandelns während eines Zeitraums von mehreren Jahren, bestehen, zumal ohne äußeren Anlass. Das Merkmal „im Einzelfall“ bedeutet demgemäß: Eine Pflicht zur Sach- und Rechtsprüfung ist damit zunächst auf einzelne Verwaltungsakte konzentriert. Damit korrespondiert der Anspruch des Einzelnen. Er kann näher bestimmte Verwaltungsakte oder eine bestimmte Mehrzahl von Verwaltungsakten mit einem entsprechenden Antrag zur Überprüfung stellen. Die Behörde hat dann eine Überprüfungsentscheidung zu treffen.
Damit ist noch keine Aussage dazu getroffen, auf welchen Prüfungsumfang (Sach- und Rechtsprüfung) der Behörde der Leistungsberechtigte im Einzelfall Anspruch hat. Dieser ergibt sich aus Sinn und Zweck der Regelung unter Berücksichtigung der systematischen Stellung des § 44 SGB X im Sozialleistungsrecht, sowie der Entstehungsgeschichte insbesondere in Abgrenzung zu vergleichbaren Vorschriften (z. B. des allgemeinen Verwaltungsrechts). Anders als § 51 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes (VwVfG) gibt § 44 SGB X der Behörde trotz der grundsätzlichen Anerkennung der Bestandskraft von Verwaltungsakten (§ 77 SGG) für den Fall eines Überprüfungsantrags kein gestuftes Verfahren der Prüfung vor. Die Rechtsprechung hat zwar, erkennbar geleitet von der Erkenntnis, dass der Anspruch auf Überprüfung von bestandskräftigen Verwaltungsakten auch in § 44 SGB X nicht grenzenlos ist, eine restriktive Auslegung i. S. eines gestuften Verfahrens für § 44 SGB X entwickelt (dazu näher Voelzke/Hahn, a. a. O., S. 686/687 m. w. N. aus der Rechtsprechung). Vor einer erneuten Sachprüfung auf einen Überprüfungsantrag hin sind danach zwei Stufen zu überwinden: Nur bei Änderung der Sach- und Rechtslage, bei Vorliegen von neuen Beweismitteln oder Wiederaufnahmegründen soll die Behörde die Aufhebbarkeit des früheren Verwaltungsaktes in der Sache prüfen und bescheiden müssen. Ergibt sich danach nichts, was für die Unrichtigkeit des früheren Bescheides spricht, darf sie sich ohne Sachprüfung auf die Bestandskraft berufen. Liegen die neuen Tatsachen tatsächlich nicht vor oder können sie keine Auswirkung auf die Richtigkeit der früheren Entscheidung haben, darf sich die Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung berufen (zweiter Prüfungsschritt). Nur wenn sich ergibt, dass die neuen Beweismittel vorliegen und für die Entscheidung erheblich sind, ist in einem dritten Prüfungsschritt in der Sache neu zu entscheiden.
Für § 44 SGB X sind diese Grundsätze teilweise dergestalt übertragen worden, dass in dem Fall, in dem es um einen unrichtigen Sachverhalt geht, auf den der Überprüfungsantrag gestützt wird, nur dieser Gegenstand der behördlichen Überprüfung sein soll. In dem anderen Fall, in dem also Gegenstand oder Anlass der Überprüfung eine unrichtige Rechtsanwendung ist, soll dagegen eine umfassende Prüfpflicht und demgemäß ein Anspruch des Betreffenden bestehen, auf dessen Antrag hin die Prüfung erfolgt (vgl. z. B. BSG, Urteile vom 03. Februar 1988 - 9/9a RV 18/86 - und vom 03. April 2001 - B 4 RA 22/00 R -, jeweils zitiert nach juris; BSGE 63, 33; BSGE 88, 75; Überblick über die Rechtsprechung des BSG beiVoelzke/Hahna. a. O., S. 686/687 m. w. N.).
Gegen die Anwendung dieser aus dem VwVfG entlehnten Grundsätze im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X spricht vor allem dessen abweichender Wortlaut, seine schon im Text erkennbare abweichende Struktur und seine Entstehungsgeschichte, die gerade nicht an die Regelungen des VwVfG zum Wiederaufgreifen für das SGB X anknüpft (so zutreffend Voelzke/Hahn, a. a. O., S. 688 m. w. N.).
Ein Verfahren nach § 44 SGB X lässt sich vielmehr auch unter Berücksichtigung der allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätze ohne Rückgriff auf ein wie immer geartetes Stufenschema oder eine analoge Anwendung von § 51 VwVfG einerseits, aber auch ohne vollständige Aushebelung der Bindungswirkung andererseits entscheiden. Aus Sinn und Zweck des § 44 SGB X, fehlerhafte, für den Bürger nachteilige bestandskräftige Verwaltungsentscheidungen zu korrigieren, folgt: Die Überprüfung eines Verwaltungsaktes durch die Behörde nach § 44 SGB X hat grundsätzlich inhaltlich umfassend zu erfolgen, wenn der Betroffene diesen benennt und die Gründe nennt, warum er ihn für rechtswidrig hält. Dies gilt unabhängig davon, ob Fehler in der Sachverhaltsermittlung oder der rechtlichen Bewertung vorliegen.
Diese bereits anfangs dargestellte, der Norm des § 44 SGB X innewohnende Grenze des Anspruchs auf die Prüfung in der Sache wirkt sich vor allem bei unbestimmten oder pauschal gehaltenen Überprüfungsanträgen aus. Grundsätzlich steht bei jedem Überprüfungsantrag des Einzelnen das Interesse, unrichtige Entscheidungen trotz Bestandskraft zugunsten des (Sozial-) Leistungsempfängers zu korrigieren, dem Interesse an einer funktionsfähigen Sozialleistungsverwaltung gegenüber. Für das Gerichtsverfahren entspringt dem letzteren Interesse der Grundsatz, dass niemand die Gerichte grundlos oder für unlautere Zwecke in Anspruch nehmen darf bzw. im Gerichtsverfahren notwendig ein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis bestehen muss. Diese (immanente) Grenze einer grundsätzlich bestehenden Rechtsmacht des Einzelnen hat ihre Grundlage u. a. in § 242 Bürgerliches Gesetzbuch, dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte sowie dem Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns (dazu jüngst BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 35/12 R -, zitiert nach juris). Sie gilt es – im allgemeinen Interesse einer funktionierenden (Massen-) Sozialleistungsverwaltung – auch in § 44 SGB X im Fall eines Antrags des Einzelnen auf Prüfung (vergangenen) staatlichen Handelns entsprechend zu bestimmen. Daraus folgt für die Anwendung von § 44 SGB X, dass pauschal formulierte, weit in die Vergangenheit reichende Überprüfungsanträge nicht voraussetzungslos zu einer ebenso umfassenden Sachprüfungspflicht der Behörde führen.
Im Hinblick auf die „vor die Klammer gezogenen“ Aufträge der §§ 2 Abs. 2, 16 und 17 SGB I und § 1 Abs. 1 SGB II bzw. Art. 20 Grundgesetz, wonach gerade bei Anträgen sichergestellt sein muss, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden, muss die obige Grenze allerdings schonend und bezogen auf das soziale Recht gezogen werden. Das im § 44 SGB X angelegte Spannungsfeld zwischen Gesetzmäßigkeit auf der einen Seite und Funktionsfähigkeit der Verwaltung auf der anderen Seite rechtfertigt es jedenfalls, die Prüfdichte der Behörde nicht völlig losgelöst von Mitwirkungsobliegenheiten des die Überprüfung beantragenden Betroffenen zu lassen. Umfangreiche, weit gefasste oder unsubstantiierte Anträge können deshalb die zur Überprüfung berufene Behörde im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren berechtigen, den Antragsteller zur weiteren Konkretisierung bzw. zu weiterem Sachvortrag aufzufordern, bevor sie in eine Überprüfung der bestandskräftigen Sachentscheidungen einsteigt.
Obige Überlegungen zur Struktur des § 44 SGB X gelten umso mehr im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende.
§ 44 SGB X trifft zwar mit seinem Normbefehl schon bei seiner Schaffung auf eine Sozialleistungsverwaltung und -realität, die seit jeher von Dauerrechtsverhältnissen geprägt ist. Eine Besonderheit erfährt diese aber noch im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende. In diesem Bereich wird das Leistungsverhältnis Bürger - Behörde schon materiell-rechtlich, d. h. aufgrund des Gegenstandes und des Normprogrammes, durch Veränderungen in der Lebenswirklichkeit der Betreffenden ungleich mehr als im Sozialrecht sonst üblich geprägt. Das zeigt sich an der Tatsache, dass der Anspruch des Betreffenden auf Leistungen der Grundsicherung grundsätzlich ein einheitlicher ist. Das BSG hat lediglich für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung eine Abtrennbarkeit dieses Leistungsanspruchs anerkannt (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 153/11 R -, zitiert nach juris: jedenfalls bei Regel- und Mehrbedarf handelt es sich nicht um voneinander trennbare Ansprüche). Ein Anspruch setzt u. a. stets Hilfebedürftigkeit voraus, diese wird nach dem SGB II durch eine Vielzahl von Einzelumständen bestimmt. So müssen auch bei einem Anspruch auf einen Mehrbedarf (§ 21 SGB II) stets alle Voraussetzungen des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen dem Grunde nach geprüft werden. Darüber hinaus regeln die existenzsichernden Leistungen nahezu die gesamte Lebenswelt der Betroffenen. Sie sehen neben Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie zahlreiche sog. Sonderbedarfe, dabei auch einmalige (wiederkehrende) Bedarfe, vor (Schule, Schwangerschaft, Mehrbedarfe wegen Krankheit und Schwerbehinderung). Der Leistungsanspruch des Einzelnen ist von den Lebensverhältnissen und damit auch ihren (täglichen) Veränderungen mehr als andere Leistungsansprüche, die z. B. ein Stammrecht kennen, abhängig. Die Mehrzahl der Voraussetzungen für einen Anspruch ist stetigen, auch kurzfristig eintretenden Veränderungen unterworfen. So können z. B. Ansprüche von selbständig Tätigen monatlichen Schwankungen unterliegen. Vorläufige Bescheide spielen somit sowohl im Gesetz als auch der Praxis eine weitaus größere Rolle als in anderen Leistungsbereichen des Sozialgesetzbuches (vgl. nur BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 - B 4 AS 21/10 R -, zitiert nach juris; BSGE 108, 258 ff.).
Diese Komplexität spiegelt sich im Verfahrensrecht wider. Nach § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II sollen Leistungen grundsätzlich (nur) für sechs Monate im Voraus bewilligt werden. Nach Abs. 1 Satz 5 kann davon nur abgewichen werden und Leistungen können längstens für bis zu 12 Monate im Voraus bewilligt werden, bei denen eine Veränderung der Verhältnisse in diesem Zeitraum nicht zu erwarten ist. § 40 SGB II reagiert mit Sondervorschriften zu den allgemeinen Verfahrensvorschriften, auch zur Bestandskraft. So ist der Vertrauensschutz in §§ 45 ff. SGB X für die Betroffenen schwächer ausgestaltet und ist seit dem 01. April 2011 § 44 Abs. 4 SGB X für die rückwirkende Bewilligung weiterer SGB II-Leistungen modifiziert und die Frist auf ein Jahr verkürzt.
Die aufgezeigte, schon im Gesetz angelegte, aber auch durch den Regelungsgegenstand bestimmte strukturell verstärkte Abhängigkeit von den sog. Wechselfällen des (menschlichen) Lebens wird anschaulich praktisch abgebildet durch eine größere Anzahl von erforderlichen Bescheiden der Sozialleistungsträger. Prüfungen in die Vergangenheit betreffen somit (im Regelfall) eine größere Anzahl von Bescheiden und einen vielfach unübersichtlichen (Streit-) Gegenstand.
Kann – zumal im Bereich des SGB II - nicht jeder Überprüfungsantrag des Berechtigten eine umfassende Sach- und Rechtsprüfung auslösen (ähnlich im Ergebnis Voelzke/Hahn, a. a. O., S. 685, 689) und erfährt § 44 SGB X insoweit hier im Interesse einer funktionsfähigen Verwaltung eine Einschränkung, gilt dies sowohl für die Behörde als auch für das die Entscheidung der Behörde überprüfende Gericht. Ob das auch andere Sozialleistungsbereiche betreffen kann, muss hier nicht bewertet werden.
Es ist unschädlich, dass die Mitwirkungserfordernisse in § 44 SGB X nicht ausdrücklich geregelt sind. Mitwirkungsobliegenheiten sind auch sonst im Sozialverwaltungsrecht üblich. Geht es um einen Antrag auf Sozialleistungen, bestimmt beispielsweise § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I in den Grenzen des § 65 SGB I, dass der Betreffende alle Tatsachen anzugeben hat, die für die Leistung erheblich sind. Das BSG hat zuletzt für den Fall, dass der Kläger die Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherung begehrt hat, ausgeführt, der Berechtigte habe damit nicht mehr die Überprüfung der Verfügungssätze des Bescheides oder jedenfalls einer ohne Weiteres bestimmbaren Zahl von Verfügungssätzen von Verwaltungsakten zur Überprüfung des Beklagten gestellt. Es könne nicht zweifelhaft sein, dass ein derart weitreichendes Überprüfungsbegehren mit entsprechenden Mitwirkungserfordernissen beim Berechtigten korrespondiere (BSG, Beschluss vom 14. März 2012 - B 4 AS 239/11 B -).
Das bedeutet – zumindest für den Bereich der Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende –, dass sich der Anspruch des Einzelnen relativ zum Antrag verhält. Je unbestimmter der einzelne Überprüfungsantrag gestellt ist, desto mehr hängt die behördliche Pflicht zur Überprüfung von weiteren Mitwirkungshandlungen des Antragstellers ab. Die einen Anspruch auf Überprüfung von Bescheiden mitbestimmenden Mitwirkungsobliegenheiten des Leistungsberechtigten können somit schon den Prüfauftrag, aber auch das Prüfprogramm im Bereich des § 44 SGB X prägen und ggf. beschränken. Das benachteiligt den einzelnen Antragsteller nicht unbillig und steht in Übereinstimmung mit dem (verfassungsrechtlichen) Gebot, existenzsichernde Leistungen möglichst umfassend zu gewährleisten. Begehrt demgemäß der Antragsteller beispielsweise die Überprüfung aller Bescheide der Verwaltung seit einem bestimmten in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt und begründet er sein Begehren nach (behördlicher) Aufforderung nicht, kann sich die Behörde auf die Bestandskraft des Bescheids ohne erneute Prüfung in der Sache berufen (Voelzke/Hahn,a. a. O., S. 685, 689). Beruft er sich auf einen unrichtigen Sachverhalt (vgl. dazu § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X), obliegt es ihm, diesen - zumindest grob - darzulegen.
Allein die Berufung auf die Amtsermittlungspflicht des § 20 SGB X führt zu keinem anderen Ergebnis. § 44 SGB X durchbricht die Bestandskraft, auch soweit es um Sachverhaltsfeststellungen und Ermittlungen geht. Im Übrigen ist zu beachten, dass das Beteiligtenvorbringen auch sonst die Sachverhaltsermittlungen steuert. Ermittlungen ins Blaue sind nicht angezeigt. Die Sachaufklärungspflicht findet in der Mitwirkungsobliegenheit der Verfahrensbeteiligten ihre Grenze (Voelzke/Hahna. a. O., S. 685, 689; BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 109/11 R -). Das gilt auch für das gerichtliche Verfahren, vgl. dort §§ 103, 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Beruft sich der Betroffene auf eine unrichtige Rechtsanwendung, gilt grundsätzlich die Pflicht zur Überprüfung von Amts wegen, vorausgesetzt, die zur Überprüfung gestellten Bescheide sind zumindest bestimmbar.
Im Fall der Klägerin folgt unter Beachtung dieser Grundsätze aus ihrem Antrag keine Pflicht zur Überprüfung von Bescheiden in der Sache. Sie hat bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens die zur Überprüfung gestellten Bescheide nicht benannt. Soweit sie alle Bescheide seit dem 01. Januar 2006 benennt, handelt es sich dabei (nach Maßgabe des BSG in seinem Beschluss vom 14. März 2012 - B 4 AS 239/11 B -) nicht mehr um die Überprüfung der Verfügungssätze jedenfalls einer ohne Weiteres bestimmbaren Zahl von Verfügungssätzen von Verwaltungsakten. Die Berufung darauf, der Beklagte müsse die Bescheide kennen, negiert gerade die Mitwirkungsobliegenheit, die bei einem solch langen Zeitraum besteht. Es kann nämlich nicht außer Acht gelassen werden, dass gerade die Klägerin, die behauptet, die sie betreffenden Bescheide seien rechtwidrig, diese auch kennen müsste. Dies kann dem Antragsteller im Rahmen der Mitwirkungsobliegenheit zulässigerweise vorgehalten werden. Insoweit ist es nicht zu beanstanden, dass sich der Beklagte im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren auf die Bestandskraft seiner Bescheide berufen hat, denn er hat vor seinem Bescheid die Klägerin zur näheren Konkretisierung ihres Begehrens aufgefordert (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 14. Juni 2012 - L 18 AS 1341/12 B PKH - und vom 12. Juni 2012 - L 20 AS 947/12 B PKH -; Urteil vom 29. September 2011 - L 29 AS 728/11 -). Auf die Anfrage des Beklagten mit Schreiben vom 17. Dezember 2010 hat sich der Bevollmächtigte der Klägerin darauf beschränkt, mittels Stempelaufdruck, der - was gerichtsbekannt ist - in einer Vielzahl weiterer Verfahren verwendet wird, ohne Individualisierung zu reagieren. Auch der Widerspruch erfolgte ohne Begründung. Dies ist sicherlich ein für den Bevollmächtigten ökonomisches Verfahren, dient aber nicht der sachgerechten Verfolgung des Überprüfungsantrags und schon gar nicht der Erfüllung der Mitwirkungspflichten. Zudem hat er damit die zur Überprüfung gestellten Bescheide nach wie vor nicht benannt. Darauf kann auch deshalb nicht verzichtet werden, weil dem Beklagten allein aus der Verwaltungsakte nicht erkennbar ist, welche Bescheide die Klägerin zum Inhalt ihres Antrags macht, denn er kann nicht ohne Weiteres überprüfen, welche Bescheide, die er im Wege einfacher Bekanntgabe versandt hat, der Klägerin tatsächlich zugegangen sind. Daraus kann die Klägerin nicht den Schluss ziehen, dass solche Entscheidungen sogar noch unter erleichterten Bedingungen überprüft werden könnten. Denn ein Verwaltungsakt wird erst mit der Bekanntgabe gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist, wirksam (§ 39 Abs. 1 SGB X). Ein nicht bekannt gegebener Bescheid kann deshalb nicht nach § 44 SGB X überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden.
Kein anderes Ergebnis ergibt sich unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Klägerin erstmals mit Begründung ihrer Klage gegenüber dem Sozialgericht die zu überprüfenden Bescheide des Beklagten benannt und eine - sehr kurze - Begründung für die aus ihrer Sicht rechtswidrigen Regelungen gegeben hat. Damit konnte die Klägerin ihren Mitwirkungsobliegenheiten nicht mehr gerecht werden. Allerdings ist die insoweit erfolgte Konkretisierung des Klagebegehrens entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht als unzulässige Klageänderung im Sinne von § 99 SGG zu werten. Denn nach § 99 Abs. 3 Nrn.1 und 2 SGG liegt qua Gesetz eine Klageänderung weder im Fall der Ergänzung oder Berichtigung der tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen noch im Fall der Erweiterung oder Beschränkung des Klageantrags in der Hauptsache vor, wenn der Klagegrund sich nicht ändert. Vorliegend hat sich der dem Rechtsstreit zugrundeliegende Lebenssachverhalt, der Klagegrund, jedoch nicht geändert. Die Klägerin hat auch keinen anderen (Rechts-) Anspruch geltend gemacht. Sie hat ihren oben dargestellten Mitwirkungspflichten folgend ihr Klagebegehren lediglich präzisiert.
Im Übrigen gilt für das Gericht im Klageverfahren kein anderer Maßstab als für die Behörde. Zwar ist im Fall der zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt der der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz. Dies betrifft nicht nur den Fall, dass Klagegegenstand Dauerverwaltungsakte sind, die laufende Leistungen betreffen und damit auch zukünftige Zeiträume erfassen (BSG, Urteil vom 17. Februar 2005 - B 13 RJ 31/04 - in SozR 4 - 2600 § 43 Nr. 3), sondern auch die Beurteilung von Bescheiden im Überprüfungsverfahren. Maßgeblicher Zeitpunkt ist auch hier grundsätzlich der der letzten mündlichen Verhandlung (BSG, Urteil vom 25. Januar 2012 - B 5 R 47/10 R -, zitiert nach juris). Maßgebend ist somit die Sach- und Rechtslage, wie sie sich, bezogen auf das Überprüfungsbegehren, dem Gericht zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung darstellt. Hängt aber das Überprüfungsbegehren von Mitwirkungsobliegenheiten im Verwaltungsverfahren ab, sind Gerichte nicht verpflichtet, auf die Nachholung der schon bestehenden Mitwirkungsobliegenheit die nunmehr konkret benannten Bescheide erstmals zu überprüfen. Denn die Rechtmäßigkeitskontrolle, die der Senat vornimmt, reduziert sich in diesem Fall – auch als Konsequenz des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung - auf die Frage, ob der Beklagte sich ohne weitere Sachprüfung auf die Bestandskraft der Bescheide berufen konnte. Die Gerichte sind nicht dazu berufen, an Stelle der Verwaltung erstmals Verwaltungsakte ersetzende Regelungen zu treffen.
Ein im Klageverfahren konkretisierter Antrag auf Überprüfung stellt vielmehr einen neuen Antrag nach § 44 SGB X dar, über den der Beklagte zu entscheiden hat (vgl. Beschluss des Senats vom 07. Mai 2012 - L 19 AS 42/12 B PKH -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Zwar hat das BSG selbst in einem ähnlichen Fall im Rahmen der erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde ausgeführt, dass ein vergleichbar weitreichendes Überprüfungsbegehren mit Mitwirkungserfordernissen beim Berechtigten korrespondiert (Beschluss vom 14. März 2012 - B 4 AS 239/11 B -). Die entscheidungserhebliche Frage, welche Auswirkungen es hat, wenn das Überprüfungsbegehren im Klage- oder Berufungsverfahren erstmals konkretisiert wird, ist jedoch noch offen.