Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen BK 2108; bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS; bisegmentaler Schaden;...

BK 2108; bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS; bisegmentaler Schaden; korrelierendes Beschwerdebild; Konsensempfehlungen; Konstellation B2/B4


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 03.11.2011
Aktenzeichen L 3 U 229/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 7 SGB 7, § 9 SGB 7, Nr 2108 Anl 1 BKV

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. September 2007 geändert. Es wird festgestellt, dass bei dem Kläger eine BK 2108 der Anlage 1 zur BKV vorliegt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Berufung wird im Übrigen zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet dem Kläger zwei Drittel der Kosten des gesamten Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) - bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können – (BK 2108) sowie die Gewährung von Verletztenrente.

Der 1953 geborene Kläger erlernte vom 01. September 1970 bis zum 30. Juni 1972 den Beruf des Baufacharbeiters beim VE W B (VEB W). Anschließend war er nach den Eintragungen im Sozialversicherungsausweis (SVA) sowie nach eigenen Angaben und Bestätigungen der Krankenkassen mit Unterbrechung durch den Grundwehrdienst vom 03. Mai 1973 bis zum 30. Oktober 1974 sowie Zeiten der Arbeitslosigkeit wie folgt beschäftigt:

01. Juli 1972 bis 02. Mai 1973

Baufacharbeiter beim VEB W

13. November 1974 bis 11. September 1975

Baufacharbeiter beim VEB W

15. September 1975 bis 31. Dezember 1989

Maurer beim Ministerium des Innern der DDR

01. Januar 1990 bis 31. März 1990

Maurer beim VEB G B

01. April 1990 bis 30. Juni 1990

Maurer beim VEB B H

02. Juli 1990 bis 26. April 1991

Beton-, Bohr-, Sägemonteur bei der Firma D Betonspezialabbruch

29. April 1991 bis 31. August 2002

Beton-, Bohr-, Sägemonteur bei der Firma B Betondemontagetechnik GmbH

Januar 2003 bis Dezember 2007

Führer eines Begleitfahrzeugs für Schwertransporte bei der Fa. P

Seit Januar 2008

Führer eines Begletifahrzeugs für Schwertransporte bei der Fa. N GmbH Schwertransportservice

Ab dem 15. März 2000 bis zum 30. September 2001 war der Kläger u. a. wegen Lumboischialgie rechts arbeitsunfähig erkrankt. Am 29. April 2002 erhielt er die Kündigung zum 31. August 2002.

Vom 09. Dezember bis zum 20. Dezember 1991 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im Universitätsklinikum S. Der Kläger berichtete dort über seit 14 Tagen bestehende Lumbalgien und eine seit 12 Tagen bestehende Schmerzausstrahlung in das linke Bein, dem Dermatom L5 bis zum Fußrücken folgend. Ein mitgebrachtes ambulant gefertigtes Computertomogramm (CT) der Lendenwirbelsäule (LWS) zeigte einen ausgeprägten Bandscheibenvorfall bei L4/5 links-paramedian (vgl. den Entlassungsbericht des Universitätsklinikums S vom 20./27. Dezember 1991). Am 10. Dezember 1991 erfolgte die interlaminäre Fensterung in Höhe L4/5 von links mit Entfernung eines subligamentären Sequesters und Ausräumung des Zwischenwirbelraums. Nach der Operation waren die Beschwerden stark rückläufig. Im März 2000 kam es zu verstärkten Rückenschmerzen unter Belastung mit Muskelverhärtungen der Rückenmuskulatur, Druckschmerz über dem rechten Iliosakralgelenk und einer Bewegungseinschränkung der LWS ohne neurologische Ausfälle (Befundbericht der Allgemeinmedizinerin Dr. G vom 23. Juni 2000). Ein CT der LWS vom 19. April 2000 zeigte in Höhe L4/5 eine hochgradige Chondrose mit kleinem umschriebenem dorsomedianem Bandscheibenvorfall und in Höhe L5/S1 eine Chondrose ohne Nachweis einer Bandscheibenvorwölbung oder eines Bandscheibenvorfalls (Befund vom 04. Mai 2000).

Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 19. Mai 2000 an die Beklagte in Gestalt der damaligen Bau-BG und meldete einen Verdacht auf Bestehen einer BK der Wirbelsäule. Die Beklagte zog die beim Universitätsklinikum S archivierten Behandlungsunterlagen zum stationären Aufenthalt von Dezember 1991 bei und holte Vorerkrankungsverzeichnisse der AOK Berlin (Mitgliedschaft bis zum 31. Dezember 1997) sowie der BKK VBU (Mitgliedschaft ab 01. Januar 1998) ein. Ferner holte die Beklagte Befundberichte der Orthopädin Dipl.-Med. W vom 28. Juni 2000 sowie der Allgemeinmedizinerin Dr. G vom 23. Juni 2000 ein und zog den Reha-Entlassungsbericht der Kurklinik T vom 07. November 1994 bei. Nachdem der beratende Arbeitsmediziner Dr. R in einer Stellungnahme vom 12. Oktober 2000 bei Vorliegen einer ausreichenden beruflichen Belastung die Durchführung einer Begutachtung empfohlen hatte, veranlasste die Beklagte Stellungnahmen des Präventionsdienstes (TAD) der damaligen Tiefbau-BG (jetzt: die Beklagte), des TAD der damaligen Bau-BG (jetzt: die Beklagte) sowie des TAD der damaligen Bundesausführungsbehörde für die Unfallversicherung (jetzt: Unfallkasse des Bundes). In der Stellungnahme vom 06. Februar 2001 gelangte der TAD der Tiefbau-BG zu dem Ergebnis, in der Zeit von Juli 1990 bis April 1991 sei eine Gesamtdosis nach dem Mainz-Dortmunder-Dosis-Modell (MDD) in Höhe von 0,87 MNh erzielt worden. In der Stellungnahme vom 14. Februar 2001 errechnete der TAD der Bau-BG für die Zeiträume von September 1970 bis Mai 1973, November 1974 bis September 1975, April 1990 bis Juni 1990 und April 1991 bis Februar 2001 eine Gesamtbelastungsdosis von 2,62 MNh. Der TAD der Bundesausführungsbehörde für die Unfallversicherung ermittelte in seiner Stellungnahme vom 28. Februar 2001 schließlich für die Zeit von September 1975 bis Dezember 1989 eine Gesamtbelastungsdosis von 9,6 MNh. Nach Einholung einer gewerbeärztlichen Stellungnahme und Abgabe des Verfahrens an die Tiefbau-BG lehnte diese mit Bescheid vom 06. Juni 2001 einen Anspruch des Klägers auf Leistungen aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden ab, da eine BK 2108 nicht vorliege. Die errechnete Gesamtbelastungsdosis liege unter dem Richtwert, ab welchem eine Schädigung der Wirbelsäule aus biomechanischen Gründen möglich sei. Auf den Widerspruch des Klägers veranlasste die Beklagte eine weitere Stellungnahme des TAD der Bau-BG (Stellungnahme vom 16. Oktober 2001). Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2002 wies sie den Widerspruch schließlich zurück.

Mit seiner hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat der Kläger die Gewährung von Verletztenrente, hilfsweise die Feststellung einer BK 2108 begehrt. Er hat auf Anforderung des Gerichts detaillierte Angaben zu seinen Beschäftigungen bei der Fa. B sowie beim Ministerium den Innern gemacht.

Das SG hat Vorerkrankungsverzeichnisse der AOK Berlin vom 27. September 2002 sowie der BKK VBU vom 23. September 2002 eingeholt. Dem Vorerkrankungsverzeichnis der BKK VBU war u. a. ein Mitteilungsschreiben des Krankenhauses im F bezüglich einer stationären Behandlung des Klägers vom 31. Juli bis zum 08. August 2000 wegen eines Radikulärsyndroms links (a. e. L5/S1) ohne sensomotorische Ausfälle beigefügt. Das SG hat darüber hinaus die Akten der damaligen Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin (jetzt: DRV Berlin-Brandenburg) beigezogen und Kopien hieraus (u. a. den Befundbericht der Dipl.-Med. W vom 13. Dezember 1993, den Entlassungsbericht des Krankenhauses im F vom 14. August 2000 und das chirurgisch-orthopädische Gutachten der Dipl.-Med. B vom 27. Oktober 2000) in den Rechtsstreit eingeführt.

Anschließend hat das SG Beweis erhoben und den Orthopäden Dr. W-R mit der Untersuchung des Klägers und der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. In dem am 03. Dezember 2003 nach einer Untersuchung des Klägers am selben Tag erstellten Gutachten hat dieser folgende Erkrankungen bei dem Kläger festgestellt:

1. Zustand nach Nucleotomie auf der Etage L4/5 mit kleinem Rezidivprolaps
2. Chronisch degeneratives Lumbalsyndrom bei Osteochondrose auf der Etage L4/5 und L5/S1.

Zwar liege bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vor. Auch seien konkurrierende Ursachenfaktoren bei dem Kläger nicht zu erkennen. Allerdings fehle es an den zur Abgrenzung erforderlichen belastungsadaptiven Reaktionen an den oberhalb L4/5 liegenden Segmenten. Dort seien keine Spondylosen erkennbar. Die Brustwirbelsäule (BWS) komme altersentsprechend zur Darstellung. Auch die geringen Spondylosen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) bei HWK 7 seien als altersgerecht einzustufen. Eine BK 2108 könne daher letztlich nicht festgestellt werden.

Mit Beschluss vom 05. November 2004 hat das SG die Beklagte in Gestalt der Bau-BG zu dem Verfahren beigeladen. Die ursprünglich Beklagte (Tiefbau-BG) hat darauf hingewiesen, dass eine vom Hauptverband der Berufsgenossenschaften (HVBG) eingesetzte Konsensusarbeitsgruppe „Medizinische Beurteilungskriterien bei der BK Wirbelsäule“ erarbeitet habe. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien sei in der vorliegenden Fallkonstellation bei Fehlen einer Begleitspondylose mindestens ein Zusatzkriterium zu erfüllen. Als solches Zusatzkriterium gelte entweder eine ungewöhnlich intensive Belastung oder ein besonderes Gefährdungspotential durch ungewöhnlich hohe Belastungsspitzen, z. B. das Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren oder das Erreichen des Tagesdosisrichtwertes durch ungewöhnlich hohe Belastungsspitzen. Für die Erfüllung eines der beiden Zusatzkriterien lägen hier keine Anhaltspunkte vor. Darüber hinaus hat die Beigeladene die Unterlagen ihres Arbeitsmedizinischen Dienstes (AMD) zur Verfügung gestellt. Aus Schreiben des AMD vom 17. April 2000, 20. Februar 2001 und 01. Oktober 2001 an den damaligen Arbeitgeber des Klägers geht hervor, dass aus arbeitsmedizinischer Sicht gesundheitliche Bedenken gegen körperliche Schwerarbeit, wie sie als Monteur im arbeitgeberischen Unternehmen regelmäßig zu verrichten sei, bestünden. Des Weiteren findet sich eine ärztliche Bescheinigung der Frau Dr. G vom 26. September 2001, wonach ab dem 01. Oktober 2001 Arbeitsfähigkeit bestehe, sofern das Heben, Bewegen und Tragen von Lasten über 15 kg, Überkopfarbeiten, Stemmarbeiten sowie Arbeiten in gebückter Haltung oder Fehlhaltung vermieden würden.

Zum 01. Mai 2005 sind die ursprünglich beklagte Tiefbau-BG und die Beigeladene zur BG der Bauwirtschaft – BG Bau – fusioniert.

Die Beklagte hat durch Stellungnahmen ihres TAD vom 02. August 2005 und 01. März 2006 erneut zur Frage der Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen und zur Berechnung der Gesamtbelastungsdosis nach dem MDD Stellung genommen. In der Stellungnahme vom 02. August 2005 ist bezüglich des Zeitraums vom 01. April 1991 bis zum 31. August 2002 eine Gesamtbelastungsdosis von 0,0 MNh errechnet worden, da der Tagesdosisrichtwert von 5,5 kNh nicht in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten erreicht worden sei. In der weiteren Stellungnahme vom 01. März 2006 ist für den Zeitraum vom 01. April 1991 bis zum 31. August 2002 unter Einbeziehung aller Werte, die unter dem Tagesdosisrichtwert von 5,5 kNh lagen, eine Gesamtbelastungsdosis von 15,9 MNh ermittelt worden.

Das SG hat daraufhin den Facharzt für Orthopädie und Rheumatologie Dr. M beauftragt, den Kläger zu untersuchen und ein Sachverständigengutachten zu erstatten. In dem am 21. November 2006 nach einer Untersuchung des Klägers am 13. November 2006 fertig gestellten Gutachten hat dieser folgende Diagnosen gestellt:

1. Zustand nach Bandscheibenoperation L4/5

1.1. Rezidivprolaps L4/5

1.2 Osteochondrose L4/5

2. Osteochondrose L5/S1

3. Restischialgie links mit diskreter neurologischer Symptomatik (Sensibilitätsstörungen, fragliche diskrete Fußheberschwäche).

Bei dem Kläger liege mit Sicherheit eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS vor. Im Bereich der HWS liege kein Bandscheibenschaden vor. Zum Zeitpunkt der Operation am 10. Dezember 1991 habe eine rund 17-jährige wirbelsäulenbelastende Arbeitsanamnese vorgelegen. Konkurrierende Teilursachen der Bandscheibenschädigung seien nicht zu eruieren. Röntgenologisch bestünden im Bereich der BWS und HWS im Jahre 2003 keine strukturellen Abweichungen, die als wesentliche Mitursache einer Bandscheibenschädigung im LWS-Bereich anzusehen wären. Auch altersbedingt wesentlich degenerative Veränderungen der Bandscheibe seien bei dem seinerzeit unter 40-järhigen Kläger nicht anzunehmen. Im Jahr 2000 habe sich ein Rezidivvorfall eingestellt. Seiner Einschätzung nach erfülle die Erkrankung die medizinischen Voraussetzungen für eine BK 2108. Die Notwendigkeit einer so genannten Belastungskonformität werde in letzter Zeit zunehmend in Frage gestellt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 20 vom Hundert (v. H.).

Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass die Belastungsdosis zum Zeitpunkt der Erstmanifestation nur 13,09 MNh betragen habe. Außerdem habe damals kein Unterlassungszwang bestanden. Sie hat ferner auf beratungsärztliche Stellungnahmen des Orthopäden und Beratungsarztes Dr. O vom 27. Februar 2007 und 11. Mai 2007 verwiesen, in denen dieser unter anderem die Röntgenbilder der LWS vom 03. Dezember 2003 ausgewertet und die relative Höhe der Bandscheiben nach Hurxthal bestimmt hat. Er ist dabei zu einer Chondrose Grad I in den Bandscheiben L1/2, L4/5 und L5/S1 gelangt. Dabei handele es sich um einen altersgemäßen Normalbefund. Eine Begleitspondylose liege nicht vor. Darüber hinaus fehle es an einem Beschwerdebild, das mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den Bandscheibenschaden zurückzuführen sei. Die aktenkundigen Beschwerden könnten ebenso von einer muskulären Irritation mit chronischer Verkürzung der Hüft-Becken-Bein-Muskulatur oder einer Fehlfunktion der Kreuz-Darmbeingelenke i. S. e. Blockierung herrühren. Hinweise auf eine bandscheibenbedingte radikuläre Wurzelbeteiligung seien bisher nicht dokumentiert.

Da SG hat die Beklagte durch Urteil vom 28. September 2007 unter Aufhebung des Bescheides vom 06. Juni 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2002 verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung seines Lendenwirbelsäulenleidens als BK 2108 Entschädigungsleistungen auf der Grundlage eines Leistungsfalles vom 15. März 2000 zu gewähren, insbesondere eine Rente auf der Grundlage einer MdE von 20 v. H. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen seien erfüllt, denn zur Überzeugung der Kammer seien auch die Tätigkeiten ab April 1991 in der Betondemontage, bei denen die Tagesbelastungsdosis unter 5,5 kNh gelegen habe, bei der Berechnung nach dem MDD zu berücksichtigen. Damit ergebe sich insgesamt für den Zeitraum ab September 1970 eine Gesamtbelastungsdosis von 28,99 MNh, was weit oberhalb des Richtwertes von 25 MNh liege. Der Kläger leide darüber hinaus unter einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS, die ihn gezwungen habe, seine gefährdende berufliche Tätigkeit ab dem 15. März 2000 aufzugeben. Die Einwände des beratenden Arztes Dr. O überzeugten nicht. Die 1991 und 2000 nachgewiesenen Bandscheibenvorfälle könnten gerade nicht als altersgemäßer Verschleiß bewertet werden. Auch die Ansicht der Beklagten zur Frage einer Notwendigkeit belastungsadaptiver Reaktionen überzeuge angesichts einer kontroversen wissenschaftlichen Diskussion nicht.

Gegen das ihr am 26. Februar 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 07. März 2008 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung der Beklagten. Zur Begründung hat sie zunächst vorgetragen, zwar liege bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung vor, es fehle jedoch an der nach den Maßgaben der Konsensempfehlungen zu fordernden Begleitspondylose. Daneben fehle es an einer plausiblen zeitlichen Korrelation zwischen der beruflichen Verursachung und der festgestellten klinischen Symptomatik. Bei den nach Klägerangaben erstmals 1983 aufgetretenen Rückenschmerzen sei der Kläger 30 Jahre alt und ca. acht Jahre lang wirbelsäulenbelastend tätig gewesen. Die hier fehlende mindestens zehnjährige Exposition lasse eine zu fordernde zeitliche Korrelation nicht zu. Schließlich habe auch kein Unterlassungszwang bestanden, denn der Kläger sei nach erfolgreicher operativer Versorgung weiterhin als Betonmonteur tätig gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. September 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des Dr. W-R vom 28. Oktober 2008 eingeholt, in der dieser seine gutachterliche Einschätzung auf der Grundlage der Konsensempfehlungen überarbeitet hat. Er hat ausgeführt, es liege eine gesicherte, altersüberschreitende bandscheibenbedingte Erkrankung der unteren LWS vor. Nach seiner Auffassung handele es sich um eine Konstellation B2 der Konsensempfehlungen. Hier sei das medizinische Zusatzkriterium „Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben – bei monosegmentaler Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/5, black disc im MRT in mindestens zwei angrenzenden Segmenten“ relevant. Um dieses Kriterium nachvollziehbar zu diskutieren, müsse davon ausgegangen werden, dass die berufliche Belastung bis zum Jahre 2003 (Zeitpunkt der Begutachtung) angedauert habe. 1991 wäre die Fallkonstellation B2 nicht gegeben, denn damals habe sich eine dezente Höhenminderung bzw. ein Vorfall lediglich auf einem Segment ohne zusätzliche Veränderungen im Sinne einer black disc oder weiterer Segmentabflachungen gezeigt. Lege man die bildmorphologische Befundlage im Jahre 2003 zugrunde, so sei eine Zusatzchondrose auf der Etage L5/S1 identifizierbar. Dies würde die vorgegebenen Voraussetzungen erfüllen: Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben (konkret L4/5 und L5/S1). Demnach könne man unter Zugrundelegung der Konsensempfehlungen und der heutigen Kenntnislage eine kausale Beziehung zwischen beruflicher Überlastung und Bandscheibenschädigung der unteren LWS wahrscheinlich machen unter den Voraussetzungen:

- Von Beginn tatsächlich ausreichende berufliche Belastungen

- Anhaltende berufliche Belastungen von 1991 bis 2003

- Keine zusätzlichen Bandscheibenschäden an belastungsfernen Regionen.

Die weiteren Ergänzungskriterien der Fallkonstellation B2 bezögen sich auf besondere Gefährdungspotentiale. Es sei eine aktualisierte Expositionsanalyse zu empfehlen.

Die Beklagte legt daraufhin Stellungnahmen ihres TAD vom 19. Dezember 2008, 12. Januar 2009, 27. April 2009 und 17. August 2009 sowie des TAD der Unfallkasse des Bundes vom 20. Februar 2009 vor. In der Stellungnahme vom 19. Dezember 2008 hat der TAD der Beklagten zu den Zeiträumen vom 01. September 1970 bis zum 31. Mai 1973, vom 01. November 1974 bis zum 14. September 1975, vom 01. April 1990 bis zum 30. Juni 1990 sowie vom 01. April 1991 bis zum 31. August 2002 ausgeführt, dass sich unter Zugrundelegung der Maßgaben aus dem Urteil des Bundessozialge-richts (BSG) vom 30. Oktober 2007 nunmehr eine Gesamtbelastungsdosis von 17,7 MNh errechne, was 71% des Orientierungswertes von 25 MNh entspreche. Belastungsspitzen (Männer bei Belastungen ab 6kN) könnten nur dann zugrunde gelegt werden, wenn Tagesdosisrichtwerte berechnet worden seien. Dies sei nach den neuen Berechnungen aufgrund der Maßgaben des BSG nicht mehr der Fall. In der weiteren Stellungnahme vom 12. Januar 2009 hat der TAD ergänzend ausgeführt, die Lebensdosis von 25 MNh sei beim Kläger nicht in weniger als 10 Jahren erreicht worden. Hohe Belastungsspitzen i. S. d. Konsensempfehlungen lägen nur vor, wenn Druckkräfte auf L5/S1 von mehr als 6 kN vorlägen und dadurch die Hälfte des MDD-Tagesdosisrichtwertes erreicht werde. Solche Druckkräfte träten beim Heben/Tragen von Lasten ab 60 kg auf. Aus der durchgeführten Berechnung sei ersichtlich, dass diese hohen Belastungsspitzen im Zuständigkeitsbereich der Beklagten nicht aufgetreten seien. In seiner Stellungnahme vom 27. April 2009 hat der TAD der Beklagten u. a. darauf hingewiesen, dass hinsichtlich des Beschäftigungszeitraumes bei der Fa. D vom 01. Juli 1990 bis zum 30. April 1991 weiterhin die Stellungnahme des TAD vom 06. Februar 2001 Gültigkeit habe, wonach auf diesen Zeitraum eine Dosis von 0,87 MNh entfalle. Schließlich hat der TAD die Belastungen durch Rumpfbeugehaltung in seiner Stellungnahme vom 17. August 2009 unter Hintanstellung von Bedenken auf der Grundlage ergänzter klägerischer Angaben überarbeitet und eine Gesamtbelastungsdosis von 19,5 MNh (78% des Orientierungswertes) bezogen auf die Zeiträume vom 01. September 1970 bis zum 31. Mai 1973, vom 01. November 1974 bis zum 14. September 1975, vom 01. April 1990 bis zum 30. Juni 1990 sowie vom 01. April 1991 bis zum 31. August 2002 errechnet. Der TAD der Unfallkasse des Bundes hat in seiner Stellungnahme vom 20. Februar 2009 für den Beschäftigungszeitraum von September 1975 bis zum Dezember 1989 eine Gesamtbelastungsdosis von 17,33 MNh (d. h. 69,32% des Orientierungswertes von 25 MNh) errechnet. Belastungsspitzen seien an etwa fünf Arbeitstagen pro Jahr beim Transport von etwa 150 kg schweren Heizkörpern, die von zwei Personen getragen worden seien, aufgetreten.

Der Senat hat noch zwei weitere ergänzende Stellungnahmen des Dr. W-R vom 02. Juni 2009 und 26. Oktober 2009 eingeholt.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat ein arbeitsmedizinisches Gutachten von Prof. Dr. B-A nebst einem neurologischen Zusatzgutachten von Dr. K sowie einem radiologischen Zusatzgutachten von Dr. T eingeholt. Der Sachverständige Prof. Dr. B-A ist in seinem am 30. August 2010 nach einer körperlichen Untersuchung des Klägers am 23. Juni 2010 und unter Verwertung des neurologischen Zusatzgutachtens vom 24. Juni 2010 sowie des radiologischen Zusatzgutachtens vom 16. August 2010 erstellten Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger seien folgende Diagnosen zu stellen:

1. Chondrose L4/5 Grad I (Erstdiagnose: 28. November 1991) und Grad III (Erstdiagnose: 05. Dezember 2003)

2. Chondrose L5/S1 Grad II (Erstdiagnose: 28. November 1991) und Grad III (Erstdiagnose: 05. Dezember 2003)

3. Bandscheibenvorfall L4/5 (Erstdiagnose: 06. Dezember 1991) und Rezidivvorfall L4/5 (Erstdiagnose: 19. April 2000).

Es handele sich hier um eine Konstellation B4 der Konsensempfehlungen. Bei dem Kläger liege seit dem 16. Dezember 1991 eine altersuntypische bandscheibenbedingte Erkrankung in Form eines lokalen Lumbalsyndroms bei altersuntypischen Chondrosen L4/5 und L5/S1 sowie Bandscheibenvorfall L4/5 vor. Im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) habe noch zum Zeitpunkt der Anfertigung der Röntgenbilder vom 05. Dezember 2003 ein unauffälliger Befund vorgelegen, nunmehr (Aufnahmen vom 23. Juni 1010) fänden sich erstgradige altersuntypische Retrospondylosen C5/6 und C7/8. Am 22. November 2004 sei ein Grad-IIa-Vorfall bei C4/5 festgestellt worden. Diese Veränderungen seien geringer ausgeprägt als diejenigen an der LWS. Eine Begleitspondylose i. S. d. Konsensempfehlungen liege nicht vor. Bis zur erstmaligen Diagnose einer altersuntypischen Bandscheibenschadens am 06. Dezember 1991 sei der Kläger einer MDD-Gesamtbelastungsdosis in Höhe von 22,06 MNh ausgesetzt gewesen. Nach den Ermittlungen des TAD der Unfallkasse des Bundes vom 20. Februar 2009 sei der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als Maurer beim Ministerium des Inneren der DDR von September 1975 bis Dezember 1989 einem besonderen Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen im Sinne der Zusatzkriterien der Fallkonstellation B4 ausgesetzt gewesen. Die MdE betrage 20 v. H.

Die Beklagte hat hierzu eine weitere Stellungnahme des TAD der Unfallkasse des Bundes vom 01. November 2010 vorgelegt, in der dieser ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen an fünf Arbeitstagen pro Jahr bestätigt hat. Darüber hinaus ist die Beklagte der Beurteilung des Prof. Dr. B-A unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Arbeitsmediziners Dr. P vom 21. Dezember 2010 entgegen getreten. Darin führt dieser aus, es mangele hier an einer bandscheibenbedingten Erkrankung. Zwar liege sowohl 1991 als auch 2003 ein altersuntypischer radiologischer Befund vor. Es fehle aber an einem damit korrelierenden klinischen Beschwerdebild. Soweit der Sachverständige Prof. Dr. B-A unter Berufung auf das Zusatzgutachten des Dr. K von einem lokalen Lumbalsyndrom ausgehe, sei dies nicht konsistent mit der Befundlage, da der Kläger gemäß der Klinik 1991 und 2003 unter einem sensiblen Wurzelsyndrom links gelitten habe. Passend hierzu beschreibe Dr. K ein im Wesentlichen abgeklungenes sensibles Wurzelsyndrom L5 links. Diese Klinik korreliere jedoch nicht mit dem radiologischen Befund, der nur eine Bedrängung der L4-Wurzel (CT vom 06. Dezember 1991 und OP-Protokoll vom 10. Dezember 1991) bzw. gar keine Bedrängung nervaler Strukturen (CT vom 19. April 2000 und MRT vom 23. Juni 2010) zeige. Darüber hinaus geht er davon aus, die Ausführungen des Sachverständigen zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen, wonach bei dem Kläger eine Wirbelsäulenbelastung mit einer überwiegend auf das Heben, Tragen und Absetzen schwerer Lasten sowie Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung zurückzuführenden Gesamtdosis vom 36,83 MNh vorliege, ließen den Schluss zu, dass der Pathomechanismus der Bandscheibenschädigung beim Kläger zu einem deutlich überwiegenden Teil auf einer Ernährungsstörung und einer Bandscheibenermüdung durch Überschreiten der biologischen Regenerationskapazität beruhen müsse. Zu einem deutlich geringeren Anteil greife der zweite Pathomechanismus einer Mikrotraumatisierung der Bandscheiben durch ein plötzliches Zusammentreffen von hohen äußeren Belastungen bei einem hierfür ungenügend trainierten und vorbereiteten Bewegungssystem (Belastungsspitzen). Daher wären auch im Falle des Klägers letztlich belastungsadaptive Phänomene, die nach den Konsensempfehlungen eine positive Indizwirkung hätten, zu erwarten und zu fordern, die jedoch tatsächlich nicht vorlägen.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14. April 2011 ist Prof. Dr. B-A bei seiner Beurteilung verblieben. Die Auffassung von Dr. P stimme in weiten Teilen nicht mit den Maßgaben der Konsensempfehlungen überein. Dessen Ausführungen zur mangelnden Übereinstimmung von radiologischem und klinischem Befund gingen am vorliegenden Erkrankungsfall vorbei, weil bei dem Kläger weder 1991 noch 2010 ein sensibles oder motorisches Wurzelsyndrom diagnostiziert worden sei. Bei dem Kläger liege vielmehr ein lokales Lumbalsyndrom vor.

Dem ist Dr. P für die Beklagte mit einer weiteren Stellungnahme vom 24. Mai 2011 unter Wiederholung und Vertiefung seiner bisherigen Ausführungen entgegen getreten. Die Beklagte hat außerdem eine weitere Stellungnahme des TAD der Unfallkasse des Bundes vom 19. Oktober 2011 zu den Akten gereicht, wonach die sich aus den Belastungsspitzen errechnende Belastungsdosis nicht den hälftigen Wert der Gesamtbelastungsdosis in Höhe von 12,5 MNh erreiche.

Der Senat hat noch eine Aufstellung der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers ab Januar 2001 von der BKK VBU eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und teilweise begründet. Das Urteil des SG vom 28. September 2007 ist insoweit fehlerhaft und aufzuheben, als die Beklagte zur Gewährung von Verletztenrente verurteilt worden ist. Die hierauf gerichtete Klage des Klägers war unzulässig, weil die Gewährung von Verletztenrente nicht Streitgegen-stand der Klage (§ 95 SGG) war. Die Beklagte hat mit ihrem Bescheid vom 06. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2002 lediglich über die Frage entschieden, ob bei dem Kläger ein BK vorliegt. Sie hat jedoch nicht über konkrete, dem Kläger zu gewährende Leistungen entschieden.

Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten jedoch unbegründet. Bei dem Kläger liegt, wie das SG zutreffend festgestellt hat, eine BK 2108 vor.

Als Versicherungsfall gilt nach § 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII erleidet (§ 9 Abs. 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen.

Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die ggf. bei einzelnen Listen-BKen einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung“, „Einwirkungen“ und „Krankheit“ müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG in SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 und SozR 4-2700 § 8 Nr. 17) Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a. a. O.).

Von Nr. 2108 der Anlage 1 zur BKV werden „bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben ursächlich waren oder sein können“, erfasst.

Nach dem Tatbestand der BK 2108 muss also der Versicherte aufgrund einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer gehoben und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet haben. Durch die spezifischen, der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden besonderen Einwirkungen muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS entstanden sein und noch bestehen. Zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen Einwirkungen und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Der Versicherte muss darüber hinaus gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben. Als Folge dieses Zwangs muss die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK 2108 nicht vor (vgl. Urteil des BSG vom 30. Oktober 2007 – B 2 U 4/06 R -, inSozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5 sowie Urteile vom 18. November 2008 - B 2 U 14/07 R – und – B 2 U 14/08 R – jeweils zitiert nach Juris) und ist nicht anzuerkennen.

Der Kläger erfüllt zunächst die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen, d. h. die im Sinne der BK 2108 erforderlichen Einwirkungen durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw. Arbeit in Rumpfbeugehaltung. Dies ergibt sich aus den vorliegenden Berechnungen des TAD der Beklagten und der Unfallkasse des Bundes zum Ausmaß der mechanischen Belastung nach dem MDD (vgl. dazu die grundlegende Veröffentlichung von Jäger u. a., ASUMed 1999, 101 ff., 112 ff.). Das MDD legt selber für die Belastung durch Heben und Tragen keine Mindestwerte fest, die erreicht werden müssen, damit von einem erhöhten Risiko von Bandscheibenschäden durch die berufliche Tätigkeit ausgegangen werden kann. Die auf Grund einer retrospektiven Belastungsermittlung für risikobehaftete Tätigkeitsfelder ermittelten Werte, insbesondere die Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis, sind nicht als Grenzwerte, sondern als Orientierungswerte oder -vorschläge zu verstehen. Von diesem Verständnis geht auch das aktuelle Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung zur BK 2108 aus, das für eine zusammenfassende Bewertung der Wirbelsäulenbelastung auf das MDD verweist (BArbBl 2006, Heft 10 S. 30 ff.) Danach sind zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK 2108 zu bejahen, wenn die Richtwerte im Einzelfall erreicht oder überschritten werden; umgekehrt schließt aber ein Unterschreiten dieser Werte das Vorliegen der BK nicht von vornherein aus (vgl. BSG Urteile vom 30. Oktober 2007 a. a. O. sowie vom 18. November 2008 a. a. O.).

Orientierungswerte sind andererseits keine unverbindlichen Größen, die beliebig unterschritten werden können. Ihre Funktion besteht in dem hier interessierenden Zusammenhang darin, zumindest die Größenordnung festzulegen, ab der die Wirbelsäule belastende Tätigkeiten als potentiell gesundheitsschädlich einzustufen sind. Die Mindestbelastungswerte müssen naturgemäß niedriger angesetzt werden, weil sie ihrer Funktion als Ausschlusskriterium auch noch in besonders gelagerten Fällen, etwa beim Zusammenwirken des Hebens und Tragens mit anderen schädlichen Einwirkungen, gerecht werden müssen. Werden die Orientierungswerte jedoch so deutlich unterschritten, dass das Gefährdungsniveau nicht annähernd erreicht wird, so ist das Vorliegen einer BK 2108 zu verneinen, ohne dass es weiterer Feststellungen zum Krankheitsbild und zum medizinischen Kausalzusammenhang im Einzelfall bedarf (vgl. BSG Urteile vom 30. Oktober 2007 a. a. O. sowie vom 18. November 2008 a. a. O.).

Das BSG hat daher in seinen Entscheidungen vom 30. November 2008 – B 2 U 14/07 R und B 2 U 14/08 R - Modifizierungen zur Anwendung des MDD für notwendig erachtet. Danach ist die dem MDD zu Grunde liegende Mindestdruckkraft pro Arbeitsvorgang bei Männern nunmehr mit dem Wert 2.700 N pro Arbeitsvorgang anzusetzen. Auf eine Mindesttagesdosis ist nach dem Ergebnis der Deutschen Wirbelsäulenstudie zu verzichten. Alle Hebe- und Tragebelastungen, die die aufgezeigte Mindestbelastung von 2.700 N bei Männern erreichen, sind entsprechend dem quadratischen Ansatz (Kraft mal Kraft mal Zeit) zu berechnen und aufzuaddieren. Der untere Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen beruflichen Einwirkungen und bandscheibenbedingter Erkrankung der LWS ausgeschlossen und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, ist auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswertes für die Gesamtbelastungsdosis von 25 MNh, also auf 12,5 MNh, herabzusetzen.

Nach den Stellungnahmen des TAD der Beklagten vom 06. Februar 2001, 01. März 2006, 19. Dezember 2008, 27. April 2009 und 17. August 2009 sowie des TAD der Unfallkasse des Bundes vom 20. Februar 2009 errechnet sich bezogen auf die Beschäftigungszeiträume

01. September 1970 bis 31. Mai 1973

01. November 1974 bis 14. September 1975

September 1975 bis 31. Dezember 1989

01. April 1990 bis 30. Juni 1990

01. Juli 1990 bis 30. April 1991

01. Mai 1991 bis 31. August 2002

eine Gesamtbelastungsdosis i. H. v. 37,7 MNh.

Diese errechnete Gesamtbelastungsdosis ist aus mehreren Gründen nur eingeschränkt belastbar:

- Die berücksichtigten Zeiträume stimmen nur eingeschränkt mit den im SVA ausgewiesenen Beschäftigungszeiträumen überein.

- Die Berechnungen bzgl. des Beschäftigungszeitraums vom 01. Juli 1990 bis zum 30. April 1991 berücksichtigen nicht die Modifizierungen des MDD durch die Rechtsprechung des BSG.

- Es fehlen Ermittlungen zum Beschäftigungszeitraum 01. Januar bis 30. Juni 1990 beim VEB G B.

- Der Kläger ist ab dem 15. März 2000 bis zum 30. September 2001 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Aufgrund des aktenkundigen Attestes der Frau Dr. G vom 26. September 2001 und der Korrespondenz des AMD mit der Fa. BDT konnte der Kläger auch nach September 2001 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31. August 2002 nicht mehr wirbelsäulenbelastend eingesetzt werden. Die Beklagte hat bei ihren Berechnungen jedoch auch Belastungen auch über den 15. März 2000 einberechnet.

Letztlich bestehen aber an der Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen keine Zweifel. Denn der inzwischen maßgebliche Orientierungswert von 12,5 MNh war nach den vorliegenden TAD-Berechnungen bereits bei Auftreten des operativ versorgten Bandscheibenvorfalls im Dezember 1991 mit mindestens 21,13 MNh bei weitem überschritten. Zudem war bei Aufgabe der belastenden Tätigkeit auch der zuvor maßgebliche Orientierungswert von 25 MNh (bei Berechnung nur bis zum 15. März 2000: rund 35,73 MNh) in jedem Fall erfüllt.

Darüber hinaus ist das SG letztlich zutreffend zu dem Schluss gelangt, dass der Kläger auch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen einer BK 2108 erfüllt.

In der medizinischen Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren LWS in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie. Da diese Bandscheibenerkrankungen ebenso in Berufsgruppen vorkommen, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren, genauso wie in solchen, die wie der Kläger auch schwere körperliche Arbeiten geleistet haben, kann allein die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne des MDD die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhanges nicht begründen (vgl. Merkblatt zu der BK 2108 der Anlage 1 zur BKV, BArbBl. 2006, Heft 10 S. 30 ff. ). Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Beurteilung des Ursachenzusammenhanges bei der BK 2108 war die medizinische Wissenschaft gezwungen, weitere Kriterien zu erarbeiten, die zumindest in ihrer Gesamtschau für oder gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der LWS, die als Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung auf Anregung der vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe anzusehen sind (vgl. Trauma und Berufskrankheit Heft 3/2005, Springer Medizin Verlag, S. 211 ff.). Weder der Sachverständige Dr. W-R noch der Sachverständige Prof. Dr. B-A haben einen neueren, von den Konsensempfehlungen abweichenden Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu den bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS aufgezeigt. Der Senat geht daher davon aus, dass diese nach wie vor den aktuellen Stand der nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Bandscheibenerkrankungen der LWS durch körperliche berufliche Belastungen darstellen (vgl. auch BSG, Urteil vom 27. Oktober 2009 – B 2 U 16/08 R -, zitiert nach Juris, und Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 13/05 R – in SozR 4-2700 § 9 Nr. 9). Zur Gewährleistung einer im Geltungsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten begegnet es daher keinen Bedenken, wenn die befassten Gutachter und die Sozialgerichtsbarkeit diese Konsensempfehlungen anwenden.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen der BK 2108 gegeben. Nachweislich besteht bei dem Kläger eine durch die berufliche Tätigkeit verursachte bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen des gesamten Gerichtsverfahrens, insbesondere dem Gutachten des Sachverständigen Dr. W-R vom 03. Dezember 2003 nebst ergänzender Stellungnahmen vom 28. Oktober 2008, 02. Juni 2009 und 26. Oktober 2009 sowie dem Gutachten des Prof. Dr. B-A vom 30. August 2010 nebst ergänzender Stellungnahme vom 14. April 2011 und den Zusatzgutachten vom 24. Juni 2010 sowie 16. August 2010. Das Gutachten des Dr. M vom 21. November 2006 beruht demgegenüber nicht auf den Konsensempfehlungen.

Die bei dem Kläger durch diese Sachverständigen festgestellten Veränderungen der Wirbelsäule stellen eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Sinne der BK 2108 dar. Unabdingbare, aber nicht hinreichende Voraussetzung für den Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung ist nach den Konsensempfehlungen unter Punkt 1.3 der bildgebende Nachweis eines altersuntypischen Bandscheibenschadens, d. h. einer Höhenminderung der Bandscheibe (=Chondrose) bzw. eines Bandscheibenvorfalls. Hinzu treten muss eine damit korrelierende klinische Symptomatik. Erforderlich ist ein Krankheitsbild, das über einen längeren Zeitraum andauert, also chronisch oder zumindest chronisch wiederkehrend ist, und das zu Funktionseinschränkungen führt, die eben eine Fortsetzung der genannten Tätigkeit unmöglich machen. Erforderlich sind daher ein bestimmtes radiologisches Bild sowie ein damit korrelierendes klinisches Bild (vgl. das aktuelle Merkblatt zur BK 2108 sowie die Konsensempfehlungen Punkt 1.3).

Als mögliche sekundäre Folge des Bandscheibenschadens können bildgebend darstellbare Veränderungen wie die Spondylose, die Sklerose der Wirbelkörperabschlussplatten, die Retrospondylose, die Spondylarthrose, die degenerative Spondylolisthesis und eine knöcherne Enge des Spinalkanals auftreten. Teilweise können der artige Veränderungen auch unabhängig von einem Bandscheibenschaden auftreten, wie z. B. bei der primären Spondylarthrose, der Spondylarthrose aufgrund eines Hohlkreuzes oder dem anlagebedingt engen Spinalkanal (vgl. die Konsensempfehlungen Punkt 1.3).

Bei den klinischen Krankheitsbildern ist laut Punkt 1.3 der Konsensempfehlungen bzw. Punkt III. des Merkblattes zu unterscheiden:

Typ I: Lokales Lumbalsyndrom, für das folgende Kriterien erfüllt sein sollen:

- Radiologie: altersuntypische Höhenminderung einer oder mehrerer Bandscheiben

- Symptom: Schmerz durch Bewegung

- Klinik: Segmentbefund mit provozierbarem Schmerz

- Funktionell: Entfaltungsstörung der LWS

- Muskulär: erhöhter Tonus

- Ggf. Pseudoradikuläre Schmerzausstrahlung.

Typ II: Lumbales Wurzelsyndrom, für welches folgende Kriterien erfüllt sein sollen:

- Radiologie: Vorfall oder Chondrose mit Bandscheibenverschmälerung mit Nervenwurzelbedrängung, ggf. in Verbindung mit Retrospondylose, Spondylarthrose, Recessusstenose und/oder Spinalkanalstenose, im Ausnahmefall bei engem Spinalkanal auch Protrusion

- Neurologie: Zeichen der Reizung bzw. Schädigung der entsprechenden Nervenwurzel(n) (positives Lasègue-Zeichen, Reflexabweichungen, motorische Störungen, segmentale Sensibilitätsstörungen)

Wurzelsyndrome sind in der Regel diagnostisch durch Feststellung von Schmerzausstrahlungen und Sensibilitätsausfällen, Kraftminderungen in wurzelspezifischen Kennmuskeln sowie Reflexausfällen objektivierbar (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. A. 2010, Anm. 8.3.6.6.2 S. 481 f). Typ I und Typ II kommen häufig als Mischformen vor.

Heranzuziehen sind die der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit zeitlich nächstliegenden Röntgenbilder (vgl. auch Punkt 1.2 der Konsensempfehlungen) sowie, wenn ein Bandscheibenschaden sich bereits länger davor manifestiert und operativ behandelt wird, die zum Zeitpunkt der (Erst-)Manifestation erstellten Röntgenbilder. Nach den Feststellungen des radiologischen Sachverständigen Dr. T in seinem Gutachten vom 16. August 2010 – die auch von der Beklagten nicht bezweifelt werden – lässt sich anhand der Röntgenbilder der LWS vom 28. November und 16. Dezember 1991 sowie des CT der LWS vom 06. Dezember 1991 bei dem damals 38-jährigen Kläger eine Chondrose Grad I im Segment L4/5, eine Chondrose Grad II im Segment L5/S1 sowie ein Bandscheibenvorfall mit Sequester im Segment L4/5 nachweisen, der die Wurzel L4 bedrängte. Dabei handelt es sich laut 1.2 A der Konsensempfehlungen um einen altersuntypischen Bandscheibenschaden. Auf den zeitlich der Tätigkeitsaufgabe am nächsten liegenden Röntgenbildern vom 05. Dezember 2003 sowie dem CT vom 19. April 2000 lässt sich bei dem damals 47- bzw. 50-jährigen Kläger eine Chondrose Grad III in den Segmenten L4/5 und L5/S1, eine zweitgradige Retrospondylose bei L4/5, eine drittgradige Spondylose bei L4/5, eine zweitgradige Spondylarthrose bei L4/5 und L5/S1 sowie ein Grad IIa Prolaps mediolateral im Segment L4/5, der zu keiner Beeinträchtigung nervaler Strukturen führt, nachweisen. Auch hierbei handelt es sich um einen altersuntypischen Befund. Im Bereich der HWS zeigten sich hingegen auf den Röntgenbildern vom 05. Dezember 2003 keine degenerativen Veränderungen, während erstmals auf dem CT vom 22. November 2004 degenerative Veränderungen in Form eines Grad IIa-Prolaps bei C4/5 und C5/6, einer erstgradigen altersuntypischen Retrospondylose bei C5/6, einer zweitgradigen altersuntypischen Retrospondylose bei C6/7 und einer – alterstypischen – Bandscheibenvorwölbung bei C6/7 erkennbar sind. Diese Veränderungen sind nach Dr. T als insgesamt geringgradiger als diejenigen im Bereich der LWS einzuschätzen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten bestand und besteht bei dem Kläger ein mit diesem morphologischen Befund korrelierendes Erkrankungsbild i. S. eines lokalen Lumbalsyndroms wie Prof. Dr. B-A nachvollziehbar und überzeugend dargelegt hat.

In den Behandlungsunterlagen des Universitätsklinikums S wird unter dem 09. Dezember 1991 geschildert, der Kläger habe seit 14 Tagen Lumbalgien und seit 12 Tagen Ausstrahlung in das linke Bein (Vorderaußenseite des linken Oberschenkels, vorderer äußerer Quadrant linkes Schienbein, Fußspann). Er klagte über Kribbelparästhesien in allen linken Zehen, es bestanden weder ein Taubheitsgefühl noch eine Schwäche oder eine Blasen-/Mastdarmstörung. Der Lasègue war links positiv, die Muskeleigenreflexe waren seitengleich erhalten bis auf den Tibialis-posterior-Reflex links. Paresen waren nicht nachweisbar, ein Kraftdefizit nicht feststellbar (Erste-Hilfe-Bogen vom 09. Dezember 1991). Nach Schmerzmitteleinnahme wurde kein Klopf- oder Druckschmerz geschildert. Bei der Operation wurde oberhalb der Wurzel L5 ein Bandscheibensequester und medial der Wurzel L5 degeneratives Bandscheibengewebe entfernt. Anschließend zeigte die Nervenwurzel L5 einen deutlich freien Verlauf (OP-Bericht vom 10. Dezember 1991).

Bei der Aufnahme in der Kurklinik T am 12. Oktober 1994 waren die unteren Extremitäten frei beweglich, der Lasègue beidseits negativ, das Reflexverhalten regelrecht, die Fußpulse beidseits positiv und das Gangbild unauffällig. Die Wirbelsäule war steil gestellt, es fand sich kein Klopfschmerz über den Wirbelkörpern, die Reklination der LWS war aufgehoben, der Schober 10/14, der Finger-Boden-Abstand (FBA) betrug 28 cm, die Rückenmuskulatur war stark verspannt (Entlassungsbericht vom 07. November 1994).

Bei der Aufnahme in das Krankenhaus im F am 31. Juli 2000 schilderte der Kläger seit einem Tag bestehende starke Lumbalgien mit Ausstrahlung in den linken lateralen Oberschenkel. Blasen- oder Mastdarmstörungen sowie Schwäche oder Taubheitsgefühle waren nicht aufgetreten. Der neurologische Status war bis auf einen positiven Lasègue (rechts 70°, links 10°) und beidseits negativen ASR unauffällig. Es bestand ein paravertebraler Hartspann beidseits (Entlassungsbericht vom 14. August 2000).

Anlässlich der chirurgisch-orthopädischen Untersuchung im Auftrag des Rentenversicherungsträgers durch Frau Dipl.-Med. B am 26. Oktober 2000 gab der Kläger an, bei bestimmten Bewegungen und beim Bücken Schmerzen im LWS-Bereich zu verspüren. Eine Schmerzausstrahlung in das linke Bein bestehe nicht. Es fanden sich Muskelverspannungen links neben der LWS. Die Beweglichkeit der LWS war in allen Ebenen deutlich eingeschränkt, der FBA betrug 38 cm, der Index nach Schober 10/12. Es fand sich kein Anhalt für motorische oder sensible Nervenausfälle oder Parästhesien. Die Muskeleigenreflexe waren seitengleich gut auslösbar (Gutachten vom 27. Oktober 2000).

Bei der Untersuchung durch Dr. W-R am 03. Dezember 2003 berichtete der Kläger über verstärkte lumbale Beschwerden bei körperlichen Beschwerden ohne ischialgieforme Schmerzabstrahlungen. Selten und flüchtig trete ein Taubheitsgefühl an der Oberschenkelaußenseite auf. Eine umschriebene Druckschmerzhaftigkeit über dem Achsorgan wurde nicht gefunden. Die paravertebrale Muskulatur wies einen leicht erhöhten Muskeltonus auf. Der FBA betrug 30 cm. Die Entfaltbarkeit der LWS betrug 10/13. Die Oberflächensensibilität war nicht gestört. Die Muskeleigenreflexe waren seitengleich mittellebhaft. Das Nervendehnungszeichen nach Lasègue war negativ. Abschwächungen der groben Kraft im Bereich der unteren Extremitäten wurden nicht gemessen. Der Zehenspitzen-, Fersen- und Einbeinstand konnte durchgeführt werden. Beim einbeinigen Zehenspitzenstand fand sich auf der linken Seite eine leichte Unsicherheit mit Kraftabschwächung im Seitenvergleich (Gutachten vom 03. Dezember 2003).

Bei Dr. M schilderte der Kläger am 13. November 2006 einen morgendlichen Aufstehschmerz. Das Gehen auf unebenem Boden sei mit Schmerzen in der Wirbelsäule verbunden. Weiterhin wurde eine pressorische Schmerzverstärkung im Rücken angegeben. Die Beweglichkeit der LWS war deutlich eingeschränkt, der Index nach Schober betrug 10/11,5. An den Dornfortsätzen der BWS und LWS fand sich kein isolierter Klopfschmerz, es imponierte jedoch ein deutlicher Druckschmerz in Höhe L4/5 bei Reklination, geringer bei L3/4 bzw. L5/S1. Die paravertebrale Muskulatur war rechtsseitig strangförmig verhärtet, links war sie schwächer ausgeprägt. Die parathorakale Muskulatur war insuffizient. Der Lasègue war rechts bei 55°, links bei 30° positiv, der Bragard rechts bei 50°, links bei 30°. Die Muskeleigenreflexe waren seitengleich auslösbar. Es wurden temporäre Sensibilitätsstörungen i. S. e. teilweisen Dermatoms L4/5 (L5/S1) links angegeben. Klinisch fand sich keine merkliche Abschwächung der Fuß- und Zehenheber.

Bei Dr. K schilderte der Kläger am 23. Juni 2010, beim Heben von Alltagsgegenständen komme es zu umschriebenen Rückenschmerzen im Bereich der unteren LWS. Gelegentlich komme es zu Kribbeln an der Scheinbeinvorderkante links. Dr. K stellte eine eingeschränkte Beweglichkeit der LWS, einen leichtgradigen Klopfschmerz im Bereich der unteren LWS und seitengleich mittellebhafte Muskeleigenreflexe fest. Muskelatrophien, Lähmungen oder Störungen der Blasen- und Mastdarmfunktion waren nicht vorhanden. Der Hacken- bzw. Zehenstand war beidseits möglich. Pathologische Reflexe aus der Babinski-Gruppe waren nicht feststellbar. Die Sensibilität war intakt bis auf eine leichte Minderung des Vibrationsempfindens an beiden Großzehen. Im EMG fanden sich Hinweise für eine leicht- bis mäßiggradige neurogene Schädigung der Wurzel L4 rechts. Im Tibialis-SEP fand sich eine afferente [d. h. die die peripheren Nervenfasern betreffende] Leitungsstörung von den unteren Extremitäten. Die Neurometrie des N. tibialis zeigte eine leichte Verlangsamung der motorischen Nervenleitgeschwindigkeit und eine signifikante Seitendifferenz der F-Wellen zu Ungunsten rechts. Ein vermindertes Antwortpotential des N. suralis zeigte eine leichte axonale Schädigung an. Dr. K schlussfolgerte hieraus auf eine subklinische Schädigung der L4-Wurzel rechts und eine proximale [d. h. zum Körper hin gelegene oder verlaufende] Schädigung des N. tibialis. Eine klinisch manifeste Radikulopathie stellte er nicht fest. Die beidseits verzögerten Tibialis-SEP seien unspezifisch. Angesichts beidseits leicht verlangsamter motorischer Leitgeschwindigkeit des N. tibialis sei eine beginnende Polyneuropathie möglich.

Bei Prof. Dr. B-A berichtete der Kläger am 23. Juni 2010 von einer Schmerzverschlimmerung im Bereich der LWS bei körperlicher Belastung und zeitweiligem Ausstrahlen in die Beine, jedoch ohne Taubheitsgefühl oder muskuläre Lähmung. Zeitweilig trete ein Kribbeln an der Schienbeinvorderkante links auf. Das Gangbild war unauffällig. Im Bereich der unteren LWS fand sich ein Klopf-, Stauchungs- oder Druckschmerz. Im Bereich der paravertebralen Muskulatur bestand ein vermehrter Muskeltonus. Der FBA war erhöht mit 40 cm im Stehen, der Schober-Index betrug 10/14 und wies damit auf eine eingeschränkte Entfaltbarkeit hin, die Beweglichkeit der LWS war reduziert. Die Muskeleigenreflexe im Bereich der Extremitäten waren unauffällig. Die Zeichen nach Lasègue und Bragard waren negativ, ein Femoralisdehnungsschmerz bestand nicht. Hinweise für Muskellähmungen oder Muskelschwächen oder Sensibilitätsstörungen waren nicht aufzufinden.

Die Befunde des Dr. K und des Prof. Dr. B-A begründen bezogen auf den Untersuchungszeitpunkt die Diagnose eines lokalen Lumbalsyndroms, wie Prof. Dr. B-A auf Seiten 19 und 20 in seinem Gutachten vom 30. August 2010 erläutert hat. Soweit Dr. P hier in seinen Stellungnahmen vom 21. Dezember 2010 und 24. Mai 2011 eine hiervon abweichende Auffassung vertritt, übersieht er, dass bezogen auf Juni 2010 keine klinischen Befunde vorliegen, die die Diagnose eine lumbalen Wurzelsyndroms – sei es bzgl. L4 oder bzgl. L5 – rechtfertigen könnten. So fehlte es sowohl an einem positiven Lasègue als auch an Lähmungen, Kraftabschwächungen oder Sensibilitätsstörungen. Soweit der Kläger über gelegentliche Schmerzausstrahlungen/Kribbeln berichtete, können diese angesichts dieser Umstände nur als pseudoradikuläre Schmerzausstrahlungen/Erscheinungen bewertet werden.

Zwar stellt sich das klinische Bild bezogen auf die Erstmanifestation des Bandscheibenschadens im November/Dezember 1991 durchaus komplexer dar. So fehlten einerseits Kraftabschwächungen, Lähmungen, Muskelatrophien oder verifizierte sensorische Störungen. Auf der anderen Seite fehlte der Tibiliais-posterior-Reflex links, was ein Zeichen für eine Betroffenheit der Wurzel L5 sein kann (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 260. A. unter „Reflexe“ sowie Rompe/Erlenkämper/Schiltenwolf/Hollo, Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 5. A. 2009, S. 386). Darüber hinaus fand sich ein positives Lasègue-Zeichen links, was auf einen Bandscheibenschaden in den Segmenten L4 bis S1 hinweisen kann (vgl. das aktuelle Merkblatt zur BK 2108 Tabelle 1). Darüber hinaus klagte der Kläger bei Aufnahme in das Klinikum am 09. Dezember 1991 über seit einiger Zeit bestehende Schmerzausstrahlungen in den Dermatomen L4 bis S1 – und nicht nur wie in den Unterlagen des Universitätsklinikums S verzeichnet L5 - folgend, d. h. über die Vorderaußenseite des linken Oberschenkels und den vorderen äußeren Quadranten des linken Schienbeins und den Fußrücken bis in die Zehen sowie Kribbelparästhesien in allen Zehen links und eine Schmerzverstärkung beim Husten/Pressen/Niesen (vgl. zu den Dermatomen ebenfalls Tabelle 1 des aktuellen Merkblattes zur BK 2108 sowie Rompe/Erlenkämper/Schiltenwolf/Hollo, a. a. O. S. 388). In den CT-Aufnahmen vom 06. Dezember 1991 zeigte sich aber nur eine Bedrängung der Wurzel L4. Ein MRT, das einen detaillierteren Aufschluss über den Zustand der Bandscheiben – auch bei L5 - hätte geben können, wurde nicht erstellt. Dieser morphologische Befund korreliert zwar mit dem positiven Lasègue-Zeichen und teilweise der Schmerzausstrahlung, passt jedoch nicht ohne weiteres mit dem linksseitigen Ausfall des TPR zusammen. Allerdings schildert der OP-Bericht vom 10. Dezember 1991 nicht nur eine Vorwölbung oberhalb der Wurzel L5, sondern berichtet nach der Entfernung des Sequesters und der Entfernung von degenerativem Bandscheibengewebe medial (d. h. zur Körpermitte hin gelegen) der Wurzel L5 darüber, dass „die Wurzel L5 (…) jetzt einen deutlich freien Verlauf“ zeigte. Daher kann zwar Dr. P insoweit gefolgt werden, dass im November/Dezember 1991 bei dem Kläger ein lumbales Wurzelreizsyndrom vorlag, dieses korrelierte jedoch entgegen dessen Ausführungen tatsächlich mit dem morphologischen Befund und zeigte eine Mischung aus Betroffenheit der Wurzeln L4 und L5.

Nicht anders stellte sich die Lage im Jahr 2000 dar, als verstärkt Beschwerden auftraten und der Kläger im Krankenhaus im F stationär behandelt werden musste. Dort zeigten sich keine sensomotorischen Ausfälle, jedoch Lumbalgien mit Ausstrahlung in den linken lateralen Oberschenkel, ein positiver Lasègue links, und ein Ausfall des Achilles-Sehnen-Reflex (ASR) beidseits sowie ein anfänglich durch Entlastungshinken gekennzeichnetes Gangbild. Unter konservativer Behandlung war das Beschwerdebild schnell rückläufig. Diese Zeichen ergeben ebenfalls ein uneinheitliches Bild, geben sie doch Hinweise auf eine mögliche Betroffenheit sowohl der Wurzel L4 als auch der Wurzeln L5 und S1. Dementsprechend vorsichtig lautete auch die Einordnung durch die Behandler als „Radikulärsyndrom links (am ehesten L5/S1)“ (vgl. den Entlassungsbericht vom 14. August 2000). Zuzustimmen ist Dr. P letztlich abermals mit einer Einordnung als lumbales Wurzelsyndrom, ohne dass jedoch seine absoluten Bedenken gegen eine Korrelation mit dem morphologischen Bild (CT der LWS vom 19. April 2000: Grad IIa-Prolaps L4/5, Einengung des linken Neuroforamens L4/5, zweitgradige altersuntypische Spondylarthrose L4/5, erstgradige altersuntypische Retrospondylose L5/S1, zweitgradige altersuntypische Spondylarthrose L5/S1; keine Nervenwurzelbedrängung) geteilt werden könnten. Denn zum einen treten die Krankheitsbilder lokales Lumbalsyndrom und lumbales Wurzelsyndrom durchaus gemischt in verschiedenen Varianten auf (so auch die Konsensempfehlungen oder z. B. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Anm. 8.3.6.6.2 S. 481), zum anderen liegen weder ein OP-Befund aus jener Zeit noch ein MRT vor, aus denen sich definitive Rückschlüsse auf eine Beteiligung der Bandscheiben ziehen lassen könnten. Tatsache ist, dass die Klinik grundsätzlich die von altersuntypischen Bandscheibenveränderungen betroffenen Segmente L4 bis S1 betraf.

Der von Dr. W-R im Jahr 2003 erhobene Befund, bei dem keine Reflexauffälligkeiten, kein positiver Lasègue und keine sensomotorischen Ausfälle festzustellen waren, spricht wie schon der von Prof. Dr. B-A erhobene Befund für ein lokales Lumbalsyndrom. Am 13. November 2006 bei Dr. M zeigte sich wiederum ein gemischtes Bild mit Anzeichen für eine Wurzelbeteiligung (positives Lasègue- und Bragard-Zeichen), jedoch war das Reflexverhalten unauffällig und Hinweise für Paresen oder Muskelschwächen ergaben sich nicht, so dass ein lumbales Wurzelsyndrom nicht sicher diagnostiziert werden konnte.

Unter Zugrundelegung der Konsensempfehlungen (Punkt 1.4) handelt es sich im Falle des Klägers bei der ausreichenden beruflichen Belastung (Exposition) nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B-A in seinem Gutachten vom 30. August 2010 um die Konstellation B2/B4 d. h.

- es liegt eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor,

- es besteht eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung (z. B. ausreichende Exposition muss der Erkrankung vorausgehen; Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt mit der Länge des Zeitraums zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der Erkrankung ab),

- die bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft L5/S1 und/oder L4/5,

- Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall,

- wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren (wie z. B. eine relevante Skoliose) liegen nicht vor,

- eine Begleitspondylose liegt nicht vor,

- zusätzlich mindestens 1 der folgenden Kriterien erfüllt:

- Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben – bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/5 „black disc“ im MRT in mindestens 2 angrenzenden Segmenten

- Besonders intensive Belastung; Anhaltspunkt: Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren

- Besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen; Anhaltspunkt: Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes durch hohe Belastungsspitzen (Frauen ab 4,5 kN, Männer ab 6 kN),.

- Bandscheibenschaden an der HWS, der schwächer ausgeprägt ist als an der LWS.

Eine plausible zeitliche Korrelation zwischen beruflicher Belastung und Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung ist hier zu bejahen. Dabei kommt es nicht darauf an, wann der Kläger erstmals auf den Rücken bezogene Beschwerden geschildert hat, denn diese können genauso muskulär bedingt sein. Entscheidend ist die zeitliche Korrelation zwischen der Erkrankung und der Exposition. Im Falle des Klägers ist diese gegeben, da er bei Erstmanifestation im November 1991 bereits rund 20 Jahre lang wirbelsäulenbelastend tätig gewesen war und die Gesamtbelastungsdosis nach dem MDD sich bis zu diesem Zeitpunkt auf ca. 22,06 MNh (so Prof. Dr. B-A in seinem Gutachten auf S. 9) und somit auf rund 88% des Orientierungswertes von 25 MNh belief.

Die bandscheibenbedingte Erkrankung betrifft die Segmente L4/5 und L5/S1 und hat das Ausmaß eines Vorfalls (L4/5) sowie einer Chondrose Grad II (L5/S1) bzw. inzwischen Grad III (Segmente L4/5 und L5/S1). Wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren sind nach übereinstimmender Einschätzung der Sachverständigen nicht bekannt.

Als Begleitspondylose wird nach den Konsensempfehlungen Punkt 1.4 eine Spondylose in/im nicht von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en) bzw.in/im von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en), die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines Vorfalls aufgetreten ist, definiert. Um eine positive Indizwirkung für eine berufsbedingte Verursachung zu haben, muss die Begleitspondylose über das Altersmaß (s. Punkt 1.2 der Konsensempfehlungen) hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen. Bei dem Kläger sind nach der Beurteilung des Dr. T in seinem Zusatzgutachten vom 16. August 2010 keine Begleitspondylosen in den über L4/5 gelegenen Segmenten der Lenden- und Brustwirbelsäule nachgewiesen.

Als zusätzliches Kriterium der Fallgruppe B2/B4 liegt hier eine Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben, nämlich Prolaps bei L4/5 und Chondrose Grad II L5/S1 bzw. Prolaps und Chondrose Grad III bei L4/5 und Chondrose Grad III bei L5/S1 vor. Nach dem Wortlaut der Konsensempfehlungen ist mit „mehreren Bandscheiben“ ein Befall von mindestens zwei Bandscheiben gemeint. Würde unter Befall von „mehreren Bandscheiben“ ein solcher von mindestens drei Bandscheiben verstanden, wäre der bisegmentale Bandscheibenschaden von der Konsensusgruppe nicht geregelt worden, wovon nicht auszugehen ist (so auch die Urteile des Sächsischen LSG vom 21. Juni 2010 – L 2 U 170/08 LW -, zitiert nach Juris sowie des LSG Berlin-Brandenburg vom 07. April 2011 – L 31 U 433/08 -, zitiert nach Juris). Eine andere Auslegung ergibt sich auch nicht aus der unfallmedizinischen Standardliteratur. Insbesondere wird auch bei Mehrtens/Brandenburg, Kommentar zur BKV, M 2108 Anm. 6.2.2 nur von einem mehrsegmentalen Schaden gesprochen. Im Übrigen werden die Konsensempfehlungen sowohl von Dr. W-R in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28. Oktober 2008 als auch von Prof. Dr. B-A in seinem Gutachten vom 30. August 2010 in dieser Weise verstanden.

Es kommt daher auf die Frage, ob bei dem Kläger eine besonders intensive Belastung oder ein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen vorgelegen hat, nicht an. Es kann somit dahin stehen, ob die vom TAD der Unfallkasse des Bundes aufgezeigte Belastung durch hohe Belastungsspitzen in der Zeit vom 15. September 1975 bis zum 31. Dezember 1989 ausreichend i. S. d. Konsensempfehlungen war. Aus diesem Grund gehen auch die weiteren Ausführungen des beratenden Arztes der Beklagten Dr. P zur Frage der Erforderlichkeit von Begleitspondylosen bei den Fallgruppen B2/B4 ins Leere.

Letztlich hat die bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule auch zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, wie sich den Schreiben des AMD der Beklagten vom 17. April 2000, 20. Februar 2001, und 01. Oktober 2001 sowie der ärztlichen Bescheinigung der Frau Dr. G vom 26. September 2001 entnehmen lässt. Der hier bei der BK 2108 geforderte Unterlassungszwang setzt laut dem BSG in der Regel voraus, dass die Tätigkeiten, die zu der Erkrankung geführt haben, aus arbeitsmedizinischen Gründen nicht mehr ausgeübt werden sollen und der Versicherte die schädigende Tätigkeit und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich aufgegeben hat, wobei es auf das Motiv des Versicherten nicht ankommt (ständige Rspr., vgl. Urteil des BSG vom 19. August 2003 – B 2 U 27/02 R -, zitiert nach Juris; BSG in SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N). Eine bloße Verminderung der Gefährdung genügt nicht (BSG a. a. O.; BSG in SozR 5670 Anl. 1 Nr. 4301 Nr. 2).

Der Kläger hat mit Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 15. März 2000 sämtlich gefährdende Tätigkeiten dauerhaft aufgegeben, denn bei der seither ausgeübten Tätigkeit als Führer eines Begleitfahrzeugs für Schwertransporte fällt ersichtlich kein Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. keine Arbeit in extremer Rumpfbeugehaltung an. Arbeitsfähigkeit für seine Tätigkeit als Beton-, Bohr-, Sägemonteurist angesichts des Attestes der Frau Dr. G vom 26. September 2001 nicht mehr eingetreten.

Der Berufung war danach nur teilweise – soweit es die Verurteilung zur Zahlung von Verletztenrente betrifft - stattzugeben, im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den zwar letztlich nur teilweisen, jedoch für die Eröffnung verschiedener Leistungsoptionen maßgeblichen Erfolg der Klage.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.