Gericht | OLG Brandenburg 1. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 18.01.2012 | |
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Aktenzeichen | 1 AR 68/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Zuständig ist das Landgericht Potsdam.
I.
Die Klägerin hat im Mahnverfahren die Beklagten sowie die A… GmbH und Herrn H… T… als Gesamtschuldner auf die Zahlung von 63.634,17 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Mahnkosten in Anspruch genommen. Die Antragsgegner haben gegen die gegen sie ergangenen Mahnbescheide sämtlich Widerspruch eingelegt. Das Mahngericht hat gemäß der Bezeichnung der Streitgerichte im Mahnverfahren das Verfahren betreffend die Beklagten an das Landgericht Potsdam und das Verfahren betreffend die A… GmbH und Herrn H… T… an das Landgericht Berlin abgegeben.
Die Klägerin hat unter dem 07.04.2011 die von ihr verfolgten Ansprüche unter Zurücknahme der weitergehenden Klage für eine Klageforderung in Höhe von 60.761,96 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Mahnkosten begründet. Sie hat vorgetragen, dass sie die A… GmbH auf die Rückzahlung ausgekehrter Provisionen und die Beklagten sowie Herrn H… T… jeweils aus Vereinbarungen über einen Schuldbeitritt in Anspruch nehme.
Das Landgericht Potsdam hat die Parteien unter dem 29.06.2011 darauf hingewiesen, dass aus Kostengründen die einheitliche Durchführung des Gesamtverfahrens an einem Gerichtsstandort ratsam sei, und angefragt, ob entsprechende Anträge gestellt würden. Darauf haben sowohl die Klägerin als auch die Beklagten die Verweisung bzw. Abgabe des Rechtsstreits an das Landgericht Berlin zur Verbindung mit dem dortigen Rechtsstreit zum Aktenzeichen: 8 O 233/11 beantragt.
Das Landgericht Potsdam hat sich durch Beschluss vom 25.08.2011 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin verwiesen; zur Begründung hat es ausgeführt, dass im Hinblick auf den dortigen Rechtsstreit zum Aktenzeichen: 8 O 233/11 eine einheitliche Streitigkeit vorliege und die Parteien darin übereinstimmten, dass das Landgericht Berlin zuständig sei und die Verfahren verbunden werden sollten.
Das Landgericht Berlin hat durch Beschluss vom 19.12.2011 die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und die Sache dem Senat zur Entscheidung über die Zuständigkeit vorgelegt.
II.
1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, weil das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof ist und das zu seinem Bezirk gehörende Landgericht Potsdam mit der Rechtssache zuerst befasst gewesen ist.
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Landgericht Potsdam als auch das Landgericht Berlin haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für örtlich unzuständig erklärt, ersteres durch den Verweisungsbeschluss vom 25.08.2011 und letzteres durch den seine Zuständigkeit abschließend verneinenden Vorlagebeschluss vom 19.12.2011; beide genügen den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es insoweit allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekanntgemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler: Senat NJW 2004, 780; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 36, Rdnr. 24 f.).
3. Zuständig ist das Landgericht Potsdam.
Zwar kommt dessen Verweisungsbeschluss vom 25.08.2011 grundsätzlich Bindungswirkung zu (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Diese entfällt indes ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-) Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Im Interesse einer baldigen Klärung der Gerichtszuständigkeit und der Vermeidung wechselseitiger (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler, wie das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzu kommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (statt vieler: Senat JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; 2004, 780; MDR 2006, 1184; eingehend ferner: Tombrink, NJW 2003, 2364 f.; jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Den derart zu konkretisierenden (verfassungsrechtlichen) Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Potsdam nicht stand.
a) Das Landgericht Potsdam ist ersichtlich nach §§ 12, 13 ZPO örtlich zuständig. Die Beklagten haben ihren Wohnsitz und damit allgemeinen Gerichtsstand in P… und M…, wo ihnen jeweils der Mahnbescheid zugestellt worden ist. Für eine Veränderung der Wohnsitze lässt sich den Akten des Rechtsstreits nichts entnehmen.
b) Im Hinblick darauf stellt sich der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Potsdam vom 25.08.2011 als grob rechtfehlerhaft und damit willkürlich dar.
§ 281 ZPO eröffnet nicht die Verweisung eines Rechtsstreits aus Zweckmäßigkeitserwägungen bei bestehender Zuständigkeit des verweisenden Gerichts. Die Vorschrift ermöglicht vielmehr nur die Verweisung eines Rechtsstreits, für den es an der Zuständigkeit des angerufenen Gericht fehlt; ist das angerufene Gericht hingegen zuständig, so hat es das Prozessverfahren durchzuführen, auch wenn es die Anrufung eines anderen Gerichts für eher sachdienlich ansieht.
Dem hat das Landgericht Potsdam mit dem Verweisungsbeschluss vom 25.08.2011 sehenden Auges zuwider gehandelt. Dass das Landgericht Potsdam das Bestehen seiner örtlichen Zuständigkeit sehr wohl erkannt hat, ist aus dem den Parteien unter dem 29.06.2011 erteilten Hinweis zu ersehen; denn dort ist ausdrücklich die Rede davon, dass das Landgericht Potsdam „zuständigkeitshalber“ mit dem Rechtsstreit befasst worden ist. Im Beschluss vom 25.08.2011 hat das Landgericht Potsdam sodann das Bestehen seiner Zuständigkeit ebenfalls nicht in Abrede gestellt, sondern lediglich auf die Zweckmäßigkeit einer gemeinsamen Prozessführung beim Landgericht Berlin abgehoben. Die Begründung des Beschlusses ist nicht auf einen Mangel der Zuständigkeit des Landgerichts Potsdam, sondern allein auf das Vorhandensein des weiteren Klageverfahrens beim Landgericht Berlin und den dazu zwischenzeitlich gestellten Anträgen der Parteien gestützt worden; sie erschöpft sich insoweit in sachfremden Erwägungen ohne nachvollziehbaren Bezug zur Frage der (Un-)Zuständigkeit.
In der so erfolgten Verweisung des Rechtsstreits trotz erkannter eigener Zuständigkeit kann nicht mehr ein einfacher Rechtsfehler des Landgerichts Potsdam gesehen werden; vielmehr liegt ein grober Rechtsfehler vor, der die Verweisung als willkürlich erscheinen und die Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO entfallen lässt.
Dem steht nicht entgegen, dass nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO die Bestimmung eines gemeinschaftlichen Gerichtsstands für eine Klage gegen die Beklagten, die A… GmbH und Herrn H… T… als Streitgenossen möglich - gewesen - wäre. Denn dieser Weg ist nicht gewählt worden. Die Klägerin hat nicht alle Anspruchsgegner als Streitgenossen in einem Rechtsstreit in Anspruch genommen, sondern vielmehr nach der örtlichen Zuständigkeit der Gerichte gemäß §§ 12, 13 ZPO unterschiedliche Rechtsstreite bei den jeweils zuständigen Gerichten in Gang gesetzt. Diese Verfahrensgestaltung lässt sich nicht im Wege der - unzulässigen - Verweisung nach § 281 ZPO und Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO abändern.
Der Umstand, dass im Rahmen des Verfahrens nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO auch Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen sein können (vgl. BGH NJW 1983, 1913, 1914; Zöller/ Vollkommer, a. a. O., § 36, Rdnr. 28), führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn die hier bestehenden Rechtsstreite sind schon aufgrund der Personenverschiedenheit auf Beklagtenseite nicht derart eng miteinander verbunden, dass nur die Möglichkeit einer einheitlichen Prozessführung bei einem Gericht besteht (vgl. BGH a. a. O.). Zudem wäre - was indes hier keiner abschließenden Entscheidung bedarf - etwa im Falle einer Vorgreiflichkeit der Klärung des Rechtsverhältnisses der Klägerin zur A… GmbH die Möglichkeit der Aussetzung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO eröffnet.