Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 27.02.2014 | |
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Aktenzeichen | OVG 5 N 2.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 3 Abs 1 GG, Art 11 Abs 1 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 116 Abs 1 GG, § 9 DRiG, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 2 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 13 Abs 1 Nr 3 PaßG, § 12 Abs 1 PaßG, § 11 Abs 1 Nr 2 PaßG, § 4 Abs 1 RuStAG, § 39 RuStAG, § 3 Abs 2 S 1 RuStAG |
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Dezember 2011 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5 000,00 EUR festgesetzt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die von dem Kläger mit der Begründung erhobene Besetzungsrüge, „dass kein ordnungsgemäßer Nachweis der Staatsangehörigkeit bzw. der Eigenschaft als Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG für die Richter vorliege, die über den Fall zu befinden haben“, geht ins Leere. Es besteht keine Veranlassung, gegenüber dem Kläger den Nachweis zu führen, dass die mit dem Streitfall befassten Berufsrichter deutsche Staatsangehörige sind. Nach § 9 DRiG müssen Berufsrichter Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG sein. Da die in Rede stehenden Personen unstreitig in ein Richterverhältnis berufen worden sind, kann der Kläger verlässlich davon ausgehen, dass die erkennenden Richter Deutsche sind. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es sich anders verhält, hat der Kläger nicht vorgetragen.
2. Die Einwendungen des Klägers begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Sie sind nicht geeignet, einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen.
Das Verwaltungsgericht hat die Auffassung vertreten, dass die auf §§ 13 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3, 12 Abs. 1 in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Nr. 2 PaßG gestützte Sicherstellung des im Jahr 2008 ausgestellten Personalausweises des Klägers durch Bescheid des Generalkonsulats der Beklagten in Kaliningrad vom 15. Januar 2009 nicht zu beanstanden sei. Es lägen hinreichende Tatsachen vor, welche die Annahme rechtfertigten, dass die Eintragung der deutschen Staatsangehörigkeit in dem Personalausweis unzutreffend im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 2 PaßG sei. Die Sicherstellung setze nicht den vollen Nachweis voraus, dass der Kläger tatsächlich nicht deutscher Staatsangehöriger sei. Es reiche vielmehr aus, wenn der Passbehörde bestimmte gerichtsverwertbare Tatsachen zur Verfügung stünden, die den Schluss auf die Unrichtigkeit der Eintragung zuließen. Derartige Anknüpfungstatsachen lägen hier vor. Gemäß § 4 Abs. 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAG) in der zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers am 2. August 1962 geltenden Fassung erwerbe zwar das eheliche Kind eines Deutschen durch Geburt die Staatsangehörigkeit seines Vaters. Es sei jedoch unklar, ob der Vater des Klägers, der in Russland geborene W..., mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben habe. Dem Großvater des Klägers väterlicherseits, Herrn E..., sei am 7. Mai 1937, mithin erst nach der Geburt des W... ein deutscher Reisepass ausgestellt worden. Auf Grund welcher Umstände und insbesondere wann E... die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt haben könnte, sei nicht geklärt. Auch die Eintragung eines im Jahr „1935“ geborenen „W...“ im Reisepass des E... sei vor diesem Hintergrund ohne Aussagekraft für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch den Vater des Klägers. Dies gelte erst recht, weil der Vater des Klägers nach der eingereichten Geburtsurkunde am 19. November 1934 geboren sein soll, den Namen „W...“ getragen haben und die Eintragung des Namens des Vaters des Klägers im Reisepass des E... von einem Familienmitglied herrühren soll.
Soweit der Kläger beanstandet, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass ihm ein deutscher Staatsangehörigkeitsausweis nach § 39 RuStAG ausgestellt worden sei, sodass bis zum Beweis des Gegenteils durch die Staatsangehörigkeits- oder Passbehörde eine tatsächliche Vermutung für seine Deutscheneigenschaft bestehe, vermag er die Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht zu erschüttern. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr darauf hingewiesen, dass der dem Kläger am 22. Oktober 1998 nach Vorlage des deutschen Reisepasses seines Großvaters E... ausgestellte Staatsangehörigkeitsausweis die bestehenden Zweifel an der deutschen Staatsangehörigkeit schon deshalb nicht entfallen lasse, weil dieser bis zum 21. Oktober 2008 befristet und daher unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 3. November 1998 - BVerwG 9 C 18.97 -, juris Rn. 16) seither ohnehin wirkungslos gewesen sei.
Angesichts der durch den Fristablauf eingetretenen Wirkungslosigkeit des Staats- angehörigkeitsausweises des Klägers war es dem Generalkonsulat unbenommen, diesem Dokument keine maßgebliche Wirkung beizumessen. Das gilt umso mehr, als es nicht Aufgabe der Auslandsvertretungen der Beklagten ist, bei Zweifeln über die Staatsangehörigkeit diese nach eigenen Bewertungen im Passverfahren zu klären (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. statt vieler Beschluss vom 30. September 2009 - OVG 5 S 17.09 -, juris Rn. 11 m.w.N.). Die von dem Kläger aufgeworfene Frage, ob sein Staatsangehörigkeitsausweis trotz des Ablaufs der Geltungsdauer weiterhin ein Beweismittel darstellt, das eine tatsächliche Vermutung für das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt der Ausstellung erzeugt, die nur durch die Führung des Gegenbeweises widerlegt werden kann, ist daher nicht im Passverfahren, sondern gegebenenfalls im Rahmen eines Staatsangehörigkeitsfeststellungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsamt und das hierfür zuständige Verwaltungsgericht zu beantworten. Ungeachtet dessen hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass dem Staatsangehörigkeitsausweis nur eine eingeschränkte Bedeutung als Beweismittel zukommt und dessen tatsächliche Vermutung nur gilt, wenn keine Hinweise darauf bestehen, dass ein anderer als der vermutete Sachverhalt ernsthaft in Betracht kommt; liegen dagegen - wie hier - Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit des Staatsangehörigkeitsausweises vor, ist die Vermutung, dass der Ausweisinhaber im Zeitpunkt der Ausweisausstellung deutscher Staatsangehöriger war, entkräftet und lassen sich aus ihm auch keine Rückschlüsse auf eine frühere deutsche Staatsangehörigkeit ziehen (Urteil vom 3. November 1998, a.a.O, juris Rn. 16). Nichts anderes gilt im Ergebnis für die vom Kläger angeführte Beweiskraft seines Personalausweises, da ein solcher ebenso wie ein Reisepass von vornherein nicht geeignet ist, im Zweifelsfall den Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit zu erbringen (vgl. Beschluss des Senats vom 30. September 2009, a.a.O., juris Rn. 8).
Der Vorwurf des Klägers, dass die Rechtspraxis der Beklagten, einer Person den Personalausweis allein auf Grund der Behauptung wegzunehmen, der Status eines Deutschen sei nicht mehr gegeben, gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, das Grundrecht auf Freizügigkeit gemäß Art. 11 Abs. 1 GG und die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verstoße, greift nicht durch. Im Hinblick darauf, dass eine Sicherstellung eines Personalausweises gerichtsverwertbare Tatsachen voraussetzt, die den Schluss auf die Unrichtigkeit seiner Eintragung zulassen, kann von einer willkürlichen, nur auf bloßen Vermutungen oder Behauptungen beruhenden Wegnahme des Dokuments keine Rede sein. Ein Verstoß gegen die grundrechtlich garantierte Freizügigkeit ist schon deshalb nicht zu besorgen, weil durch die Sicherstellung des Personalausweises die Einreisefreiheit lediglich vorübergehend bis zu einer für den Kläger gegebenenfalls günstigen Klärung seiner Staatsangehörigkeit suspendiert, aber nicht aufgehoben wird und dem Kläger im Übrigen unstreitig jederzeit ein Reiseausweis als Passersatz zur Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland ausgestellt werden könnte (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 30. September 2009, a.a.O., juris Rn. 10). Schließlich ist der Kläger nicht in seinem Rechtsschutz beschränkt, weil er hinsichtlich der Frage des Vorliegens ausreichender Anknüpfungstatsachen für eine Sicherstellung gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen und die in einem staatsangehörigkeitsrechtlichen Verfahren zu treffende Entscheidung, ob der Kläger deutscher Staatsangehöriger ist, gerichtlich überprüfen lassen kann.
Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Fiktionswirkung nach § 3 Abs. 2 Satz 1 StAG nicht fehlerhaft beurteilt. Das Verwaltungsgericht hat einen Staatsangehörigkeitserwerb durch Ersitzung abgelehnt, weil der Kläger nicht seit zwölf Jahren von deutschen Stellen als deutscher Staatsangehöriger behandelt worden sei. Der Umstand, dass der Kläger den - nach Ablauf der zehnjährigen Geltungsdauer - inzwischen ungültigen Staatsangehörigkeitsausweis noch besitzt, ändert an diesem Ergebnis nichts. Gleiches gilt für den Verweis des Klägers auf die fortbestehende Beweiskraft seines Personalausweises, weil dessen Sicherstellung durch das Generalkonsulat noch vor Ablauf der Zwölfjahresfrist gerade darauf gerichtet war, einen Missbrauch zu vermeiden und damit die Schaffung eines konkreten Vertrauenstatbestandes im Sinne der Norm auszuschließen.
Anders als der Kläger meint, sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils auch nicht wegen einer nicht ordnungsgemäßen Ermessensausübung durch die Behörde gegeben. Die Begründung des Sicherstellungsbescheides zeigt, dass sich das Generalkonsulat des nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 PaßG eingeräumten Ermessens im Zeitpunkt des Bescheiderlasses durchaus bewusst war. Dass es dabei dem (ungültigen) Staatsangehörigkeitsausweis nicht die von dem Kläger verlangte Beweiswirkung zugemessen hat, begründet keinen Ermessensfehler, sondern ist allein einer konsequenten Rechtsanwendung geschuldet.
3. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor, weil die Rechtssache im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, die einer Klärung in einem Berufungsverfahren bedürfen.
4. Die Berufung ist schließlich auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gem. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Sache, wenn in dem angestrebten Berufungsverfahren die Klärung einer bisher ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechts- oder Tatsachenfrage zu erwarten ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 7. November 2000 - BVerwG 8 B 137.00 -, juris Rn. 2 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Darlegungserfordernis setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten noch ungeklärten, für die Berufungsentscheidung erheblichen Rechtsfrage voraus und die Angabe, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 24. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 47.06 -, juris Rn. 3 zu § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Der Kläger hält folgende Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig:
„Im vorliegenden Verfahren ist die Frage aufgeworfen worden, ob einer Person, der ein Staatsangehörigkeitsausweis nach § 39 RuStAG ausgestellt worden ist, der hiernach ausgestellte Personalausweis und Reisepass schon dann durch Sicherstellung weggenommen werden darf, wenn bestimmte gerichtsverwertbare Tatsachen zur Verfügung stehen, welche die Annahme eines Entziehungsgrundes - nachvollziehbar - rechtfertigen, ohne dass es erforderlich ist, den Gegenbeweis zu erbringen, dass die Tatsachen, die durch den Staatsangehörigkeitsausweis festgestellt worden sind, nicht vorliegen.“
„Es muss daher grundsätzlich geklärt werden, ob der gem. § 39 RuStAG ausgestellte Staatsangehörigkeitsausweis, der bis zu einem gewissen Datum befristet worden ist, ab dem Datum des Ablauf dieser Frist wirkungslos und damit nicht mehr geeignet ist, die im Zeitpunkt seiner Erteilung als gegeben angesehene deutsche Staatsangehörigkeit zu bescheinigen und ob in diesem Fall die Staatsangehörigkeitsbehörde, ohne den Gegenbeweis des Nichtvorliegens der deutschen Staatsangehörigkeit zu erbringen, alleine aufgrund von Annahmen von gerichtsverwertbaren Tatsachen, deren Beweis sie nicht erbracht hat, den ausgestellten Reisepass sowie den Personalausweis sicherzustellen berechtigt ist.“
Diese Fragen tragen den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht. Der ersten Frage mangelt es bereits an der Entscheidungserheblichkeit, weil der Staatsangehörigkeitsausweis des Klägers im Zeitpunkt der Sicherstellung infolge Fristablaufs keine Wirkung mehr entfaltete. Die zweite Frage ist - wie unter 2. ausgeführt - bereits höchstrichterlich durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. November 1998, a.a.O., juris Rn. 16, als geklärt anzusehen, sodass es insoweit keiner Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).