Gericht | FG Berlin-Brandenburg 12. Senat | Entscheidungsdatum | 25.08.2010 | |
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Aktenzeichen | 12 K 12109/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 387ff BGB, § 226 AO |
Das Finanzamt ist nicht gehindert, während der Wohlverhaltensphase mit Guthaben des Schuldners aus einbehaltener Bauabzugssteuer gegen Steuerschulden aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufzurechnen.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des Beklagten, mit Einkommensteuerforderungen sowie Forderungen auf Solidaritätszuschlag aus den Jahren 1999/2000 gegen unstreitig bestehende Steuerabzugsbeträge für Bauleistungen in Höhe von € 5 076,49 aufzurechnen.
Der Kläger schuldet dem Beklagten diverse Steuern und steuerliche Nebenleistungen aus den Jahren 1996 bis 2000. Am … 2000 wude das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. Der Beklagte meldete seine Forderungen zur Tabelle an. Im Dezember 2002 wurde das Insolvenzverfahren wegen Masseunzulänglichkeit nach § 211 der Insolvenzordnung (InsO) eingestellt. Die Wohlverhaltensphase wurde auf sieben Jahre festgelegt.
Der Kläger eröffnete am … 2006 einen …betrieb. Für diesen Betrieb erteilte der Beklagte ihm eine neue Steuernummer. Aufgrund von Bauleistungen, die der Kläger im Zeitraum von März bis Dezember 2006 erbrachte, ergaben sich Anmeldungen über den Steuerabzug bei Bauleistungen nach § 48 EStG in Höhe von € 5 076,49. Der Beklagte zahlte dem Kläger das entsprechende Guthaben nicht aus, sondern buchte es auf Einkommensteuer 1999 sowie Solidaritätszuschläge zur Lohnsteuer für die Monate Juni 1999 bis April 2000 zu der Steuernummer … um. Der Kläger widersprach den Umbuchungen. Am 25. April 2008 erließ der Beklagte daraufhin den hier angefochtenen Abrechnungsbescheid. Der Einspruch des Klägers dagegen hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 21. April 2008).
Der Kläger ist der Auffassung, dass der Beklagte das ihm, dem Kläger, zustehende Guthaben nicht mit Steuerschulden aus den Jahren 1999 und 2000 zu einer von seiner jetzigen Steuernummer abweichenden Steuernummer aufrechnen dürfe. Zudem sei, da eine Anrechnung nach § 48c des Einkommensteuergesetzes (EStG) hier nicht möglich sei, auch die Aufrechnung nach § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 387 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht möglich. Ferner meint der Kläger, dass das Verhalten des Beklagten der Intention der Insolvenzordnung widerspreche, die darin bestehe, insolvenzgefährdeten Unternehmen das Weiterleben zu ermöglichen. Letztlich sei es das Ziel der Insolvenzordnung, die Insolvenzmasse zu vergrößern und Vorrechte bestimmter Gläubiger, wie etwa des Fiskus, zu beschränken. Mit der Restschuldbefreiung solle ihm, dem Kläger, die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Neuanfangs gegeben werden. Diese Möglichkeit werde vereitelt, wenn die Auszahlung des existentiell notwendigen Guthabens aus Steuerabzugsbeträgen durch Aufrechnung von Insolvenzforderungen verhindert werde.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
den Abrechnungsbescheid vom 25. April 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. April 2009 aufzuheben,
sowie,
die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht geltend, dass die Voraussetzungen für eine Aufrechnung vorgelegen hätten und insolvenzrechtliche Vorschriften der Aufrechnung nicht entgegenstünden. Auch aus den Vorschriften über das Restschuldbefreiungsverfahren ergebe sich kein Aufrechnungsverbot. In der Wohlverhaltensphase sei zwar die Vollstreckung in das Vermögen des Schuldners verboten, nicht aber die Aufrechnung mit bestehenden Forderungen.
1. Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte war zur Aufrechnung mit dem dem Kläger zustehenden Guthaben berechtigt.
Die Voraussetzungen für die Aufrechnung, insbesondere gemäß § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) – Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit der Forderungen, Erfüllbarkeit der Hauptforderung und Fälligkeit der Gegenforderung – lagen vor. Es fehlt insbesondere nicht etwa deshalb an der Gegenseitigkeit der Forderungen, weil dem Kläger für sein neu eröffnetes Unternehmen eine neue Steuernummer zugeteilt worden ist. Der Kläger ist vielmehr nach wie vor ein- und dieselbe Rechtspersönlichkeit (in diesem Sinne auch Thüringer Finanzgericht [FG], Urteil vom 10. April 2008 – 1 K 757/07, EFG 2008, 1485, Rev. BFH VII R 35/08).
Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass die Aufrechnungsbeschränkungen der §§ 94 ff. InsO nach der Einstellung des Insolvenzverfahrens nicht mehr eingreifen.
Andere gesetzliche Bestimmungen, die dem Kläger zur Seite stehen, indem sie dem Beklagten die Aufrechnung mit Steuerforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens untersagen, fehlen. Insbesondere der Umstand, dass die Voraussetzungen des § 48c EStG, der nicht die Aufrechnung im eigentlichen Sinne betrifft, nicht vorliegen, nötigt zu keiner anderen Ansicht.
In diesem Sinne haben sowohl der Bundesgerichtshof (BGH) als auch der Bundesfinanzhof (BFH), letzterer mittlerweile in ständiger Rechtsprechung, festgestellt, dass der InsO keine die Aufrechnungsbefugnis von Insolvenzgläubigern in der Wohlverhaltensperiode allgemein ausschließende Bestimmung zu entnehmen sei. Insbesondere könne eine solche nicht aus dem Zwangsvollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO hergeleitet werden. Eine willkürliche Privilegierung dessen, der sich vor anderen Gläubigern durch Aufrechnung befriedigen kann, liege darin nicht, weil ein solcher Gläubiger – anders als es bei einer Zwangsvollstreckung in das Vermögen des insolventen Schuldners der Fall wäre – Befriedigung nur gegen Aufgabe seiner eigenen Forderung gegen diesen erlangt (BGH-Urteil vom 21. Juli 2005 – XI ZR 115/04, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 2005, 2988; BFH-Urteil vom 21. November 2006 – VII R 1/06, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2008, 272, BFH-Beschlüsse vom 09. Januar 2007 – VII B 45/06, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2007, 855; vom 16. Mai 2008 – VII S 11/08, n.v.; vom 07. Januar 2010 – VII B 118/09, BFH/NV 2010, 950; gl.A. FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. März 2009 – 2 K 1682/08, Entscheidungen der Finanzgericht –EFG – 2009, 1269; ebenso insbesondere auch für Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche aus einer neu aufgenommenen gewerblichen Tätigkeit Thüringer FG, Urteil vom 10. April 2008 aaO.). Der erkennende Senat schließt sich diesen Erwägungen an.
Der Kläger stützt seine Ansicht danach im Wesentlichen auf den Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens und der Regelungen über die Wohlverhaltensphase. Diese Erwägungen sind jedoch nicht geeignet, die Möglichkeiten der Aufrechnung über die gesetzlich geregelten Beschränkungen hinaus einzuschränken. Das Insolvenzverfahren hat zwar zum Ziel, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird. Außerdem soll dem redlichen Schuldner Gelegenheit gegeben werden, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien (vgl. § 1 InsO). Hieraus kann jedoch kein allgemeines Aufrechnungsverbot abgeleitet werden. Denn schon der Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger gilt nicht uneingeschränkt. Die besonderen Regelungen zu Aufrechnungsverboten (vgl. §§ 94 ff, 114, 294 InsO) und auch die Bestimmungen über Einschränkung sonstiger Gläubigerrechte insbesondere der Einzelvollstreckung zeigen vielmehr, dass diese Beschränkungen nicht ausnahmslos, sondern nur in den im Einzelnen geregelten Fällen gelten. Eine darüber hinaus gehende umfassende Reduzierung der Gläubigerrechte war gerade nicht gewollt, denn nach §§ 94 ff. InsO bleibt eine bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Aufrechnungsbefugnis ohnehin bestehen. Lediglich für den Schuldner von Dienstbezügen oder von an deren Stelle tretenden laufenden Bezügen befristet § 114 InsO die Aufrechnungsbefugnis. Für die Aufrechnung anderer Gläubiger gelten demgegenüber die allgemeinen Regeln. Das umfassendere Aufrechnungsverbot des § 96 Nr. 1 InsO gilt gerade nur während des laufenden Insolvenzverfahrens. Bei einer anschließenden Restschuldbefreiung gilt demgegenüber das besondere Aufrechnungsverbot des § 294 Abs. 3 InsO, der zugleich die Grenzen eines Aufrechnungsverbotes aufzeigt. Denn § 294 Abs. 3 InsO verweist auf § 114 Abs. 2 Satz 2 InsO, der wiederum zwar auf §§ 95, 96 Nrn. 2 bis 4 InsO, gerade aber nicht auf das umfassendere Aufrechnungsverbot des § 96 Nr. 1 InsO Bezug nimmt. Diese ausdrückliche gesetzliche Regelung verbietet es, ein allgemeines Aufrechnungsverbot für sämtliche Gläubiger, die am Restschuldbefreiungsverfahren teilnehmen, aus dem Postulat einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung herzuleiten (vgl. FG Düsseldorf, Beschluss vom 10. November 2004 – 18 K 321/04 AO, EFG 2005, 845, m.w.N.).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.