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Entscheidung L 37 SF 65/12 EK U


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 37. Senat Entscheidungsdatum 04.09.2013
Aktenzeichen L 37 SF 65/12 EK U ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen §§ 198ff GVG

Leitsatz

Die angemessene Dauer des Ausgangsverfahrens richtet sich nach dem Einzelfall. Bezugspunkt ist dabei das Gesamtverfahren jedenfalls soweit es in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt, auch wenn streitgegenständlich allein die Verfahrensdauer in einer Instanz ist.

Es unterfällt grundsätzlich dem Gestaltungsspielraum des Kammervorsitzenden, in welcher Reihenfolge er anhängige Verfahren zur Sitzung ansetzt. Insbesondere besteht keine Verpflichtung, als verhandlungsreif angesehene Verfahren umgehend zur mündlichen Verhandlung (mit Beweisaufnahme) anzusetzen.

Mit zunehmender Verfahrensdauer steigt die Verfahrensförderungspflicht.

Im Falle der Einholung eines Gutachten nach § 109 SGG darf der Kammervorsitzende mit dem Einsatz von Zwangsmitteln sehr zurückhaltend verfahren.

Ein Entschädigungsanspruch ist auch in Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit zu verzinsen.

Im Entschädigungsverfahren vor dem Landessozialgericht ist keine vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils auszusprechen.

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Cottbus unter dem Aktenzeichen S 7 U 93/99 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 3.600,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 12. September 2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu drei Viertel, der Kläger zu einem Viertel zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 6.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer des beim Sozialgericht Cottbus unter dem Aktenzeichen S 7 U 93/99 geführten Verfahrens.

Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Nachdem die zuständige Unfallkasse es 1999 abgelehnt hatte, eine toxische Enzephalopathie als Berufskrankheit nach Ziffer 1302 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (Erkrankung durch Halogenkohlenwasserstoffe) anzuerkennen, erhob der Kläger am 18. August 1999 vor dem Sozialgericht Cottbus Klage, die unter dem Aktenzeichen S 7 U 93/99 registriert wurde. Mit am 12. Oktober 1999 eingegangenem Schreiben begründete er diese. Am 18. Oktober 1999 forderte das Sozialgericht bei ihm Unterlagen und Angaben zu seinen behandelnden Ärzten an, die der Kläger am 02. November 1999 einreichte. Das Sozialgericht strengte daraufhin verschiedene medizinische Ermittlungen an. Parallel hierzu zeigte Mitte November 1999 eine Rechtsanwältin die Vertretung des Klägers an, erhielt Akteneinsicht und legte am 02. Februar 2000 eine ausführliche Klagebegründung vor. Am 12. April 2000 ging - nach zwischenzeitlicher Mahnung durch das Gericht - eine Stellungnahme der damaligen Beklagten ein. Anfang Juli 2000 bat das Gericht um Benennung von Beweismitteln, woraufhin die damalige Bevollmächtigte des Klägers am 24. und ergänzend am 28. Juli 2000 Zeugen benannte.

Ende Februar 2001 erkundigte die Bevollmächtigte sich nach dem Sachstand. Der Kammervorsitzende informierte sie kurz darauf, dass das Verfahren zur Verhandlung vorgesehen sei, ein konkreter Termin aber noch nicht benannt werden könne. Auf eine weitere Sachstandsanfrage Mitte Oktober 2001 erfolgte der Hinweis auf die Erkrankung des Kammervorsitzenden. Nach erneutem Drängen der Bevollmächtigten Mitte November 2001 und einer weiteren Sachstandsanfrage Ende Februar 2002 wurde die Sache mit Ladung vom 02. August auf den 16. August 2002 angesetzt. Auf Nachfrage der Bevollmächtigten wurden unter dem 06. August 2002 zwei bis dahin nicht geladene Zeugen nachgeladen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung konnten nur zwei der vier Zeugen vernommen werden, woraufhin der Rechtsstreit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung vertagt wurde. Weiter wurde den Beteiligten Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zum Ermittlungsergebnis gegeben. Ende August 2002 teilte die damalige Bevollmächtigte des Klägers nochmals die bereits benannte Anschrift der zuvor nicht ladbaren Zeugin mit und bat um einen erneuten Zustellversuch.

Mitte September 2002 schrieb der Kammervorsitzende die Sache erneut zur Sitzung aus und terminierte sie schließlich am 13. November 2003 zum 03. Dezember 2003. Nach Einvernahme der Zeugin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 03. Dezember 2003 wurde die Sache erneut zur weiteren Sachverhaltsaufklärung vertagt. Ausweislich des Protokolls wollte der Kläger sich bemühen, Möglichkeiten aufzuzeigen, die zur Ermittlung von Unterlagen seines früheren Beschäftigungsbetriebes führen könnten. Auf gerichtliche Erinnerungen vom 15. März und 12. Mai 2004 erklärte die Bevollmächtigte des Klägers, dass dieser keine Hinweise zum Verbleib von Unterlagen seines Beschäftigungsbetriebes geben könne. Im September 2004 gab der Kammervorsitzende daraufhin ein arbeitsmedizinisches und internistisches Gutachten in Auftrag, das am 23. Dezember 2004 bei Gericht einging und den Beteiligten am 12. Januar 2005 zur Stellungnahme übersandt wurde.

Mitte Februar 2005 beantragte der Kläger die Einholung eines weiteren Gutachtens. Nach Eingang des Kostenvorschusses im März 2005, wurde der vom Kläger benannte Sachverständige im Mai 2005 beauftragt. Mit der Bestellung wurde ausdrücklich im Hinblick auf die Verfahrensdauer um bevorzugte Behandlung gebeten. Auf eine gerichtliche Sachstandsanfrage vom September 2005 beantragte dieser im Oktober 2005 eine Zusatzuntersuchung des Klägers, woraufhin ein weiterer Kostenvorschuss angefordert wurde. Noch im selben Monat ging dieser ein und verfügte der Vorsitzende die Einholung des Zusatzgutachtens. Mitte März 2006 erkundigte sich das Gericht erneut bei dem Sachverständigen nach dem Sachstand, der daraufhin über den für den 23. März 2006 anberaumten Untersuchungstermin informierte. Am 31. Juli 2006 ging schließlich das Gutachten bei Gericht ein und wurde den Beteiligten Anfang August 2006 übersandt. Die damalige Beklagte legte ihre erbetene Stellungnahme am 06. September 2006 vor.

Ende Mai 2007 wurde der Rechtsstreit auf den 21. Juni 2007 terminiert. An diesem Tage fand die mündliche Verhandlung statt. Der Rechtsstreit wurde durch stattgebendes Urteil erledigt. Die schriftlichen Urteilsgründe wurden den Beteiligten Mitte August 2007 zugestellt.

Auf die Berufung der damaligen Beklagten zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg beauftragte dieses mit Beweisanordnung vom 11. Juni 2008 einen weiteren Sachverständigen. Nachdem dieser das Gutachten - nach zwischenzeitlicher Mahnung durch das Gericht - am 12. Februar 2009 vorgelegt hatte und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden war, kündigte die damalige Bevollmächtigte des Klägers mit am 18. März 2009 eingegangenem Schriftsatz eine sachkundige Stellungnahme des im erstinstanzlichen Verfahren nach § 109 SGG gehörten Sachverständigen innerhalb von vier Wochen an. Nachdem diese - ohne Zwischenmitteilung - bis Anfang Juli 2009 nicht eingegangen war, erfolgte eine Terminierung auf den 26. August 2009. Am Mittag des 25. August 2009 wurde eine Stellungnahme des Vorgutachters per Fax zu den Akten gereicht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 26. August 2009 hob der Senat das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Die Urteilsgründe wurden den Beteiligten Mitte November 2009 zugestellt.

Mit Beschluss vom 29. Januar 2010 verwarf das Bundessozialgericht die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts als unzulässig. Der am 16. Februar 2010 abgesandte Beschluss wurde der damaligen Bevollmächtigten des Klägers am 22. Februar 2010 zugestellt. Am 16. August 2010 legte diese für den Kläger beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde ein. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2011 wies dieser die damalige Bevollmächtigte des Klägers auf das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) hin.

Am 10. Mai 2012 hat der Kläger daraufhin beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer erhoben, die dem Beklagten am 12. September 2012 zugegangen ist. Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass durch die schleppende Bearbeitung der Sache immer wieder Zeit vergeudet worden sei. Zunächst ist er davon ausgegangen, dass allein bis zur ersten Terminierung drei Jahre vergangen und zwischen August 2002 und Mai 2004 erneut 21 Monate vergangen seien, ohne dass der Sache inhaltlich Fortgang gewährt worden wäre. Nachdem das eingeholte Gutachten sich als unbrauchbar erwiesen hätte, sei die Beauftragung eines weiteren Sachverständigen erforderlich geworden. Obwohl dessen Gutachten Anfang September 2006 vorgelegen habe, habe es nochmals neun Monate bis zu einem Termin gedauert. Insgesamt hätte das Verfahren bei zügiger Bearbeitung innerhalb von zwei bis zweieinhalb Jahren abgeschlossen und eine Dauer von über sieben Jahren vermieden werden können. Diese Verfahrensdauer sei auch unter Berücksichtigung der Notwendigkeit, zwei Gutachten einzuholen, unangemessen. Es sei davon auszugehen, dass das Verfahren fünf Jahre zu lange gedauert habe, sodass eine Entschädigung in Höhe von 6.000,00 € angemessen sei. Eine andere Wiedergutmachung könne nicht erlangt werden. Auch sei die überlange Verfahrensdauer nicht dadurch kompensiert, dass das Berufungsverfahren zwei Jahre lang gedauert habe, zumal auch dies nicht als zügig anzusehen sei. Entscheidend sei, dass sich das Gesamtverfahren über zehn Jahre hingezogen habe, was ausschließlich in den Verantwortungsbereich des Beklagten falle. Es treffe ihn ein Organisationsverschulden, denn wesentlicher Grund für die Verfahrensdauer sei die zu geringe Personalausstattung. Zuletzt ist der Kläger in Würdigung der für die Einholung des Gutachtens nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erforderlichen Zeit noch davon ausgegangen, dass das Verfahren vor dem Sozialgericht in etwa vier Jahren hätte abgeschlossen sein müssen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen unangemessener Dauer seines Verfahrens gegen die Unfallkasse des Bundes vor dem Sozialgericht Cottbus – S 7 U 93/99 – eine Entschädigung in Höhe von 4.800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszins seit Zustellung der Klage zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er geht davon aus, dass die Klage im Hinblick auf das zuvor beim EGMR anhängige Verfahren zwar zulässig sei. Auch räumt er ein, dass das Ausgangsverfahren überlang war, meint jedoch, dass eine Entschädigung nicht in der begehrten Höhe zuzusprechen sei. Entgegen der – ursprünglich – vom Kläger vertretenen Ansicht wäre der Rechtsstreit nicht innerhalb von zwei bis zweieinhalb Jahren zum Abschluss zu bringen gewesen. Etwa für die Dauer eines Jahres nach Klageeingang hätten die Beteiligten zur eigentlichen Sachverhaltsaufklärung Schriftsätze gewechselt. Zu einer verzögerten Bearbeitungsweise sei es erst nach Ausschreibung der Sache im August 2000 zur Sitzung gekommen, da der Verhandlungstermin erst zwei Jahre später erfolgte. Die Verzögerung sei jedoch einerseits auf die Erkrankung des Kammervorsitzenden zurückzuführen, andererseits aber wohl auch der erforderlichen vorzugsweisen Bearbeitung anderer älterer Verfahren geschuldet gewesen. Indem der Kammervorsitzende die Sache im September 2002 erneut zur Sitzung ausgeschrieben habe, ein Verhandlungstermin aber erst im Dezember 2003 stattgefunden habe, sei das Verfahren weiterhin nicht in angemessener Weise gefördert worden. Für den weiteren Verlauf sei zu berücksichtigen, dass es dem Kläger selbstverständlich freigestanden habe, nach § 109 SGG die Einholung eines weiteren Gutachtens zu beantragen, der von ihm benannte Gutachter jedoch zur Erstellung des Gutachtens etwa 14 Monate benötigt habe. Als noch vertretbar sei es schließlich anzusehen, dass ab Eingang der Stellungnahme des damaligen Beklagten zum Gutachten nach § 109 SGG bis zur erneuten Terminierung nochmals neun Monate vergangen seien. Schließlich habe das Landessozialgericht das Berufungsverfahren nach erneuter Beweisaufnahme nach bereits knapp zwei Jahren zum Abschluss gebracht, sodass zumindest ein Teil der überlangen Bearbeitungsdauer als kompensiert anzusehen sein dürfte. Insoweit sei zu beachten, dass Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) das einheitlich zu betrachtende Verfahren in allen Rechtszügen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

A. Die auf Gewährung einer Entschädigung gerichtete Klage ist zulässig.

I. Maßgebend für das vorliegende Klageverfahren sind die §§ 198 ff. GVG sowie die §§ 183, 197a und 202 SGG, jeweils in der Fassung des GRüGV vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554). Bei dem geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer handelt es sich nicht um einen Amtshaftungsanspruch im Sinne des Art. 34 des Grundgesetzes (GG). Es ist daher nicht der ordentliche Rechtsweg, sondern vorliegend der zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Denn die grundsätzlich in § 201 Abs. 1 Satz 1 vorgesehene Zuweisung der Entschädigungsklagen an das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde, wird für sozialgerichtliche Verfahren in § 202 Satz 2 SGG modifiziert. Nach dieser Regelung sind die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198-201) mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das SGG tritt. Für die Entscheidung über die Klage ist daher das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zuständig.

II. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG sind die Vorschriften des SGG über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug heranzuziehen. Gemäß § 54 Abs. 5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Der Kläger macht angesichts der Regelung des § 198 GVG nachvollziehbar geltend, auf die begehrte Entschädigungszahlung, die eine Leistung i.S.d. § 54 Abs. 5 SGG darstellt, einen Rechtsanspruch zu haben. Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl. § 198 Abs. 5 GVG). Vielmehr lässt die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 17/3802, S. 22 zu Abs. 5 Satz 1), nach der der Anspruch nach allgemeinen Grundsätzen auch vor einer Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger geltend gemacht und außergerichtlich befriedigt werden kann, erkennen, dass es sich hierbei um eine Möglichkeit, nicht jedoch eine Verpflichtung handelt.

III. Auch ist die Klage form- und fristgerecht erhoben. Die gemäß § 90 SGG für die Klage vorgeschriebene Schriftform ist eingehalten.

Gleiches gilt für die Einlegungsfrist. § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG, der vorsieht, dass eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden darf, gilt für Verfahren, die bei Inkrafttreten des GRüGV bereits abgeschlossen waren, nicht (Art. 23 Satz 5 GRüGV). Vielmehr kann nach Art. 23 Satz 6 GRüGV die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs. 1 GVG bei abgeschlossenen Verfahren sofort und muss spätestens am 03. Juni 2012 erhoben werden. Diese Frist wurde mit der am 10. Mai 2012 erhobenen Klage gewahrt.

B. Auch ist die Zahlungsklage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Der Kläger begehrt eine Entschädigung ausdrücklich nur für das beim Sozialgericht Cottbus geführte und dort etwa acht Jahre lang anhängige Verfahren. Insoweit rügt er eine Verfahrensverzögerung im Umfang von vier Jahren und macht ausschließlich einen Nachteil geltend, der kein Vermögensnachteil ist. Der Senat hält allerdings eine Entschädigung lediglich in Höhe von 3.600,00 € für angemessen, weil das Verfahren drei Jahre zu lange gedauert hat.

I. Zu Recht richtet sich die Klage gegen das hier passivlegitimierte Land Brandenburg. Denn nach § 200 Satz 1 GVG haftet für Nachteile, die aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, das Land.

Die Vertretung des Landes Brandenburg erfolgt nach Nr. 5 der Anordnung über die Vertretung des Landes Brandenburg im Geschäftsbereich des Ministers der Justiz (Vertretungsordnung JM Brdbg, Allgemeine Verfügung des Ministers der Justiz) vom 09.06.1992 (JMBl. S. 78) in der Fassung der Änderung vom 21.11.2012 (JMBl. S. 116) durch die Präsidentin des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (vgl. zur Zulässigkeit einer entsprechenden Übertragung durch eine Verwaltungsanordnung BFH, Urteil vom 17.04.2013 - X K 3/12 - zitiert nach juris, Rn. 30 ff. für die Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz vom 20.09.2007, Amtsblatt Berlin 2007, 2641).

II. Grundlage für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch ist § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet.

Der Anwendbarkeit dieser Vorschrift steht nicht entgegen, dass das von dem Kläger als unangemessen lang angesehene Verfahren vor dem Sozialgericht Cottbus bei Inkrafttreten des GRüGV am 03. Dezember 2011 (vgl. Art. 24 GRüGV) bereits abgeschlossen war. Denn nach Art. 23 S. 1 GRüGV gilt das Gesetz auch für bei seinem Inkrafttreten bereits abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim EGMR ist oder noch werden kann. Dies aber war hier der Fall. Nachdem das Sozialgericht Cottbus das Verfahren mit Urteil vom 21. Juni 2007 beendet hatte, das Berufungsverfahren beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 26. August 2009 seinen Abschluss gefunden und das Bundessozialgericht die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde mit Beschluss vom 29. Januar 2010 zurückgewiesen hatte, hatte der Kläger am 16. August 2010 die Dauer des hier streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens zum Gegenstand einer Beschwerde beim EGMR gemacht. Dass dies nicht unter Berücksichtigung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 35 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) geschehen sein könnte, wird insbesondere vom Beklagten nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere wurde die Beschwerde fristgerecht erhoben. Denn der Beschluss des Bundessozialgerichts vom 29. Januar 2010 wurde am 16. Februar 2010 abgesandt und der damaligen Bevollmächtigten des Klägers am 22. Februar 2010 zugestellt. Beim EGMR wurde die Beschwerde am 16. August 2010 und damit - unabhängig davon, ob es für den Fristbeginn auf den Zeitpunkt der Absendung (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 160a Rn. 23) oder den der Zustellung des Beschlusses (so wohl BSG, Urteil vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 und 2/12 K - zitiert nach juris, jeweils Rn. 12) ankommt - innerhalb der einzuhaltenden Sechsmonatsfrist nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung eingelegt. Es kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, ob die Einhaltung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 35 EMRK im Rahmen des Art. 23 S. 1 GRüGV erforderlich ist oder nicht (eher bejahend: BSG, Urteile vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 und 2/12 K - zitiert nach juris, jeweils Rn. 12 m.w.N.; bejahend: BGH, Urteil vom 11.07.2013 - III ZR 361/12 - Rn. 9 ff., LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 21.11.2012 - L 2 SF 436/12 EK - Rn. 66 und vom 20.02.2013 - L 2 SF 1495/12 - Rn. 43, ablehnend: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.11.2012 - L 10 SF 5/12 ÜG - Rn. 186 f.)

Einer vorherigen Verzögerungsrüge i.S.d. § 198 Abs. 3 GVG bedurfte es nicht; gemäß Art. 23 S. 5 GRüGV sind die Absätze 3 und 5 des § 198 GVG auf bei seinem Inkrafttreten abgeschlossene Verfahren nicht anzuwenden.

III. Nach § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG ist ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe. Unter rechtskräftigem Abschluss ist die formelle Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen, sodass in die Verfahrensdauer auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einbezogen ist (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG, Rn. 54 m.w.N.). Damit erstreckt sich die Dauer des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens beim Sozialgericht Cottbus auf die Zeit von der Klageerhebung am 18. August 1999 bis zur Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe am 15. bzw. 17. August 2007 bei den Beteiligten.

Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch setzt damit voraus, dass überhaupt eine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens vorliegt (hierzu im Folgenden zu IV.), er als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten hat (hierzu im Folgenden zu V.), nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG nicht ausreichend ist (hierzu im Folgenden zu VI.) und der geforderte Betrag als Entschädigung angemessen ist (hierzu im Folgenden zu VII.). Dies ist im Wesentlichen der Fall.

IV. Ob die Verfahrensdauer angemessen ist, richtet sich nicht nach starren Fristen. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber bewusst (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/3802, S. 18 zu § 198 Abs. 1) von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen, weil eine abstrakt-generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist (vgl. Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 Rn. 68 m.w.N.).

Vielmehr regelt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausdrücklich, dass es auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten ankommt. Lediglich beispielhaft und ohne abschließenden Charakter werden hier - in Anknüpfung an die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sowie vom EGMR im Zusammenhang mit der Frage überlanger gerichtlicher Verfahren entwickelten Maßstäbe - Umstände benannt, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind. Maßgebend bei der Beurteilung der Verfahrensdauer ist danach - so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks. 17/3802, S. 18 f. zu § 198 Abs. 1) - unter dem Aspekt einer möglichen Mitverursachung zunächst die Frage, wie sich der Entschädigungskläger selbst im Ausgangsverfahren verhalten hat. Außerdem sind insbesondere zu berücksichtigen die Schwierigkeit, der Umfang und die Komplexität des Falles sowie die Bedeutung des Rechtsstreits. Hier ist nicht nur die Bedeutung für den auf Entschädigung klagenden Verfahrensbeteiligten aus der Sicht eines verständigen Betroffenen von Belang, sondern auch die Bedeutung für die Allgemeinheit. Relevant ist ferner das Verhalten sonstiger Verfahrensbeteiligter sowie das Verhalten Dritter. Wird eine Verzögerung durch das Verhalten Dritter ausgelöst, kommt es darauf an, inwieweit dies dem Gericht zugerechnet werden kann. So kann ein Verzögerungen auslösendes Verhalten Dritter, auf das das Gericht keinen Einfluss hat, keine Unangemessenheit der Verfahrensdauer begründen. Ob insbesondere die häufig durch die Einholung von Sachverständigengutachten entstehenden Verzögerungen dem Gericht zuzurechnen sind, muss bei einer ex-post-Betrachtung durch das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der richterlichen Unabhängigkeit anhand der Einzelfallumstände beurteilt werden. Dabei kann eine Rolle spielen, inwieweit das Gericht Möglichkeiten, auf eine zügige Gutachtenerstattung hinzuwirken, ungenutzt gelassen hat. Zum Tragen kommen kann auch, ob es im konkreten Fall Handlungsalternativen insbesondere hinsichtlich Gutachterauswahl und -wechsel gegeben hat. Der Staat kann sich zur Rechtfertigung der überlangen Dauer eines Verfahrens hingegen nicht auf Umstände innerhalb des staatlichen Verantwortungsbereichs berufen; vielmehr muss er alle notwendigen Maßnahmen treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist beendet werden können. Deshalb kann bei der Frage der angemessenen Verfahrensdauer nicht auf die chronische Überlastung eines Gerichts, länger bestehende Rückstände oder eine allgemein angespannte Personalsituation abgestellt werden.

Allerdings reichen die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Umstände nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteile vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 und 2/12 KL -, zitiert nach juris, jeweils Rn. 25 ff. und m.w.N.), der der Senat sich anschließt, zur Ausfüllung des Begriffs der unangemessenen Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nicht aus. Vielmehr sind diese Umstände in einen allgemeinen Wertungsrahmen einzuordnen. So verdeutlicht bereits die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an den als Grundrecht nach Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK qualifizierten Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit, dass es auf eine Beeinträchtigung eines Grund- und Menschenrechts durch die Länge des Gerichtsverfahrens ankommt. Es wird damit von vornherein eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt, sodass nicht jede Abweichung vom Optimum ausreicht, vielmehr eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen vorliegen muss. Weiter verbietet sich das Ziehen einer engen zeitlichen Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer zum einen im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zur Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 Abs. 1 GG), zum anderen unter Berücksichtigung des Ziels einer inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidungen.

Gemessen daran ist das streitgegenständliche Ausgangsverfahren vor dem Sozialgericht Cottbus, das ab Eingang der Klage bis zur Zustellung der erstinstanzlichen Urteilsgründe acht Jahre gedauert hat, zwar als überlang einzustufen, dies allerdings nicht in dem vom Kläger geltend gemachten Umfang von vier, sondern lediglich von drei Jahren.

Das Ausgangsverfahren ist zur Überzeugung des Senats als eher überdurchschnittlich komplex anzusehen. Denn zwar hatte das Gericht nicht über schwierige, bis dahin ungeklärte Rechtsfragen zu urteilen. Wohl aber bedurfte die Klärung, ob die im Ausgangsverfahren beklagte Unfallkasse zu Recht eine toxische Enzephalopathie nicht als Berufskrankheit anerkannt hatte, der Anstrengung verschiedener Ermittlungen. So war zum einen zu klären, ob und in welchem Maße der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit überhaupt schädigenden Substanzen ausgesetzt war. Zum anderen war festzustellen, ob eine entsprechende Exposition zu den von ihm geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Angesichts der mit der Anerkennung ggf. verbundenen Auswirkungen stellte sich die Bedeutung der Sache für den Kläger schließlich keinesfalls als unbedeutend dar.

Mit Blick auf den Verfahrensverlauf ist festzustellen, dass weder dem Kläger noch der damaligen Beklagten Verzögerungen anzulasten sind. Auch ist die Sache vom Eingang der Klage am 18. August 1999 bis zum 28. Juli 2000 konsequent betrieben worden. Zu einer Verzögerung ist es erstmals gekommen, nachdem die damalige Bevollmächtigte des Klägers zu letztgenanntem Termin - wie erbeten - noch Zeugen benannt hatte. Erst nach mehreren zwischenzeitlichen Sachstandsanfragen und gerichtlichen Hinweisen auf die beabsichtigte Terminierung bzw. Erkrankung des Vorsitzenden erfolgte zwei Jahre später, nämlich mit am 02. August 2006 abgesandten Schreiben die Ladung auf den 16. August 2002. Weitere vier Tage später wurde - auf einen entsprechenden Hinweis der Bevollmächtigten hin - noch versucht, Zeugen nachzuladen, was teilweise nicht mehr möglich war. Auch unter Berücksichtigung, dass kein Anspruch auf eine optimale Bearbeitung besteht, wäre hier eine frühere Terminierung nicht nur wünschenswert, sondern auch erforderlich gewesen. Denn zwar kann von den Gerichten schon im Hinblick darauf, dass andernfalls komplexere Verfahren faktisch nie bearbeitet werden könnten, nicht verlangt werden, eine als entscheidungsreif angesehene Sache unabhängig von der Dauer ihrer Anhängigkeit stets umgehend einer Erledigung zuzuführen. Auch muss - gerade unter Berücksichtigung der richterlichen Unabhängigkeit - jedem Vorsitzenden zugebilligt werden, im Rahmen des ihm zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraums die Verhandlungstermine nach eigenem Ermessen zusammenzustellen. Denn insofern können neben dem Aspekt der jeweiligen Verfahrensdauer und fachlichen wie thematischen Erwägungen namentlich auch Überlegungen der Prozessökonomie sowie Bemühungen, den übrigen Verfahrensbeteiligten das Erscheinen für nur einen einzigen Termin zu ersparen, eine Rolle spielen. Angesichts der Bedeutung der Sache für den Kläger und unter Berücksichtigung der mit zunehmendem Zeitablauf erfahrungsgemäß immer schwieriger werdenden Beweisgewinnung erscheint es vorliegend allerdings nicht mehr vertretbar, dass mit der Beweisaufnahme in Form der Vernehmung der benannten Zeugen zwei Jahre zugewartet wurde. Spätestens nach einem Jahr wäre vielmehr die Ladung zur Beweisaufnahme nötig gewesen.

Zu einer weiterennunmehr vierzehnmonatigen Verzögerung ist es gekommen, nachdem der Termin am 16. August 2002 zu keiner Verfahrensbeendigung geführt hatte. Unter Beachtung der vorstehenden Erwägungen sowie der mit zunehmender Dauer des Verfahrens an die Angemessenheit zu stellenden Anforderungen (BVerfG, Beschlüsse vom 20.07.2000 - 1 BvR 352/00 - zitiert nach juris, Rn. 11 sowie vom 02.12.2011 - 1 BvR 314/11 -, zitiert nach juris, Rn. 7) erscheint es nicht mehr vertretbar, dass das zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Jahren anhängige Verfahren Mitte September 2002 erneut "nur" als entscheidungsreif ausgeschrieben wurde, hingegen erst Mitte November 2003 eine erneute Terminierung zum 03. Dezember 2003 erfolgte.

Nach erneuter Vertagung des Verfahrens zur Sachaufklärung und dem Kläger eingeräumter Zeit, weitere Beweismittel zu benennen, war ab Eingang des entsprechenden Schriftsatzes der damaligen Bevollmächtigten des Klägers am 12. Mai 2004 deutlich, dass seitens des Klägers keine weiteren Beweismittel beigebracht werden würden. Soweit der Vorsitzende erst etwa vier Monate später ein medizinisches Gutachten in Auftrag gab, ist dies letztlich - auch unter Berücksichtigung der zunehmenden Verfahrensförderungspflicht - nicht zu beanstanden. Zwar wäre im Rahmen einer optimalen Bearbeitung eine schnellere Beweisanordnung wünschenswert gewesen. Dem Gericht ist jedoch auch zuzubilligen, dass es vorrangig erst einmal würdigt, ob weiterer Beweis überhaupt erhoben werden muss, und prüft, welches Beweismittel hierzu geeignet ist.

Nach Eingang des Gutachtens ca. drei Monate später und Übersendung desselben an die Beteiligten beantragte der Kläger Mitte Februar 2005 die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG. Im März 2005 ging der Kostenvorschuss ein, die Beauftragung des Sachverständigen erfolgte erst zwei Monate später. Diese Verzögerung ist dem Beklagten als entschädigungsrelevant zuzurechnen. Bei einem inzwischen fünfeinhalb Jahre anhängigen Verfahren darf der Kläger erwarten, dass es dem Gericht möglich ist, den nicht mehr mit einer Prüfung verbundenen, sondern im Wesentlichen auf das Ausfüllen des entsprechenden Vordrucks beschränkten Arbeitsschritt innerhalb weniger Tage zu erledigen.

Soweit bis zum Eingang des Gutachtens am 31. Juli 2006 letztlich weitere etwa 14 Monate vergingen, ist dies hingegen nicht dem Beklagten anzulasten. Vielmehr hat sich der Vorsitzende der zuständigen Kammer in dieser Zeit in gebotener Form bemüht, auf eine zügige Erstattung des Gutachtens hinzuwirken. Zu beachten ist insoweit, dass zögerliches Verhalten Dritter nur dann dem Beklagten anzulasten ist, wenn das Gericht auf deren Verhalten hätte Einfluss nehmen können. Dies ist hier jedoch in nur sehr eingeschränktem Maße der Fall gewesen und letztlich in einer nicht zu beanstandenden Form geschehen. Auf die Auswahl des Sachverständigen konnte der Kammervorsitzende nicht einwirken, vielmehr hatte er auf den entsprechenden Antrag des Klägers hin den konkreten Sachverständigen zu beauftragen. In seinem Auftrag hat er diesen weiter ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er im Hinblick auf die bisherige Verfahrensdauer um bevorzugte Erledigung bitte. Dass erstmals im September 2005 eine Sachstandsanfrage durch das Gericht erfolgte, ist nicht zu beanstanden. In sozialgerichtlichen Verfahren kann erfahrungsgemäß mit dem Eingang eines medizinischen Gutachtens nicht vor Ablauf von drei Monaten gerechnet werden und wird daher typischerweise regelmäßig erst nach vier bis fünf Monaten eine Sachstandsanfrage an den jeweiligen Gutachter gerichtet. Nachdem dies hier geschehen war und der Gutachter im Oktober 2005 eine Zusatzuntersuchung für erforderlich erklärt hatte, war abzusehen, dass der angeforderte Kostenvorschuss nicht ausreichen würde. Noch im Oktober wurde daraufhin ein weitergehender Vorschuss vom Gericht angefordert, vom Kläger einbezahlt und die Einholung des Zusatzgutachtens angeordnet. Mitte März 2006 - und damit unter Berücksichtigung erneut der üblichen Begutachtungsdauer - erkundigte sich der Vorsitzende wieder bei dem Sachverständigen nach dem Sachstand, woraufhin dieser über den für den 23. März 2006 angesetzten Untersuchungstermin informierte. Letztlich legte er das Gutachten dann etwa vier Monate später am 31. Juli 2006 bei Gericht vor. Dass der Vorsitzende in der gesamten Zeit davon abgesehen hat, mit Ordnungsmitteln zu arbeiten, führt nicht dazu, dass jedenfalls Teile dieses Verfahrensabschnitts als von entschädigungsrelevanter Dauer anzusehen wären. Gerade im Zusammenhang mit der Einholung von Gutachten nach § 109 SGG darf das Gericht im Interesse des Rechtsuchenden, der sich für den konkreten Sachverständigen entschieden hat, beim Einsatz von Zwangsmitteln Augenmaß walten lassen. Denn es hat dabei auch zu beachten, dass eine vorschnelle Drohung mit Zwangsmaßnahmen zumindest befürchten lässt, das Gutachten, für dessen Kosten vorbehaltlich einer späteren anderen Entscheidung der Kläger aufzukommen hat, werde nicht in der gebotenen Gründlichkeit und damit Qualität erstattet werden. Jedenfalls solange sich nicht aufdrängt, dass die durch das Gericht gezeigte Zurückhaltung als Untätigkeit zu qualifizieren ist, oder seitens des Klägers selbst Zwangsmittel angeregt werden, kann die mit dem Zuwarten einhergehende Verfahrensdauer nicht als entschädigungsrelevant angesehen werden. Vorliegend aber gibt es keinerlei Anlass, das Abwarten des Vorsitzenden als Untätigkeit zu qualifizieren. Im Gegenteil hat er in angemessenen Zeitabständen immer wieder den Kontakt zu dem Sachverständigen gesucht, der wiederum auf die Anfragen stets reagiert und erkennen lassen hat, dass auf die Fertigstellung des Gutachtens hingearbeitet werde.

Wohl aber ist es dem Beklagten anzulasten, dass nach Übersendung des Gutachtens an die Beteiligten Anfang August 2006 und nach Eingang der Stellungnahme der damaligen Beklagten hierzu am 06. September 2006 der Rechtsstreit erst Ende Mai 2007 und damit nach mehr als weiteren acht Monaten, auf den 21. Juni 2007 terminiert wurde. Die Sache war bei Eingang der letzten Stellungnahme bereits sieben Jahre anhängig und hätte daher schnellstmöglich einer Erledigung zugeführt werden müssen. Soweit im Folgenden von der Entscheidung am 21. Juni 2007 bis zur Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe knapp zwei Monate vergingen, ist dies hingegen nicht zu beanstanden.

Eine Addition der aufgezeigten, dem Beklagten zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen führt zur Annahme einer Überlänge von 36 Monaten. Weder rechtfertigt eine abschließende Gesamtwürdigung des Ablaufs des Verfahrens unter Beachtung seiner Bedeutung und Schwierigkeit eine abweichende Einschätzung noch vermag – anders als der Beklagte meint – das Berufungsverfahren die Überlänge von 36 Monaten (teilweise) zu kompensieren. Zwar geht der Senat bereits mit Blick auf die - auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens abstellende - Legaldefinition in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG davon aus, dass Beurteilungsmaßstab für die Verfahrensdauer letztlich das gesamte Verfahren bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss ist, und dies auch dann, wenn nur das Verfahren in einer der Instanzen zum Streitgegenstand gemacht wird. Denn Gegenstand des jeweiligen Ausgangsverfahrens ist ein vom Kläger bzw. der Klägerin geltend gemachter prozessualer Anspruch, über den – so von der Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, Gebrauch gemacht – nicht in nur einer Instanz geurteilt wird. Weiter ist es gerade in der Sozialgerichtsbarkeit mit zwei vollständigen Tatsacheninstanzen typisch, dass der Umfang der erstinstanzlich getätigten Ermittlungen das Ausmaß der in der zweiten Instanz noch anzustrengenden bedingt, sodass eine isolierte Betrachtung beider Instanzenzüge zu zufälligen und damit nicht unbedingt gerechten Ergebnissen führen würde. Ist entschädigungsrelevantes Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG jedoch das Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss insgesamt, kann eine Entscheidung darüber, ob gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen worden ist, typischerweise erst dann getroffen werden, wenn das Verfahren abgeschlossen ist. Insofern ist es durchaus denkbar, dass die etwas verzögerte Bearbeitung in der ersten Instanz durch eine besonders zügige Bearbeitung in den weiteren Instanzen (teilweise) kompensiert wird. Allerdings wird eine noch so schnelle Bearbeitung in einer Instanz kaum geeignet sein, eine eklatant überlange Dauer in der anderen noch auszugleichen.

Vorliegend ist das Verfahren vor dem Landessozialgericht konsequent betrieben worden, hat aber letztlich – angesichts der Einholung eines weiteren medizinischen, nunmehr für den Kläger negativen Gutachtens keinesfalls untypisch – ausgehend ab Zustellung der erstinstanzlichen Urteilsgründe auch zwei Jahre und drei Monate gedauert. Dies ist für sich genommen völlig angemessen, umgekehrt aber auch nicht geeignet, die frühere dreijährige Verfahrensverzögerung auch nur teilweise auszugleichen.

V. Durch diese überlange Verfahrensdauer hat der Kläger einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt bereits aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich und auch von dem Beklagten nicht vorgebracht worden.

VI. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Absatz 4 GVG, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ist zur Überzeugung des Senats nicht ausreichend (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Unter Würdigung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 und Art. 41 EMRK, nach der eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens nur ausnahmsweise in Betracht kommt, besteht vorliegend kein Anlass, von der gesetzlich als Normalfall vorgesehenen Zahlung einer Entschädigung abzusehen. Entsprechende Gründe hat auch der Beklagte nicht geltend gemacht.

VII. Ausgehend von der im Umfang von drei Jahren überlangen Dauer des gerichtlichen Verfahrens beläuft sich die dem Kläger zustehende angemessene Entschädigung gemäß § 198 Abs. 2 S. 3 GVG auf 3.600,00 €. Soweit das Gericht nach § 198 Abs. 2 S. 4 GVG einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen kann, sieht der Senat hierfür keinen Anlass. Anhaltspunkte, die den Ansatz des gesetzlich vorgesehenen Pauschalbetrages unbillig und daher eine abweichende Festsetzung notwendig erscheinen lassen könnten, sind weder ersichtlich noch von den Beteiligten vorgetragen. Ebenso wenig hatte der Senat schließlich Veranlassung, von der in § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG vorgesehenen Möglichkeit, in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung die Unangemessenheit der Verfahrensdauer auszusprechen, Gebrauch zu machen.

VIII. Der Anspruch auf die von dem Kläger geltend gemachten Zinsen ab Eingang der Entschädigungsklage bei Gericht ergibt sich schließlich aus einer entsprechenden Anwendung der §§ 288 Abs. 1, 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Es ist nicht ersichtlich, dass diesem Anspruch sozialrechtliche Besonderheiten entgegenstehen könnten (so auch Hessisches LSG, Urteil vom 06.02.2013 - L 6 SF 6/12 EK U - zitiert nach juris, Rn. 83). Bzgl. des Beginns der Zinszahlungspflicht hat der Senat auf die erfolgte Übersendung der Klageschrift an den Beklagten nach Eingang des Gerichtskostenvorschusses abgestellt.

IX. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1 ZPO war im Hinblick auf die Regelungen der §§ 202, 198 Abs. 1 SGG nicht auszusprechen.

Die Revision war nach §§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 202 Satz 2 SGG, 201 Abs. 2 Satz 3 GVG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Die Streitwertentscheidung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 1 und Abs. 3GKG.