Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 3. Der Senat | Entscheidungsdatum | 23.05.2012 | |
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Aktenzeichen | L 3 U 129/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 56 Abs 1 S 1 SGB 7, § 56 Abs 2 S 3 SGB 7 |
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 18. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des anerkannten Arbeitsunfalls vom 08. November 2004.
Der 1953 geborene Kläger absolvierte nach dem Ende der Schulausbildung mit der 10. Klasse eine Lehre zum Facharbeiter für EDVA, die er im Jahr 1972 erfolgreich abschloss. Anschließend war er als Bediener und Programmierer von EDVA beschäftigt. Von 1974 bis 1976 studierte er Betriebswirtschaft. Von 1976 bis 1986 arbeitete er als Filmtonassistent. 1986 machte er seinen Abschluss als Ingenieur für Film- und Fernsehtechnik und ist seither als Filmtonmeister tätig.
Am 08. November 2004 arbeite er als Filmtonmeister bei den Dreharbeiten für den Fernsehfilm Polizeiruf 110 „Heimkehr in den Tod“. Während der letzten Einstellung des Drehtages schlug ein Darsteller für den Kläger unerwartet sehr stark mit der Hand auf den Tisch. Dieses Geräusch wurde als starker Knall auf die Kopfhörer des Klägers übertragen (Unfallanzeige vom 10. November 2004). Es trat eine plötzliche, von Schmerzen begleitete Hörminderung rechts sowie ein Ohrgeräusch rechts auf. Er stellte die Arbeit sofort ein und stellte sich in der Hals-, Nasen-, Ohrenärztlichen Universitätsklinik in H vor, wo ein beidseitiges Lärmtrauma (rechts mehr als links) sowie ein rechtsseitiger Tinnitus festgestellt und Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde (Bericht vom 08. Dezember 2004). Am 29. März 2005 trat wieder Arbeitsfähigkeit ein.
Die Beklagte veranlasste ein hals-, nasen-, ohrenärztliches Zusammenhangsgutachten des Dr. B vom 21. Dezember 2005, auf dessen Grundlage die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente mit Bescheid vom 01. Februar 2006 ablehnte. Als Folgen des Arbeitsunfalls bestünden eine Hörminderung rechts mit Tinnitus beidseits sowie eine Überempfindlichkeit gegen laute Töne (Hyperakusis) mit Verzerrthören nach Lärmtrauma. Unfallunabhängig sei eine leichte Hochtonminderung. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Ausmaße liege nicht vor, weshalb Verletztenrente nicht zu gewähren sei. In seinem hiergegen gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, er im Hinblick auf seine berufliche Tätigkeit als Tonmeister durch die Unfallfolgen massiv beeinträchtigt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01. September 2006 zurück. Nach § 56 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sollten bei der Bemessung der MdE Nachteile berücksichtigt werden, die die Versicherten dadurch erlitten, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen könnten, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden könne, ausgeglichen würden. Eine besondere berufliche Betroffenheit liege nach gängiger Rechtsprechung vor, wenn der Versicherte seinen ausgeübten Spezialberuf wegen der Unfallfolgen habe aufgeben müssen und eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt insbesondere wegen des Alters des Versicherten eine unbillige Härte darstelle. Dies treffe hier nicht zu, da der Kläger weiterhin in seinem Beruf arbeite.
Mit seiner hiergegen vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die MdE sei zu niedrig angesetzt worden. Diese sei jedenfalls im Hinblick auf die Vorschrift des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII mit mindestens 20 vom Hundert anzusetzen. Er hat sich hierzu u. a. auf ein Attest des Dr. B vom 03. Mai 2007 gestützt. Zwar arbeite er weiterhin als Filmtonmeister, jedoch müsse er nun zwischen den einzelnen Aufträgen Pausen machen, auch könne er nicht mehr solange am Tag arbeiten. Darüber hinaus hätten bei dem letzten Film des Jahres 2005, den er als Tonmeister gedreht habe, mehrere Szenen nachsynchronisiert werden müssen, da sie technisch nicht in Ordnung, d. h. übersteuert, gewesen seien. Aufgrund der Tatsache, dass er grundsätzlich nur befristete Arbeitsverträge für die einzelnen Produktionen bekomme, könne er sich seine Arbeitsbelastung in gewissem Umfang einteilen.
Das SG hat den Hals-, Nasen-, Ohrenarzt Prof. Dr. W mit der Untersuchung des Klägers und Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In seinem am 20. Mai 2009 nach einer Untersuchung des Klägers am 10. September 2008 fertig gestellten Gutachten ist dieser zu dem Schluss gelangt, bei dem Kläger bestünden eine leichtgradige Innenohrschwerhörigkeit im Hochtonbereich beidseits i. S. e. Altersschwerhörigkeit sowie ein beidseitiger chronisch dekompensierter Tinnitus. Ein Lärmtrauma am 08. November 2004 sei unwahrscheinlich. Er könne weder eine Gehörstörung rechts noch einen Tinnitus rechts als Unfallfolge wahrscheinlich machen. Im Übrigen läge die MdE bei 10 v. H.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein weiteres hals-, nasen-, ohrenärztliches Gutachten von Prof. Dr. H eingeholt, das dieser am 03. März 2010 (Untersuchung am 01. Februar 2010) fertig gestellt hat. Darin hat dieser einen beidseitigen Tinnitus aurium sowie eine Hyperakusis als Folgen des Arbeitsunfalls vom 08. November 2004 angesehen. Als psychometrische Tests waren der BDI (Becksches Depressions Inventar; Score von 17) sowie der HADS (Hospitility Anxiety Depression Scale; Subskalen Depressivität und Ängstlichkeit nicht äufällig erhöht) sowie der Mini-TF (Tinnitus-Fragebogen nach Goebel; Score von 19) durchgeführt worden. Unfallunabhängig sei eine geringgradige Innenohrhochtonschwerhörigkeit beidseits. Die MdE betrage 10 v. H.
Das SG hat die Klage durch Urteil 18. Juni 2010 abgewiesen. Nach den eingeholten Gutachten liege keine höhere MdE als 10 v. H. vor. Eine besondere berufliche Betroffenheit liege nicht vor, denn der Kläger sei nach wie vor als Tonmeister tätig.
Gegen das am 03. Juli 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 05. Juli 2010 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) eingegangene Berufung des Klägers, mit welcher er sein erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt. Weder die Beklagte noch die erste Instanz hätten in ausreichendem Maße die ihm durch die Folgen des Arbeitsunfalls entstandenen beruflichen Beeinträchtigungen ausreichend berücksichtigt. Aufgrund der ständigen Ohrgeräusche und der Hyperakusis sei er gezwungen, insbesondere länger andauernde Aufträge abzusagen. Er legt einen Befundbericht seines behandelnden Hals-, Nasen-, Ohrenarztes Dr. S vom 08. November 2010 sowie eine Auflistung der Produktionen, für die er in den Jahren 2000 bis 2010 gearbeitet hat, und die dazu gehörigen Verträge vor. Er weist darauf hin, dass die Jahre 2002 und 2003 nicht aussagekräftig seien, da er in diesen Jahren wegen einer Arthrose im rechten Kniegelenk häufig arbeitsunfähig gewesen sei.
Am 07. Juni 2010 hat der Kläger einen weiteren Versicherungsfall erlitten. Aufgrund Bescheides vom 04. Mai 2011 gewährt die Beklagte ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 08. November 2004 nunmehr seit dem 07. Juni 2010 (Versicherungsfall der Stützrente) Rente auf unbestimmte Zeit.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 18. Juni 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 01. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. September 2006 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 08. November 2004 Verletztenrente ab dem 29. März 2005 nach einer MdE von wenigstens 20 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat die medizinischen Unterlagen der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund – insbesondere den Reha-Entlassungsbericht des M Reha-Zentrum S vom 03. März 2010 (u. a. Zustand nach Implantation einer zementfreien Hüft-TEP rechts am 07. Januar 2010, Zustand nach Implantation einer Hüft-TEP links 1998, Zustand nach Implantation einer Knie-TEP rechts 2004) -, eine Übersicht aus dem Leistungskonto der Techniker Krankenkasse vom 03. März 2011 für den Zeitraum Juli 2002 bis Oktober 2010 sowie einen Versicherungsverlauf des Klägers vom 08. März 2011 beigezogen.
Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 09. November 2011 der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen (§ 153 Abs. 5 SGG). Dieser Beschluss ist mit Beschluss des Senats vom 28. März 2012 aufgehoben worden wegen Fehlens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 153 Abs. 5 SGG. Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 16. und 27. April 2012 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin anstelle des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 155 Abs. 3 und Abs. 4, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG erteilt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (4 Bände) verwiesen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin anstelle des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2, 155 Abs. 3, 4 SGG), ist zulässig, aber unbegründet. Das Urteil des SG vom 18. Juni 2010 sowie der Bescheid der Beklagten vom 01. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. September 2006 sind nicht zu beanstanden. Der Kläger hat, wie das SG zutreffend festgestellt hat, keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente ab dem Ende der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit am 28. März 2005. Weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 08. November 2004 sind nicht ersichtlich.
Der Bescheid vom 04. Mai 2011, mit welchem dem Kläger seit dem 07. Juni 2010 aufgrund eines Stützrententatbestandes Verletztenrente nach einer MdE von 10 v. H. gewährt wird, ist nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens nach §§ 153 Abs. 1, 96. Abs. 1 SGG geworden, denn dieser Bescheid ändert oder ersetzt den angefochtenen Bescheid vom 01. Februar 2006 nicht.
Nach § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigsten die Zahl 20, besteht nach § 56 Abs. 1 S. 2 SGB VII für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Nach § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle der Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Der Gesetzgeber bringt mit der Formulierung „infolge“ in § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Ausdruck. Es muss eine kausale Verknüpfung des Unfalls mit der betrieblichen Sphäre bestehen, mithin eine rechtliche Zurechnung für besonders bezeichnete Risiken der Arbeitswelt beziehungsweise gleichgestellter Tätigkeiten, für deren Entschädigung die gesetzliche Unfallversicherung als spezieller Zweig der Sozialversicherung einzustehen hat, und zwar nicht nur im Sinne einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, etwa Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Die Frage nach diesem Zurechnungszusammenhang stellt sich auf drei Ebenen, nämlich als Unfallkausalität zwischen ausgeübter Tätigkeit und Unfallereignis, als haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden und als haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheitserstschaden und längerandauernden Unfallfolgen (BSG, a. a. O., Rn. 10; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Kap. 1.4, S. 21 f.). Die vorgenannten Merkmale der versicherten Tätigkeit und des Unfallereignisses müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a. a. O., auch Rn. 18 und 20). Soweit das Gesetz in § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII eine äußere Ursache für den Gesundheitsschaden fordert, lösen im Umkehrschluss solche Gesundheitsschäden keinen Anspruch aus, welche auf so genannten inneren Ursachen beruhen. Dies sind körpereigene Ursachen infolge krankhafter Erscheinungen oder der Konstitution des Betroffenen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap. 1.6.3, S. 28).
Das Vorliegen eines Versicherungsfalls (hier: Arbeitsunfall vom 08. November 2004) ist unstreitig. Weiterhin unstreitig ist, dass der Kläger durch den Unfall ein Lärmtrauma als Gesundheits(erst)schaden erlitten, das mit Wahrscheinlichkeit ursächlich zu den von der Beklagten anerkannten Unfallfolgen „Hörminderung rechts mit Tinnitus beidseits sowie eine Überempfindlichkeit gegen laute Töne (Hyperakusis) mit Verzerrthören“ geführt hat.
Über diese von der anerkannten Unfallfolgen hinaus bestehen bei dem Kläger keine weiteren Gesundheitsstörungen, die mit (hinreichender) Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 08. November 2004 bzw. die dadurch hervorgerufenen Gesundheits(erst)schäden zurückzuführen wären. Zu dieser Überzeugung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) gelangt der Senat auf der Grundlage der erstinstanzlich eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten der Hals-, Nasen-, Ohrenärzte Prof. Dr. W vom 20. Mai 2009 und Prof. Dr. H vom 03. März 2010. Vielmehr ist nach diesen Sachverständigengutachten äußerst zweifelhaft, ob die von der Beklagten als Unfallfolge anerkannte rechtsseitige (Teil-) Hörminderung überhaupt unfallbedingt ist. Letztlich mag dies jedoch hier dahin stehen. Insbesondere ergeben sich weder aus dem klägerischen Vortrag noch aus den Sachverständigengutachten oder den weiteren beigezogenen medizinischen Befunden Anhaltspunkte für eine eigenständige, aus dem Tinnitus resultierende, psychische Störung. Prof. Dr. H konnte hier in seinen psychometrischen Tests keine relevante Störung sichern. Der BDI Score von 17 gibt zwar einen Hinweis auf eine leichte bis mäßige Depression, diese ist mit einem Score von 17 jedoch noch nicht klinisch relevant (vgl. hierzu etwa: http://www1.uni-hamburg.de/psych-3/seminar/schwab/Selbstbeurteilungsverfahren.pdf). Im HADS waren die Subskalen Depressivität und Ängstlichkeit nicht auffällig. Mit einem Score von 19 im Mini-TF zeigte sich der Tinnitus als leichtgradig (vgl. zur Bewertung: E. Bieisinger, H. Iro (Hrg.), HNO Praxis Heute, Band 25 Tinnitus, 2005, 3.3.2, S. 29). Auch die vorlegten Atteste des Dr. B sowie des Dr. S oder der Reha-Entlassungsbericht des M Reha-Zentrum S vom 03. März 2010 ergeben keine Anhaltspunkte für einer relevante psychische Störung. Auch der Kläger selber hat hierzu keine konkreten Ansatzpunkte geliefert. Ausgehend von dieser Sachlage ist der bestehende Tinnitus mit einer MdE von 10 v. H. ausreichend bewertet (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Kap. 7.3.3.3.5 S. 351).
Eine Erhöhung der MdE kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII in Betracht. Danach sind bei der Bemessung der MdE Nachteile zu berücksichtigen, die der Versicherte dadurch erleidet, dass er bestimmte, von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Arbeitsunfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen kann, soweit sie nicht durch sonstige Fähigkeiten ausgeglichen werden, deren Nutzung ihm zugemutet werden kann.
Allerdings lässt diese unfallversicherungsrechtliche Regelung, bei der regelmäßig Erhöhungen von 10 bis 20 v. H. in Betracht kommen (BSGE 70, 47, 51 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 1) keine allgemeine Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit - etwa entsprechend den Grundsätzen des § 30 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes - zu. Eine derartige Auslegung widerspräche der Systematik des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung, das für die Bemessung der Verletztenrente anders als das Versorgungsrecht (für Beschädigtengrundrenten) nicht lediglich ohne Rücksicht auf Alter oder Einkommen des Beschädigten allein nach der Höhe der MdE zu gewährende Pauschalsätze, sondern (auch) den individuelleren Maßstab des vom Verletzten während des letzten Jahres vor dem Unfall verdienten Arbeitsentgelts vorsieht. Eine allgemeine Berücksichtigung des „besonderen beruflichen Betroffenseins" würde daher in der gesetzlichen Unfallversicherung regelmäßig zu einer doppelten Berücksichtigung des Berufs führen (vgl. BSGE 70, 47, 48).
Die eine Höherbewertung der MdE rechtfertigenden Nachteile liegen im Rahmen des § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII aber dann vor, wenn unter Wahrung des in der Unfallversicherung geltenden Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung, der durch § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII nicht eingeschränkt wird (BSGE 23, 253, 254), die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde (stRspr seit BSGE 23, 253, 255 = SozR a. a. O.; vgl. auch BSGE 31, 185, 188 = SozR a. a. O.; BSGE 38, 118, 119 = SozR 2200 § 581 Nr. 2; BSGE 39, 31, 32 = SozR a. a. O.; BSG SozR Nrn. 10 und 12 zu § 581 RVO; BSG SozR 2200 § 581 Nrn. 18 und 27). Selbst wenn der Verletzte seinen erlernten Beruf infolge des Arbeitsunfalls nicht mehr ausüben kann, muss dies daher nicht zwangsläufig zur Erhöhung der MdE führen (vgl. BSGE 39, 31, 32 = SozR a. a. O. m. w. N.). Auch dass erst bei einer Erhöhung der MdE nach § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII ein Verletztenrentenanspruch begründet werden kann, stellt für sich noch keine derartige unbillige Härte dar (vgl. BSG SozR 2200 § 581 Nr. 18 m. w. N.).
Als wesentliche Merkmale für die Beurteilung der Frage, ob eine höhere Bewertung der MdE zur Vermeidung unbilliger Härten gerechtfertigt ist, hat das BSG vielmehr insbesondere das Alter des Verletzten (BSGE 4, 294, 299), die Dauer der Ausbildung (BSG SozR Nr. 10 zu § 581 RVO) sowie vor allem die Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit (BSGE 4, 294, 298; BSG SozR Nrn. 9 und 10 zu § 581 RVO) und auch den Umstand bezeichnet, dass die bisher verrichtete Tätigkeit eine günstige Stellung im Erwerbsleben gewährleistete (BSG SozR Nrn. 10 und 12 zu § 581 RVO). Aus diesen Merkmalen und den außerdem zu beachtenden sonstigen besonderen Umständen des Einzelfalles kann sich eine höhere Bewertung der MdE nach § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII ergeben, wenn der Verletzte die ihm verbliebenen Kenntnisse und Fähigkeiten nur noch unter Inkaufnahme eines unzumutbaren sozialen Abstiegs auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens verwerten kann (BSGE 70, 47, 49). Die einzelnen Umstände des jeweiligen Falles sind dabei nicht isoliert, sondern in ihrer Gesamtheit zu beurteilen. Eine allgemeine Regel, wie dies jeweils mit welchem Ergebnis zu geschehen hat, lässt sich hierfür nicht aufstellen (BSGE 23, 253, 255). Verfügt der Verletzte indes über sonstige Fähigkeiten, die geeignet sind, die unfallbedingt nicht mehr oder nicht mehr in vollem Umfang nutzbaren besonderen beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen auszugleichen, kommt eine Erhöhung der MdE gemäß § 56 Abs. 2 S. 3 SGBV II nicht in Betracht, sofern dem Verletzten die Nutzung dieser Fähigkeiten zugemutet werden kann; dies schließt die zumutbare Aneignung solcher Fähigkeiten durch eine Umschulung ein (vgl. BSG Urteil vom 31. Oktober 1972 - 2 RU 169/70 – und zum Ganzen BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 6).
Nach diesen Maßstäben ist hier eine unbillige Härte zu verneinen. Für die Beurteilung ist abzustellen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls, d. h. hier den Arbeitsunfall am 08. November 2004 (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 30. September 2003 – L 3 U 229/07 -, zitiert nach juris). Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger 51 Jahre alt und bereits seit 18 Jahren als Filmtonmeister bzw. insgesamt rund 28 Jahre im Bereich Filmton beschäftigt, so dass tatsächlich von einem breiten beruflichen Erfahrungsschatz des Klägers, vor dem damals nur noch 14 Jahre bis zum regulären Renteneintrittsalter lagen, auszugehen ist. Dennoch scheidet eine Anwendung der Regelung des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII hier aus.
Im Rahmen der Beurteilung der Frage, ob der Kläger seine besonderen Kenntnisse und Erfahrungen ursächlich zurückzuführend auf den Versicherungsfall nur noch in erheblich reduziertem Maß oder gar nicht mehr nutzen kann und daraus resultierend über den Normalfall hinausgehende, durch die nach der festgestellten MdE berechnete Rente nicht ausgeglichene, Nachteile erlitten hat, ist – wie generell im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung - der Kausalitätsbegriff der „Theorie der wesentlichen Bedingung“ zugrunde zu legen. Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Nach dieser werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.
Danach ist hierbei zu beachten, dass der Kläger auch nach dem Versicherungsfall in seinem gewohnten Beruf gearbeitet hat. Diesbezüglich ist sowohl im Reha-Entlassungsbericht der H-H-Klinik vom 14. März 2006 (in der Verwaltungsakte) als auch im Reha-Entlassungsbericht des M Reha-Zentrum S vom 03. März 2010 ein vollschichtiges Leistungsvermögen als Tonmeister festgestellt worden. Es ist anhand der vorgelegten Unterlagen sowie insbesondere des Versicherungsverlaufs der DRV Bund darüber hinaus auch nicht nachvollziehbar, dass der Kläger infolge des Arbeitsunfalls Kläger seine besonderen Kenntnisse und Erfahrungen nur noch in erheblich reduziertem Maße nutzen könnte. Denn ein Vergleich nur der sozialversicherungspflichtigen Entgelte der Jahre 1999 bis 2009 (unter Außerachtlassung von Arbeitslosengeld oder sonstigen Sozialleistungen) ergibt folgende Beträge:
1999 58.094 DM (= 29.702,99 EUR)
2000 33.473 DM (= 17.114,47 EUR)
2001 56.120 DM (= 28.693,70 EUR)
2002 10.875 EUR
2003 6.120 EUR
2004 23.240 EUR
2005 21.501 EUR
2006 27.110 EUR
2007 28.381 EUR
2008 23.526 EUR
2009 27.947 EUR
2010 24.383 EUR.
Insbesondere in den Jahren 2002/2003 und 2010 ist es zu erheblichen Krankheitszeiten wegen Rheuma/Gonarthrose bzw. Coxarthrose/Depression/Thrombose (vgl. das Verzeichnis der Krankenkasse und die eigenen Hinweise des Klägers) gekommen, die in keinem Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall stehen.
Aus der Aufstellung lässt sich ein insgesamt schwankendes Einkommensniveau und eine – der Natur der beruflichen projektgebundenen beruflichen Tätigkeit geschuldete – von häufigen (wenn auch meist kürzeren) Zeiten der Arbeitslosigkeit gekennzeichnete Berufstätigkeit entnehmen. Die jährlichen sozialversicherungspflichtigen Entgelte schwankten (2002 und 2003 ausgenommen) zwischen 21.000 und 29.000 EUR, wobei das höchste Entgelt 1999 zu verzeichnen war. Nach eintritt des Versicherungsfalls schwankten die Entgelte zwischen 21.500 und 28.400 EUR. Eine signifikante Einkommenseinbuße, aus der auf eine unfallbedingte mangelnde Verwertbarkeit seiner beruflichen Kenntnis geschlossen werden könnte, lässt sich hiermit jedenfalls nicht plausibel machen. Soweit der Kläger behauptet, er müsse längere Projekte im Hinblick auf den Tinnitus ablehnen, ist er diesbezüglich beweisfällig geblieben. Im Übrigen dürfte dies kaum eine Rolle spielen, denn es ist dem Kläger jedenfalls zumutbar, im Rahmen seiner Möglichkeiten flexibel mit dem Problem umzugehen, etwa indem er mehr kürzere Projekte annimmt, was er nach eigenen Angaben auch tut. Daraus folgert aber keine unbillige Härte.
Nach alldem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.