Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 27. Senat | Entscheidungsdatum | 09.08.2012 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | L 27 P 69/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 15 SGB 11 |
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 3. November 2009 wird zurückgewiesen.
Die gegen die im Berufungsverfahren ergangenen weiteren Bescheide erhobene Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe I aus der sozialen Pflegeversicherung.
Die 1954 geborene Klägerin, die u.a. an Erkrankungen der Wirbelsäule und einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung leidet, beantragte am 13. November 2007 bei der Beklagten Pflegegeld. In dem daraufhin eingeholten MDK-Gutachten vom 6. Februar 2008 ermittelte der ArztH einen Zeitaufwand für die Grundpflege von 32 Minuten täglich (Körperpflege 24 Minuten, Ernährung 1 Minute, Mobilität 7 Minuten) und für die hauswirtschaftliche Versorgung von 60 Minuten täglich. Dem Gutachten folgend lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 11. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2008 ab.
Mit ihrer bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Nach Einholung von Befundberichten hat das Sozialgericht – im Wesentlichen dem MDK-Gutachten vom 6. Februar 2008 folgend – die Klage mit Gerichtsbescheid vom 3. November 2009 abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie neben medizinischen Unterlagen eine selbst geführte Pflegedokumentation vorgelegt hat. Sie ist der Ansicht, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung der höchsten Schmerzstufe könne eine Pflegebedürftigkeit in den Bereichen Körperpflege und Mobilität bewirken. Zudem werde die ohnehin schon bestehende Einschränkung der Bewegungsfähigkeit durch ihre depressive Erkrankung mit Einschränkung des Selbstwertgefühls, Angst und Antriebsminderung verstärkt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens der Allgemeinmedizinerin Dr. D vom 13. August 2010, die eine wesentliche Änderung des Umfangs des Hilfebedarfs seit Antragstellung nicht hat feststellen können. Die Sachverständige hat einen Zeitaufwand für die Grundpflege von 31 Minuten täglich (Körperpflege 24 Minuten, Ernährung 0 Minuten, Mobilität 7 Minuten) und für die hauswirtschaftliche Versorgung von 60 Minuten täglich ermittelt.
Den erneuten Antrag auf Pflegegeld der Klägerin vom 8. Juni 2010 hat die Beklagte zum Anlass genommen, das MDK-Gutachten der Pflegefachkraft D vom 30. Juni 2010 einzuholen, die den Hilfebedarf in der Grundpflege mit 22 Minuten täglich (Körperpflege 15 Minuten, Ernährung 0 Minuten, Mobilität 7 Minuten) und für die hauswirtschaftliche Versorgung mit 60 Minuten täglich eingeschätzt hat. Dem Gutachten folgend hat die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 7. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2010 abgelehnt.
Die Klägerin hat das Pflegeprotokoll des privaten Pflegesachverständigen A vorgelegt, das dieser am 15. Dezember 2010 erstellt hat. Danach hat der Zeitaufwand für die Grundpflege 63 Minuten täglich (Körperpflege 38 Minuten, Ernährung 0 Minuten, Mobilität 25 Minuten) und für die hauswirtschaftliche Versorgung 60 Minuten täglich betragen. In ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 6. Mai 2011 ist die Sachverständige Dr. D bei ihrer Einschätzung geblieben.
Der Senat hat abschließend das Gutachten der Pflegesachverständigen L vom 28. März 2012 eingeholt, die einen grundpflegerischen Hilfebedarf von 38 Minuten täglich (Körperpflege 24 Minuten, Ernährung 5 Minuten, Mobilität 9 Minuten) und einen hauswirtschaftlichen Hilfebedarf von mindestens 45 Minuten täglich festgestellt hat. Die Klägerin hat hiergegen eingewandt, der von der Sachverständigen angesetzte zeitliche Bedarf liege bei der Teilwäsche, dem Duschen und der Mobilität unterhalb der Orientierungswerte der maßgeblichen Pflegerichtlinien.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 3. November 2009 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2008 sowie des Bescheides vom 7. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2010 zu verurteilen, ihr ab dem 13. November 2007 Pflegegeld nach der Pflegestufe I zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 3. November 2009 abgewiesen. Auch die gegen den im Berufungsverfahren ergangenen Bescheid des Beklagten vom 7. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2010 gerichtete Klage hat keinen Erfolg.
Die ablehnenden Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn ihr steht kein Anspruch auf Pflegeleistungen nach der Pflegestufe I zu.
Der geltend gemachte Anspruch nach § 37 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 Sozialgesetzbuch, Elftes Buch (SGB XI) setzt u. a. voraus, dass der Anspruchsteller pflegebedürftig ist und mindestens der Pflegestufe I zugeordnet werden kann. Pflegebedürftigkeit liegt hierbei nach § 14 Abs. 1 SGB XI vor, wenn der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf, die nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Als gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im vorgenannten Sinne gelten nach § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, der neben den Bereichen der Ernährung und der Mobilität zur Grundpflege gehört das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.
Die Zuordnung zur Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XI voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss hierbei wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen.
Diese Voraussetzungen sind im Fall der Klägerin nicht erfüllt. Denn entgegen ihrer Auffassung lässt sich nicht feststellen, dass ihr Grundpflegebedarf wöchentlich im Tagesdurchschnitt mehr als 45 Minuten beträgt.
Der Senat folgt dem umfassenden und überzeugenden Gutachten der Pflegesachverständigen L vom 28. März 2012, die einen grundpflegerischen Hilfebedarf von lediglich 38 Minuten ermittelt hat. Hiermit im Ergebnis übereinstimmend ist auch in den von dem Beklagten im Verwaltungsverfahren eingeholten MDK-Gutachten vom 6. Februar 2008 und vom 30. Juni 2010 sowie in dem Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Dr. D vom 13. August 2010 festgestellt worden, dass der Hilfebedarf der Klägerin den für die Zuerkennung der Pflegestufe I erforderlichen Umfang nicht erreicht. Zweifel an dieser Einschätzung ergeben sich auch nicht aus dem Pflegeprotokoll des privaten Pflegesachverständigen A vom 15. Dezember 2010, wonach hat der Zeitaufwand für die Grundpflege 63 Minuten täglich (Körperpflege 38 Minuten, Ernährung 0 Minuten, Mobilität 25 Minuten) betragen soll. Denn die dort genannten Zeiten des Hilfebedarfs lassen sich – worauf die Sachverständige L hinweist – nicht nachvollziehen, denn es fehlen Angaben darüber, in welcher Hilfeform und aus welchen Gründen bei der Körperwäsche bzw. beim An- und Auskleiden Hilfe notwendig gewesen ist.
Die Einwände der Klägerin, dass der von der Sachverständigen L angesetzte Zeitaufwand bei der Teilwäsche, dem Duschen und der Mobilität unterhalb der Orientierungswerte der maßgeblichen Pflegerichtlinien liege, überzeugen nicht. Abgesehen davon, dass die in den „Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches“ aufgeführten Zeitorientierungswerte ausdrücklich keine verbindlichen Vorgaben enthalten, sondern nur Leitfunktion haben (so Abschnitt F Nr. 1), wurde bei der Festlegung der Zeitorientierungswerte von einer vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft ausgegangen (Abschnitt F nach Nr. 3). Diese Form der Hilfe hat die Sachverständige jedoch nicht durchgängig für erforderlich gehalten, sondern bei der Teilwäsche und dem Duschen einen Hilfebedarf in Form der Unterstützung, teilweisen Übernahme und Anleitung sowie im Bereich der Mobilität beim An- und Auskleiden in Form der Unterstützung bzw. teilweisen Übernahme und nur beim Stehen/Transfer in Form der vollständigen Übernahme.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.