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Krankengeld (stattgebender Beschluss) - Befristung - Auflagen - maßgeblicher Zeitpunkt - Verweisung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 30.10.2013
Aktenzeichen L 9 KR 294/13 B ER ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 44 SGB 5, § 46 SGB 5, § 86b SGG

Leitsatz

1.) Zur Befristung und Auflagen in stattgebenden Beschlüssen zur Gewährung von Krankengeld.

2.) Zur Verweisung auf Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe in vorläufigen Rechtsschutzverfahren zur Gewährung von Krankengeld.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. September 2013 geändert: Die Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vom 23. September 2013 bis zum 11. November 2013 Krankengeld zu gewähren.

Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die Hälfte der ihr durch das Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe

Die Beschwerden der Antragstellerin und der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 23. September 2013 sind gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Jedoch ist nur die Beschwerde der Antragstellerin teilweise begründet und führt zu der aus dem Tenor dieser Entscheidung ersichtlichen Änderung des sozialgerichtlichen Beschlusses.

1.) Nach der in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) grundsätzlich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage steht der Antragstellerin in der streitigen Zeit bis zum 11. November 2013 - vorbehaltlich einer Prüfung im Widerspruchsverfahren - ein Anspruch auf Krankengeld und damit auch ein Anordnungsanspruch zu. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Nach den insoweit übereinstimmenden Feststellungen ihres behandelnden Arztes Dr. S und der Ärzte des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) G und Dr. M (vom 28. März bzw. vom 17. Juli 2013) litt die Antragstellerin während dieser Zeit an häufigen Durchfällen (mindestens 10-15 Stühle pro Tag) mit krampfartigen Schmerzen im Bauchbereich und im Anusbereich, besonders stark beim Sitzen. Die Durchfälle und die Schmerzen hinderten und hindern sie daran, ihre Arbeit als Mitarbeiterin in einem Call-Center auszuüben, weil sie eine regelmäßige Arbeitsleistung schlechthin ausschließen. Der behandelnde Arzt der Antragstellerin hat dieser in der streitigen Zeit auf den Auszahlscheinen der Antragsgegnerin auch lückenlos bis zum 11. November 2013 gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V Arbeitsunfähigkeit bescheinigt (letzte Bescheinigung vom 25. Oktober 2013), weil diese ärztlichen Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit nicht befristet waren und sind. Damit bleibt auch die Mitgliedschaft der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V - vorbehaltlich einer abschließenden Prüfung in der Hauptsache - als eine maßgebliche Voraussetzung für einen Anspruch der Antragstellerin auf Krankengeld erhalten. § 7 Abs. 3 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (SGB IV) kann bei einer Lückenlosigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und der Fortdauer der Mitgliedschaft der Antragstellerin (bei der Antragsgegnerin) ihrem Krankengeldanspruch nicht entgegengehalten werden.

2.) Die Antragstellerin hat jedoch nicht nur einen Anordnungsanspruch gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, sondern auch einen Anordnungsrund für eine Krankengeldgewährung in der Zeit vom 23. September 2013 bis zum 11. November 2013 glaubhaft gemacht. Nach ihrem Schreiben vom 25. Oktober 2013 ist zu erwarten, dass sie ihre Beschäftigung zum 11. November 2013 wieder aufnimmt, so dass sie bis zu diesem Zeitpunkt auf die Gewährung von Krankengeld angewiesen ist, um ihren Lebensunterhalt decken zu können. Der Senat hat deshalb die zeitliche Beschränkung der Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Leistungsgewährung bis zum 04. November 2013 durch das Sozialgericht auf Grund der Vorlage des Auszahlscheins vom 25. Oktober 2013 geändert und die Leistungspflicht bis zum 11. November 2013 verlängert. Eine solche Befristung erscheint unabhängig von der geplanten Arbeitsaufnahme der Antragstellerin bei Vorliegen einer akuten Erkrankung bei unklarer Diagnose aber auch deshalb geboten, um es der Antragsgegnerin zu ermöglichen, die Feststellung der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit sowie die Ergebnisse medizinischer Maßnahmen zur Erkennung und Behandlung der Erkrankung unter Kontrolle zu halten und dadurch den Vorbehalt einer Überprüfung des Krankengeldanspruchs im Hauptsacheverfahren nicht leerlaufen zu lassen. Der Senat hält es in Fällen wie dem vorliegenden aus den dargelegten Gründen für geboten, stattgebende Entscheidungen auf einen Zeitraum von sechs Wochen bis zu drei Monaten zu befristen. Dies bedeutet nicht, dass in dem der Befristung folgenden Zeitraum kein Krankengeld mehr gewährt werden muss. Hat ein Sozialgericht im Wege einstweiliger Anordnung Krankengeld zugesprochen und haben sich die Verhältnisse nach Überprüfung durch die behandelnden Ärzte nicht geändert, muss das Krankengeld weiter gewährt werden. Befristet das Sozialgericht im Anordnungsverfahren die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Leistungsgewährung, ist grundsätzlich kein Raum für weitere Einschränkungen durch zusätzliche Auflagen. Der Senat hat deshalb die Entscheidung des Sozialgerichts, die Zahlung des Krankengeldes davon abhängig zu machen, dass die Antragstellerin ab 01. Oktober 2013 alle 14 Tage AU-Bescheinigungen oder Auszahlscheine vorlegt, aufgehoben, zumal zum Zeitpunkt der sozialgerichtlichen Entscheidung schon unbefristete Auszahlscheine vorlagen.

Zutreffend hat das Sozialgericht im Übrigen darauf hingewiesen, dass der Antragstellerin bei der Prüfung des Anordnungsanspruchs nicht entgegengehalten werden darf, dass die begehrte einstweilige Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nicht notwendig sei, weil es ihr grundsätzlich zuzumuten sei, Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB II bzw. SGB XII) zu beantragen. Der Senat hat bereits als 9. Senat des Landessozialgerichts Berlin mit Beschluss vom 1. März 1999 (L 9 B 7/99 KR/ER, Breithaupt 1999, S. 910) entschieden, dass diese Rechtsauffassung nicht mit Art. 19 Abs. 4 GG zu vereinbaren ist. Ein Anordnungsgrund kann daher nicht mit der Begründung verneint werden, die Antragstellerin könne Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende oder Sozialhilfe in Anspruch nehmen (Beschluss des Senats vom 19. April 2013, L 9 KR 532/13 B ER, zitiert nach juris).

3.) Soweit die Antragstellerin einen Krankengeldanspruch auch für die Zeit vor dem 23. September 2013 geltend macht, fehlt ihr allerdings der Anordnungsgrund.

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies grundsätzlich der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung, im sozialgerichtlichen Verfahren der Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 GG darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im – grundsätzlich vorrangigen – Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 – 1 BvR 1586/02 – und vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05; zitiert nach juris). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar. Daraus ist abzuleiten, dass das Beschwerdegericht – vorbehaltlich der noch darzustellenden Ausnahmen - Krankengeld erst ab dem Zeitpunkt seiner Entscheidung in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren zusprechen kann und darf. Dasselbe gilt auch für das Sozialgericht: Die Verpflichtung der Krankenkassen zur Gewährung von Krankengeld im Wege einstweiliger Anordnung für Zeiträume, die vor der Entscheidung des Sozialgerichts liegen, ist grundsätzlich ausgeschlossen.

Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Abs. 4 GG kann zwar in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen, so insbesondere dann, wenn andernfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine – stattgebende – Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen. Derartige Umstände hat die Antragstellerin indes hier nicht glaubhaft gemacht. Denn sie hat keine Unterlagen vorgelegt, aus denen sich ihre Behauptung belegen ließe, dass ihr die (fristlose) Kündigung ihrer Wohnung droht. Eine solche Kündigung ist nach § 543 Abs. 1 und 2 Bürgerliches Gesetzbuch nur dann wirksam möglich, wenn die Antragstellerin mit der Zahlung eines Betrages von zwei monatlichen Mieten in Verzug ist und nicht vor der Kündigung oder spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs (vgl. § 569 Abs. 3 BGB) die bestehende Schuld tilgt, was ihr angesichts der geplanten Arbeitsaufnahme im November im Übrigen zumutbar sein dürfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens selbst.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).