Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 7. Kammer | Entscheidungsdatum | 13.12.2011 | |
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Aktenzeichen | 7 Sa 1632/11, 7 Sa 2211/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 626 Abs 2 BGB, § 1 KSchG |
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Eberswalde vom 09.06.2011 – 1 Ca 229/11 – wird zurückgewiesen.
II. Auf die klageerweiternde Anschlussberufung wird die Beklagte verurteilt,
1. an die Klägerin 404,34 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. März 2011 zu zahlen,
2. an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. April 2011 zu zahlen,
3. an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Mai 2011 zu zahlen,
4. an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 630,41 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Juni 2011 zu zahlen,
5. an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 1.719,30 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Juli 2011 zu zahlen,
6. an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 1.719,30 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. August 2011 zu zahlen,
7. an die Klägerin weitere 223,69 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. August 2011 zu zahlen,
8. an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 1.719,30 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. September 2011 zu zahlen,
9. an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 1.719,30 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Oktober 2011 zu zahlen,
10. an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 1.719,30 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. November 2011 zu zahlen,
11. an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 1.719,30 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Dezember 2011 zu zahlen,
12. an die Klägerin weitere 3.133,38 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Dezember 2011 zu zahlen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung, über die vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum Abschluss des Kündigungsrechtsstreits sowie im Rahmen der Anschlussberufung über Vergütungsansprüche der Klägerin für die Monate März bis November 2011 einschließlich eines Urlaubsgeldes und der tariflichen Sonderzahlung.
Die am ... 1955 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 2. Juni 1993 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Apothekerin in der krankenhauseigenen Apotheke beschäftigt und erhält Vergütung nach der Vergütungsgruppe I b BAT-O. Ob die Klägerin zuletzt stellvertretende Apothekenleiterin war, ist zwischen den Parteien streitig.
Am 27. Januar 2011 stellte eine andere ebenfalls in der Krankenhausapotheke beschäftigte Apothekerin zusammen mit einer Pharmazieingenieurin auf Bestellung des behandelnden Arztes eine Infusionslösung für eine Chemotherapie her. Dabei wurde das bestellte Medikament Mitomycin mit dem Medikament Mitoxantron verwechselt. Dies fiel der an der Herstellung beteiligten Pharmazieingenieurin noch am selben Tag gegen 14:45 Uhr auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Chemotherapie bei der Patientin gerade begonnen. Die Pharmazieingenieurin informierte sofort die Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt die einzige anwesende Apothekerin in der Apotheke war, über den Fehler. Die Klägerin rief daraufhin auf der Station an und erkundigte sich bei der Krankenschwester, ob die Chemotherapie bereits begonnen habe, was diese mit den Worten bestätigte „Die Chemotherapie ist bereits angeschlossen“. Ein Hinweis der Klägerin auf die Verwechslung des Medikaments erfolgte in dem Telefonat nicht. Die Chemotherapie wurde bis zum Ende verabreicht.
Am nächsten Tag informierte die Klägerin frühmorgens den Apothekenleiter über den Vorfall, der seinerseits den für die betroffene Station verantwortlichen Oberarzt von der Verwechslung der Medikamente in Kenntnis setzte. Mit Schreiben vom 31. Januar 2011 (Bl. 47 d. A.) nahm der die Chemotherapie verabreichende Arzt zu den Vorgängen vom 27. Januar 2011 Stellung, mit Schreiben vom 3. Februar 2011 (Bl. 48 d. A.) die Krankenschwester, die das Telefonat mit der Klägerin geführt hatte. Mit Schreiben vom 7. Februar 2011 (Bl. 43 d. A.) bat der Geschäftsführer der Beklagten die Klägerin bis zum 9. Februar 2011 zu dem betreffenden Sachverhalt Stellung zu nehmen. Dies tat die Klägerin mit Schreiben vom 8. Februar 2011 (Bl. 44 d. A.), das den Eingangsstempel „GF 8. Februar 2011“ erhielt und in der Personalabteilung am 9. Februar 2011 einging. In einer Sitzung der Geschäftsführung vom 14.2.2011 beschloss der Geschäftsführer der Beklagten, die Kündigung vorzubereiten. Am 21.02.2011 fand ein Gespräch zwischen der Klägerin und dem Geschäftsführer statt. Im Anschluss daran hörte die Beklagte mit Schreiben vom 22.Februar 2011 (Bl. 45 d.A.) den bei ihr gebildeten Betriebsrat wegen der unterlassenen Information der Krankenschwester bzw. des Stationsarztes über die fehlerhaft zusammengestellte Chemotherapie zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Klägerin an. Der Betriebsrat verweigerte mit Schreiben vom 24. Februar 2011 seine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung, äußerte insoweit Bedenken und widersprach der ordentlichen Kündigung unter Beifügung schriftlicher Gründe (Bl. 49 ff. d. A.). Wann die Stellungnahme des Betriebsrates bei der Beklagten eingegangen ist, ist zwischen den Parteien streitig.
Mit Schreiben vom 25. Februar 2011, dem Ehemann der Klägerin gegen 10:45 Uhr persönlich übergeben, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich, hilfsweise ordentlich.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 9. Juni 2011, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 25. Februar 2011 nicht aufgelöst wird und die Beklagte verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Apothekerin weiterzubeschäftigen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die außerordentliche Kündigung sei bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte die Zweiwochenfrist nach § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten habe. Der kündigungsberechtigte Geschäftsführer der Beklagten habe spätestens mit Eingang der Stellungnahme der Klägerin am 9. Februar 2011 von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen vollständige Kenntnis erlangt. Diese Frist werde nicht dadurch hinausgeschoben, dass der Kündigungsentschluss erst in der Geschäftsleitungssitzung vom 14. Februar 2011 gefasst worden sein soll. Das Gespräch mit der Klägerin vom 21. Februar 2011 sei ebenfalls nicht geeignet gewesen, die Frist aufzuschieben. Die Beklagte habe hierzu selbst nicht behauptet, sie habe dieses Gespräch für weitere Ermittlungen genutzt. Diese wären auch nicht mehr mit der gebotenen Eile angestellt worden. Als fristgemäße Kündigung erweise sich die Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG als sozial ungerechtfertigt, weil das Verhalten der Klägerin zwar eine schwere Pflichtverletzung darstelle, im Rahmen der Interessenabwägung indes die Interessen der Klägerin an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegen würde.
Gegen dieses der Beklagten am 4. Juli 2011 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die sie mit einem beim Landesarbeitsgericht am 4. August 2011 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und mit einem beim Landesarbeitsgericht nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 4. Oktober 2011 am 4. Oktober 2011 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Die Beklagte und Berufungsklägerin behauptet unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Vorbringens auch in der Berufungsinstanz, sie habe die Zweiwochenfrist nach § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Diese habe frühestens am 14. Februar 2011 zu laufen begonnen, da der Geschäftsführer erst an diesem Tag die verschiedenen Informationen aus den Anhörungen der beteiligten Mitarbeiter und der Klägerin ausgewertet habe. Allein die Adressierung des Schreibens an den Geschäftsführer reiche für den Beginn der Frist nicht aus. Dieser habe das Schreiben auch zur Kenntnis nehmen und inhaltlich bewerten müssen. Als ordentliche Kündigung erweise sich die Kündigung als wirksam. Das Arbeitsgericht habe insoweit eine fehlerhafte Interessenabwägung vorgenommen, da es die Selbstgefälligkeit der Klägerin bei der Beurteilung der Gefährdungslage für die Patientin nicht berücksichtigt habe. Die Klägerin sei als stellvertretende Apothekenleiterin tätig gewesen, was sich aus der bereits 2003 erstellten Stellenbeschreibung (Bl. 300 d. A.) ergebe. Gerade weil die Klägerin so lange in ihrem Beruf tätig gewesen sei und die alleinige Leitung der Krankenhausapotheke zum streitgegenständlichen Zeitpunkt inne gehabt habe, wäre umso mehr von ihr zu erwarten gewesen, dass sie das einzig Richtige tue, nämlich sofort den behandelnden Arzt über die falsche Zubereitung der Chemotherapie zu informieren. Da sie dies unterlassen habe, habe sie zumindest billigend eine Gesundheitsgefährdung der Patientin in Kauf genommen, was niemals entschuldbar sei. Ob und ggf. wie lange ein Arbeitsverhältnis ohne Pflichtverletzung bestanden habe, spiele insoweit keine Rolle. Auch sei die Entschuldigung der Klägerin bei der Patientin nicht weiter zu berücksichtigen, da sie sich dort erst gemeldet habe, als der Sachverhalt bereits bekannt gewesen sei.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Eberswalde vom 09.06.2011 zum Gz. 1 Ca 229/11 die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte verteidigt unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das arbeitsgerichtliche Urteil, hält die außerordentliche Kündigung schon wegen Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist und die ordentliche Kündigung wegen fehlender Abmahnung für unwirksam. Die Klägerin behauptet, sie habe in dem Telefonat mit der Krankenschwester diese so verstanden, dass die Chemotherapie bereits abgeschlossen gewesen sei. Sie habe sich dann mit der Pharmazieingenieurin daraufhin verständigt, dass diese versuchen solle, einen Arzt auf der Station telefonisch zu erreichen, was aber nicht gelungen sei. Sie sei nicht als stellvertretende Apothekenleiterin tätig gewesen, sondern habe die Stellenausschreibung erst nach dem Vorfall erhalten. Außerdem sei der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden, insbesondere die Stellungnahme des Arztes und der Krankenschwester seien nicht beigefügt gewesen. Die Betriebsratsvorsitzende habe die begründete Stellungnahme des Betriebsrates erst am 25. Februar 2011 in einem gemeinsam durchgeführten Bewerbungsgespräch der Mitarbeiterin der Personalabteilung übergeben, die erst nach 12:00 Uhr mit dem zu diesem Zeitpunkt noch immer verschlossenen Briefumschlag des Betriebsrates den Gesprächsraum verlassen habe. Die Personalleiterin habe sich am 23. November 2011 nur bei der Sekretärin des Betriebsrates nach der Entscheidung des Betriebsrats erkundigt und die Auskunft erhalten, dass dieser seine Zustimmung nicht erteilt habe und die schriftliche Begründung der Zustimmungsverweigerung der Beklagten am Folgetag zugehen werde. Die Sekretärin sei indes nicht berechtigt gewesen, gegenüber der Beklagten oder Dritten Auskunft über die Beschlussfassungen des Betriebsrates zu erteilen, was der Beklagten auch bekannt gewesen sei.
Die Klägerin, der die Berufungsbegründung am 7. Oktober 2011 zugestellt worden ist, hat mit einem beim Landesarbeitsgericht am 3. November 2011 eingegangenen Schriftsatz Anschlussberufung eingelegt und diese zugleich begründet. Mit der Anschlussberufung macht die Klägerin die Vergütung für die Zeit nach Zugang der Kündigung bis einschließlich November 2011 auf der Basis der ihr in den letzten sieben Monaten erteilten Abrechnungen einschließlich von Feiertags-, Sonntagszuschlägen, Rufbereitschaft, Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld nach den Grundsätzen des Annahmeverzuges geltend und lässt sich dabei erhaltenes Arbeitslosengeld in Abzug bringen. Für die Berechnung der Zuschläge im Einzelnen wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 3. November 2011 Seite 13 (Bl. 195 d. A.) Bezug genommen.
Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt:
1. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 404,34 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. März 2011 zu zahlen,
2. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. April 2011 zu zahlen,
3. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2011 zu zahlen,
4. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 630,41 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2011 zu zahlen,
5. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 1.719,30 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2011 zu zahlen,
6. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 1.719,30 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2011 zu zahlen,
7. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 223,69 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2011 zu zahlen,
8. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 1.719,30 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2011 zu zahlen,
9. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 1.719,30 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2011 zu zahlen,
10. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 1.719,30 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2011 zu zahlen,
11. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 5.043,98 EUR brutto abzüglich 1.719,30 EUR netto erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2011 zu zahlen,
12. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 3.133,38 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Anschlussberufung zurückzuweisen
und bestreitet einen Anspruch der Klägerin hinsichtlich einer Mehrarbeitsvergütung unter Hinweis darauf, es handele sich dabei um einmalige Zahlungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Vorbringen in den mündlichen Verhandlungsterminen Bezug genommen.
1. Die gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten, die von ihr fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG) hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Arbeitsgericht hat zu Recht die außerordentliche Kündigung der Klägerin schon wegen Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist nach § 626 Abs. 2 BGB für rechtsunwirksam erachtet und die ordentliche Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG angesehen.
1.1. Die außerordentliche Kündigung vom 25. Februar 2011 vermochte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis bereits deshalb nicht mit sofortiger Wirkung zu beenden, weil die Beklagte diese Kündigung nicht innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis vom Kündigungssachverhalt nach § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen hat.
1.1.1 Nach § 626 Abs. 2 BGB kann die Kündigung nur innerhalb einer Frist von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (§ 626 Abs. 2 Satz 2 BGB). Die Bestimmung ist ein gesetzlich konkretisierter Verwirkungstatbestand (std. Rspr. BAG z.B. BAG v. 25.11.2010 – 2 AZR 171/09 - NZA-RR 2011, 177-180). Ihr Ziel ist es, dem Arbeitnehmer rasch Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Kündigungsberechtigte einen bestimmten Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nimmt. Die Frist beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis von den maßgebenden Tatsachen hat und ihm deshalb eine fundierte Entscheidung über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich ist (BAG v. 25.11.2010 – 2 AZR 171/09 – a.a.O.).
Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Es genügt nicht allein die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Anlasses, dh. des “Vorfalls”, der einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen soll. Bei einer vom Arbeitgeber erklärten außerordentlichen Kündigung gehören auch solche Aspekte zum Kündigungssachverhalt, die für den Arbeitnehmer und gegen die Kündigung sprechen (BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06 - EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr 3).
Dabei sollen die zeitlichen Grenzen des § 626 Abs. 2 BGB den Arbeitgeber weder zu hektischer Eile bei der Kündigung antreiben noch ihn veranlassen, ohne eine genügende Prüfung des Sachverhalts oder vorhandener Beweismittel voreilig zu kündigen (BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06 – a.a.O. mwN). Solange der Kündigungsberechtigte die zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an. Dies gilt nur solange, wie der Kündigungsberechtigte aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstellt, die ihm eine weitere, umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts und der notwendigen Beweismittel verschaffen sollen (BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06 – a.a.O. mwN). Sind die Ermittlungen jedoch abgeschlossen und hat der Kündigungsberechtigte hinreichende Kenntnisse vom Kündigungssachverhalt und von den erforderlichen Beweismitteln, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Ermittlungsmaßnahmen etwas zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder im Ergebnis überflüssig waren. Allerdings besteht für weitere Ermittlungen kein Anlass mehr, wenn der Sachverhalt bereits geklärt oder der Gekündigte ihn sogar zugestanden hat (BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06 – a.a.O. mwN). Darlegungs- und beweispflichtig für die Einhaltung der Zweiwochenfrist ist der kündigende Arbeitgeber (BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06 – a.a.O).
1.1.2 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze begann die Zweiwochenfrist im vorliegenden Fall spätestens am 9. Februar 2011 und war damit bei Zugang der Kündigung am 25. Februar 2011 bereits abgelaufen.
Der Geschäftsführer der Beklagten, der das Anhörungsschreiben an die Klägerin selbst unterschrieben hat, hatte bei Abfassung dieses Schreibens jedenfalls Kenntnis davon, dass es am 27. Januar 2011 bei der Zytostatikaherstellung zu einer Verwechslung der Medikamente gekommen war und die Klägerin an diesem Tag die einzige in der Apotheke anwesende Apothekerin war. Dies ergibt sich schon aus der Schilderung des Vorfalls in dem Anhörungsschreiben. Die Beklagte durfte dann nach den obigen Grundsätzen zur Ermittlung des vollständigen Kündigungssachverhaltes und auch der für die Klägerin sprechenden Umstände diese zunächst anhören. Dazu hat die Beklagte der Klägerin eine Frist bis zum 9.Februar 2011 gesetzt, innerhalb derer die Klägerin zu dem Sachverhalt Stellung genommen hat. In ihrer Stellungnahme hat sie den von der Beklagten zum Anlass der Kündigung genommenen Vorgang eingeräumt. Aus der Stellungnahme ergibt sich eindeutig die der Klägerin vorgeworfene Pflichtverletzung, weder die Krankenschwester noch den Stationsarzt telefonisch oder persönlich über die Verwechslung informiert zu haben. Damit war aber der Sachverhalt geklärt. Weitere Ermittlungen hat die Beklagte nicht vorgenommen. Jedenfalls hat sie solche nicht behauptet. Soweit noch am 21.02.2011 ein Gespräch mit der Klägerin stattgefunden hat, diente dies offensichtlich nicht mehr zur Aufklärung des Kündigungssachverhalts. Die Entscheidung darüber war nach dem Vortrag der Beklagten bereits am 14.2.2011 getroffen worden, der Inhalt des Gespräches war auch nicht Gegenstand der Betriebsratsanhörung. Die Stellungnahmen der anderen Mitarbeiter wurden bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgegeben. Auch hier behauptet die Beklagte nicht etwa einen Eingang dieser Stellungnahmen zu einem späteren Zeitpunkt.
Damit hatte aber der Kündigungsberechtigte, nämlich der Geschäftsführer, mit Eingang des Schreibens der Klägerin hinreichend Kenntnis von den Kündigungsvorwürfen. Dass er das Schreiben der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen hat, behauptet die Beklagte nicht; sie trägt auch keine Tatsachen vor, aus denen sich ergeben hätte, warum der Geschäftsführer zu einem späteren Zeitpunkt von dem Schreiben der Klägerin oder der anderen Mitarbeiter Kenntnis erlangt haben sollte. Einer solchen Darlegung hätte es aber bedurft, um eine ausreichende Zügigkeit der Ermittlungen feststellen zu können. Der kündigungsberechtigte Geschäftsführer hat der Klägerin eine Frist zur Stellungnahme bis zum 9. Februar 2011 gesetzt. Er hat damit die Frist festgelegt, bis zu der der Sachverhalt durch die Anhörung der Klägerin noch ermittelt wird. Bei einer solchen Fristsetzung muss er ein bei ihm innerhalb der Frist eingehendes Schreiben zur Kenntnis nehmen. Andernfalls nimmt er die von ihm für erforderlich gehaltenen Ermittlungen nicht mehr hinreichend zügig vor, mit der Folge, dass die Frist zu laufen beginnt. Gerade bei einer solchen Fristsetzung durfte nach Ablauf von zwei Wochen auch bei der Klägerin das berechtigte Vertrauen entstehen, der Sachverhalt werde nicht mehr zum Ausspruch einer Kündigung herangezogen. Soweit die Beklagte behauptet, der Geschäftsführer habe erst am 14. Februar 2011 die verschiedenen gesammelten Informationen ausgewertet, hemmt dies den Beginn der Ausschlussfrist nicht. Die Entscheidung darüber, ob ein bestimmter Sachverhalt zur Kündigung berechtigt, muss der Kündigungsberechtigte innerhalb der Zweiwochenfrist gerechnet ab Kenntnis von den wesentlichen Tatsachen treffen. Dabei handelt es sich um eine Wertung, für die ihm die Zweiwochenfrist eingeräumt wurde, innerhalb der er allerdings auch die Anhörung beim Betriebsrat durchführen muss. Dazu hätte die Beklagte gerechnet vom 8. Februar bzw. 9. Februar 2011 hinreichend Zeit gehabt. Immerhin war der 8. Februar 2011 ein Dienstag, der 9. Februar ein Mittwoch, der 14. November 2011 der darauf folgende Montag.
1.2 Als ordentliche Kündigung erweist sich die streitgegenständliche Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG. Zwar liegt eine Pflichtverletzung der Klägerin vor, die an sich als Kündigungsgrund für eine verhaltensbedingte Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG geeignet gewesen wäre. Die Kündigung erweist sich indes nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) als nicht gerechtfertigt, da die Abmahnung als milderes Mittel geeignet gewesen wäre, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen.
1.2.1 Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung eine Pflichtverletzung der Klägerin bejaht. Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin bereits zum Zeitpunkt des Vorfalls stellvertretende Apothekenleiterin war oder nicht. Jedenfalls hatte die Klägerin auch als Apothekerin am 27. Januar 2011 versagt, indem sie weder der Krankenschwester in dem Telefonat mitgeteilt hat, dass es zu der Verwechslung der Medikamente gekommen war, noch die Krankenschwester um ein Gespräch mit dem behandelnden Arzt gebeten noch im Anschluss an das Gespräch alles getan hat, um die Verwechslung aufzudecken, wozu insbesondere auch gezählt hätte, sich persönlich auf die Station zu begeben, um wenigstens zu versuchen, dort einen Arzt aufzutreiben, ihm den Vorgang zu schildern und ihm dann anheim zu stellen, welche notwendigen medizinischen Schritte in diesem Fall erforderlich sein sollten. Dabei kann sich die Klägerin nicht darauf zurückziehen, dass sie mit der an der Herstellung des Medikaments beteiligten Pharmazieingenieurin vereinbart haben will, dass diese nochmals telefonisch versucht, jemanden auf der Station zu erreichen. Diese Telefonate waren schon deshalb nicht ausreichend, weil sie nicht zum Erfolg führten und insofern es unbedingt erforderlich gewesen wäre, dass eine der beiden auf die Station gegangen wäre, um sich dort persönlich um die Übermittlung der Nachricht zu kümmern. Auch oblag in diesem Fall die Verantwortung bei der Klägerin, auch wenn sie nicht selbst an der Herstellung des Medikamentes beteiligt und damit an der Verwechslung schuld war. Denn die Klägerin war - auch wenn sie nicht als stellvertretende Apothekenleiterin beschäftigt worden sein sollte, was zwischen den Parteien streitig ist - als Apothekerin gegenüber der Pharmazieingenieurin nach Ausbildung und Berufsbezeichnung diejenige, der mehr Befugnisse zustanden und die die Entscheidung zu treffen hatte. An sie hat sich die Pharmazieingenieurin auch gewandt. Die Klägerin kann sich hier auch nicht darauf zurückziehen, dass es bei der Beklagten keine schriftlichen Anweisungen gegeben hat, wie in einem solchen Fall zu verfahren ist. Aufgrund der Ausbildung und der Funktion der Klägerin als Apothekerin mit einer Vergütung immerhin nach der VergGr I b BAT/BAT-O war es von ihr zu erwarten, dass sie in eigener Verantwortung die nahe liegenden und erforderlichen Entscheidungen trifft.
1.2.2 Die streitgegenständliche Kündigung verstößt indes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, weil eine Abmahnung als milderes Mittel ausreichend gewesen wäre, um zukünftige Vertragsverletzungen zu verhindern.
1.2.2.1 Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch für die Zukunft belastend auswirken (BAG vom 23.06.2009 - 2 AZR 283/08 - EzA § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75). Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine vorausgegangene einschlägige Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Außerdem ist die Abmahnung als milderes Mittel in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einer Kündigung vorzuziehen, wenn durch ihren Ausspruch das Ziel - ordnungsgemäße Vertragserfüllung - erreicht werden kann (vgl. BAG vom 23.06.2009 - 2 AZR 283/08 - a. a. O. m. w. N.). Dabei ist mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227 ff.) grundsätzlich davon auszugehen, dass das künftige Verhalten eines Arbeitnehmers schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann, wenn die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers beruht. Deshalb setzt die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. BAG vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 ff.).
1.2.2.2 Gemessen an diesen Grundsätzen war auch im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass eine Abmahnung das mildere Mittel gewesen wäre, um der Vertragspflichtverletzung der Klägerin zu begegnen und zukünftige Pflichtverletzungen in diesem Bereich zu vermeiden. Bei der der Klägerin vorgeworfenen Pflichtverletzung handelt es sich um ein steuerbares Verhalten, das grundsätzlich positiv von einer Abmahnung beeinflusst werden kann. Es handelte sich um den ersten Fehler, der der Klägerin in den langen Jahren ihrer Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten unterlaufen ist. Bis dahin hat sie völlig beanstandungsfrei ihre Arbeitsleistung für die Beklagte erbracht. Die Klägerin hat sich auch nicht etwa bewusst über Vorgaben oder Handlungsanweisungen der Beklagten zum Umgang mit solchen Fehlern hinweggesetzt, was für eine negative Prognose hätte sprechen können. Solche gab es bis zu dem Vorfall bei der Beklagten nicht.
Bei dieser Konstellation war aus Sicht der Berufungskammer die Abmahnung das mildere Mittel. Diese war nicht deshalb entbehrlich, weil es sich dabei um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung gehandelt hätte, dass eine Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich - auch für die Klägerin erkennbar – ausgeschlossen gewesen wäre. Nach Auffassung der Berufungskammer hat sich die Klägerin nicht etwa in Vorstellung eines von der Beklagten als kündigungsrelevant angesehenen Verhaltens für das vertragswidrige Verhalten entschieden, sondern im Umgang mit einer für sie schwierigen Situation offensichtlich versagt, In diesem Zusammenhang war zu berücksichtigen, dass die Klägerin nicht selbst an der Verwechslung des Medikaments beteiligt war, die unterbliebene Meldung an die Station und die Ärzte daher nicht dazu dienen konnte, eigenes Verschulden zu verheimlichen. Auch hat die Klägerin gleich am nächsten Tag dem Apothekenleiter die Verwechslung der Medikamente bekannt gegeben. Auch daraus ergibt sich, dass es der Klägerin nicht gelegen war, den in der Apotheke geschehen Fehler insgesamt zu verschweigen und zu verheimlichen. Der Umstand, dass Fehler im Bereich der Klägerin in Bezug auf die betroffenen Patienten erhebliche Auswirkungen haben können, steht allein dem Erfordernis einer vorherigen Abmahnung als milderes Mittel nicht entgegen. Arbeitsverhältnisse im Krankenhausbereich, bei denen in der Tat bei jeder falschen Entscheidung wichtige Rechtsgüter beeinträchtigt werden können, sind nicht generell vom Prognoseprinzip ausgenommen. Dort kann ein einmaliges Versagen regelmäßig zu erheblichen Auswirkungen führen, was indes nicht stets - ohne vorherige Abmahnung - zum Ausspruch einer Kündigung berechtigt.
1.3. War die Abmahnung aber als milderes Mittel anzusehen, ist die ausgesprochene Kündigung unverhältnismäßig und damit sowohl als ordentliche aber auch als außerordentliche Kündigung unwirksam. Auf die Frage, ob die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß im Sinne von § 102 BetrVG erfolgte, insbesondere die Stellungnahme des Betriebsrats vor Ausspruch der Kündigung bei der Beklagten zuging, kam es nicht an. Das Arbeitsgericht hat der Feststellungsklage zu Recht stattgegeben und die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung verurteilt.
2. Auf die zulässige Anschlussberufung war die Beklagte darüber hinaus zur Zahlung der Vergütung für den Zeitraum nach Ausspruch der Kündigung bis Ende November 2011 unter Abzug des Arbeitslosengeldes zu verurteilen. Der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus § 615 BGB, § 11 KSchG. Mit Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung, die sich im vorliegenden Fall als rechtsunwirksam erwiesen hat, war die Beklagte im Annahmeverzug, da sie der Klägerin einen funktionsfähigen Arbeitsplatz nicht mehr zur Verfügung gestellt hat. Die Klägerin hat auch nicht etwa böswillig unterlassen, im streitigen Zeitraum anderweitigen Verdienst zu erzielen. Unstreitig hat sie ihre Arbeitsleistung nach dem Weiterbeschäftigungsurteil der Beklagen angeboten und diese aufgefordert, ihr eine Arbeit zuzuweisen, was die Beklagte im Hinblick auf die fehlende Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils abgelehnt hat. Mit Zwangsmitteln durchsetzen musste die Klägerin ihren titulierten Anspruch zur Vermeidung der Annahme eines böswilligen Unterlassens von Zwischenverdienst nicht.
Der Anspruch der Klägerin war auch der Höhe nach zutreffend berechnet. Einwände seitens der Beklagten sind insoweit nur hinsichtlich der Mehrarbeitsvergütung erfolgt, die indes nicht durchschlagen. Der Annahmeverzug ist danach zu berechnen, was ein Arbeitnehmer verdient hätte, wenn er denn beschäftigt worden wäre. Dabei kann zur Berechnung des Verdienstes insbesondere bei Zuschlägen und Überstundenvergütung auf die zurückliegenden Monate zurückgegriffen werden, um festzustellen, welchen Verdienst ein Arbeitnehmer im Annahmeverzugszeitraum erzielt hätte. Diese Grundsätze gelten auch für Mehrarbeit. Ausweislich der eingereichten Abrechnungen hat die Klägerin Mehrarbeit geleistet. Dass sie dies innerhalb des Annahmeverzugszeitraumes nicht getan hätte, ist - ohne näheren Sachvortrag - nicht anzunehmen. Weiterhin stand der Klägerin auch der geltend gemachte Ortszuschlag zu, da sie - auch dies von der Beklagten nicht weiter bestritten - die dafür erforderlichen Voraussetzungen erfüllte.
3. Aus diesen Gründen war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und auf die klageerweiternde Anschlussberufung die Beklagte zur Zahlung der geltend gemachten Vergütung zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97, 91 ZPO.
4. Die Zulassung der Revision kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht vorlagen.