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Versammlungsrecht


Metadaten

Gericht VG Potsdam 3. Kammer Entscheidungsdatum 27.05.2014
Aktenzeichen VG 3 K 2198/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen Art 8 GG, § 43 VwGO

Tenor

Es wird festgestellt, dass das unterlassene Einschreiten des Beklagten gegen Dritte zur Sicherung der Durchführung der vom Kläger für den 15. September 2012 angemeldeten Versammlung rechtswidrig war.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass das Nichteinschreiten des Beklagten zur Sicherung seiner für den 15. September 2012 angemeldeten Versammlung rechtswidrig gewesen ist.

Der Kläger meldete am 4. Juli 2012 für den 15. September 2012 in der Zeit von 12.00 Uhr bis ca. 17.00 Uhr einen Aufzug unter freiem Himmel unter dem Motto „Wir arbeiten - Brüssel kassiert“ an. Treffpunkt sollte um 11.00 Uhr der Hauptbahnhof ... sein. In einem Kooperationsgespräch am 13. August 2012 wurden wegen bestehender Bauarbeiten in der ... im Hinblick auf die von dem Kläger geplante Aufzugsstrecke beginnend ab Hauptbahnhof durch die ... er Innenstadt verschiedene Ausweichrouten zwischen den Beteiligten besprochen.

Da die vom Kläger favorisierten Ausweichrouten wegen der dort vorhandenen örtlichen Gegebenheiten abgelehnt wurden, ordnete das Polizeipräsidium mit für sofort vollziehbar erklärter Verfügung vom 11. September 2012 zur Abwehr drohender Gefahren für die öffentliche Sicherheit an, dass der Aufzug ausgehend vom Treffpunkt an der Südseite des Hauptbahnhofs über die ..., ..., ..., ..., ..., … zurück zum Parkplatz auf der Südseite des Hauptbahnhofs ... zu führen sei. Zur Begründung führte er an, dass die Einschränkung der Versammlungsroute unter voller Beachtung der grundrechtlichen Bedeutung des Versammlungsrechts zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit bei der Durchführung des Aufzugs erforderlich sei.

Gegen die am Morgen des 15. Septembers 2012 an den Kläger zugestellte Verfügung wurde kein Rechtsbehelf eingelegt.

Aufgrund einer Blockade von Gegendemonstranten auf der ..., einem Teil der klägerischen Aufzugsstrecke, die von der Polizei nicht geräumt wurde, konnte der Kläger am 15. September 2012 den geplanten Aufzug nicht durchführen.

Der Kläger hat am 4. Oktober 2012 Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben. Der Kläger macht geltend, dass durch gezielte, von offizieller Seite, insbesondere auch vom Oberbürgermeister der Stadt ... unterstützte Gegenkundgebungen seine angemeldete Versammlung nicht habe stattfinden können. Bereits gegen 12 Uhr hätten ca. 800 Personen auf der ... eine Blockade gebildet, die sich bis 14 Uhr auf etwa 200 bis 300 Personen reduziert habe. Ab 14.20 Uhr sei die erste polizeiliche Aufforderung an die Blockierer ergangen, die Blockade zu räumen. Weitere Aufforderungen seien um 14.50 Uhr und 15.20 Uhr ergangen. Es sei von der Einsatzleitung der Polizei mitgeteilt worden, dass Zwangsmaßnahmen gegen die Blockierer geprüft, aber ausgeschlossen worden seien, da sich unter den Blockierern zahlreiche Kinder und „bürgerliches Spektrum“, u. a. der Oberbürgermeister ... s, befunden hätten. Die Verhinderung der Demonstration sei schon im Vorfeld geplant und öffentlich dazu aufgerufen worden. Die Teilnehmer der Blockade hätten um 12.00 Uhr ungehinderten Zugang zur Aufzugsstrecke an der ... gehabt. Im Kern sei dem Beklagten vorzuwerfen, trotz des Wissens um Gegenmaßnahmen nichts dafür getan zu haben, dass die Blockierer überhaupt an die betreffenden Plätze hätten kommen können. Der Beklagte hätte die Möglichkeit gehabt, das Eindringen von Gegendemonstranten auf die Aufzugsstrecke zu verhindern. Nach seinen Beobachtungen sei der Zulauf auf die ... zu keinem Zeitpunkt kontrolliert worden. Der Beklagte habe auch zugelassen, dass gewaltbereite Personen aus der linken Szene dorthin gelangt seien. Die zugelassene Sitzblockade sei allein schon deshalb rechtswidrig gewesen, da sie allein dem Zweck gedient habe, sein Versammlungsrecht zu verwehren. Auch eine Spontanversammlung sei dann nicht mehr zulässig, wenn sie nur den Zweck verfolge, eine andere, nichtverbotene Demonstration zu verhindern. Die unterbliebene Auflösung der Blockade sei rechtswidrig gewesen. Die Zusammensetzung der Blockierer hätte im Übrigen ernsthafte Zweifel an ihrer Friedfertigkeit aufkommen lassen müssen. Durch die Zulassung der Gegenkundgebung genau auf der Aufzugsstrecke habe die Polizei genau das Gegenteil getan und die Blockierer in ihrem rechtswidrigen Tun unterstützt. Das Versammlungsrecht sei gegenüber allen Deutschen verfassungsrechtlich garantiert. Es wäre daher die gesetzliche Pflicht gewesen, die Demonstration des Klägers so zu sichern, dass keine Gegendemonstranten auf die Aufzugsstrecke hätten eindringen können. Aber auch nachdem die Störer rechtswidrig die Aufzugsstrecke blockiert hätten, hätte die Polizei durch entschlossenes Auftreten und gegebenenfalls durch die Androhung von Zwangsmitteln einen großen Teil der sich nicht zu den gewaltbereiten zählenden Gegendemonstranten davon abhalten können, Straftaten zu begehen. Er habe auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Nichteinschreitens des Beklagten, da mit einer Wiederholung zu rechnen sei. Die Beifallskundgebungen vieler prominenter Politiker für das rechtswidrige Vorgehen ließen erkennen, dass das Rechtsbewusstsein in führenden Kreisen der Republik abhanden gekommen sei. Schon seit einigen Jahren werde eine Taktik angewendet, durch massive zeitliche Verzögerungen und Untätigkeit der Polizei, Blockaden erst möglich zu machen. Der Kläger habe schließlich auch deshalb ein Interesse an der Feststellung, da seine Rechte nach Art. 5 und 8 des Grundgesetzes (GG) verletzt worden seien.

Der Kläger beantragt

festzustellen, dass das unterlassene Einschreiten des Beklagten gegen Dritte zur Sicherung der Durchführung der vom Kläger für den 15. September 2012 angemeldeten Versammlung rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte legt dar, dass das Einsatzkonzept der Einsatzleitung darauf gerichtet gewesen sei, das Versammlungsrecht der Teilnehmer der NPD-Versammlung und auch dasjenige der Teilnehmer aller anderen Versammlungen an diesem Tag zu gewährleisten. Die Chronologie der Ereignisse zeige auf, dass die Polizei bestrebt gewesen sei, dem verfassungsrechtlichen Auftrag auch gegenüber der NPD nachzukommen. Eine vollständige Absperrung der Aufzugsstrecke sei wegen der örtlichen Gegebenheiten und den tatsächlichen Umständen nicht möglich gewesen. Es handele sich um die Verbindungsstrecke zwischen den Stadtteilen ... und ... sowie zum Hauptbahnhof der Stadt, die durch räumliche Einengung durch den Brückencharakter, die Straßenbahntrasse und den Rettungsweg zu den Kliniken im Innenstadtbereich gekennzeichnet sei. Die anderen für den gleichen Zeitraum angemeldeten Versammlungen, wie beispielsweise das „Fest der Toleranz“, hätten berücksichtigt werden müssen. Eine vorgesehene Sperrung der Spur des öffentlichen Nahverkehrs, die Aufzugsstrecke der NPD auf der ..., sei bereits aufgrund des entstandenen Drucks von Gegendemonstranten, die von der ... er Straße und vom Westausgang der Bahnhofspassagen als auch von der Auffahrt …-Straße gekommen seien, nicht möglich gewesen. Ab 11.13 Uhr sei es unter dem Motto „Bürgersteig für Bürger“ zu einer kurzfristig angemeldeten Spontanversammlung gekommen. Sie sei als unvorbereitete aus aktuellem Anlass entstandene Gegendemonstration, sozusagen als kurzzeitiges, optisches Haltesignal, gegenüber dem Kläger gerechtfertigt gewesen und bis 13.30 Uhr polizeilich zugelassen worden. Innerhalb weniger Minuten sei die Anzahl der Teilnehmer sehr schnell auf 2000 angewachsen. Es habe auch keine rechtliche Handhabe bestanden, den Durchgang über einen ausgedehnten Zeitraum gänzlich zu verweigern. Die eingerichteten Durchlassstellen für das Fest der Toleranz seien zwingend erforderlich gewesen. Um 13.19 Uhr habe der Anmelder der Spontandemonstration entsprechend der Auflage die Teilnehmer dazu aufgerufen, den Ort zu verlassen. Nur ein geringer Teil sei der Aufforderung nachgekommen. Um 13.30 Uhr hätte der NPD-Versammlung bekannt gegeben werden müssen, dass der Aufzug wegen 5 Spontanversammlungen im Innenstadtbereich nicht hätte beginnen können. Ab 14.20 Uhr habe die Polizei im halbstündigen Abstand die Personen auf der ... unter Androhung von Zwangsmitteln aufgefordert, den Ort zu verlassen. Gegen 15.00 Uhr sei erneut der Versuch unternommen worden, auf der ... eine Versammlung anzumelden, dies sei nicht zugelassen worden. Nachdem um 15.21 Uhr 1000 Personen der erneuten Forderung zur Räumung nicht nachgekommen seien, habe man eine Räumung der Brücke geprüft. Eine Räumung sei unter Abwägung der widerstreitenden Interessen wegen der zu befürchtenden Folgen für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit, insbesondere Leib und Leben, aber auch für bedeutende Sachwerte, nicht mehr verhältnismäßig gewesen, da sie in einem deutlichen Missverhältnis zu der dadurch erreichten Durchsetzung des Aufzuges des Klägers gestanden hätte. Es sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Blockadeteilnehmer in der Mehrheit aus Personen des zivilen-bürgerlichen Spektrums (Familien mit Kindern) und zum anderen Teil aus Personen, die dem äußeren Anschein nach der linken Szene zuzuordnen gewesen seien, bestanden hätten. Bei einer Räumung der Blockade wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf Grund der anwesenden gewaltbereiten Personen zu schweren Auseinandersetzungen gekommen, die unabsehbare schwere Folgen nicht nur für die beteiligten Einsatzkräfte, sondern auch für die vielen friedlichen Personen des bürgerlichen Spektrums gehabt hätten. Die Gesamtschau auf das Ausmaß des Versammlungsgeschehens, die Vielzahl von Versammlungen an diesem Tag, die Verhältnismäßigkeitsabwägungen, die Einsatzerfahrungen im Jahr 2004 in ... und die Erfahrungen aus ähnlichen bundesweiten Lagen hätten im konkreten Einzelfall gegen die Auflösung der Blockade gesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 43 VwGO zulässig. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist nicht die richtige Klageart, da der Kläger sich nicht gegen die an ihn gerichtete Verfügung vom 11. September 2012, einen Verwaltungsakt, der sich erledigt hat, oder einen anderen inzwischen erledigten Verwaltungsakt zur Wehr setzt. Das Begehren des Klägers richtet sich gegen das Nichteinschreiten der Polizei am 15. September 2012 und damit gegen einen (erledigten) unterlassenen Realakt. In einem solchen Fall kommt eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO zur Anwendung (vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 20. Aufl., Rn. 116 zu § 113). Danach kann durch Klage u. a. die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen Kläger und Beklagten im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO gründet sich auf die entsprechende Anmeldung des Klägers seiner für den 15. September 2012 vorgesehenen Versammlung und der durch den Bescheid der Beklagten vom 11. September 2012 (unter Auflagen) ausgesprochenen Bestätigung. Der Kläger kann den nach Art. 19 Abs. 4 GG zu gewährleistenden Rechtsschutz auch nur durch die von ihm nachträglich erhobene Feststellungsklage erlangen. Ein berechtigtes Feststellungsinteresse ist gegeben, denn wegen des Nichteinschreitens des Beklagten könnte das nach Art. 8 GG geschützte Recht des Klägers auf Versammlungsfreiheit verletzt sein. Denn er konnte sein von Art. 8 GG geschütztes Anliegen, an einem Samstagvormittag öffentlichkeitswirksam in der Innenstadt ... s demonstrieren zu können, nicht realisieren. Da die Versammlung überhaupt nicht - auch nicht an einem anderen Ort oder unter Beachtung versammlungsbehördlicher Auflagen - durchgeführt werden konnte, handelt es sich vorliegend um die denkbar schwerstmögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit.

Die Feststellungsklage ist auch begründet. Das Nichteinschreiten des Beklagten gegen Dritte zur Sicherung der Versammlung des Klägers war rechtswidrig und verletzte den Kläger in seiner nach Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit. Der Beklagte handelte dadurch rechtswidrig, dass er nicht zum Schutze der Versammlung des Klägers polizeilich vorgegangen ist, sondern zunächst die Gegendemonstration zuließ (a) und auch im weiteren Verlauf nicht eingegriffen hat, um den Aufzug des Klägers zu sichern (b).

(a)

Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass er wegen Art. 8 GG rechtlich gezwungen war, die Gegendemonstration am 15. September 2012 auf der ... als Spontandemonstration zuzulassen. Es ist schon zweifelhaft, ob es sich vorliegend um eine rechtlich geschützte Spontandemonstration handelte, deren typisches Kennzeichen es ist, dass die Versammlung nicht von langer Hand vorbereitet ist, sondern aus einem aktuellen Anlass entsteht. Auch wenn es zutreffen sollte, dass die klägerische Aufzugsstrecke vorab nicht öffentlich bekanntgegeben worden ist, drängen sich Zweifel auf, ob sich hier wirklich eine spontane, aus aktuellem Anlass hervorgegangene Demonstration bildete, da schon lange Zeit voraus viele Gegenveranstaltungen, u. a. von dem Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit auf der Wiese am Brauhausberg, sowie die von der Stadtverwaltung durch Internetaufruf unterstützte Versammlung auf der Nordseite des Hauptbahnhof ... unter dem Motto „... bekennt Farbe“ geplant waren. Insofern war von vornherein mit einer größeren Menschenansammlung auch auf der ..., dem ersten Abschnitt der von dem Kläger angemeldeten Aufzugsstrecke, zu rechnen. Gegen einen spontanen Charakter der Versammlung spricht auch, dass die Einsatzleitung der Polizei ein Kooperationsgespräch mit einem sich als verantwortlich zeichnendem Versammlungsleiter vor Ort geführt hat. In jedem Fall war aber die Zulassung dieser Gegendemonstration rechtswidrig, da nach den Angaben des Beklagten in der Klageerwiderung diese Versammlung unter dem Motto „Bürgersteig für Bürger“ kurzfristig angemeldet wurde, mit der Absicht, durch eine zeitweilige Blockade die gemeinsame Ablehnung der politischen Betätigung des Klägers zum Ausdruck zu bringen. Eine spontane Versammlung ist spätestens dann nicht mehr zulässig, wenn sie ausschließlich den Zweck verfolgt, eine angemeldete Gegendemonstration wegen ihres rechtsextremen Inhalts zu blockieren (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetz, 16. Aufl., Rn. 19 zu § 14). Schließlich musste vorliegend nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass nach Darstellung des Beklagten die Anmelder die Blockade des klägerischen Vorhabens durch das Verweilen auf der Brücke bis um 17.00 Uhr durchführen wollten, auch mit der beabsichtigen endgültigen Verhinderung des klägerischen Aufzugs gerechnet werden.

Unter den tatsächlichen Gegebenheiten kann sich der Beklagte nicht darauf berufen, dass er auch zum Schutze des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit der Gegendemonstranten tätig werden musste und konnte und dies dadurch ermöglicht werden sollte, dass diese Versammlung nur auf dem Straßenkörper und nicht auf der Straßenbahntrasse, der Aufzugsstrecke des Klägers auf der ..., stattfinden sollte. Allein die räumliche Nähe zur geplanten Aufzugsstrecke des Klägers und die Vielzahl der vorhandenen Gegendemonstranten sprachen dagegen, dass die polizeiliche Billigung der Gegendemonstration zum selben Zeitpunkt ohne wesentliche Einschränkung der Versammlung des Klägers möglich gewesen wäre. Denn die nach den Angaben des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung vorgenommene Absicherung des klägerischen Aufzugs mit Gittern zwischen dem Straßenraum und der Straßenbahntrasse war nicht ausreichend. Sie wurde mühelos von der in kurzer Zeit auf mehrere Hundert angewachsenen Menschenansammlung überwunden. Insofern hätte nur durch eine kurzzeitige Gesamtsperrung der ... die Versammlung des Klägers gesichert werden können. Da dieser Teil der Aufzugsstrecke von den angereisten 80 Teilnehmern der NPD binnen weniger Minuten durchschritten worden wäre, greift auch nicht das Argument des Beklagten, dass diese wichtige Verbindungsstrecke in die Innenstadt wegen der Sicherstellung des freien Zugangs zum „Fest der Toleranz“ und wegen sonstiger öffentlicher Belange nicht auf lange Dauer hätte gesperrt werden können.

Die dadurch herbeigeführte Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit ist im Lichte des Grundgesetzes nicht gerechtfertigt. Das Recht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) darf wegen seiner überragenden Bedeutung für den demokratischen Rechtstaat nur in engen Grenzen Einschränkungen unterliegen. Der Kläger, der als nicht verbotene Partei an der politischen Willensbildung mitwirkt, hatte wegen der besonderen Bedeutung des Versammlungsrechts einen Anspruch darauf, dass seine ordnungsgemäß angemeldete Versammlung weder durch ein behördliches Verbot unterbunden noch rein faktisch zum Spielball von Gegendemonstranten gemacht wird. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass Gefahren infolge angekündigter Gegendemonstrationen primär durch behördliche Maßnahmen gegen den Störer, also hier den Gegendemonstranten, die den Kläger blockieren wollten, zu begegnen ist. Es ist Aufgabe der zum Schutz der rechtsstaatlichen Ordnung berufenen Polizei, in unparteiischer Weise auf die Verwirklichung des Versammlungsrechts hinzuwirken (vgl. BVerfGE 69, 315, 360 ff., VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. April 2002, 1 S 1050/02, Rn. 11 zit. nach juris).

(b)

Auch das Unterbleiben von Maßnahmen zur Auflösung der Blockade war rechtswidrig. Der Beklagte kann sich insbesondere nicht auf das Vorliegen eines polizeilichen Notstands berufen.

Ausnahmsweise ist nach der Rechtsprechung eine Inanspruchnahme des Nichtstörers zulässig, wenn die Behörde mit den zur Verfügung stehenden Polizeikräften nicht in der Lage ist, die öffentliche Sicherheit durch ein Vorgehen gegen gewaltbereite Gegendemonstranten als Störer aufrecht zu erhalten bzw. wieder herzustellen -sog. echter polizeilicher Notstand - oder andererseits, wenn Maßnahmen gegen die Störer als unverhältnismäßig betrachtet werden müssten, weil die mit ihnen verbundenen Schäden und Gefahren in einem krassen Missverhältnis zu den mit Maßnahmen gegen die Nichtstörer verbundenen Nachteilen stehen - sog. unechter polizeilicher Notstand – (vgl. VG Gera, Urteil vom 17. Juli 2006, 1 K 576/05, m. w. N., zit. nach juris). Die Voraussetzungen des unechten polizeilichen Notstands, auf die sich der Beklagte beruft, sind vorliegend nicht gegeben. Danach müsste eine Einschätzung der Lage gerechtfertigt gewesen sein, wonach die Schäden, die durch ein wirksames polizeiliches Vorgehen gegen die blockierenden Störer (spätestens ab der Beendigung durch den Anmelder) entstehen könnten, in einem extremen Missverhältnis zu den mit dem Nichteinschreiten verbundenen Nachteilen des Klägers gestanden hätten. Der auf eine Räumung der ... gerichtete Polizeieinsatz hätte mit erheblichen Gefahren für Dritte verbunden gewesen sein müssen, die den Einsatz als unverhältnismäßig erscheinen lassen. Es ist bereits zweifelhaft, ob nach den vom Beklagten angegebenen Tatsachen, wonach 1000 Blockadeteilnehmer, die zum größtem Teil aus Personen des bürgerlichen Spektrums (auch Familien mit Kleinkindern) und im Übrigen dem äußeren Anschein aus Anhängern der linken gewaltbereiten Szene bestand, eine solche Gefahrenprognose rechtfertigt. Denn es ist davon auszugehen, dass friedfertige Bürger bei den ersten Anzeichen eines ernsthaften polizeilichen Einschreitens sich zurückziehen, um möglichen Gefährdungen auszuweichen.

Bei der rechtlichen Bewertung ist jedoch entscheidend zu berücksichtigen, dass der Beklagte durch sein vorangegangenes Verhalten, d. h. durch die Zulassung der Gegendemonstration am gleichen Ort und zur selben Zeit einen unechten polizeilichen Notstand provoziert hat. Wenn schon bei einer zulässigen angemeldeten Gegendemonstration oder zulässigen Spontandemonstration, die eben nicht - wie hier - gezielt auf Verhinderung der Versammlung des politischen Gegners gerichtet ist, alles hätte daran gesetzt werden müssen, eine Kollision der widerstreitenden Interessen zu vermeiden, so dass die Teilnehmer der verschiedenen Veranstaltungen von ihrem Grundrecht aus Art. 8 GG Gebrauch machen können (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.04.2002, a. a. O., Rn. 16), stand der Beklagte hier in einer besonderen Pflicht, die aus der aufgelösten Gegendemonstration zurückgebliebenen Blockadeteilnehmer zum Rückzug zu veranlassen, damit der Kläger überhaupt noch von seinem Recht auf Versammlungsfreiheit hätte Gebrauch machen können. Dass der Beklagte nicht über ausreichende Einsatzkräfte für ein Durchgreifen verfügt hat, ist dagegen nicht vorgetragen. Es kann daher nicht der Auffassung gefolgt werden, dass der Beklagte aufgrund der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an einem Eingreifen gehindert war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

B e s c h l u s s :

Der Streitwert wird auf 5000,00 Euro festgesetzt.

G r ü n d e :

Die Streitwertfestsetzung entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert, § 52 Abs. 2 GKG.