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Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Verstoß gegen Protokollierungsvorschriften - fehlende Aussagegenehmigung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 29. Senat Entscheidungsdatum 07.02.2012
Aktenzeichen L 29 AS 2004/11 NZB ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen §§ 159ff ZPO

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. September 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe

Der Beklagte begehrt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 27. September 2011. In der Hauptsache wendet sich der Kläger gegen den Bescheid vom 9. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Oktober 2008, mit dem der Beklagte die dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli 2008 bis 30. September 2008 bewilligten Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende um monatlich 104,- € absenkte.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistung für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG). Die Nichtzulassung der Berufung durch das Sozialgericht kann durch Beschwerde angefochten werden (§ 145 Abs. 1 Satz 1 SGG); diese ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten einzulegen (§ 145 Abs. 1 S. 2 SGG).

Das Landessozialgericht entscheidet durch Beschluss (§ 145 Abs. 4 Satz 1 SGG).

Vorliegend ist die Berufung nach § 144 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht zulässig, weil ein Beschwerdewert von 750 € nicht überschritten wird. Der Beklagte wendet sich gegen eine seitens des Sozialgerichts aufgehobene Absenkung von monatlich 104,- € für insgesamt drei Monate. Auch die Ausnahme des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG ist nicht gegeben, weil die Berufung lediglich den Sanktionszeitraum vom 1. Juli 2008 bis zum 30. September 2008 betreffen würde.

Damit ist die Nichtzulassungsbeschwerde insgesamt statthaft. Sie ist zudem form- und fristgerecht am 9. November 2011 gegen das dem Beklagten am 14. Oktober 2011 zugestellte Urteil eingelegt worden und damit insgesamt zulässig.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn

1.die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,
2.das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 SGG für eine Zulassung der Berufung liegen jedoch nicht vor.

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) noch weicht das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG). Beides rügt der Beklagte letztlich auch nicht.

Ebenso wenig liegt aber - und zwar auch unter Berücksichtigung der Darlegungen des Beklagten in dem Beschwerdeschriftsatz vom 7. November 2011, ein Verfahrensmangel (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG) vor. Soweit der Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend macht, der Entscheidung des Sozialgerichts liege der Verfahrensmangel des Verstoßes gegen die Amtsermittlungspflicht zugrunde, so kann dem nicht gefolgt werden. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Der Mangel bezieht sich nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils, es geht insoweit nicht um die Richtigkeit der Entscheidung, sondern um das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Wege zum Urteil. Ein Verfahrensfehler liegt somit nicht vor, wenn Fehler den Inhalt der Entscheidung betreffen.

Das ist hier aber der Fall, denn der Beklagte rügt, wie sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, zuvörderst die unrichtige Würdigung des durch die Zeugenbefragung gewonnenen Beweisergebnisses und damit einen Verstoß gegen § 128 SGG. Dies kann nicht Gegenstand der Prüfung im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde sein, weil die Beweiswürdigung keinen Maßstab zur Beurteilung eines Zulassungsgrundes im Sinne des § 144 Abs. 2 SGG abgegeben kann (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 15. Mai 1985, 7 RAr 40/84, zitiert nach juris). Der mit der Nichtzulassungsbeschwerde im Wesentlichen gerügte Fehler in der Beweiswürdigung, ist kein (Verfahrens-) Mangel, da solche Fehler zunächst nicht dem äußeren Verfahrensgang, sondern dem materiellen Recht zuzurechnen sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 9. Auflage, § 144 Rn. 34a) und damit allenfalls einen Fehler in der Urteilsfindung darstellen.

Unbeschadet dessen bietet der Sachverhalt auch keinen Anhalt für einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht des Sozialgerichts. Gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 396 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) hat der Zeuge zuerst unbeeinflusst mit eigenen Worten im Zusammenhang zu berichten, was ihm über das Beweisthema, auf das hinzuweisen ist, bekannt ist. Sodann stellt der Vorsitzende Fragen (vgl. § 118 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 396 Abs. 2 ZPO) und gestattet auch den Beteiligten sachdienliche Fragen. In der Regel darf der Vorsitzende eine unmittelbare Fragestellung durch den Beteiligten selbst gestatten. Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 27. September 2011 hat der Vorsitzende die Beweisaufnahme auf diese Weise durchgeführt. Eine etwaige Rüge des Beklagten, der Vorsitzende habe die Zeugin nicht in das Beweisthema eingeführt, ergibt sich jedenfalls aus der Sitzungsniederschrift nicht. Auch aus der angeordneten wiederholten Vernehmung der Zeugin lassen sich insoweit keine Rückschlüsse ziehen, zumal eine solche ohnehin grundsätzlich möglich und im pflichtgemäßen Ermessen des Richters steht (vgl. § 118 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 398 Abs. 1 ZPO). Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Vorsitzende auch Fragen sowohl des Klägers als auch des Beklagten, die beide anwesend waren, zugelassen. Wenn der Beklagte im Nachhinein, d.h. nach Verkündung des Urteils, weiteren Klärungsbedarf feststellt, obgleich ihm die Klärung bereits in der maßgeblichen Beweisaufnahme selbst möglich gewesen ist, er darauf aber verzichtet oder es aus sonstigen Gründen unterlassen hat, kann der Beklagte dies nicht als einen dem Gericht vorzuwerfenden Verfahrensmangel wegen mangelhafter Sachaufklärung, deklarieren. Dass der Vorsitzende weitere Fragen des Beklagtenvertreters etwa nicht mehr zugelassen hat, ergibt sich aus der Sitzungsniederschrift nicht.

Zwar hat das Sozialgericht das in § 122 SGG in Verbindung mit § 162 Abs. 1 ZPO vorgesehene Verfahren der Verlesung bzw. des Abspielens und Genehmigung von u. a. (vorläufig aufgezeichneten) Zeugenaussagen (§ 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO) sowie die Feststellung, dass dies geschehen oder darauf verzichtet (vgl. § 162 Abs. 2 Satz 2 ZPO) worden ist, unbeachtet gelassen und es hat darüber hinaus die Zeugenaussage ohne die nach dem Beamtenrecht (vgl. § 376 ZPO) notwendige Aussagegenehmigung durchgeführt. Eine Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG rechtfertigt sich aber auch insoweit nicht.

Gemäß § 162 Abs. 1 ZPO ist das Protokoll insoweit, als es Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 1, 3, 4, 5, 8, 9 oder zu Protokoll erklärte Anträge enthält, den Beteiligten vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen. Ist der Inhalt des Protokolls nur vorläufig aufgezeichnet worden, so genügt es, wenn die Aufzeichnungen vorgelesen oder abgespielt werden. In dem Protokoll ist zu vermerken, dass dies geschehen und die Genehmigung erteilt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind. Nach Abs. 2 der Vorschrift brauchen Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO nicht abgespielt zu werden, wenn sie in Gegenwart der Beteiligten unmittelbar aufgezeichnet worden sind; der Beteiligte, dessen Aussage aufgezeichnet ist, kann das Abspielen verlangen. Soweit Feststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 4 und 5 ZPO (u.a. der „Aussagen der Zeugen“ und „das Ergebnis eines Augenscheins“) in Gegenwart der Beteiligten diktiert worden sind, kann das Abspielen, das Vorlesen oder die Vorlage zur Durchsicht unterbleiben, wenn die Beteiligten nach der Aufzeichnung darauf verzichten; in dem Protokoll ist zu vermerken, dass der Verzicht ausgesprochen worden ist.

Das Protokoll gibt im Rahmen der ersten Zeugenvernehmung weder eine Feststellung über ein Abspielen der vorläufigen Aufzeichnung oder eine solche über einen diesbezüglichen Verzicht aller Beteiligten darauf wieder, sodass das Protokoll beweist, dass diese Förmlichkeit (hier: zumindest Feststellung des Verzichts) nicht gewahrt ist (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO-Kommentar, 32. Auflage 2011, § 165 Rn. 5). Die Protokollierungsvorschriften der §§ 159 ff ZPO sollen lediglich zu Beweiszwecken beurkunden, was in der mündlichen Verhandlung geschehen ist, nicht aber die Wirksamkeit des dortigen Geschehens an die Feststellung im Protokoll binden. Das durch § 122 SGG in Verbindung mit § 162 Abs. 1 ZPO vorgeschriebene Verfahren der Verlesung bzw. des Abspielens der vorläufigen Aufzeichnung und Genehmigung von Protokollerklärungen soll lediglich Gewähr für die Richtigkeit des Protokolls bieten und damit seine Beweiskraft untermauern, ist aber nicht im Sinne eines zwingenden Formerfordernisses zu verstehen (BSG, Urteile vom 31. Januar 1963, 9 RV 962/61 und vom 12. März 1981, 11 RA 52/80; Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 5. April 1989, IVb ZR 26/88 sowie Beschlüsse vom 18. Januar 1984, IVb ZB 53/83 und vom 4. Juli 2007, XII ZB 14/07; Bundesfinanzhof [BFH]), Beschluss vom 15. Juli 2010, VIII B 90/09; Bundesarbeitsgericht [BAG], Beschluss vom 5. Januar 1987, 5 AS 11/86; Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Beschluss vom 2. November 2010, 2 B 8/10, alle zitiert nach juris [a. A. noch: BSG, Urteile vom 24. Februar 1964, 2 RU 141/66 und vom 25. August 1965, 2 RU 206/61, alle zitiert nach juris]). Dass ein Vorgang allein durch das Protokoll bewiesen werden kann, stellt nach § 202 SGG in Verbindung mit § 165 Satz 1 ZPO die Ausnahme dar und gilt lediglich für die Beachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten. Förmlichkeiten betreffen den äußeren Hergang der Verhandlung, wie etwa die An- oder Abwesenheit des Beteiligtenvertreters, die Öffentlichkeit einer Verhandlung, die Erörterung der Sach- und Rechtslage und die Durchführung einer Beweisaufnahme durch die Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen. Von § 165 Satz 1 ZPO nicht erfasst ist dagegen der Inhalt der Verhandlung. Darunter sind in erster Linie die Protokollfeststellungen nach § 160 Abs. 3 Nr. 1, 3 bis 6, 8, 9 und 10 ZPO über den Inhalt von Erklärungen des Beteiligten zu verstehen. Die ordnungsgemäße Protokollierung solcher Erklärungen ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung, sondern dient nur Beweiszwecken (BVerwG, Beschluss vom 2. November 2010, a.a.O.; BGH, Beschluss vom 4. Juli 2007, XII ZB 14/07, a.a.O.). Bei einem Verstoß gegen § 162 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGG ist die freie Beweiswürdigung (§286 SGG) ausgeschaltet und der Beweis, dass die Beurkundung objektiv unrichtig sei, dahin eingeschränkt, dass das Protokoll gefälscht, d.h. wissentlich falsch beurkundet oder nachträglich verfälscht sei (Reichold in Thomas/Putzo, a.a.O., § 165 Rn. 5). Anhaltspunkte dafür, dass die Äußerungen der Zeugin H unrichtig, unvollständig oder sonst wie fehlerhaft zu Protokoll genommen worden ist, lassen sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen. Selbst wenn folglich von einem Verfahrensmangel auszugehen wäre, kann das erstinstanzliche Urteil darauf nicht beruhen.

Der Umstand, dass die Beweisaufnahme ohne Aussagegenehmigung erfolgt ist, ist zwar verfahrensfehlerhaft, wirkt sich aber ebenso nicht entscheidungserheblich aus. Denn die entsprechenden beamtenrechtlichen Bestimmungen dienen dem Schutz der jeweiligen Dienstbehörde bzw. der Wahrung von Geheimhaltungspflichten im Sinne des § 119 SGG, stellen aber kein Beweisverwertungsverbot dar (vgl. Keller, a.a.O., § 118 Rn. 10. e; Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg, Beschluss vom 11. März 2004, 11 LA 380/03, zitiert nach juris). Im Übrigen hätte der Beklagte diesen Verfahrensmangel spätestens in der auf die Beweisaufnahme folgenden mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts rügen müssen. Dies ergibt sich auch aus § 202 SGG i. V. m. §§ 295 Abs. 1, 531 ZPO. § 295 ZPO gilt gemäß § 202 SGG auch im Sozialgerichtsprozess mit der Folge, dass der ungerügt gebliebene Verfahrensmangel in der Berufungsinstanz und ebenso mit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht mehr geltend gemacht werden kann (vgl. a. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998, 9 C 45/97, m.w.N., zitiert nach juris).

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).