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Abgrenzung Aufhebung nach § 48 SGB 10 und Rücknahme nach § 45 SGB 10 - unsichere Tatsachengrundlage - Umdeutung im Kinderzuschlagsrecht


Metadaten

Gericht SG Cottbus 9. Kammer Entscheidungsdatum 16.12.2013
Aktenzeichen S 9 BK 16/10 ECLI
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen § 42 SGB 1, § 40 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 2, § 328 Abs 3 SGB 3, § 330 Abs 2 SGB 3, § 43 Abs 3 SGB 10, § 45 SGB 10, § 48 SGB 10, § 6a BKGG

Leitsatz

1. Bewilligt die Behörde endgültige Leistungen, obwohl das anzurechnende Einkommen noch nicht abschließend ermittelbar ist, kommt eine Leistungsaufhebung allein auf der Grundlage von § 45 SGB 10, nicht jedoch auf der Grundlage von § 48 SGB 10 in Betracht (Anschluss an BSG, Urteil vom 21.06.2011 - B 4 AS 22/10 R).

2. Der Umdeutung einer Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB 10 in eine Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB 10 steht im Rahmen des Kinderzuschlagsrechts die Regelung des § 43 ABs 3 SGB 10 entgegen, weil mangels anderweitiger Rechtsgrundlage bzw. entsprechender Verweisungsnorn im BKGG die Rücknahme der Bewilligung nach § 45 SGB 10 die Ausübung von Ermessen voraussetzt.

Tenor

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 12.04.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.07.2010, dieser in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2010 und in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10.08.2011 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung eines Kinderzuschlages nebst Erstattungsforderung.

Die Klägerin beantragte bei der Beklagten am 06.10.2009 die Bewilligung eines Kinderzuschlages. Sie fügte eine Bescheinigung über das Einkommen ihres Ehemannes bei, wonach dieses für die zweite Hälfte des Juni 2009 brutto 898,58 Euro, für Juli 2009 brutto 1.692,00 Euro und für August 2009 brutto 1.552,50 Euro betragen habe. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 09.10.2009 einen Kinderzuschlag ab Oktober 2009 bis März „2009“ von monatlich 240,00 Euro. Der Bescheid beinhaltet unter anderem folgenden Absatz: „Sobald feststeht, welches Einkommen im oben genannten Bewilligungsabschnitt tatsächlich erzielt worden ist, wird über die Höhe des zustehenden Kinderzuschlages endgültig entschieden. Die endgültige Entscheidung kann zu einer vollständigen oder teilweisen Rückforderung des gezahlten Kinderzuschlages führen.“

Nach Mitteilung des ab Oktober 2009 erzielten Einkommens des Ehemannes der Klägerin hob die Beklagte mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 12.04.2010 unter Verweis auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X die Leistungsbewilligung für die Zeit von Oktober 2009 bis Januar 2010 teilweise in Höhe von 540,00 Euro und für Februar 2010 und März 2010 jeweils vollständig in Höhe von monatlich 240,00 Euro auf und forderte die Erstattung von insgesamt 1.040,00 Euro. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 22.04.2010 Widerspruch ein. Mit Änderungsbescheid vom 27.07.2010 teilte die Beklagte mit, dass eine Erstattung in Höhe von 560,00 Euro für die Zeit von Oktober 2009 bis Januar 2010 durch die Klägerin nicht zu leisten sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2010 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin im Übrigen als unbegründet zurück.

Mit ihrer am 13.08.2010 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, die Aufhebungsentscheidung und darauf fußend die Erstattungsforderung seien zu beanstanden.

Die Beklagte hat mit Änderungsbescheid vom 10.08.2011 erklärt, der für Februar 2010 gezahlte Kinderzuschlag von 240,00 Euro sei durch die Klägerin nicht zu erstatten.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 12.04.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.07.2010, dieser in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2010 und in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10.08.2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die streitigen Bescheide seien nicht zu beanstanden. Das Einkommen des Ehemannes der Klägerin sei darin zutreffend berücksichtigt worden. Auch habe die Leistungsaufhebung auf der Grundlage des § 48 SGB X und nicht unter Beachtung von § 45 SGB X zu erfolgen, weil das Einkommen nachträglich erzielt worden und es im Zeitpunkt des Bescheiderlasses der Beklagten noch nicht bekannt gewesen sei. Auf die Pflicht zur Erstattung für den Fall nachträglichen Einkommens sei im Leistungsbescheid hingewiesen worden. Jedenfalls für März 2010 habe wegen Nichterreichens der Mindesteinkommensgrenze die Leistungsaufhebung zu erfolgen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer durfte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist; die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich zu dieser Entscheidungsform zu äußern.

Gegenstand des Klageverfahrens ist wegen § 96 Abs. 1 SGG auch der Änderungsbescheid der Beklagten vom 10.08.2011.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 12.04.2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27.07.2010, dieser in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2010 und in der Fassung des Änderungsbescheides vom 10.08.2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in deren Rechten. Die dortige Leistungsaufhebung findet keine Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X.

Für die Abgrenzung der §§ 45, 48 SGB X gilt, dass eine Rücknahme nach § 45 SGB X bei einer im Zeitpunkt des Bescheiderlasses unrichtigen Leistungsbewilligung in Betracht kommt, während die Aufhebung nach § 48 SGB X nur bei einer in diesem Zeitpunkt rechtmäßigen Bewilligung möglich ist, sofern sich danach der Leistungsanspruch ändert. Dabei kommt es nicht auf die diesbezügliche Kenntnis der Behörde sondern auf die objektive Sach- und Rechtslage an. Hierauf hat auch die Beklagte im Schriftsatz vom 30.07.2013 hingewiesen, im Widerspruch dazu jedoch sodann auf ihre Kenntnis abgestellt. Im Falle einer nachträglichen Erzielung von Einkommen ist dementsprechend regelmäßig die Aufhebung auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X möglich. Dies gilt jedoch nicht, wenn bereits im Zeitpunkt der Leistungsbewilligung absehbar ist, dass ein schwankendes Einkommen erzielt wird. Möchte die Behörde eine endgültige Bewilligung erlassen, muss sie nämlich sämtliche Anspruchsvoraussetzungen endgültig ermitteln. Kann sie dies - etwa bei absehbar schwankendem Einkommen - nicht, muss sie demgegenüber von einer endgültigen Bewilligung absehen und eine lediglich vorläufige Entscheidung in Betracht ziehen. Beachtet sie dies nicht, folgt hieraus eine bereits im Zeitpunkt der Bescheidung unrichtige Bewilligung mit der Folge, dass deren spätere Aufhebung sich - auch bei der nachträglichen Erzielung von Einkommen - an der Regelung des § 45 SGB X messen lassen; die Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X kommt dann nicht in Betracht (vgl. zu alledem: BSG, Urteil vom 21.06.2011 - B 4 AS 22/10 R - zitiert nach juris m.w.N.).

Gemessen daran muss sich die Leistungsaufhebung hier entgegen der Auffassung der Beklagten an § 45 SGB X messen lassen. Im Zeitpunkt des Erlasses des Ausgangsbescheides vom 09.10.2009 war objektiv ersichtlich, dass das anzurechnende Einkommen im maßgebenden Zeitpunkt schwanken wird. Dies folgt daraus, dass der Ehemann der Klägerin bereits zuvor schwankendes Einkommen erzielt hat und diesbezügliche Änderungen für den hier maßgebenden Zeitraum nicht ersichtlich waren bzw. sind. Die Beklagte hätte deshalb keine endgültige Bewilligung erlassen dürfen, sondern nur eine vorläufige. Etwas anderes folgt nicht aus der Begründung des Ausgangsbescheides vom 09.10.2009, wonach eine endgültige Entscheidung erfolge, sobald das erzielte Einkommen feststehe. Hieraus folgt keine Anordnung der Vorläufigkeit. Eine solche muss hinreichend klar und bestimmt erfolgen, was im Bescheid vom 09.10.2009 nicht erfolgt ist. Insbesondere lässt sich dem Verfügungssatz keinerlei Hinweis auf eine nur vorläufige Entscheidung entnehmen. Von einer Vorläufigkeit ist offensichtlich auch die Beklagte nicht ausgegangen, hat sie die Rückabwicklung doch auf § 48 SGB X und nicht etwa § 328 Abs. 3 SGB III bzw. § 42 Abs. 2 SGB I gestützt. Allenfalls hat der genannte Hinweis im Leistungsbescheid Auswirkungen auf den Vertrauensschutz im Falle der Rückabwicklung.

An dieser Stelle kann offen bleiben, ob die Tatbestandsvoraussetzungen von § 45 SGB X vorliegen. Die Beklagte hat hier nämlich stattdessen eine Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB X getroffen. Deren Umdeutung in eine Rücknahmeentscheidung auf der Grundlage von § 45 SGB X scheitert an der Regelung von § 43 Abs. 3 SGB X. Denn anders als die Aufhebung nach § 48 SGB X setzt die Rücknahme nach § 45 SGB X die Ausübung von Ermessen voraus. Etwas anderes gilt nicht mit Blick auf § 330 Abs. 2 SGB III. Diese Regelung ist mangels Verweisungsnorm im BKGG nicht für die Rückabwicklung einer Bewilligung von Kinderzuschlägen anwendbar. Insbesondere ist der Regelung des § 6a BKGG nur eine begrenzte Verweisung auf die Regelungen des SGB II zu entnehmen; eine solche auf § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist ihr insbesondere nicht zu entnehmen.

Anderweitige Rechtsgrundlagen für die streitigen Bescheide liegen nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Über die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin (auch im Vorverfahren) ist im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens zu entscheiden (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG Komm., 10 Aufl., § 193 Rn. 3a und 3b m.w.N.).

Berufungszulassungsgründe im Sinne von § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.