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(Un-)Richtigkeit einer Rechtsmittelbelehrung - Hinweise auf formelle Anforderungen - Überfrachtung einer Rechtsmittelbelehrung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 28.01.2015
Aktenzeichen L 9 AS 2582/14 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 66 SGG

Leitsatz

1. Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig erteilt, wenn sie nicht auch eine Belehrung über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften enthält (Anschluss an BSG, Urteil vom 14. März 2013 - B 13 R 19/12 R -). Die wörtliche oder zumindest sinngemäße Wiedergabe von § 92 Abs. 1 bzw. § 93 Satz 1 SGG macht eine Rechtsbehelfsbelehrung daher nicht unrichtig.

2. Darüber hinaus gehende Ausführungen, z.B. die Wiedergabe auch von § 92 Abs. 2 bzw. § 93 Satz 2 SGG, bergen hingegen die Gefahr, dass die Rechtsbehelfsbelehrung zu umfangreich und verwirrend und somit unrichtig wird.

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 3. September 2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens insbesondere um die Zulässigkeit der Klage.

Die Kläger leben in einem gemeinsamen Haushalt. Der Kläger zu 3) ist der 2012 geborene Sohn der Klägerin zu 1). Der Beklagte bewilligte den Klägern für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2013 vorläufig Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch / Zweites Buch – SGB II – (Bescheid vom 12. April 2013). Mit Bescheid vom 5. Juli 2013 erhob der Beklagte die bewilligten Leistungen für die Monate Mai und Juni teilweise und für den Monat Juli insgesamt auf. Anschließend hob er mit weiterem Bescheid vom 15. Juli 2013 auch die Bewilligung für die Monate Mai und Juni 2013, soweit sie die Klägerin zu 1) und den Kläger zu 3) betrafen, insgesamt auf. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2013 zurück.

Mit Schreiben vom 12. August 2013 beantragten die Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 12. April 2013 sowie die der dazu ergangenen Änderungsbescheide. Mit Bescheid vom 16. August 2013 lehnte der Beklagte eine Änderung dieser Bescheide ab. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 2013, beim Prozessbevollmächtigten der Kläger am darauffolgenden Tag eingegangen, ab. Der Widerspruchsbescheid schließt mit folgender „Rechtsbehelfsbelehrung“:

„Gegen diese Entscheidung kann jeder Betroffene für sich innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe beim

Sozialgericht Cottbus, Vom-Stein-Str. 28, 03050 Cottbus,

schriftlich, in elektronischer Form oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin / des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage erheben.

Die elektronische Form wird durch eine qualifizierte signierte Datei gewahrt, die nach den Maßgaben der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg vom 14.12.2006 (GVBI. Il S. 558) in der jeweils geltenden Fassung (GVBI. II 2007 S. 425) in den elektronischen Gerichtsbriefkasten zu übermitteln ist. Die hierfür erforderliche Software kann über das Internetportal des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (www.egvp.de) unter ‘Downloads‘ heruntergeladen werden. Dort können auch weitere Informationen zum Verfahren abgerufen werden.

Die Klage muss gemäß § 92 des Sozialgerichtsgesetzes den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Zur Bezeichnung des Beklagten genügt die Angabe der Behörde. Die Klage soll einen bestimmten Antrag enthalten und von dem Kläger oder der zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Zeitangabe unterzeichnet sein. Die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sollen angegeben, die angefochtene Verfügung und der Widerspruchsbescheid sollen in Urschrift oder in Abschrift beigefügt werden. Der Klageschrift sind gemäß § 93 des Sozialgerichtsgesetzes nach Möglichkeit Abschriften für die Beteiligten beizufügen.“

Die am 6. Januar 2014 erhobene Klage verwarf das Sozialgericht Cottbus mit Gerichtsbescheid vom 3. September 2014, dem Prozessbevollmächtigten der Kläger zugestellt am 8. September 2014, als unzulässig, weil die Klagefrist nicht eingehalten, die Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid vom 23. September 2013 richtig erteilt und ein Antrag auf Wiedereinsetzung nicht gestellt worden sei.

Hiergegen richtet sich die am 23. September 2014 eingelegte Berufung der Kläger, zu deren Begründung sie vortragen: Die Rechtsbehelfsfrist betrage ein Jahr, weil die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt worden sei. Die Hinweise in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Mindestinhalte der Klage nach § 92 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und die Mehrausfertigungen der Schriftsätze nach § 93 SGG seien geeignet, von der Einlegung des Rechtsbehelfs abzuhalten. Denn aus § 92 Abs. 2 Satz 2 SGG ergebe sich, dass selbst beim Fehlen der eigentlich unverzichtbaren Klagebestandteile nach Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift keine unzulässige Klage vorliege, sondern das Gericht nur eine Frist zur Ergänzung der Klage mit ausschließender Wirkung setzen könne. Deshalb dürfe im Rahmen der Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur der Inhalt von § 92 Abs. 1 Satz 1 SGG wiedergegeben werden. Entsprechendes gelte für § 93 SGG.

Die Klägerin zu 1) und der Kläger zu 3) beantragen sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 3. September 2014 und den Bescheid des Beklagten vom 16. August 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Änderung des Bescheides vom 12. April 2013 und unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Juli 2013 und 15. Juli 2013, letzterer in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2013, höhere Leistungen für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2013 endgültig zu bewilligen.

Der Kläger zu 2) beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 3. September 2014 und den Bescheid des Beklagten vom 16. August 2013 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 23. September 2013 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, unter Änderung des Bescheides vom 12. April 2013 und unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Juli 2013 höhere Leistungen für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2013 endgültig zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Mit Beschluss vom 7. Januar 2015 haben die Berufsrichter des Senats den Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 SGG dem Berichterstatter übertragen, damit dieser zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheide.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat durfte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erklärt hatten (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Klagefrist nicht gewahrt wurde.

1. Zutreffend hat das Sozialgericht festgestellt, dass die Kläger die Klagefrist von einem Monat (§ 87 SGG) versäumt haben und die Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid vom 23. September 2013 auch nicht unrichtig erteilt wurde, sodass auch keine längere Klagefrist galt. Der Senat verweist daher auf die Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Gerichtsbescheid (§ 153 Abs. 2 SGG).

2. Das Berufungsvorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung.

a. Unrichtig i.S.v. § 66 Abs. 2 S 1 SGG ist jede Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht zumindest diejenigen Merkmale zutreffend wiedergibt, die § 66 Abs. 1 SGG als Bestandteile der Belehrung ausdrücklich nennt: (1) den statthaften Rechtsbehelf als solchen (also seine Bezeichnung der Art nach), (2) die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, (3) deren bzw. dessen Sitz und (4) die einzuhaltende Frist (BSG, Urteil vom 14. März 2013 – B 13 R 19/12 R –, juris, m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die zitierte Rechtsbehelfsbelehrung, denn sie nennt die Klage als statthaften Rechtsbehelf (1), das (örtlich und auch i.Ü.) zuständige Sozialgericht Cottbus (2), dessen Anschrift (3) sowie die einzuhaltende Frist von einem Monat (4).

b. Über den Wortlaut der Vorschrift hinaus ist nach ihrem Sinn und Zweck, den Beteiligten ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur (fristgerechten) Wahrung ihrer Rechte zu ermöglichen, aber auch (5) eine Belehrung über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften erforderlich. Die Notwendigkeit einer Belehrung auch über die Form des Rechtsbehelfs hat der Gesetzgeber zudem in § 36 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch, § 6 Wehrdisziplinarordnung und § 50 Abs. 2 Ordnungswidrigkeitengesetz sowie in § 9 Abs. 5 S. 3 Arbeitsgerichtsgesetz, § 39 S. 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, § 48 Abs. 2 S. 2 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen, § 35a S. 1 Strafprozessordnung und in § 232 S. 1 Zivilprozessordnung (in der ab 1. Januar 2014 geltenden Fassung) zum Ausdruck gebracht. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass für die Beteiligten des sozialgerichtlichen Verfahrens ein geringeres Schutzniveau maßgeblich sein soll, als es in den soeben genannten Vorschriften vorgegeben ist (BSG, a.a.O.). Die von den Klägern unter Hinweis auf einen Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 6. Februar 2012 – L 7 AS 21/12 B ER – vertretene Auffassung, eine Rechtsbehelfsbelehrung dürfe keine Hinweise auf die in § 92 Abs. 1 bzw. § 93 Satz 1 SGG genannten Formvorschriften enthalten, ist damit unvereinbar.

Das (ungeschriebene) Erfordernis einer Belehrung auch über die Form des Rechtsbehelfs ist somit aus einer am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierten erweiternden Auslegung des § 66 Abs. 1 SGG herzuleiten. In Umsetzung des verfassungsrechtlichen Gebots zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S 1 Grundgesetz) soll die Regelung in § 66 SGG verhüten helfen, dass jemand aus Unkenntnis den Rechtsweg nicht ausschöpft. Ziel einer jeden Rechtsbehelfsbelehrung muss es demnach sein, den Empfänger über den wesentlichen Inhalt der zu beachtenden Vorschriften zu unterrichten und es ihm so zu ermöglichen, ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur ordnungsgemäßen Einlegung des Rechtsbehelfs einzuleiten. Ausgerichtet auf dieses Ziel genügt es, über den wesentlichen Inhalt der bei Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften zu informieren. Infolgedessen muss eine "richtige" Belehrung nicht stets allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen; es reicht aus, wenn sie die Beteiligten in die richtige Richtung lenkt (BSG a.a.O.).

c. Dem entspricht die Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid vom 23. September 2013. Sie gibt den gesamten Inhalt von § 92 Abs. 1 SGG wortgetreu und den wesentlichen Inhalt von § 93 Satz 1 SGG sinngemäß wieder. Dies war erforderlich, aber auch ausreichend, um die Kläger in die Lage zu versetzen, ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur ordnungsgemäßen Einlegung des Rechtsbehelfs einzuleiten.

d. Zu Recht geht die Klägerseite nicht davon aus, es hätte weitergehender Ausführungen bedurft. Zwar führt die Nichteinhaltung der in § 92 Abs. 1 und § 93 Satz 1 SGG genannten formellen Anforderungen nicht unmittelbar zum Rechtsverlust. Vielmehr sehen § 92 Abs. 2 und § 93 Satz 2 SGG jeweils Heilungsregelungen bei Formverstößen vor. Gleichwohl durfte die Beklagte mit gutem Grund von deren wörtlicher oder sinngemäßer Wiedergabe absehen. Denn hierdurch erhielte die Rechtsbehelfsbelehrung einen Umfang, der bereits Verwirrung stiften könnte (so auch Bayer. LSG, a.a.O.). Es liegt aber gerade im Interesse rechtsungewandter Kläger, eine möglichst kurze, übersichtliche und leicht verständliche Rechtsbehelfsbelehrung zu erhalten (BSG, Urteil vom 11. August 1976 – 10 RV 225/75 –, juris). Forderte man demgegenüber für die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung auch die zumindest sinngemäße Wiedergabe von § 92 Abs. 2 und § 93 Satz 2 SGG, müsste man konsequenterweise auch die Wiedergabe von § 67 SGG – weil in § 92 Abs. 2 Satz 3 SGG erwähnt – sowie erläuternde Ausführungen z.B. zum unbestimmten Rechtsbegriff „nach Möglichkeit“ (§ 93 Satz 1 SGG) verlangen. Es liegt auf der Hand, dass spätestens dann die Rechtsbehelfsbelehrung einen Umfang und einen Grad von Kompliziertheit aufwiese, die ihrem o.g. Sinn und Zweck diametral entgegenstünde.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.