Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 9. Senat | Entscheidungsdatum | 26.03.2014 | |
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Aktenzeichen | L 9 KR 524/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 37 SGB 5 |
1.) Versicherte, die Leistungen der Eingliederungshilfe in einer stationären Einrichtung erhalten, habe keinen Anspruch gegen ihre Krankenkasse auf Versorgung mit einfachen Leistungen der Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 S 1 SGB V, wenn und soweit sie diese Leistungen auch vom Einrichtungsträger (hier: aufgrund des Heimvertrags) beanspruchen können.
2.) Subkutanen Injektionen sind einfache Leistungen der Behandlungspfleger.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 30. Oktober 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für Leistungen der häuslichen Krankenpflege.
Der 1986 geborene Kläger ist mehrfach behindert (blind, taub) und auf einen Rollstuhl angewiesen. Er bezieht seit Juni 2005 Leistungen nach Pflegestufe I der sozialen Pflegeversicherung (Sozialgesetzbuch/Elftes Buch - SGB XI). Er lebt in der Wohnstätte A, einer Einrichtung der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch (SGB XII) für Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen, und erhält Leistungen der Grundsicherung, Eingliederungs- und Blindenhilfe nach dem Vierten, Sechsten und Neunten Kapitel des SGB XII. Der mit Wirkung ab dem 1. August 2010 zwischen dem Kläger und dem Einrichtungsträger (M GmbH) geschlossene Wohn- und Betreuungsvertrag (WBV) enthält u.a. folgende Regelungen:
„§ 3 Umfang der Betreuung und Assistenz
Bei Bewohnern/Bewohnerinnen, die Sozialhilfeleistungen erhalten, richten sich die von der Einrichtung zu erbringenden Leistungen nach den Regelungen zur Eingliederungshilfe nach dem 6. Kapitel des SGB XII sowie nach der mit dem Landkreis P-M geschlossenen Leistungsvereinbarung gem. § 75 Abs. 3 SGB XII in ihrer jeweils gültigen Fassung. Es erfolgt eine Differenzierung nach Leistungstypen und Gruppen für Leistungsberechtigte mit vergleichbarem Hilfebedarf (Hilfebedarfsgruppe) auf Grundlage des sog. H.M.B.-W-Verfahrens (nach Dr. Metzler). Bei selbstzahlenden Bewohnern/Bewohnerinnen richten sich die von der Einrichtung zu erbringenden Leistungen nach dem entsprechend zu ermittelnden individuellen Hilfebedarf.
Bei Vertragsschluss liegt eine Bewilligung des Leistungsträgers für folgenden Leistungstyp vor:
LT 5
Die Bewohner/die Bewohnerin wird demnach bei Vertragsschluss für den Leistungstyp 5 in die Hilfebedarfsgruppe IV eingestuft.
Die Vertragspartner sind sich im Hinblick auf die Zielsetzung der Eingliederungshilfe darüber einig, dass die Einrichtung – die Bewilligung durch den Sozialleistungsträger vorausgesetzt – nur dann die unter § 3a und § 3 b aufgeführten Leistungen erbringt, soweit der Bewohner/die Bewohnerin nicht in der Lage ist, diese selbständig durchzuführen. Soweit erforderlich, unterstützt die Einrichtung den Bewohner/die Bewohnerin bei Tätigkeiten durch Anleitung bzw. Unterstützung. Näheres ergibt sich aus dem individuellen Hilfeplan.
§ 3a) Betreuung und Assistenz – personenbezogene Leistungen im Bereich Wohnen für Bewohner im Leistungstyp 6 „Wohnen ohne Gestaltung des Tages“
1. Die Maßnahmen der Betreuung, Förderung und Assistenz orientieren sich an dem individuellen Hilfebedarf des Bewohners und werden nach fachlichen Kriterien der Pädagogik und Heilpädagogik geplant und in abgestufter Form als Hilfe zur Selbsthilfe außerhalb der Zeiten tagesstrukturierender Maßnahmen (diese sind montags bis freitags von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr) durchgeführt. Sie umfassen die Beratung, Begleitung, Ermutigung, Aufforderung, Motivation, Begründung, Beaufsichtigung, Kontrolle, Korrektur, Unterstützung, Anleitung und Assistenz bis zur stellvertretenden Hilfeleistung. Die Einrichtung verpflichtet sich, bei Neuaufnahmen zur Formulierung eines individuellen Hilfeplanes innerhalb von 6 Wochen.
2. … Die Betreuungsleistung gliedert sich nach dem H.M.B.-W-Verfahren wie folgt:
…
g) Gesundheitsförderung und -erhaltung, Pflegeleistungen
Wir übernehmen neben der Beobachtung und Überwachung des Gesundheitszustandes auch die Anleitung zur gesunden Lebensführung in Bezug auf den verantwortlichen Umgang mit Genussmitteln, auf eine ausgewogene Ernährung, auf ausreichende Bewegung sowie auf die Durchführung notwendiger rehabilitativer Maßnahmen. Leistungen der Behandlungspflege, die im Rahmen häuslicher Krankenpflege gem. § 37 SGB V zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erbracht werden können, werden von der Einrichtung nicht geschuldet. Im Rahmen der Möglichkeiten der Einrichtung werden allgemeine pflegerische Leistungen als integraler Bestandteil der Eingliederungshilfe bei Erkrankungen erbracht, die keine Krankenhausbehandlung erforderlich machen. Nicht hingegen erbracht werden Leistungen der Behandlungspflege die nur von medizinischen Fachkräften durchgeführt werden können, z.B. Tracheostomapflege. Wir unterstützen Sie bei der Wahrnehmung Ihrer Rechte als Mitglied der Gesetzlichen Krankenversicherung. Unter Berücksichtigung der freien Arztwahl vermittelt die Einrichtung im Bedarfsfall erforderliche ärztliche Hilfen und bietet Begleitung an. Die Leistungen des hinzugezogenen niedergelassenen Arztes oder des Krankenhauses sind nicht Gegenstand des Heimvertrages. Gleichermaßen vermittelt die Einrichtung zur Durchführung ärztlich verordneter Maßnahmen Bewegungstherapie, Sprachtherapie und Ergotherapie.
§ 3 b Betreuung und Assistenz – personenbezogene Leistungen im Leistungstyp 5 „Wohnen mit Gestaltung des Tages“
. Die Bewohner mit dem Leistungstyp 5 „Wohnen mit Gestaltung des Tages“ erhalten alle Leistungen des Leistungstyps 6 (vgl. § 3a). Darüber hinaus bieten wir eine nach Neigung und Eignung bedarfsgerechte Betreuung nach einem individuellen Wochenplan mit wohngruppenübergreifenden Betreuungs- und Beschäftigungsangeboten in zwei Gruppen sowie individuellen Einzelmaßnahmen an. Die Betreuungszeit (montags bis freitags von 8.00 Uhr bis 16.00 Uhr) beträgt 40 Stunden/Woche. Die Stundenzahlen umfassen auch Erholungszeiten und Zeiten der Beaufsichtigung. Sofern Art und Schwere der Behinderung dies erfordern, wird eine kürzere Beschäftigungszeit ermöglicht.
. Die Erfassung des individuellen Hilfebedarfs und die Hilfeplanung im Beschäftigungsbereich orientieren sich an der Systematik des H.M.B.-T-Verfahrens (Hilfebedarf in der Gestaltung des Tages von Dr. Metzler). Die Einrichtung verpflichtet sich zur Erstellung eines Hilfeplans, der in Zusammenarbeit mit dem Bewohner/der Bewohnerin erarbeitet wird. Der Hilfeplan wird kontinuierlich fortgeschrieben, dokumentiert und mindestens alle 12 Monate überprüft. Der Hilfebedarf gliedert sich wie folgt:
g) Gesundheitsvorsorge/-fürsorge
. Prävention von und Umgang mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen
Medikamentenvergabe und Durchführung anderer ärztlicher Verordnungen sowie grundpflegerische Leistungen, die in der Beschäftigungszeit erforderlich sind.
. Sorge um die eigene Sicherheit
Anleitung, Übung und Beaufsichtigung im Umgang mit Werkzeugen, Geräten und Maschinen.
. Vermeidung selbstgefährdender Verhaltensweisen
Motivation und Anleitung zum Abbau selbstgefährdender Verhaltensweisen.“
Nach einem Krankenhausaufenthalt verordnete der Facharzt für Kinderheilkunde Dr. K dem Kläger am 2. September 2010 (Donnerstag) für die Zeit vom 1. bis 20. September 2010 häusliche Krankenpflege zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung. Die am 3. September 2010 bei der Beklagten eingegangene Verordnung betraf die Medikamentengabe sowie das Herrichten von Injektionen für das Arzneimittel Clexane 20 (ein Antikoagulans zur Thromboseprophylaxe) einmal täglich subkutan. Als verordnungsrelevante Diagnosen wurden angegeben:
- Z 99.3 G
(langzeitige Abhängigkeit vom Rollstuhl)
- M 41.45 G
(neuromyopathische Skoliose im Thorakal-/Thorakolumbalbereich)
- Q 66.9 GB
(angeborene Deformität der Füße, nicht näher bezeichnet)
- G 80.0 G
(spastische tetraplegische Zerebralparese)
- G 40.4 G
(sonstige generalisierte Epilepsie und epileptische Syndrome)
- F 73.1 G
(schwerste Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung, die Beobachtung oder Behandlung erfordert).
Mit Bescheid vom 8. September 2010 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die verordnete Behandlungspflege ab, weil der Kläger in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen lebe und zudem vollstationäre Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehe, so dass die Kosten einer gegebenenfalls notwendigen medizinischen Behandlungspflege in jedem Fall bereits über die Leistungen der Pflegeversicherung abgegolten seien. Der am 10. September 2010 verfasste Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2010).
Die ärztlich verordneten Leistungen der häuslichen Krankenpflege wurden von einem Pflegedienst (Pflegeteam H) des Beigeladenen erbracht. Hierfür stellte dieser dem Kläger unter dem 3. März 2011 121,22 Euro in Rechnung. Die Rechnung wurde während des Klageverfahrens beglichen.
Mit seiner Klage hat der Kläger vorgebracht, er habe die Leistungen des Beigeladenen zunächst in der Annahme entgegengenommen, es handele sich dabei um eine von der Beklagten geschuldete und daher von ihr zu zahlende Leistung. Mit Zugang der abschlägigen Entscheidung vom 8. September 2010 habe die Inanspruchnahme der Leistungen jedoch nicht geendet. Er habe sie vielmehr gleichwohl in der Kenntnis der Ablehnung entgegengenommen und sei durch die tatsächliche Inanspruchnahme trotz Kenntnis der Leistungsversagung durch die Beklagte der privatrechtlich Zahlungsverpflichtete aufgrund eines konkludenten Vertragsschlusses geworden. Die Injektionen hätten nach der Entlassung aus der zuvor erfolgten stationären Krankenhausbehandlung fortgeführt werden müssen. Seine gesetzliche Vertreterin habe nur Kontakt mit dem Heim gehabt, welches dann seine frühere Prozessbevollmächtigte eingeschaltet habe. Seine gesetzliche Vertreterin habe weiter keinen Kontakt zum Pflegedienst gehabt, dies sei alles über die Einrichtung gelaufen.
Mit Urteil vom 30. Oktober 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt:
Zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen habe keine wirksame bürgerlich-rechtliche Verpflichtung dergestalt bestanden, dass der Kläger die Kosten zu tragen habe, soweit die Beklagte die Leistungen ablehne. Denn der Kläger sei davon ausgegangen, dass die Behandlungspflegeleistungen Leistungen der Beklagten seien. Auch nach der Leistungsablehnung durch die Beklagte sei eine entsprechende privatrechtliche Vereinbarung nicht geschlossen worden. Denn nach den Mitteilungen der gesetzlichen Vertreterin in der mündlichen Verhandlung habe diese mit dem Beigeladenen keine mündliche oder schriftliche Vereinbarung darüber getroffen, dass dem Kläger die Leistungen gegen eine Bezahlung erbracht werden sollten.
Im Übrigen habe die Beklagte die Leistungen auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Unabhängig davon, ob nach dem Wohn- und Betreuungsvertrag oder dem Rahmenvertrag mit dem Sozialhilfeträger ein Anspruch des Klägers auf Gewährung der begehrten Leistungen der Behandlungspflege bestanden haben könnte, gehe die Kammer davon aus, dass die Wohnstätte, bei der es sich um eine vollstationäre Einrichtung der Behindertenhilfe im Sinne von § 43a SGB XI handele, kein „sonstiger geeigneter Ort“ sei, weil der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auch einen Anspruch auf erforderliche medizinische Pflegeleistungen beinhalte. Würden nämlich Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen im Sinne von § 43a SGB XI erbracht, umfasse gemäß § 55 Abs. 1 SGB XII die Leistung auch die Pflegeleistungen in der Einrichtung. Die nach § 43a Satz 1 SGB XI von der Pflegekasse für Pflegebedürftige in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen zu zahlende Pauschale gelte die in § 43 Abs. 2 SGB XI aufgeführten Leistungen voll ab.
Gegen dieses ihm am 10., 11. oder 18. Dezember 2012 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 28. Dezember 2012, zu deren Begründung er vorträgt: Zwischen dem Heim und der Betreuerin, die nicht jeden Tag vor Ort sei, sei grundsätzlich abgesprochen, dass das Heim die Betreuerin unterrichte, sofern dies notwendig sei. Im Rahmen der Verordnung durch den Arzt habe sich die Betreuerin darauf verlassen können, dass die Einrichtung sich um die notwendige Umsetzung, als z.B. die Beauftragung eines geeigneten Pflegedienstes in ihrem bzw. seinem Namen kümmere. Im Rahmen dessen sei die Betreuerin davon ausgegangen, dass es sich um eine medizinisch notwendige Behandlung handele, die die Einrichtung nicht selbst leisten könne und für die daher die Beklagte zu zahlen habe. Für die Betreuerin, die die Voraussetzungen von § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) nicht gekannt habe, sei es in erster Linie darauf angekommen, dass der Kläger medizinisch versorgt werde. Selbst wenn sie die besonderen Voraussetzungen nach § 13 Abs. 3 SGB V gekannt hätte, hätte sie nur die Möglichkeit gehabt, entweder für ihn – den Kläger – auf Gewährung einer Sachleistung zu klagen oder die Behandlung auf eigene Rechnung zu beschaffen und von der Krankenkasse die Erstattung der Kosten zu verlangen. Die erste Variante scheide aus Sicht der Betreuerin aus, weil ein Aufschub nicht möglich gewesen sei. Der zweiten Variante stehe entgegen, dass er lediglich nur noch über geringfügige finanzielle Mittel verfüge. Dem entsprechend hätte die Betreuerin eigentlich keine der beiden Varianten wählen können. Die tatsächliche Inanspruchnahme einer üblicherweise nur gegen Vergütung gewährten Leistung reiche aus, um das vom Sozialgericht verneinte Leistungsverhältnis zu begründen. Im Übrigen sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass Versicherte einen Anspruch auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege grundsätzlich auch dann haben, wenn sie in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe lebten. Ein Anspruch nach § 37 Abs. 2 SGB V sei nur dann ausgeschlossen, wenn der Betreute einen Anspruch auf Erbringung der beantragten Leistungen gegen den Einrichtungsträger habe, was bei ihm – dem Kläger – nicht der Fall sei. Aus dem Wohn- und Betreuungsvertrag ergebe sich, dass Leistungen der Behandlungspflege, die nur von medizinischen Fachkräften durchgeführt werden könnten, nicht erbracht würden. Die Leistungen des Pauschalbetrages nach § 43a SGB XI führe lediglich dazu, dass ein weiterer Anspruch auf Behandlungspflege nicht gegen die Pflegeversicherung bestehe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 30. Oktober 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 121,22 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat eine Stellungnahme der ehemaligen Pflegedienstleiterin des Pflegeteams H, D, eingeholt. Ferner hat er zum einen die zwischen dem o.g. Einrichtungsträger und dem Landkreis P-M mit Wirkung zum 1. Juli 2010 geschlossene Vereinbarung nach § 75 SGB XII und andererseits den im Land Brandenburg geltenden Rahmenvertrag nach § 79 SGB XII nebst Anlagen beigezogen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 8. September 2010 und 7. Oktober 2010 sind rechtmäßig. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Erstattung derjenigen Kosten zu, die ihm für Leistungen der häuslichen Krankenpflege in der Zeit vom 2. bis 20. September 2010 in Rechnung gestellt wurden.
I. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (1. Alt.) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (2. Alt.) und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Ein – auch im Rahmen der Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V erforderlicher – (primärer) Sachleistungsanspruch bestand für nahezu den gesamten streitigen Zeitraum (hierzu unter 1.). Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Kostenerstattung liegen vor (hierzu unter 2.).
1. Rechtsgrundlage ist insoweit § 37 Abs. 2 SGB V. Nach dessen Satz 1 erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist; der Anspruch umfasst verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15 SGB XI zu berücksichtigen ist.
Diese parlamentsgesetzlichen Vorgaben werden konkretisiert durch die Richtlinie über die Verordnung von Häuslicher Krankenpflege (HKP-RL), die der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz, Satz 2 Nr. 6, Abs. 7 SGB V zur Sicherung der ärztlichen Versorgung über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten beschlossen hat. Dem ergänzenden Auftrag nach § 37 Abs. 6 SGB V, in den HKP-RL ferner festzulegen, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können, hat der GBA durch § 1 Abs. 1 Sätze 2 bis 4, Abs. 6 und 7 Satz 1 HKP-RL (in der im September 2010 geltenden Fassung) entsprochen:
(2) […] Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht auch an sonstigen geeigneten Orten, an denen sich die oder der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält und an denen
- die verordnete Maßnahme zuverlässig durchgeführt werden kann und
- für die Erbringung der einzelnen Maßnahmen geeignete räumliche Verhältnisse vorliegen (z. B. im Hinblick auf hygienische Voraussetzungen, Wahrung der Intimsphäre, Beleuchtung),
wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthaltes an diesem Ort notwendig ist. Orte im Sinne des Satz 2 können insbesondere Schulen, Kindergärten, betreute Wohnformen oder Arbeitsstätten sein. Ein Anspruch besteht auch für Versicherte, die nicht nach § 14 SGB XI pflegebedürftig sind, während ihres Aufenthalts in Kurzzeitpflegeeinrichtungen (siehe auch Abs. 6).
(6) Für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen, in denen nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtungen besteht (z. B. Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen, Hospizen, Pflegeheimen), kann häusliche Krankenpflege nicht verordnet werden. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist im Einzelfall durch die Krankenkassen zu prüfen.
(7) Abweichend von Absatz 6 kann häusliche Krankenpflege in Werkstätten für behinderte Menschen verordnet werden, wenn die Intensität oder Häufigkeit der in der Werkstatt zu erbringenden Pflege so hoch ist, dass nur durch den Einsatz einer Pflegefachkraft Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vermieden oder das Ziel der ärztlichen Behandlung gesichert werden kann und die Werkstatt für behinderte Menschen nicht auf Grund des § 10 der Werkstättenverordnung verpflichtet ist, die Leistung selbst zu erbringen.
2. Diese (unter-)gesetzlichen Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nur teilweise erfüllt. Zwar steht die Wohnform des Klägers – eine Einrichtung der stationären Eingliederungshilfe – dessen Anspruch aus § 37 SGB V nicht grundsätzlich entgegen (hierzu unter b). Eine Leistungspflicht der Beklagten bestand indes nicht, weil schon der Einrichtungsträger zu den streitgegenständlichen subkutanen Injektionen verpflichtet war (hierzu unter c).
a.) Bei der verordneten subkutanen („s.c.“) Injektion handelt es sich zunächst um eine verordnungsfähige Leistung nach Nr. 18 des Leistungsverzeichnisses (Anlage zur HKP-RL). Die dort genannten einschränkenden Voraussetzungen, z.B. eine so erhebliche Einschränkung der Grob- und Feinmotorik der oberen Extremitäten, dass die Patientinnen und Patienten die Injektionen nicht aufziehen, dosieren und fachgerecht injizieren können, oder eine starke Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit oder Realitätsverlust, sodass die Compliance bei der medikamentösen Therapie nicht sichergestellt ist, ergeben sich unmittelbar aus den o.g. verordnungsrelevanten Diagnosen G 80.0 G (spastische tetraplegische Zerebralparese) und F 73.1 G (schwerste Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung, die Beobachtung oder Behandlung erfordert). Anhaltspunkte dafür, dass Dauer und Menge der Dosierung nicht – wie in Nr. 18 des Leistungsverzeichnisses gefordert – entsprechend der Verordnung erfolgten oder dass die Leistung nicht fachgerecht durchgeführt wurde, bestehen nicht.
Soweit in der ärztlichen Verordnung vom 2. September 2010 als weitere erforderliche Maßnahmen „Medikamentengabe“ und „Injektionen herrichten“ gekennzeichnet sind, handelt es sich offenkundig um ein Versehen des ausstellenden Vertragsarztes. Denn dieser hat nicht angegeben, welche weiteren Arzneimittel – außer dem subkutan zu injizierenden Clexane 20 – i.S.v. Nr. 26 der Anlage zur HKP-RL dem Kläger verabreicht oder für ihn zur selbständigen Anwendung hergerichtet werden sollen. Gleiches gilt für das Herrichten einer über Clexane hinausreichenden Injektion.
b.) Der Kläger führt – unstrittig – keine eigenen Haushalt, da ihm eine eigene Wirtschaftsführung (BSG, Urteil vom 1. September 2005 – B 3 KR 19/04 R –, juris, m.w.N.) aufgrund seiner schweren Behinderungen nicht möglich ist. Die vom Kläger bewohnte Einrichtung ist jedoch ein sonstiger geeigneter Ort i.S.v. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V.
aa. Die konkretisierenden Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 Satz 2 HKP-RL sind erfüllt. Der Kläger hält sich in der Wohnstätte ständig, also auch regelmäßig wiederkehrend auf. Er benötigt die Injektionen aus medizinisch-pflegerischen Gründen dort. Anhaltspunkte dafür, dass die Injektionen in der Einrichtung nicht zuverlässig durchgeführt werden konnten oder keine geeigneten räumlichen Verhältnisse vorlagen, sind nicht ersichtlich. Die Wohnstätte stellt eine betreute Wohnform i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 3 HKP-RL dar. Selbst wenn stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe hiervon nicht erfasst wären (hierzu sogleich), ergäbe sich aus dieser Vorschrift keine Ausschlussgrund, weil sie die möglichen sonstigen geeigneten Orte nur beispielshaft („insbesondere“) aufzählt.
bb. Im Übrigen allerdings herrscht über die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals „sonst an einem geeigneten Ort“ in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung Streit.
(1) Der für das Sozialhilferecht zuständige 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen hat in seinem – nicht bestandskräftig gewordenen (vgl. Terminbericht 57/11 des BSG, veröffentlicht unter www.bsg.bund.de) – Urteil vom 23. April 2009 (L 8 SO 1/07, zitiert nach juris) eine Einbeziehung vollstationärer Behinderteneinrichtungen/Heime in den Anwendungsbereich des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V für ausgeschlossen gehalten. Hätte der Gesetzgeber eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der häuslichen Krankenpflege über die im Gesetz ausdrücklich genannten betreuten Wohnformen hinaus auch auf Heime vornehmen wollen, so hätte es nahe gelegen, dies ausdrücklich so zu formulieren. Die beispielhaft aufgeführten "Orte" betreute Wohnformen, Schulen und Kindergärten sprächen jedenfalls auf den ersten Blick gegen eine Ausweitung der häuslichen Krankenpflege über Haushalt und Familie hinaus auf jeden "geeigneten Ort"; vielmehr sollte der fragliche Ort mit den beispielhaft genannten vergleichbar sein. Demnach könne § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der Fassung von Art. 1 Nr. 22 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG vom 26. März 2007, Bundesgesetzblatt Teil I 2007, S. 378-473) nach Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen nicht so weitgehend verstanden werden, dass nunmehr auch Heime im Sinne des HeimG als "sonstiger geeigneter Ort" gelten sollten. Die Gesetzesänderung habe ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs den Zweck verfolgt, vorschnelle stationäre Einweisungen zu vermeiden und "durch eine vorsichtige Erweiterung des Haushaltsbegriffs zu bewirken, dass in der gesetzlichen Krankenversicherung neue Wohnformen, Wohngemeinschaften und betreutes Wohnen hinsichtlich der Erbringung von häuslicher Krankenpflege gegenüber konventionellen Haushalten nicht benachteiligt werden" (BT-Drs. 16/3100, S. 104).
(2) Demgegenüber hat das LSG Hamburg in seinem Beschluss vom 12. November 2009 (L 1 B 202/09 ER KR, zitiert nach juris) einen Anspruch Versicherter auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V grundsätzlich auch dann bejaht, wenn sie in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe lebten. Eine stationäre Wohneinrichtung sei dann ein geeigneter Ort im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V, wenn der Versicherte keinen Anspruch auf Behandlungspflege gegen den Einrichtungsträger habe. Rechtlich unerheblich sei in diesem Zusammenhang, ob es sich bei der Einrichtung um ein Heim im Sinne des HeimG handele. Die Gemeinsamkeiten der stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe ohne Anspruch auf Behandlungspflege mit betreuten Wohnformen rechtfertigten es, diese Wohneinrichtungen als geeignete Orte im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V anzusehen, wenn sie nicht bereits als besondere Ausprägung des betreuten Wohnens im Sinne von § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V anzusehen seien (vgl. BT-Drs. 16/3100, S. 104). Die Einbeziehung von Einrichtungen der Eingliederungshilfe schließe auch Lücken zwischen der ambulanten und stationären Versorgung, was der Gesetzgeber des GKV-WSG mit der Erweiterung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V ausdrücklich bezweckt habe. Die stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe könnten nicht mit stationären Einrichtungen wie Krankenhäusern, medizinischen Rehabilitationseinrichtungen oder Pflegeheimen gleichgesetzt werden. Bei Einrichtungen der Behindertenhilfe stehe nämlich die gesellschaftliche Integration der Bewohner im Vordergrund, die möglichst unabhängig werden sollten (§ 53 Abs. 3 SGB XII). Das betreute Wohnen sei gesetzlich nicht definiert und die Übergänge von einer Wohngemeinschaft mit Betreuungshilfe zu einer stationären Einrichtung, welche unter die Regelungen des HeimG falle, dürften in Abhängigkeit der Fähigkeiten der Bewohner fließend sein. Auch aus § 1 Abs. 6 Sätze 1 und 2 HKP-RL ergebe sich, dass der Anspruch auf häusliche Krankenpflege in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe maßgeblich davon abhänge, ob der Einrichtungsträger verpflichtet sei, Behandlungspflege zu erbringen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. Juli 2008 – L 16 B 32/08 KR ER - Juris). Aus der Ausschlussregelung ergebe sich, dass eine Einrichtung der stationären Behindertenhilfe jedenfalls dann als „geeigneter Ort“ angesehen werden könne, wenn die Einrichtung nicht verpflichtet sei, selbst Leistungen der Behandlungspflege zu erbringen. Das bedeute, dass grundsätzlich allein der Aufenthalt in stationären Einrichtungen dem Anspruch nicht entgegenstehe, sondern nur der Umstand, dass ein Anspruch auf Behandlungspflege gegen den Träger der Einrichtung bestehe. Das werde exemplarisch bei Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtung, Hospizen und Pflegeheimen angenommen.
(3) Der Senat hat sich bereits im Rahmen mehrerer Eilentscheidungen (Beschlüsse vom 19. Februar 2010 – L 9 KR 24/10 B ER –, vom 24. Februar 2010 – L 9 KR 23/10 B ER – und vom 3. März 2011 – L 9 KR 284/10 B ER –, juris) der Rechtsauffassung des LSG Hamburg angeschlossen und hält hieran nach nochmaliger Prüfung fest. Hierbei lässt er sich von der Auffassung leiten, dass vorrangiges gesetzgeberisches Ziel der Erweiterung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V durch das GKV-WSG der Gedanke gewesen ist, Lücken zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu schließen. Dieses Ziel wäre nur schwer zu erreichen, wenn man jede Form der stationären Unterbringung behinderter Versicherter mit dem LSG Niedersachsen-Bremen für die häusliche Krankenpflege als anspruchsvernichtend ansähe. Die Übergänge zwischen den eindeutig vom Wortlaut des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V erfassten „betreuten Wohnformen“ und stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe sind fließend; deshalb ist es kaum möglich, zwischen diesen Betreuungsformen eine klare, eindeutige und überzeugende Abgrenzung zu finden; die daraus entstehende Unsicherheit setzte sich bei der Auslegung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V fort. Außerdem wäre die vom Gesetzgeber beabsichtigte Erweiterung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V auch bei „betreuten Wohnformen“ im Bereich der Eingliederungshilfe fehlgeschlagen, weil die Auslegung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V des LSG Niedersachsen-Bremen letztlich im Wesentlichen der des BSG zum Leistungsort der häuslichen Krankenpflege auf der Grundlage der alten Rechtslage entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 1. September 2005, - B 3 KR 19/04 R -, juris). Schließlich verfolgte der Gesetzgeber mit der durch das GKV-WSG vorgenommenen tatbestandlichen Erweiterung des § 37 Abs. 2 SGB V den generellen Zweck häuslicher Krankenpflege, vorschnelle stationäre Einweisungen zu vermeiden (BT-Drs. 16/3100). Häusliche Krankenpflege dient jedoch nicht dem Ziel, die gebotene Aufnahme eines Versicherten in eine (stationäre) Einrichtung der Eingliederungshilfe zu verhindern (Weber NZS 2011, 650ff). Aus diesem Grund hat der GBA seinen ursprünglich vorgesehenen Leistungsausschluss für Versicherte in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe auf Veranlassung des Bundesministeriums für Gesundheit auch wieder gestrichen (nachzuverfolgen unter www.g-ba.de über den Pfad „Richtlinien“, „Häusliche Krankenpflege-Richtlinie“, „Beschlüsse“, „Beschlussdatum 17.01.2008“).
Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Lückenschließung und damit die umfassenden Versorgung der Betreuten mit medizinischer Behandlungspflege ist deshalb nur sicherzustellen, wenn der Anspruch auf häusliche Krankenpflege gegen den Träger der Krankenversicherung auch in anderen stationären Einrichtungen, z.B. der Eingliederungshilfe, immer dann einsetzt, wenn ein Anspruch gegen den Einrichtungsträger auf diese Leistung endet oder von vornherein nicht besteht. Die lückenlose Versorgung setzt zwingend das Ineinandergreifen der Ansprüche aus Krankenversicherung- und Sozialhilferecht voraus. Dass bei dieser Konzeption die häusliche Krankenpflege gegenüber den Leistungen der Behindertenhilfe subsidiär erscheint, verstößt nicht gegen § 2 Abs. 1 SGB XII. Denn die Leistungen der Behindertenhilfe erschöpfen sich nicht in Leistungen der Eingliederungshilfe, der Hilfe zum Lebensunterhalt, bei Krankheit oder zur Pflege nach dem SGB XII, sondern beziehen als komplexe Hilfeleistung auch die Leistungen nach anderen Büchern des SGB mit ein, wie § 43a SGB XI und die §§ 55ff. SGB IX zeigen, die das Leistungsgeschehen auch in der Einrichtung, in der der Kläger lebt, mit prägen.
c) Auf der Grundlage dieser Auslegung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V besteht kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf (einfache) Leistungen der medizinischen Behandlungspflege, in hier in Gestalt subkutaner Injektionen. Denn zu dieser Leistung ist aufgrund des WBV der Einrichtungsträger verpflichtet, sodass es des unter b. erörterten Lückenschlusses nicht bedarf.
aa) Dem WBV liegt ein Konzept zugrunde, welches für die Leistungen nach dem SGB XII differenziert nach Zielgruppen Leistungstypen vorsieht (§ 7 Abs. 2 des im Land Brandenburg geltenden Rahmenvertrags nach § 79 Abs. 1 SGB XII - RV). In Anknüpfung an die Anlagen 1.5 und 1.6 zum RV dient hierbei der Leistungstyp 6 („Wohnen ohne Gestaltung des Tages“, § 3a WBV) als Grundtyp. Dessen Leistungsinhalte bilden die Basis für den Leistungstyp 5 („Wohnen mit Gestaltung des Tages“, § 3b WBV) und werden um weitere Leistungsinhalte, die sich am gesteigerten Bedarf der Zielgruppe orientieren, ergänzt. Dementsprechend sieht zunächst § 3a Ziff. 2 lit. g WBV („Gesundheitsförderung und -erhaltung, Pflegeleistungen“) vor, dass „Leistungen der Behandlungspflege, die im Rahmen häuslicher Krankenpflege nach § 37 SGB V zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erbracht werden können, […] von der Einrichtung nicht geschuldet“ werden (Satz 3), hebt jedoch zugleich hervor, dass „Leistungen der Behandlungspflege, die nur von medizinischen Fachkräften durchgeführt werden können, z.B. Tracheostomapflege“ ganz generell nicht erbracht werden (Satz 5). § 3b lit. g WBV erweitert die vom Einrichtungsträger geschuldeten Leistungen für den Bereich der „Gesundheitsvorsorge-/fürsorge“ um „Medikamentenvergabe und Durchführung anderer ärztlicher Verordnungen“. Mit dieser Ergänzung wird zwar nicht der in § 3a Ziff. 2 lit. g Satz 5 WBV enthaltene generelle Ausschluss qualifizierter, d.h. nur von medizinischen Fachkräften durchführbarer Behandlungspflege i.S.v. § 37 SGB V durchbrochen, der allgemeinere Ausschluss der (einfachen) Behandlungspflege nach § 3a Ziff. 2 lit g Satz 3 WBV aber aufgeweicht. Dafür spricht zum einen, dass die in § 3b lit. g WBV genannte Medikamenten(ver)gabe zu den Leistungen der einfachen Behandlungspflege zählt (Senat, Beschlüsse vom 24. Februar 2010 – L 9 KR 23/10 B ER – und 03. März 2011 – L 9 KR 284/10 B ER –; juris, m.w.N.). Zum anderen können mit der in derselben Regelung erwähnten „Durchführung anderer ärztlicher Verordnungen“ nur einfache Leistungen der Behandlungspflege gemeint sein, da keine anderen Leistungen ersichtlich sind, die einerseits ärztlich zu verordnen sind (hieran fehlt es z.B. bei Hilfsmitteln, die der Einrichtungsträger zu stellen hat) und andererseits vom Einrichtungsträger bzw. dessen Personal erbracht werden könnten.
bb) Die streitgegenständlichen subkutanen Injektionen zählen zu den einfachen Leistungen der Behandlungspflege; ihre Durchführung erforderte keine medizinische Fachkraft oder -kenntnisse. Dies ergibt sich aus Nr. 18 des als Anlage zur HKP-RL geführten Leistungsverzeichnisses, wonach subkutane Injektionen überhaupt nur bei Patienten mit erheblichen, z.T. schwerwiegenden funktionellen Einschränkungen (etwa der Sehkraft oder der Feinmotorik) verordnungsfähig sind. Der Richtliniengeber geht somit, wie sich im Umkehrschluss ergibt, davon aus, dass alle anderen Versicherten subkutane Injektionen an sich selbst, ggf. nach Anleitung, durchführen können, medizinische Fachkenntnisse jedoch nicht erforderlich sind.
d) Ergibt sich die Pflicht des Einrichtungsträgers zur Erbringung einfacher Behandlungspflege schon aus dem Vertrag mit dem Kläger, kann offen bleiben, ob sie sich auch aus dem Vertrag zwischen dem Einrichtungsträger und dem Sozialhilfeträger oder aus dem RV ergibt. Denn es steht dem Einrichtungsträger selbstverständlich frei, im Heimvertrag (WBV) Verpflichtungen zu übernehmen, die über die o.g. Verträge hinausgehen.
e) Unerheblich ist, ob der Einrichtungsträger im fraglichen Zeitraum über Personal verfügte, das Leistungen der einfachen Behandlungspflege hätte erbringen können und wollen. Sollte es daran gefehlt haben, hätte er zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen ggf. externe Kräfte mit der Durchführung dieser Leistungen beauftragen müssen.
3) Besteht aus den o.g. Gründen keine Leistungspflicht der Beklagten, muss der Senat nicht klären, ob einer Pflicht der Krankenkassen, auch in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe Leistungen der Behandlungspflege zu müssen, möglicherweise – wie vom Sozialgericht angenommen – auch § 43a SGB XI entgegensteht. Ebenso kann im konkreten Fall dahinstehen, ob die besonderen Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V vorliegen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.