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Entscheidung 9 WF 315/11


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 10.04.2012
Aktenzeichen 9 WF 315/11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin zu 1. und der weiteren Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Rathenow vom 20.10.2011 (Az.: 5 F 297/10) aufgehoben.

Die Kosten des Zwischenstreits folgen der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

Die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin zu 1. und der weiteren Beteiligten (Kindesmutter) sind gemäß § 178 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 387 Abs. 3 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

In der Sache haben die Rechtsmittel auch Erfolg. Das Familiengericht hat zu Unrecht durch Beschluss vom 20.10.2011 die Weigerung der Antragsgegnerin zu 1. und ihrer Mutter, Proben für die Erstellung eines Abstammungsgutachtens abzugeben, für unbegründet erklärt.

Gemäß § 178 Abs. 1 FamFG hat eine Person Untersuchungen, insbesondere die Entnahme von Blutproben, zu dulden, soweit sie zur Feststellung der Abstammung erforderlich sind, und die Untersuchung ihr zugemutet werden kann. So liegt der Fall hier aber nicht.

Das Familiengericht hat zwar zwischenzeitlich Ermittlungen zu der Frage, ob zwischen der Antragsgegnerin zu 1. und dem Antragsgegner zu 2. eine sozial-familiäre Beziehung besteht, angestellt. Nach seiner Auffassung ist das zu verneinen und damit die Behörde zur Anfechtung der Vaterschaft nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB berechtigt.

Im Rahmen seiner Zwischenentscheidung hat sich das Familiengericht aber nicht mit der Verfassungsmäßigkeit des behördlichen Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft auseinandergesetzt. Dies war aber geboten, weil hierzu in Rechtsprechung und Literatur kontroverse Auffassungen bestehen und vorliegend die Entscheidung von der gegebenenfalls für verfassungswidrig zu erklärenden Norm des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB abhängt.

Das Amtsgericht Hamburg-Altona hält die gesetzliche Regelung zur Anfechtung der Vaterschaft durch die zuständige Behörde gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB, Art. 229 § 16 EGBGB mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und hat deshalb das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG angerufen (Beschluss vom 15.04.2010, Az.: 350 F 118/09). Das Verfahren wird dort unter dem Az.: 1 BvL 6/10 geführt. Eine weitere Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ist durch das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen erfolgt (Beschluss vom 07.03.2011, Az.: 4 UF 76/10).

Das Familiengericht wird sich mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit des behördlichen Vaterschaftsanfechtungsrechts auseinander setzen müssen. Sollte es dabei zu der Überzeugung kommen, dass die maßgebliche Vorschrift des § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot oder gegen das Gleichheitsgebot verfassungswidrig ist, so hat es das Verfahren gemäß Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Sollte es sich zur Verfassungswidrigkeit der Norm noch keine abschließende Meinung bilden können und stimmen die Beteiligten einem Ruhen des Verfahrens nicht zu, so kommt eine Verfahrensaussetzung entsprechend § 148 ZPO in Betracht.

§ 148 ZPO ist in Kindschaftssachen grundsätzlich anwendbar (Baumbach/Lauterbach, ZPO, Ergänzungsband zur 68. Aufl., § 640 ZPO a.F., Rz. 9; Schael, Familienverfahrensrecht, 1. Aufl., § 10, Rz. 110).

Die Rechtsfrage, ob in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO die Aussetzung ohne gleichzeitige Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zulässig ist, wenn die Verfassungsmäßigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes bereits Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde oder Richtervorlage ist, ist in Rechtsprechung und Literatur streitig. Nach einer Ansicht ist eine Aussetzung entsprechend § 148 ZPO aus Gründen der Prozessökonomie zulässig, solange sich das Gericht nicht von der Verfassungswidrigkeit des betreffenden Gesetzes überzeugt hat; ist es dagegen von dessen Verfassungswidrigkeit überzeugt, ist eine Vorlage gemäß Art. 100 GG zwingend geboten (BGH, NJW 1998, 1957; RdE 2001, 20; BVerfG, NJW 2000, 1484; Baumbach/Hartmann, ZPO, 68. Aufl., § 148, Rz. 29). Nach einer anderen Ansicht hat das entscheidende Gericht bei Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit die Sache dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen und anderenfalls in der Sache selbst zu entscheiden. Grundsätze der Prozessökonomie seien nicht geeignet, gegen den Willen eines der Verfahrensbeteiligten die Entscheidung zurückzustellen (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, NJWE-WettbR 2000, 27; Entscheidung vom 7.9.1999 zum Az.: 6 U Kart. 87/97; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 148, Rz. 3a; jeweils m.w.N.).

Der Senat erachtet die Aussetzung ohne Vorlage für zulässig, soweit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in absehbarer Zeit zu erwarten ist und keine Gründe im Einzelfall eine Verzögerung der Entscheidung als erheblich nachteilig für eine Partei erscheinen lassen. Immerhin geht es bei der vorliegenden Frage der Verfassungsmäßigkeit des behördlichen Rechts auf Anfechtung der Vaterschaft um grundrechtlich geschützte Rechtspositionen, in die mit massiven Folgen für das Kind und dessen Eltern eingegriffen wird. Nicht nur der Status, als Folge auch die Staatsbürgerschaft des Kindes und ein Aufenthaltsrecht sowohl des Kindes als auch von dessen Mutter werden berührt. Bei diesen Werten von existenzieller Bedeutung für die Betroffenen kann die analoge Anwendung von § 148 ZPO dazu führen, dass der Gefahr von Grundrechtseingriffen begegnet wird, deren Rechtswidrigkeit erst im Nachhinein aufgrund einer späteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts festgestellt wird (erkennender Senat, Beschluss vom 20. Juni 2011, Az.: 9 UF 143/11).

Die Kosten des Zwischenstreits folgen der Kostenentscheidung in der Hauptsache (Schulte-Bunert/Weinreich/Schwonberg, FamFG, § 178 Rz. 8).