Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 11.07.2014 | |
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Aktenzeichen | OVG 1 L 38.14 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 35 Abs 1 GewO, § 12 S 1 GewO, § 12 S 2 GewO, § 35 Abs 2 S 1 InsO |
Eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verfügte Gewerbeuntersagung kann (wieder) vollzogen werden, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen von § 12 Satz 2 GewO erfüllt sind.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. April 2014 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Mit Beschluss vom 23. April 2014 hat das Verwaltungsgericht gegen die Antragsgegnerin zur Vollstreckung des ihr am 7. August 2013 zugestellten Bescheids des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg von Berlin vom 5. August 2013 gemäß § 5a Satz 1 VwVfG BIn in Verbindung mit § 16 Abs. 1 Satz 1 VwVG eine Ersatzzwangshaft von fünf Tagen angeordnet, um sie zur Einstellung ihrer gewerblichen Tätigkeit und zur entsprechenden Anzeige anzuhalten, nachdem das mit ebenfalls unanfechtbarem Bescheid vom 11. September 2013 festgesetzte Zwangsgeld uneinbringlich war.
Entgegen der Ansicht der Beschwerde sind die Voraussetzungen für die Vollstreckung der Gewerbeuntersagung gegeben; insbesondere steht dem nicht entgegen, dass über das Vermögen der Antragsgegnerin mit Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg von Berlin vom 26. August 2013 (Az: 36h IN 3044/13) das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, denn der Insolvenzverwalter hat die untersagte gewerbliche Tätigkeit der Antragsgegnerin als Fitnesstrainerin und Tanzpädagogin mit Schreiben vom 19. September 2013 rückwirkend zum 26. August 2013 freigegeben. Die Antragsgegnerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass § 12 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO) eine Sperrwirkung entfalte.
Es ist bereits fraglich, ob § 12 Satz 1 GewO (auch) für das Verwaltungsvollstreckungsverfahren gilt, denn nach dessen Wortlaut finden „Vorschriften, welche die Untersagung eines Gewerbes (…) wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, ermöglichen, (…) während eines Insolvenzverfahrens, (…) keine Anwendung in Bezug auf das Gewerbe, das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde.“ Um eine Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 GewO geht es vorliegend jedoch nicht (mehr), denn diese war hier bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verfügt und damit im vorstehenden Sinne „angewendet“ worden (vgl. Hessischer VGH, Urteil vom 21. November 2002 - 8 UE 3195/01 - juris Rn. 27). § 12 Satz 1 GewO verschiebt weder den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden (vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 27. Januar 2014 - 22 BV 13.260 - juris Rn. 19 ff. m.w.N.; offen gelassen im Senatsbeschluss vom 3. November 2009 - OVG 1 S 19.09 - juris Rn. 4 m.w.N.), noch wird eine zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung rechtmäßige Gewerbeuntersagung durch die spätere Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO oder die spätere Einleitung eines Insolvenzverfahrens rechtswidrig (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. April 2011 - 4 A 1449/08 - juris Rn. 41 ff. m.w.N.).
Allerdings wird in der Rechtsprechung vertreten, dass die Gewerbeuntersagung während der in § 12 Satz 1 GewO genannten Zeitabschnitte in der Regel nicht vollzogen werden darf (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. April 2011, a.a.O., Rn. 50 ff.; Nachw. zur Gegenauffassung im Urteil des Bayerischen VGH vom 27. Januar 2014, a.a.O., juris Rn. 27 f.). Dies kann hier jedoch ebenso dahin gestellt bleiben wie die Ansicht des Antragstellers, dass der Zweck von § 12 Satz 1 GewO nicht so weit reiche, dass eine bereits untersagte gewerbliche Betätigung wieder zu gestatten wäre bzw. eine bereits verfügte Gewerbeuntersagung nicht mehr vollzogen werden dürfe. Denn die Sperrwirkung von § 12 Satz 1 GewO gilt nach dem durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung der Gewerbeordnung und anderer Gesetze vom 5. Dezember 2012 (BGBl I S. 2415) zur Klarstellung eingefügten (vgl. Begr. zum Gesetzesentwurf der BReg. vom 10. Oktober 2012, BT-Drs. 17/10961, S. 1 und 11) und am 12. Dezember 2012 in Kraft getretenen Satz 2 der Vorschrift „nicht für eine nach § 35 Absatz 2 Satz 1 der Insolvenzordnung freigegebene selbstständige Tätigkeit des Gewerbetreibenden, wenn dessen Unzuverlässigkeit mit Tatsachen begründet wird, die nach der Freigabe eingetreten sind.“ Sofern man also den Anwendungsbereich von § 12 Satz 1 GewO nach dessen Sinn und Zweck auf das Verwaltungsvollstreckungsverfahren ausdehnen will (so OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 50 ff.; Fortführung mit Beschluss vom 19. Mai 2011 - 4 B 1707/10 - GewArch 2011, 314 und juris Rn. 14 ff.), so wäre § 12 Satz 2 GewO ebenfalls anzuwenden; denn wenn schon die Untersagung einer vom Insolvenzverwalter freigegebenen gewerblichen Betätigung (wieder) zulässig ist, so muss dies erst recht für die Vollstreckung einer bereits ausgesprochenen und hier sogar bestandskräftigen Untersagungsverfügung gelten, sofern die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen von § 12 Satz 2 GewO erfüllt sind (so im Ergebnis zur bis zum 12. Dezember 2012 geltenden Gesetzeslage: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. Mai 2011, a.a.O., juris Rn. 21).
So verhält es sich hier, denn die Antragsgegnerin hat nach Freigabe der untersagten Gewerbetätigkeit ihre Pflicht zur Entrichtung von Umsatzsteuern in nicht ganz unbeträchtlichem Maße verletzt, wie der Antragsteller unwidersprochen mitgeteilt hat, und sich damit erneut als gewerberechtlich unzuverlässig erwiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen nach § 154 Abs. 2 VwGO der Antragsgegnerin zur Last. Der Festsetzung eines Streitwerts bedarf es wegen der insoweit bestimmten Festgebühr nicht (vgl. KV Nr. 5502 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).