Gericht | FG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 15.01.2015 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 5 K 5182/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Mai 2012 vom 18.09.2012 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13.05.2013 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Mit Beschluss des Amtsgerichts B… (36 IN 2…/12) vom 14.05.2012 wurde der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der C… GmbH bestellt und gemäß § 21 Insolvenzordnung (InsO) angeordnet, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind und der Schuldnerin insbesondere die Einziehung von Außenständen untersagt ist. Zugleich wurde der vorläufige Insolvenzverwalter ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder und Schecks entgegenzunehmen. Die Gemeinschuldnerin führte den Geschäftsbetrieb im Rahmen der vorläufigen Verwaltung bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 25.06.2012 fort. Die in der Zeit vom 14. bis 31.05.2012 ausgeführten Umsätze wurden unter der Alt-Steuernummer der Gemeinschuldnerin vorangemeldet, es ergab sich eine verbleibende Umsatzsteuer-Vorauszahlung von 3.059,54 €. Mit Bescheid vom 18.09.2012 setzte der Beklagte die angemeldeten Beträge hingegen unter der Masse-Steuernummer gegenüber der Insolvenzmasse fest. Der hiergegen eingelegte Einspruch des Klägers blieb erfolglos.
Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger geltend, er habe entgegen der Auffassung des Beklagten keine Umsatzsteuerverbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 4 InsO begründet, da er als vorläufiger Insolvenzverwalter die Ausgangsleistungen nicht selbst erbracht habe. Diese seien vielmehr weiterhin durch die Gemeinschuldnerin gegenüber den Auftraggebern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erbracht worden, da insoweit die allgemeine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die spätere Insolvenzmasse noch nicht auf ihn - den Kläger - übergegangen gewesen sei und ihm auch keine weitergehenden partiellen Rechte durch das Insolvenzgericht zugesprochen worden seien. Der in § 55 Abs. 4 InsO verwandte Begriff der „Zustimmung“ betreffe nur Verbindlichkeiten, die Verfügungen zum Gegenstand hätten, also zu einer Verschaffung der Verfügungsmacht im Sinne des § 3 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) führten. Dies ergebe sich aus § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Fall InsO, wonach Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam seien. Hingegen seien Rechtsgeschäfte wie im Streitfall, denen sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG zu Grunde lägen, nicht zustimmungsfähig.
Andere Schlüsse seien auch nicht aus der Gesetzesbegründung zu § 55 Abs. 4 InsO zu ziehen. Der Gesetzgeber habe Umsatzsteuerausfällen entgegenwirken wollen, die dadurch entstünden, dass im Eröffnungsverfahren mit Zustimmung des Verwalters begründete Umsatzsteuerverbindlichkeiten ganz überwiegend zu Insolvenzforderungen würden, die lediglich eine Aussicht auf quotale Befriedigung hätten. Der seinerzeit zu beobachtenden Praxis, dass manche sogenannte schwache vorläufige Insolvenzverwalter ihre Rechtsstellung gezielt ausgenutzt hätten, um die jeweilige Masse durch aktives Gestalten zulasten des Fiskus weiter anzureichern, habe ein Riegel vorgeschoben werden sollen (Bundestagsdrucksache 17/3030 vom 27.09.2010 Seite 43 f.). Eine solche Gestaltung sei jedoch nur im Rahmen des § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO im Hinblick auf Verfügungen möglich, da nur diese zu einer Minderung der Insolvenzmasse führen könnten. Hinsichtlich anderer Rechtsgeschäfte bestehe folglich kein Zustimmungsvorbehalt und es könne insoweit keine fiktive Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 4 InsO ausgelöst werden. Folglich liege im Streitfall eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO vor, die nicht durch Steuerbescheid festgesetzt werden könne.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Mai 2012 vom 18.09.2012 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13.05.2013 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 17.01.2012 (Bundessteuerblatt I 2012, 120), wonach § 55 Abs. 4 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht nach § 22 Abs. 1 InsO übergegangen sei (sogenannter schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter), Anwendung finde. Hierbei sei es nach Auffassung des BMF unbeachtlich, ob der schwache vorläufige Insolvenzverwalter vom Gericht mit Zustimmungsvorbehalt ausgestattet worden sei oder nicht. Auch ohne einen Zustimmungsvorbehalt könnten entsprechende Steuerverbindlichkeiten durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter begründet werden, insbesondere wenn ihm zahlreiche Rechte durch das Insolvenzgericht eingeräumt oder Sicherungsmaßnahmen angeordnet würden. Demnach würden Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO begründet durch Handlungen des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters, wie z.B. der Verwertung von Anlagevermögen im Rahmen einer Einzelermächtigung oder der Einziehung von Forderungen sowie durch Handlungen des Insolvenzschuldners, die mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters z.B. zu Umsatzgeschäften erfolgten. Diese Auslegung entspreche der Gesetzesbegründung zur Änderung der InsO durch den Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 2011, die Position der öffentlichen Hand im Insolvenzverfahren gegenüber abgesicherten Insolvenzgläubigern zu verbessern. Allein dies spreche gegen die Auffassung des Klägers, dass die Regelung auf Steuerverbindlichkeiten beschränkt sei, die auf Verfügungen, d. h. auf Lieferungen im umsatzsteuerlichen Sinne, beruhten. Gesetzgeberisches Ziel sei vielmehr gewesen, Steuerverbindlichkeiten, die insbesondere aus der Fortführung des Unternehmens während der Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung stammten, den Rang von Masseverbindlichkeiten zu verleihen.
Dem Gericht hat bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte ein „Sonderband Einspruchsverfahren Umsatzsteuer-Voranmeldung Mai und Juni 2012“ vorgelegen.
Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig. Die in Rede stehende Umsatzsteuer ist keine Masseverbindlichkeit, sondern Insolvenzforderung im Sinne von § 38 InsO und als solche nur im Rahmen des Insolvenzverfahrens durchsetzbar.
Gemäß § 55 Abs. 4 InsO gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit.Diese Bestimmung stellt eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 87 InsO dar, nach dem Insolvenzgläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens „begründeten“ Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen können. Ob es sich bei einem Steueranspruch um eine Insolvenzforderung oder um eine Masseverbindlichkeit handelt, bestimmt sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nach dem Zeitpunkt, in dem der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist, was allein nach den Vorschriften des Steuerrechts zu beurteilen ist. Erfolgt danach die vollständige Tatbestandsverwirklichung erst nach Verfahrenseröffnung, liegt unter den Voraussetzungen des § 55 InsO eine Masseverbindlichkeit vor. Die tatbestandliche Verwirklichung des Umsatzsteueranspruchs liegt - so der BFH - in der Entgeltvereinnahmung durch den Insolvenzverwalter, wobei unerheblich ist, ob der Umsatz der Ist- oder Sollbesteuerung unterliegt (BFH, Urteil vom 09.12.2010, V R 22/10, BStBl II 2011, 996). Mit Urteil vom 24.09.2014 (V R 48/13, DStR 2014, 2452) hat der BFH diese Rechtsprechung erweitert auf die Entgeltvereinnahmung durch einen „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter. Entscheidend ist danach, ob der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt zum Forderungseinzug berechtigt ist. Ist dies der Fall, ist für die Begründung einer Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO auf die Entgeltvereinnahmung und nicht auf die Leistungserbringung des Unternehmers/Gemeinschuldners abzustellen. Die Auffassung der Finanzverwaltung, die nicht auf die rechtlichen Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters abstelle, sei daher abzulehnen.
Umsatzsteuerrechtlich hat die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit dem Recht zum Forderungseinzug nach der zitierten Rechtsprechung zur Folge, dass die noch ausstehenden Entgelte für vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters als auch für danach bis zur Beendigung des Insolvenzeröffnungsverfahrens ausgeführte Leistungen uneinbringlich werden und nach § 17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen sind. Durch die Entgeltvereinnahmung kommt es alsdann zu einer zweiten Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG. Entsprechendes gilt für den Vorsteuerabzug (BFH, Urteil vom 24.09.2014, V R 48/13 a.a.O.).
Für den Streitfall bedeutet dies zunächst, dass nach der Rechtsprechung des BFH, der der Senat insoweit folgt, die Frage der Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO aufgrund der dem vorläufigen Insolvenzverwalter zustehenden rechtlichen Befugnisse zu beurteilen ist. Da der Kläger als vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt vom Insolvenzgericht zum Forderungseinzug ermächtigt war, konnte eine Masseverbindlichkeit mit der Entgeltvereinnahmung entstehen. Nicht anzuschließen vermag sich der Senat der Auffassung des Klägers, dass § 55 Abs. 4 InsO nur Lieferungen im Sinne des § 3 Abs. 1 UStG erfasst. Damit würden im Ergebnis Dienstleistungsunternehmen gegenüber Handelsunternehmen im Insolvenzeröffnungsverfahren ohne sachlichen Grund bessergestellt werden, was – worauf der BFH hingewiesen hat – mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz unvereinbar wäre und überdies auch nicht Absicht des Gesetzgebers entspräche (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 251 AO Tz. 70 b).
Den Rechtsprechungsgrundsätzen des BFH zur Uneinbringlichkeit der Entgeltforderungen mit der Folge der Berichtigungspflicht folgt der Senat jedoch nicht.
Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist ein Entgelt uneinbringlich, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung ganz oder teilweise auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (ständige Rechtsprechung, vgl. Urteil des BFH vom 24.10.2013, V R 31/12, DStR 2014, 262). Eine Forderung ist regelmäßig dann nicht durchsetzbar, wenn der Schuldner zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist. Maßgebend sind also Umstände in der Person des Schuldners und nicht des Gläubigers. Es ist deshalb nach Auffassung des Senats im Falle der Insolvenz nicht möglich, dass eine (Steuer-)Forderung durch bloße Veränderungen in der Gläubigerstellung und ohne Zutun des Schuldners uneinbringlich werden soll mit der Konsequenz der Berichtigungspflicht auf beiden Seiten der Umsatzbeteiligten. Dies dürfte weder dem Wortsinn des Begriffs „Uneinbringlichkeit“ noch dem Zweck des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG entsprechen (vgl. auch Jatzke in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 251 AO Rz. 382 mwN; Neumann in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 251 Rz. 114.1; Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 02.04.2014, 7 K 7337/12, EFG 2014, 1427). Dem Gläubiger würde zudem auf diese Weise ein willkürliches Herbeiführen der Berichtigungspflicht auch auf Seiten des Schuldners ermöglicht. Das Gericht schließt sich der Auffassung des 7. Senats des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg (a.a.O.) an, der überzeugend ausgeführt hat, dass in dem Fall, dass von einer korrespondierenden Berichtigungspflicht des Leistungsempfängers nicht auszugehen ist, wie dies u. a. von der Finanzverwaltung vertreten werde, eine Abkoppelung der Umsatzsteuerberichtigung von der Vorsteuerberichtigung erfolgte, die dem durch Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EWG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystemRL) vorgegebenen Korrespondenzprinzip widerspräche. Zuzustimmen ist dem 7. Senat – und dies ist nach Auffassung des erkennenden Senats der entscheidende Einwand gegen die Rechtsprechung des BFH – auch darin, dass die Qualifizierung offener Steuerforderungen – im Gegensatz zu offenen Forderungen anderer Gläubiger – als bevorrechtigte Masseforderungen (sog. Fiskus-Privileg) einer eindeutigen gesetzlichen Regelung bedarf und sich nicht über die Korrekturvorschrift des § 17 UStG lösen lässt. § 17 UStG hat seine unionsrechtliche Grundlage in Art. 90 MwStSystemRL, der in Abs.1 insbesondere bei vollständiger oder teilweiser Nichtbezahlung die entsprechende Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage „unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen“ vorsieht. Diese Formulierung spricht für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung, die explizit die Anwendung des § 17 UStG bei Anordnung des Insolvenzeröffnungsverfahrens bestimmt. Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 24.09.2014 (V R 48/13 a.a.O.) zwar einen Verstoß gegen Art. 90 MwStSystemRL verneint, da zu den Bedingungen im Sinne von Abs. 1 dieser Norm auch § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG und dessen Anwendung im Insolvenzeröffnungsverfahren gehöre. Dies ist jedoch vor dem Hintergrund, dass § 17 UStG „lediglich“ die Sicherstellung der Besteuerung des letztlich tatsächlich erhaltenen Entgelts bezweckt (Urteil des BFH vom 16.01.2003, V R 72/01, BStBl II 2003, 733), im Insolvenzeröffnungsverfahren aber eine über diesen Zweck hinausgehende Umqualifizierung von Forderungen bewirkt wird, nicht überzeugend.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.
Die Revision ist wegen Abweichung von der Rechtsprechung des BFH zuzulassen.