Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 8. Senat | Entscheidungsdatum | 13.10.2016 | |
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Aktenzeichen | L 8 R 926/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 48 SGB 10, § 90 SGB 6 |
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin begehrt die Neufeststellung der Witwenrente nach dem vorletzten (ersten) Ehemann ohne Berücksichtigung von (versehentlich) zu hoch gezahlten Leistungen aus der Versorgung der Post des zweiten Ehemannes, die sie in Höhe von 17.000 Euro nach Urteilen des Landgerichts (LG) Stuttgart bzw. des Oberlandesgerichtes (OLG) Stuttgart nicht zurückzahlen muss.
Die 1924 geborene Klägerin ist die Witwe von
1. K K, geboren 1919, verstorben 1979
2. H L, geboren am 1920 und verstorben 2003.
Vor der Eheschließung am 07. März 2003 mit dem zweiten Ehemann bezog die Klägerin eine Witwenrente aus der Versicherung des ersten Ehemanns in Höhe von 701,08 Euro monatlich.
Die Witwenrente aus der Versicherung des zweiten Ehemannes war zunächst abgelehnt worden mit der Begründung, es liege eine Versorgungsehe vor. Mit Urteil des 16. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 20. März 2007, Az.: L 16 R 1110/05, war der Klägerin die Witwenrente aus der Versicherung des zweiten Ehemannes dann zugesprochen worden. Zwischenzeitlich war die Rente aus der Versicherung des ersten Ehemannes wieder aufgelebt.
Mit Mitteilung vom 27. Juli 2007 anerkannte die Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP) auf Grund des Urteils des LSG Berlin-Brandenburg, mit dem der Klägerin Witwenrente nach dem zweiten Ehemann zuerkannt worden war, einen Anspruch der Klägerin auf Witwenrente nach dem zweiten Ehemann rückwirkend ab 01. Juli 2003. Dieser wurde für die Zeit vom 01. Juli 2003 bis 30. September 2003 (Sterbevierteljahr) auf 682,74 Euro monatlich und ab dem 01. Oktober 2003 auf 409,64 Euro festgesetzt. Nach diversen Anpassungen betrug die Versorgungsrente ab 01. Juli 2007 426,27 Euro. Am 30. August 2007 erhielt die Klägerin aufgrund der vorgenommenen Berechnung einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 18.435,84 Euro.
Mit Bescheid vom 13. Juni 2007 hat die Beklagte der Klägerin auf Grund des Urteils des LSG Berlin-Brandenburg große Witwenrente nach dem zweiten Ehemann ab dem 01. Juli 2003 bewilligt.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 2007 hat die Beklagte die Witwenrente nach dem ersten Ehemann für die Zeit ab dem 01. Januar 2004 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufgehoben. Es erfolgte eine Verrechnung der Nachforderung von 30.536,25 Euro mit der wieder zu gewährenden Abfindung i. H. v. 11.314,95 Euro und der Nachzahlung aus der jetzt festgestellten Witwenrente nach dem zweiten Ehemann i. H. v. 22.147,58 Euro. Es wurde mitgeteilt, dass der Restanspruch von 2.926,25 Euro an die Klägerin überwiesen werde.
Mit Mitteilung vom 29. Oktober 2008 hat die VAP die Witwenversorgung rückwirkend ab dem 01. Oktober 2003 bis zum 31. Oktober 2008 auf die Mindestrente von 10,64 Euro festgesetzt, weil diese irrtümlich zugesprochen worden war. Die VAP hatte die Vorschrift des § 43 Abs. 1b der Satzung der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAPS) übersehen, wonach kein Anspruch auf Versorgungsrente für Witwen besteht, wenn die Ehe nach dem Eintritt des Versicherungsfalles geschlossen worden ist und der Verstorbene zur Zeit der Eheschließung das 65. Lebensjahr bereits vollendet hatte. Es ergab sich eine Überzahlung in Höhe von 20.891,63 Euro, die mit Mitteilung vom 27. November 2008 zurückgefordert wurde. Hiergegen hatte die Klägerin Klage erhoben, der das LG Stuttgart mit Urteil vom 26. November 2009 (Az. 25 O 277/09) insoweit stattgegeben hatte, als es feststellte, dass die Klägerin nicht verpflichtet sei, 15.000 Euro an die VAP zurückzuzahlen, da ihr Vertrauen insoweit schutzwürdig sei und sie die Leistungen in dieser Höhe verbraucht habe. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG Stuttgart mit Urteil vom 29. April 2010 (Az. 7 U 2/10) das Urteil des LG insoweit geändert, als die Klägerin weitere 2000 Euro nicht zurückzahlen musste.
Mit Bescheid vom 17. Juni 2010 hat die Beklagte die große Witwenrente nach dem vorletzten Ehegatten, also dem ersten Ehemann, ab dem 01. Juli 2010 „neu berechnet“. Der bisherige Bescheid wurde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01. Juli 2010 nach § 48 SGB X aufgehoben. Gegen den Bescheid vom 17. Juni 2010 hat die Klägerin am 21. Juni 2010 Widerspruch eingelegt.
Mit Schreiben vom 09. August 2010 teilte die VAP mit, dass sich ihres Erachtens der nicht zu erstattende Betrag von 15.000 Euro auf die Zeit vom 01. Oktober 2003 bis 10. April 2008 aufteilen lasse (im April 2008 erfolgte eine Schenkung, auf Grund derer - neben einer weiteren vorhergehenden Schenkung - die Klägerin nach dem Urteil des LG Stuttgart 15.000 Euro nicht zurückzahlen musste) und der Betrag von 2.000 Euro keinem bestimmten Zeitraum zugeordnet werden könne. Das OLG Stuttgart sei davon ausgegangen, dass die Klägerin im Dezember 2007 1.919,08 Euro und im Juli 2008 2.255,01 Euro für Heizöl ausgegeben habe.
In den Akten der Beklagten findet sich ein Vermerk vom 17. August 2010, wonach der Betrag von 15.000 Euro, den die Klägerin nicht an die VAP zurückzuzahlen hat, dem Zeitraum vom 01. Oktober 2003 bis 10. April 2008 zuzuordnen sei (55 Monate), so dass für diesen Zeitrahmen monatlich 227,27 Euro zu berücksichtigen seien. Darüber hinaus habe die Klägerin im Zeitraum bis Juli 2008 2.000 Euro zusätzlich für Heizöl ausgegeben, so dass für die Zeit vom 01. Oktober 2003 bis 31. Juli 2008 zusätzlich monatlich 34,48 Euro (2.000 Euro geteilt durch 58) anzurechnen seien. Es ergäbe sich folgende Anrechnung:
01. Juni 2006 bis 30. April 2008: 272,73 Euro + 34,48 Euro = 307,21 Euro.
01. Mai 2008 bis 31. Juli 2008 = 34,48 Euro.
Ab 01. August 2008 = 10,64 Euro.
Diese Beträge sollten auf die Rentenzahlung nach dem vorletzten Ehegatten angerechnet werden. Die Anrechnung aus der Rentenzahlung nach dem letzten Ehegatten bleibe unverändert.
Mit Bescheid vom 20. August 2010 hat die Beklagte die Rente nach dem ersten Ehemann hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01. Januar 2006 nach § 48 SGB X aufgehoben und ab diesem Zeitpunkt neu berechnet. Ab dem 01. Oktober 2010 wurden laufend 217,46 Euro festgesetzt und für die Zeit vom 01. Januar 2006 bis 30. September 2010 die Nachzahlung auf 5.504,41 Euro. Dabei wurde die VAP-Rente auf den Anspruch für die Zeit von Januar 2006 bis April 2008 angerechnet, sie sei daher für diesen Zeitraum nicht zu zahlen. Es wurden entsprechend dem Vermerk (s.o.) die 15.000 Euro auf die Zeit von Oktober 2003 bis April 2008 und 2.000 Euro auf die Zeit von Oktober 2003 bis April 2008 verteilt. Der Bescheid enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung, dass er gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werde.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08. Februar 2011 hat die Beklagte den Widerspruch bezüglich der Bescheide vom 17. Juni 2010 und 20. August 2010 zurückgewiesen. Die Leistung sei nach § 90 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) gemäß § 48 SGB X i. V. m. § 44 Abs. 4 SGB X ab dem 01. Januar 2006 neu zu berechnen gewesen. Vom LG und OLG Stuttgart sei der Anspruch auf VAP-Leistungen wegen schutzwürdigen Vertrauens bestätigt worden. Soweit ein Anspruch entstanden sei, sei er auch auf die Witwenrente anzurechnen. Ob durch die nicht an die VAP zu erstattenden Beträge bei Entreicherung durch Schenkung und Kauf von Heizöl ein „wirtschaftlicher Vorteil“ entstanden sei, sei für die Frage der Einkommensanrechnung irrelevant. Ungeachtet dessen wären ohne die Nachzahlung der VAP die Schenkungen – erst recht nicht in dieser Höhe – nicht möglich gewesen. Darin sei auch ein „wirtschaftlicher Vorteil“ zu sehen. Gleiches gelte für den Erwerb von Heizöl.
Mit der am 01. März 2011 bei der Beklagten eingegangenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, § 90 SGB VI spreche ausdrücklich von „Ansprüchen“ und nicht von Zahlungen oder ähnlichem. Ein Anspruch habe aber von Beginn an nur i. H. v. rund 10 Euro auf die VAP bestanden. Sowohl das LG als auch das OLG Stuttgart hätten festgestellt, dass eine Entreicherung vorgelegen habe. Dies bedeute, dass kein wirtschaftlicher Vorteil entstanden sei, der abschöpfbar wäre. Durch die nachträgliche Anrechnung würde diese Feststellung umgangen.
Mit Urteil vom 21. Oktober 2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe zutreffend gemäß § 90 Abs. 1 SGB VI die von der Klägerin bezogene Leistung der VAP auf die Witwenrente aus der Versicherung des ersten Ehemannes angerechnet. Zum einen bestünde, entgegen der Ansicht der Klägerin, ein grundsätzlicher monatlicher Zahlungsanspruch der Klägerin gegenüber der VAP in Höhe der sogenannten Mindestrente von 10,64 Euro. Zum anderen habe die Beklagte ebenfalls zutreffend für die zurückliegenden Zeiträume die von der VAP an die Klägerin ausgezahlten Versorgungsrentenleistungen im Rahmen der Berechnung des anrechenbaren Einkommens gemäß § 90 Abs. 1 SGB VI berücksichtigt. Es wurde auf die Berechnung der Beklagten in dem Bescheid vom 20. August 2011 [richtig: 20. August 2010], Anlage 7, Bezug genommen. Dem § 90 SGB VI liege das Subsidiaritätsprinzip zugrunde. Die Witwenrente solle der Versorgung der Witwe dienen. Demgemäß habe der Gesetzgeber die Anrechnung erlangter wirtschaftlicher Vorteile in dem aus dem Gesetz ersichtlichen Umfang angeordnet. Bei den von der Klägerin bezogenen Leistungen der VAP handele es sich um solche Ansprüche. Auch bezüglich der von der Beklagten berücksichtigten Höhe der für den Zeitraum ab dem 01. Januar 2006 bis 31. Juli 2008 in Ansatz gebrachten Versorgung bestünden keine durchgreifenden Bedenken. Die Beklagte habe insoweit, auf den strittigen Zeitraum verteilt, die von der Klägerin bezogenen Leistungen, die diese der VAP nicht zurückzahlen musste, angerechnet. Dass die Klägerin aufgrund der Entscheidung des OLG Stuttgart insgesamt 17.000 Euro wegen des Verbrauchs in der vorgenannten Höhe nicht zurückzahlen müsse, führe im Sozialversicherungsrecht nicht zu einer gleichgelagerten Wertung. Bei der Anrechnung der erhaltenen Leistungen komme es nur auf den Bezug der Leistungen bzw. hinsichtlich der Unterhaltsansprüche sogar nur auf deren Realisierbarkeit an. Es würde der gesetzlichen Intention, dass es sich bei der Witwenrente um eine subsidiäre Leistung handele, widersprechen, wenn der Berechtigte es durch eigenes Handeln in der Hand hätte, z.B. im Rahmen von Unterhaltsverzichtserklärungen oder Schenkungen, wie vorstehend zum Teil auch erfolgt, eine Entreicherung herbeizuführen, um dies dem Rentenversicherungsträger im Rahmen der Einkommensanrechnung nach § 90 Abs. 1 SGB VI entgegenhalten zu können. Er würde damit zu Lasten der Solidargemeinschaft selbst eigene Aufwendungen aus seinem Vermögen ersparen, aber gleichzeitig die aus der Schenkung resultierenden (im)materiellen Vorteile erlangen. Dies widerspräche dem Sinn und Zweck der Regelung des § 90 Abs. 1 SGB VI.
Gegen das am 07. November 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27. November 2013 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass „Anspruch“ definiert sei als das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Die Klägerin habe eben keinen Anspruch auf die höhere Leistung. Gerade aus diesem Grunde habe das „Entreicherungsrecht“ des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) Anwendung gefunden. Dass der Klägerin die Mittel zugeflossen und verbraucht seien, sei reiner Zufall. Dieser Tatbestand lasse sich aber nicht unter die Norm des § 90 SGB VI subsumieren.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Oktober 2013 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 20. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Februar 2011 zu ändern und die Witwenrente der Klägerin nach dem vorletzten Ehemann ab dem 01. Januar 2006 ohne Anrechnung der Zahlungen aus der VAP-Rente, soweit sie die Mindestrente überschreitet, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Begründung des erstinstanzlichen Urteils.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
Die den ersten und zweiten Ehemann betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Oktober 2013 und der Bescheid der Beklagten vom 20. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. Februar 2011 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Gewährung einer (höheren) Witwenrente nach ihrem ersten Ehemann für die Zeit vom 01. Januar 2006 bis zum 31. Juli 2008.
Streitgegenstand ist nur noch der Bescheid vom 20. August 2010, der den Bescheid vom 17. Juni 2010 ersetzt hat.
Als Rechtsgrundlage für die Gewährung einer höheren Witwenrente nach dem ersten Ehemann kommt § 48 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 SGB X in Betracht. Diese Vorschrift lautet:
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2. (…)
4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.
Sofern die von der Klägerin (zu Unrecht) bezogene VAP-Rente, soweit sie nicht zurückgezahlt werden muss, nicht mehr angerechnet werden dürfte, wäre eine wesentliche Änderung eingetreten, die sich zugunsten der Klägerin auswirken würde, weil dann ihre Witwenrente nach dem ersten Ehemann höher werden bzw. sich überhaupt ein Zahlbetrag ergeben würde.
Es ist jedoch bereits insoweit, als die Beklagte die VAP-Leistung angerechnet hat, keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten.
Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen ist gegeben, wenn der Verwaltungsakt von der Behörde nach den nunmehr vorliegenden Verhältnissen so nicht mehr erlassen werden dürfte (Brandenburg in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 48 Rn. 59). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Soweit die Beklagte die von der VAP erhaltenen Leistungen angerechnet hat, ist keine wesentliche Änderung eingetreten, weil die Beklagte die erhaltenen Beträge, die nicht zurückgezahlt werden mussten, also 17.000 Euro, auch (weiterhin) anrechnen durfte, die Voraussetzungen des § 90 Abs. 1 SGB VI sind insoweit auch weiterhin erfüllt. Diese Vorschrift lautet:
Auf eine Witwenrente oder Witwerrente nach dem vorletzten Ehegatten werden für denselben Zeitraum bestehende Ansprüche auf Witwenrente oder Witwerrente, auf Versorgung, auf Unterhalt oder auf sonstige Renten nach dem letzten Ehegatten angerechnet; dabei werden die Vorschriften über die Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes nicht berücksichtigt.
Der Begriff „Anspruch“ ist gemäß § 194 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) definiert als das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Diese Definition ist auch im Recht des SGB VI anwendbar (vgl. das Urteil des BSG vom 24. Februar 1999, Az. B 5 RJ 28/98 R, juris Rn. 14 = SozR 3-2600 § 300 Nr. 14). Einen materiell-rechtlichen Anspruch hat die Klägerin auf die VAP–Rente in der gezahlten Höhe nach den Urteilen des LG und OLG Stuttgart zwar nicht, aber sie muss die erhaltenen Beträge in Höhe von 17.000 Euro gemäß § 69 Abs. 1 Sätze 2 und 3 i.V.m. Abs. 2 VAPS nicht zurückzahlen. Diese Vorschriften lauten:
(1) Beruht die überzahlte Leistung auf einer Mitteilung nach § 60, die von Anfang an oder nachträglich nicht der Sach- oder Rechtslage entspricht, so darf diese nicht mit rückwirkender Kraft abgeändert werden, soweit der Berechtigte auf den Bestand der Mitteilung vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem Interesse der VAP, nur satzungsgemäße Leistungen erbringen zu müssen, schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Berechtigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. (…)
(2) Soweit die Mitteilung abgeändert wurde, sind gewährte Leistungen zurückzufordern. Dies gilt auch bei Überzahlungen, die nicht auf einer Mitteilung beruhen. Für die Rückforderung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung ist in den Fällen des Absatzes 1 Satz 3 ausgeschlossen. Ansonsten ist der Wegfall der Bereicherung anzunehmen, wenn der Berechtigte nachweist, dass er die zu viel gezahlten Leistungen im Rahmen seiner Lebensführung verbraucht hat. Dies kann ohne nähere Prüfung angenommen werden, wenn die Überzahlung 10 v. H. der jeweils zustehenden Gesamtversorgung, höchstens jedoch 100 Euro monatlich, nicht übersteigt. Nachzahlungen können auch dann aufgerechnet werden, wenn der Rückforderung der Wegfall der Bereicherung entgegensteht.
Es ist über § 69 Abs. 2 Satz 3 VAPS das Bereicherungsrecht des BGB anzuwenden. Dieses wird allerdings modifiziert durch die Regelungen des § 69 Abs. 2 Sätze 5 und 6 VAPS (vgl. Urteil des OLG Stuttgart, aaO., 3. B.bb). Bei dem Entreicherungseinwand handelt es sich um eine rechtsvernichtende Einwendung (Urteil des BGH vom 17. Juni 1992, Az. XII ZR 119/91, juris Rn. 12 = NJW 1992, 2415). Eine rechtsvernichtende Einwendung lässt den bestehenden Anspruch (hier der VAP auf Rückzahlung) erlöschen. Dies bedeutet, dass ein Rückzahlungsanspruch der VAP nicht besteht und der Anspruch der Klägerin ihr wirtschaftlich belassen wird.
Selbst wenn man der Auffassung ist, dass das eben Gesagte für die Definition als „Anspruch“ im Sinne des § 90 Abs. 1 SGB VI nicht ausreicht, ergibt sich jedoch bei einer Auslegung aus Sinn und Zweck des § 90 SGB VI, dass das „Behaltendürfen“ der gezahlten Gelder unter diese Vorschrift zu subsumieren ist. Zu den Ansprüchen nach dem letzten Ehegatten gehören solche, die ihre Wurzel in dessen persönlichen Eigenschaften und Verhältnissenhabeninsbesondere in seinen früheren Beitragsleistungen oder seiner früheren beruflichen Tätigkeit. Sie müssen ihrer wirtschaftlichen Funktion nach bestimmt und geeignet sein, dem Ehegatten nach Auflösung der Ehe die Bestreitung des Lebensunterhaltszu ermöglichen oder zu erleichtern.Der Rechtsgrundeines solchen Anspruchs nach dem letzten Ehegatten kann öffentlich- oder privatrechtlicher Natur und aufin- und ausländischemRechtberuhen (Wehrhahn in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand Juni 2016, § 90 SGB VI Rn. 6 m.w.N.)
Der Gesetzgeber hat allein auf die wirtschaftliche Funktion der Ansprüche abstellen wollen. Aus Sinn und Zweck des § 90 (und seiner Vorgängervorschriften, z.B. § 1291 Abs. 2 Satz 1 Reichsversicherungsordnung - RVO -) ist der Anspruch auf wiederaufgelebte Witwenrente gegenüber den in der zweiten Ehe erworbenen Versorgungsansprüchen, Unterhaltsansprüchen oder Rentenansprüchen subsidiär (nachrangig). Er soll lediglich eine nach Auflösung der zweiten Ehe möglicherweise entstandene Versorgungslücke schließen und eine Versorgung der Witwe aus ihrer ersten Ehe nur insoweit wiedereinsetzen lassen, als ihre Versorgung aus der zweiten Ehe geringer ist. Die Witwe soll nach Auflösung der zweiten Ehe finanziell zwar nicht schlechter, aber auch nicht besser als vor ihrer Wiederverheiratung gestellt sein (BSG, Urteil vom 24. April 1980, Az. 1 RJ 34/79, juris Rn. 18 = SozR 2200 § 1291 Nr. 20).
Unter Berücksichtigung dieser Intention des § 90 SGB VI ist es unerheblich, ob die Bezeichnung „Anspruch“ mit der der Definition in § 194 BGB übereinstimmt. Die Klägerin hat die Leistungen zielgerichtet zur Deckung ihres Lebensunterhalts erhalten und muss sie nicht - zumindest zum großen Teil nicht - zurückzahlen. Damit ist die wirtschaftliche Funktion, auf die § 90 Abs. 1 SGB VI allein abstellt, erfüllt.
Für dieses Ergebnis spricht auch, dass ein Anspruch, der nach § 90 SGB VI anzurechnen ist, auch realisierbar sein muss (vgl. das Urteil des BSG vom 4. November 1964, Az. 11/1 RA 127/63, juris Rn. 14; Jentsch in Schlegel/Voelzke, jurisPK- SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 90 SGB VI Rn. 13). Im Umkehrschluss ergibt sich, dass eine Leistung, die im Grunde nicht zustand, jedoch tatsächlich realisiert wurde, anzurechnen ist.
Auch ein Vergleich mit öffentlich-rechtlichen Leistungen, die auf Grund eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ergangen sind und gemäß § 45 Abs. 2 SGB X aus Vertrauensschutzgesichtspunkten nicht zurückzuzahlen sind, spricht für die gefundene Lösung. § 45 Abs. 2 SGB X entspricht im Wesentlichen der Vertrauensschutzregelung des § 69 VAPS. Darf jedoch ein Verwaltungsakt aus Vertrauensschutzgründen nicht zurückgenommen werden, besteht ein Anspruch aus eben dem rechtswidrigen Verwaltungsakt. Dies ergibt sich aus § 39 Abs. 2 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt wirksam bleibt, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Es würde sich ein Wertungswiderspruch ergeben, wenn zu Unrecht erfolgte öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Leistungen unterschiedlich behandelt würden.
Auch die Verteilung der Leistungen, die die Klägerin behalten darf, ist im Ergebnis zutreffend. Gemäß § 90 Abs. 1 SGB VI sind die „für denselben Zeitraum bestehenden Ansprüche“ anzurechnen. Eine Regelung für zu Unrecht bezogene und (zum Teil) nicht zurückzuzahlende Leistungen ist nicht vorgesehen. Die Beklagte hat als Endzeitpunkt für die Berechnung der 15.000 Euro, die sie verschenkt hat und die deshalb nicht zurückgefordert werden durften, das Datum der Schenkung angenommen und für die 2.000 Euro, für die Heizöl erworben worden war und die deshalb nicht zurückgefordert werden durften, den Monat des Erwerbs des Heizöls. In Betracht käme (und wäre wohl sachgerechter)den Betrag der nicht zurückzuzahlenden Beträge (also 17.000 Euro) durch den Zeitraum des Bezuges der Leistungen, also von Oktober 2003 bis einschließlich Oktober 2008, insgesamt 61 Monate, zu teilen. Dies würde jedoch eine Schlechterstellung der Klägerin bedeuten, da sich dann ein monatlicher Anrechnungsbetrag von 278,68 Euro ergeben würde. Da dieser zusammen mit der Rente nach dem zweiten Ehemann die Rente nach dem ersten Ehemann aber ebenfalls komplett übersteigen würde, ergäbe sich bis April 2008 ebenfalls kein Zahlbetrag der Witwenrente nach dem ersten Ehemann, aber auch weiterhin nicht bis einschließlich Oktober 2008. Bei der Berechnung der Beklagten hatte sich wegen Anrechnung von nur noch 34,48 Euro ab dem 1. Mai 2008 wieder ein Zahlbetrag der Witwenrente nach dem ersten Ehemann ergeben.
Beispielhaft hier die Berechnungen für Januar 2006, Mai 2008 und Oktober 2008:
Januar 2006: | |
Von der Beklagten vorgenommene Berechnung: | |
Witwenrente 2. Ehemann: | 524,45 Euro |
VAP-Leistung: | + 307,21 Euro |
831,66 Euro | |
Witwenrente 1. Ehemann: 766,24 Euro | |
Also kein Zahlbetrag. | |
Berechnung mit 61 Monaten á 278,68 Euro: | |
Witwenrente 2. Ehemann: | 524,45 Euro |
VAP –Leistung: | + 278,68 Euro |
802,13 Euro | |
Witwenrente 1. Ehemann: 766,24 Euro | |
Also kein Zahlbetrag. | |
Mai 2008: | |
Von der Beklagten vorgenommene Berechnung: | |
Witwenrente 2. Ehemann: | 527,24 Euro |
VAP-Leistung: | + 34,48Euro |
561,72 Euro | |
Witwenrente 1. Ehemann: 770,35 Euro | |
Also ein Zahlbetrag von 208,63 Euro | |
= Differenz von 770,35 Euro und 561,72 Euro. | |
Berechnung mit 61 Monaten á 278,68 Euro: | |
Witwenrente 2. Ehemann: | 527,24 Euro |
VAP –Leistung: | + 278,68 Euro |
805,92 Euro | |
Witwenrente 1. Ehemann: 766,24 Euro | |
Also kein Zahlbetrag. | |
Oktober 2008: | |
Von der Beklagten vorgenommene Berechnung: | |
Witwenrente 2. Ehemann: | 533,01 Euro |
VAP-Leistung: | + 10,64 Euro |
543,65 Euro | |
Witwenrente 1. Ehemann: 778,85 Euro | |
Also ein Zahlbetrag von 235,20 Euro | |
= Differenz von 778,85 Euro und 543,65 Euro. | |
Berechnung mit 61 Monaten á 278,68 Euro: | |
Witwenrente 2. Ehemann: | 533,01 Euro |
+ 278,68 | |
811,69 Euro | |
Witwenrente 1. Ehemann: 778,85 Euro | |
Also kein Zahlbetrag. |
Da die von der Beklagten vorgenommene Berechnung damit günstiger für die Klägerin ist, verbleibt es bei dieser.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch von einer Entscheidung eines Obergerichts abgewichen wird (§ 160 Abs. 2 SGG). Es handelt sich um einen Einzelfall.