Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 30.09.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 10 S 8.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 60 Abs 1 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO, § 173 VwGO, § 85 Abs 2 ZPO, § 15 Abs 1 BauGB |
1. Bei Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes per Fax ist durch entsprechende Kontrollen sicherzustellen, dass die Sendung ordnungsgemäß und vollständig übermittelt worden ist und den richtigen Empfänger erreicht hat. Zur Vermeidung von Ermittlungs- und Eingabefehlern ist zu kontrollieren, ob die auf dem Sendebericht angegebene Nummer mit der auf dem Schriftsatz übereinstimmt und ob diese Nummer tatsächlich die des gewünschten und auf dem Schriftsatz angegebenen Empfängers ist, wobei die Überprüfung der ermittelten Faxnummer auch vor Absendung des Faxes erfolgen kann.
2. Die nachträgliche Aufgabe der zu sichernden Planung oder das nachträgliche Inkrafttreten einer Veränderungssperre führen zur Rechtwidrigkeit, nicht aber zur Unwirksamkeit oder Gegenstandslosigkeit einer Zurückstellung.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 8. März 2011 wird verworfen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 15.000 Euro festgesetzt.
Die Antragstellerin, die die Erteilung eines Vorbescheids über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Lebensmittel-Discounters beantragt hatte, wendet sich dagegen, dass der Antragsgegner die Entscheidung über diesen Antrag auf Antrag der Beigeladenen für 12 Monate zurückgestellt und die sofortige Vollziehung dieses Zurückstellungsbescheides angeordnet hat. Ihren Antrag, die aufschiebende Wirkung ihres gegen den Zurückstellungsbescheid eingelegten Widerspruchs wiederherzustellen, hat das Verwaltungsgericht abgelehnt.
Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses begründet worden ist (1.) und der Antragstellerin auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist gemäß § 60 Abs. 1 VwGO gewährt werden kann (2.). Dass die Antragstellerin das Verfahren mittlerweile in der Hauptsache für erledigt erklärt hat, führt zu keiner anderen Beurteilung (3.).
1. Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene Beschluss des Verwaltungsgerichts ist den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 14. März 2011 zugestellt worden. Diese haben zwar rechtzeitig innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 147 Abs. 1 VwGO beim Verwaltungsgericht Beschwerde eingelegt, die Beschwerde jedoch nicht innerhalb der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO begründet. Der am 14. April 2011 per Telefax an die Senatsverwaltung für Justiz übermittelte Schriftsatz hat die Begründungsfrist nicht wahren können, weil er nicht bei der zuständigen Stelle eingegangen ist und das Oberverwaltungsgericht erst am 15. April 2011 und damit verspätet erreicht hat.
2. Der Antragstellerin kann auch nicht die von ihr beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist gewährt werden. Denn sie war nicht ohne Verschulden verhindert, die gesetzliche Frist einzuhalten (vgl. § 60 Abs. 1 VwGO). Die Fristversäumung beruht auf einem Verschulden ihrer Verfahrensbevollmächtigten, das sich die Antragstellerin wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muss (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
Das Fristversäumnis beruht darauf, dass der Begründungsschriftsatz am letzten Tag der Frist nicht an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, sondern an die Senatsverwaltung für Justiz per Telefax übermittelt worden ist. Die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin haben hierzu vorgetragen und durch eidesstattliche bzw. anwaltliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass mit der Übersendung des Schriftsatzes einschließlich der Ermittlung der zutreffenden Faxnummer eine ansonsten zuverlässige, ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte betraut gewesen sei. Entsprechend der allgemeinen, in der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten geltenden Anweisung sei diese gehalten gewesen, die Faxnummer zuvörderst den aktuellsten in der Handakte befindlichen Schriftstücken des Gerichts zu entnehmen. Nur wenn sich die Nummer auf diesem Wege nicht ermitteln lasse, solle sie die auf der amtlichen Homepage des jeweiligen Gerichts angegebene Telefaxnummer verwenden. Die Angestellte habe jedoch aus nicht mehr erklärlichen Gründen die in der Handakte bereits abgeheftete Eingangsverfügung des Oberverwaltungsgerichts übersehen und daher die Nummer der offiziellen Homepage des Oberverwaltungsgerichts entnehmen wollen. Nach Aufruf dieser Seite habe sie den Link „Impressum“ gewählt und auf der sodann erschienenen Internetseite die unter der Überschrift „Kontakt“ angegebene Faxnummer in den Schriftsatz übernommen. Dabei sei ihr nicht aufgefallen, dass es sich um die Nummer der Senatsverwaltung für Justiz in Berlin gehandelt habe. Nach Versendung des Schriftsatzes an diese Nummer habe sie - der allgemein geltenden Anweisung entsprechend - den vom Faxgerät ausgedruckten Sendebericht dahingehend überprüft, ob sämtliche Seiten der Beschwerdebegründung übermittelt worden seien und die gewählte Faxnummer mit der im Briefkopf des übersandten Schriftsatzes angegebenen Nummer übereinstimme. Sodann habe sie dem Verfahrensbevollmächtigten mitgeteilt, dass der Schriftsatz anweisungsgemäß und vollständig versandt worden sei. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, eine Wiedereinsetzung den vorigen Stand zu rechtfertigen, weil der Vorwurf eines schuldhaften Fristversäumnisses dadurch nicht entkräftet ist.
Ein Rechtsanwalt darf allerdings einfache Tätigkeiten wie die Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax einschließlich der Ermittlung der zutreffenden Faxnummer seinem entsprechend angewiesenen und überprüften Büropersonal überlassen. Er ist jedoch gehalten, eine wirksame End- oder Ausgangskontrolle für fristwahrende Schriftsätze zu gewährleisten (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - 1 BvR 2147/08 -, NJW 2009, 214, juris Rn. 3). Dies bedeutet, dass er für eine Büroorganisation sorgen muss, die eine Überprüfung der per Telefax übermittelten fristgebundenen Schriftsätze gewährleistet, und zwar auch auf die Verwendung einer zutreffenden Empfängernummer (st.Rspr. des BVerwG, vgl. nur Beschluss vom 9. Januar 2008 - BVerwG 6 B 51.07 -, NJW 2008, 932, juris Rn. 3; Beschluss vom 18. März 2004 - BVerwG 6 PB 16.03 -, NVwZ 2004, 1007, juris Rn. 3; Beschluss vom 13. Februar 1998 - BVerwG 7 B 439.97 -, juris Rn. 2). Hat der Rechtsanwalt es zulässigerweise einer ausreichend ausgebildeten und zuverlässigen Kanzleiangestellten überlassen, die Faxnummer des Gerichts zu ermitteln und in den Schriftsatz einzufügen, darf sich die spätere Kontrolle des Sendeberichts nicht darauf beschränken, die darin ausgedruckte Faxnummer mit der zuvor in den Schriftsatz eingefügten Faxnummer zu vergleichen. Der Abgleich hat vielmehr anhand eines zuverlässigen Verzeichnisses zu erfolgen, um nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch schon bei der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu können (st.Rspr. des BGH, vgl. zuletzt Beschluss vom 27. Januar 2011 - III ZB 30/10 -, juris Rn. 8; Beschluss vom 12. Mai 2010 - IV ZB 18/08 -, NJW 2010, 2811, juris Rn. 11; Beschluss vom 4. Februar 2010 - I ZB 3/09 -, MDR 2010, 779, juris Rn. 14 m.w.N.). In Hinblick darauf, dass eine Übermittlung fristwahrender Schriftsätze am letzten Tag der Frist häufig unter besonderer Anspannung und Zeitdruck erfolgt und besonders fehleranfällig ist, ist eine Delegation an zuverlässige Büromitarbeiter zwar zulässig, erfordert aber die Gewährleistung einer sorgfältigen Kontrolle, und zwar in mehrfacher Hinsicht. So ist anhand des ausgedruckten Sendeberichts zum einen zu überprüfen, ob die Sendung ordnungsgemäß und vollständig übermittelt worden ist. Zum anderen ist sicherzustellen, dass sie den richtigen Empfänger erreicht hat. Um sowohl Ermittlungs- wie auch Eingabefehler zu vermeiden, ist dabei sowohl zu kontrollieren, ob die auf dem Sendebericht angegebene Nummer mit derjenigen auf dem Schriftsatz übereinstimmt, als auch, ob diese Nummer tatsächlich die des gewünschten und auf dem Schriftsatz angegebenen Empfängers ist. Eine Überprüfung der im Sendebericht aufgeführten Nummer anhand einer zuverlässigen Quelle ist nur dann entbehrlich, wenn die ermittelte Faxnummer vor der Absendung schon einmal überprüft worden ist; stets ist jedoch erforderlich, dass die Ermittlung der Faxnummer zumindest einmal kontrolliert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2010, a.a.O., Rn. 14 und Beschluss vom 4. Februar 2010, a.a.O., Rn. 18). Eine derartige Kontrolle hat vorliegend weder im Einzelfall stattgefunden noch haben die Verfahrensbevollmächtigten durch eine allgemeine oder konkrete Anweisung für eine solche Überprüfung Sorge getragen. Dass derartige Kontrollen zur Aufdeckung von Ermittlungsfehlern sinnvoll sind, zeigt gerade der vorliegende Fall. Denn es ist davon auszugehen, dass bei einer Überprüfung der verwendeten Nummer die in der Handakte befindliche Verfügung des Oberverwaltungsgerichts nicht nochmals übersehen worden oder zumindest die auf der Homepage des Oberverwaltungsgerichts bereits auf der Startseite unter der Überschrift „Kontakte“ aufgeführte Faxnummer des Gerichts zutreffend erkannt worden wäre.
3. Der Umstand, dass die Beschwerde wegen Versäumung der Begründungsfrist unzulässig ist, kann auch nicht deshalb als unbeachtlich angesehen werden, weil die Antragstellerin mittlerweile den Rechtsstreit (einseitig) in der Hauptsache für erledigt erklärt hat. Die Frage, inwieweit es im Falle einer einseitigen Erledigungserklärung des Klägers darauf ankommt, ob die Klage zunächst zulässig war (vgl. zum Meinungsstreit nur Neumann in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 161 Rn. 143 ff.) und wie dies im Falle eines unstatthaften oder verspätet eingelegten Rechtsmittels zu bewerten ist (vgl. dazu die Nachweise bei Neumann, a.a.O., Rn. 148), bedarf vorliegend keiner weiteren Erörterung. Denn dies wäre im Rahmen eines Erledigungsstreits nur von Bedeutung, wenn tatsächlich eine Erledigung eingetreten wäre. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Die Antragstellerin hält das Verfahren deswegen in der Hauptsache für erledigt, weil die Beigeladene mit dem neuen Planaufstellungsbeschluss vom 16. Juni 2011 (Beschluss Nr. 047/2011) die mit dem Aufstellungsbeschluss vom 17. Juni 2010 (zur Beschlussvorlage Nr. 043/2010) begonnene Bauleitplanung, zu deren Sicherung der Zurückstellungsbescheid ergangen sei, aufgegeben habe. Die Beigeladene sieht demgegenüber in dem neuen Aufstellungsbeschluss lediglich eine Konkretisierung der bisherigen Planung, hält den Zurückstellungsbescheid jedoch deshalb für gegenstandslos, weil sie mittlerweile eine Veränderungssperre beschlossen habe, die auch das in der Vorbescheidsanfrage der Antragstellerin bezeichnete Grundstück umfasse. Weder eine etwaige nachträgliche Aufgabe der konkreten Planung noch der nachträgliche Eintritt einer Veränderungssperre führen jedoch dazu, dass ein Zurückstellungsbescheid unwirksam wird und sich ein dagegen gerichtetes Rechtsschutzverfahren erledigt.
Die Zurückstellung nach § 15 Abs. 1 BauGB ist ein Institut des formellen Baurechts, das es ermöglicht, ein Baugenehmigungsverfahren für einen Zeitraum bis zu 12 Monaten auszusetzen und damit vorübergehend offen zu halten (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 - BVerwG 4 C 10.10 -, juris Rn. 8). Es ist ein Instrument zur Sicherung der Bauleitplanung für den Fall, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre vorliegen, eine solche aber nicht beschlossen oder noch nicht in Kraft getreten ist. Die Aufgabe der zu sichernden Planung oder das spätere Inkrafttreten einer Veränderungssperre haben zur Folge, dass der Sicherungszweck der Zurückstellung entfällt und die Voraussetzungen für einen Zurückstellungsbescheid nicht (mehr) vorliegen. Dies führt zur materiellen Rechtswidrigkeit eines Zurückstellungsbescheides, macht diesen jedoch nicht unwirksam oder gegenstandslos. Der Zurückstellungsbescheid ist als Verwaltungsakt vielmehr weiterhin der Bestandskraft fähig und nicht erledigt, der Bauherr oder die Gemeinde können aber einen Anspruch auf dessen Aufhebung haben (vgl. Sennekamp in: Brügelmann, BauGB, Stand Mai 2011, § 15 Rn. 17, 53 und 94; Hornmann in: Spannonwsky/Uechtritz, BauGB, 2009, § 15 Rn. 27; Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl. 2009, § 15 Rn. 8; Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand März 2011, § 15 Rn. 51 f.; a.A. Lemmel in: Schlichter/Driehaus/Paetow, Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Auflage, Stand Mai 2011, § 15 Rn. 1 a).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat folgt dabei der erstinstanzlichen Wertfestsetzung und orientiert sich ebenfalls an der Empfehlung in Nr. II.9.1.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Fassung: Juli 2004, NVwZ 2004, 1327), wonach der Wert bei einer Baugenehmigung für einen Lebensmittel-Discounter mit einer Verkaufsfläche von 800 m² mit 120.000 Euro anzusetzen wäre, wobei dieser Wert hier insgesamt dreimal zu halbieren ist, weil es nur um einen Vorbescheid geht (hierzu Nr. II.9.2 des Streitwertkatalogs), nur die Zurückstellung der Entscheidung angegriffen ist (vgl. OVG NW, Beschluss vom 22. November 2006 - 10 B 2354/06 -, juris Rn. 10) und zudem ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren vorliegt (Nr. II.1.5 des Streitwertkatalogs).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).