Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Prüfungsanordnung betreffend Feststellung der Einkünfte, Umsatz- und Gewerbesteuer...

Prüfungsanordnung betreffend Feststellung der Einkünfte, Umsatz- und Gewerbesteuer für 2008 bis 2010


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 4. Senat Entscheidungsdatum 27.03.2014
Aktenzeichen 4 K 2166/13 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Prüfungsanordnung vom 13. März 2014 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war notwendig.

Tatbestand

Strittig ist die Rechtmäßigkeit einer im Klageverfahren erlassenen Prüfungsanordnung des Beklagten vom 13. März 2014 (Bl. 56 f Streitakte).

Der Kläger betreibt einen Einzelhandel mit Waren verschiedener Art (Niedrigpreisartikel, Haushaltswaren, Kosmetikartikel und dgl. mehr).

Bis zum Veranlagungszeitraum -VZ- 2006 ermittelte der Kläger seinen Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz -EStG- durch Einnahmenüberschussrechnung. Ab dem VZ 2007 ging der Kläger zur Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich über (§§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 EStG).

Gemäß § 3 Betriebsprüfungsprüfungsordnung -BpO- war der Betrieb des Klägers zum 1. Januar 2004 als Kleinbetrieb, zum 1. Januar 2007 als Mittelbetrieb und zum 1. Januar 2010 als Großbetrieb eingestuft. Mit Wirkung ab dem 1. Januar 2013 ist der Betrieb wieder als Mittelbetrieb eingestuft.

Für die VZ 2002 bis 2004 sowie für 2005 bis 2007 führte der Beklagte beim Kläger Außenprüfungen durch, die - zwischen den Beteiligten unstrittig - zu keinen nennenswerten Beanstandungen geführt hatten.

Am 22. Januar 2013 ordnete der Beklagte die Durchführung einer zweiten Anschlussprüfung an, die sich auf die Feststellung der Einkünfte sowie die Gewerbesteuer der VZ 2008 bis 2011 erstrecken sollte. In einer Anlage zur Prüfungsanordnung -PA- forderte der Beklagte den Kläger auf, die elektronischen Daten seines Warenwirtschaftssystems, des Kassensystems und seiner Erlöse zur Verfügung zu stellen.

Der durch die hiesigen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger legte am 19. Februar 2013 Einspruch ein und beantragte, die PA ersatzlos aufzuheben. Zur Begründung trug er vor, die Durchführung einer zweiten Anschlussprüfung sei unverhältnismäßig. Eine permanente Prüfung sei nach § 4 BpO nur für Großbetriebe vorgesehen. Ein Großbetrieb liege aber nicht vor. Auch sonst seien keine Gründe ersichtlich, die eine zweite Anschlussprüfung rechtfertigen könnten. Bei der Übertragung der von der Rechtsprechung zur Prüfungserweiterung aufgestellten Grundsätze könne ein beachtlicher Grund für die Durchführung einer zweiten Anschlussprüfung lediglich dann angenommen werden, wenn die Prüfung zu Mehrsteuern von mindestens 3.000 € führe. Hiervon könne im Streitfall nicht ausgegangen werden, zumal die vorangegangenen Außenprüfungen ohne nennenswerte Beanstandungen geblieben seien. Angesichts der gesamten Umstände deute vieles darauf hin, dass die PA gegen den Grundsatz des Willkür- und Schikaneverbots verstoße und unverhältnismäßig sei. Gerade in kleineren und mittleren Betrieben führe die Durchführung einer Außenprüfung zu einer nicht zu unterschätzenden zeit- und kosten-intensiven Belastung.

Der Einspruch hatte nur teilweise Erfolg.

Der Beklagte erließ im Rahmen des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens am 20. Februar 2013 eine neue PA, die nach § 365 Abgabenordnung -AO- zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde. Abweichend von der ersten PA begrenzte er den Prüfungszeitraum auf drei Jahre von 2008 bis 2010. Er führte er aus, die Voraussetzungen für eine erneute Außenprüfung seien gegeben. Eine Außenprüfung dürfe bei Gewerbebetreibenden ohne besondere Voraussetzungen und ohne weitere Begründung durchgeführt werden, sofern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werde und ein Verstoß gegen das Schikane- und Willkürverbot nicht gegeben sei. Gegen diese Grundsätze verstoße die PA vom 20. Februar 2013 nicht. Es sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 193 AO eine Wertentscheidung getroffen habe, mit der die Außenprüfung bei Gewerbetreibenden als geeignetes Mittel zur Aufklärung steuerlicher Sachverhalte angesehen werde. Diese Voraussetzung gelte für Mittelbetriebe gleichermaßen.

Da der Kläger an seiner Auffassung festhielt, dass die Voraussetzungen für eine zweite Anschlussprüfung nicht gegeben seien, wies der Beklagte dessen Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 30. April 2013 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass eine PA auch im Falle einer Anschlussprüfung keiner weiteren Begründung als der bloßen Benennung der Vorschrift des § 193 Abs. 1 AO bedürfe. Der Grundsatz der Selbstbindung der Finanzbehörde könne nicht dahin interpretiert werden, dass eine Außenprüfung nicht auch in kürzeren Abständen als dem statistisch ermittelten Prüfungsturnus durchgeführt werden dürfe. Es komme weder auf ein zu erwartendes Mehrergebnis an noch sei bedeutsam, dass in Vorprüfungen keine relevanten Prüfungsfeststellungen getroffen worden seien (Hinweis auf Bundesfinanzhof -BFH-, Urteil vom 28. September 2011 - VIII R 8/09, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2012, 395). Die frühere Rechtsprechung, wonach eine Anschlussprüfung nur angeordnet werden dürfe, wenn mit einem Mehrergebnis von mindestens 3.000 € zu rechnen sei (so BFH, Urteil vom 28. April 1988 - IV R 106/86, BStBl II 1988, 857), sei überholt (vgl. BFH, Urteil vom 28. September 2011 - VIII R 8/09, a. a. O.). Auch seien die äußeren Grenzen des Ermessens nicht überschritten. Die angeordnete Prüfung stelle sich nicht als unverhältnismäßig dar, denn der Steuerpflichtige habe keinen Anspruch auf einen prüfungsfreien Zeitraum und müsse eine Anschlussprüfung trotz der damit verbundenen Einschränkungen und Belastungen hinnehmen. Die Anordnung sei auch nicht willkürlich, er - der Beklagte - habe sich bei seiner Entscheidung nicht von sachfremden Erwägungen leiten lassen.

Hiergegen hat der Kläger am 29. Mai 2013 Klage erhoben.

Er macht geltend, der Beklagte lasse sich ganz offenkundig und wiederholt von sachfremden Erwägungen leiten. Sein Verhalten verstieße gegen das Willkür- und Schikaneverbot (BFH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - IV R 47/91, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 1993, 143). Hierfür spreche die Tatsache, dass er - der Kläger - nunmehr eine dritte Prüfung über sich ergehen lassen müsse, obgleich in den zurückliegenden Prüfungen über einen Zeitraum von sechs Jahren hinweg keine bedeutsamen Verfehlungen festgestellt worden seien. Auf die Rechtsmissbräuchlichkeit des Vorgehens deute auch hin, dass der Beklagte zunächst einen vierjährigen Prüfungszeitraum angeordnet habe. Des Weiteren habe er ohne nachvollziehbaren Grund seine (des Klägers) Steuererklärungen vorzeitig angefordert. Abgesehen davon läge auch ein Verstoß gegen die Vorschriften der BpO vor, mit denen die Finanzverwaltung sich selbst Ermessensgrenzen gesetzt habe und die aus Gründen der Gleichbehandlung zu einer Selbstbindung der Verwaltung führten (BFH, Urteil vom 23. April 1991 VIII R 61/87, BStBl II 1991, 752). Aus den Vorschriften der BpO ergebe sich, dass nur Großbetriebe, nicht aber Mittelbetriebe oder Kleinbetriebe einer lückenlosen Außenprüfung unterliegen. Es werde bestritten, dass sein Unternehmen zum 1. Januar 2010 als Großbetrieb einzustufen gewesen sei.

Der Kläger rügt ferner, dass der bloße Hinweis in der PA auf die Vorschrift des § 193 Abs. 1 AO nur bei so genannten „Routineprüfungen“ zulässig sei. Von einer solchen könne jedoch nicht gesprochen werden, wenn ein Mittelbetrieb - wie hier - seit dem Jahr 2002 über einen Zeitraum von neun Jahren hinweg durchgehend geprüft werden solle. Des Weiteren sieht der Kläger den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für verletzt. Solle bei einem Steuerpflichtigen außerhalb des allgemeinen Prüfungsrhythmus eine Außenprüfung stattfinden, so bedürfe es nach seiner Ansicht einer besonderen PA, die die vom Finanzamt angestellten Ermessenserwägungen erkennen lassen müsse. Denn bei einer Betriebsprüfung handele es sich um eine besonders intensive und umfangreiche Ermittlungsmaßnahme, die der Steuerpflichtige im Grundsatz nur im Rahmen turnusmäßiger Prüfungen hinnehmen müsse. Derartige Ermessenserwägungen habe der Beklagte - so der Kläger - weder angestellt noch sei die Ausübung des Auswahlermessens in der PA in nachprüfbarer Weise dargelegt worden. Entgegen der Ansicht des Beklagten hält der Kläger das zu erwartende Mehrergebnis für relevant, wenn es - wie hier - um eine zweite Anschlussprüfung gehe und zwei Vorprüfungen ohne relevante Prüfungsfeststellungen geblieben seien.

Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2013 – auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 35 Streitakte) - hat der Beklagte dem Senat einen Band – Bd. – Steuerakten („FA - A… - Prüfungsanordnung für 2008 – 2010 …“) übersandt, dem Auszüge des fraglichen Kontrollmaterials beigefügt waren (siehe Trennblatt-Beschriftung: „Kontrollmaterial - nicht zur Einsicht für den Kläger bestimmt!“). Der Beklagte bat das Gericht, das Kontrollmaterial „vertraulich“ zu behandeln und im Fall einer Akteneinsicht dem Kläger nicht vorzulegen. Weiteres Kontrollmaterial in Form einer Daten-CD könne dem Gericht – so der Beklagte - vorgelegt werden.

Auf einen fernmündlich erteilten (rechtlichen) Hinweis des Berichterstatters, dass zweifelhaft sei, ob die mit der Klage angefochtene PA vom 20. Februar 2013 ausreichend begründet sei, hat der Beklagte während des Klageverfahrens eine neue PA vom 13. März 2014 erlassen, auf die der Senat ergänzend Bezug nimmt (Bl. 51/52 Streitakte).

In deren Anlage führt der Beklagte aus, dass im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung von ausschlaggebender Bedeutung sei, dass ihm Kontrollmaterial vorliege, welches aus Sicht seiner Betriebsprüfungsstelle den Schluss zulasse, dass im Prüfungszeitraum nicht alle Geschäftsvorfälle zutreffend erfasst worden seien. Aus Sicht der Betriebsprüfungsstelle sei es daher notwendig, eine zweite Anschlussprüfung durchzuführen, obgleich die letzte Betriebsprüfung nicht zu nennenswerten Beanstandungen geführt habe.

Auf den Antrag des Klägers vom 19. März 2014 (Bl. 53 f Streitakte) hat die Senatsvorsitzende nach vorheriger Anhörung des Beklagten durch Übersendung von Ablichtungen (Bl. 56 Streitakte) Einsicht in das dem Gericht mit Schriftsatz des Beklagten vom 10. Dezember 2013 (Bl. 35 Streitakte) vorgelegte Kontrollmaterial des Finanzamtes B… vom 4. Februar 2013 (Bl. 50 bis 72 Steuerakte „Prüfungsanordnung für 2008 - 2010 …“) gewährt.

Der Kläger beantragt,

die Prüfungsanordnung vom 13. März 2014 aufzuheben;

die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält daran fest, dass die Voraussetzungen für die Durchführung einer zweiten Anschlussprüfung gegeben seien. Aus seiner Sicht sei der Inhalt des Kontrollmaterials für die Rechtmäßigkeit der PA unerheblich.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig.

Die im Klageverfahren erlassene PA lässt insbesondere nicht das Rechtschutzbedürfnis des Klägers entfallen. Da der Kläger mit der vorliegenden Klage nicht nur die fehlende bzw. unzureichende Begründung der Ermessensentscheidung rügt, sondern auch der Auffassung ist, dass die PA unverhältnismäßig ist, kommt der PA keine erledigende Wirkung zu. Vielmehr ist das Klageverfahren in Bezug auf die PA vom 13. März 2014 fortzusetzen.

II.

Die Klage ist begründet.

1.

Die nach § 68 Finanzgerichtsordnung -FGO- verfahrensgegenständliche PA über die Durchführung einer zweiten Anschlussprüfung vom 13. März 2014 ist aufzuheben, denn sie ist rechtswidrig (ermessensfehlerhaft) und verletzt die Rechte des Klägers, § 100 Abs. 1 Satz 1, 102 FGO.

Die Voraussetzungen des § 68 FGO liegen in Bezug auf die PA vom 13. März 2014 vor.

Obgleich die PA nach § 193 Abs. 1 AO eine Ermessensentscheidung ist und § 102 Satz 2 FGO insoweit bestimmt, dass Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich noch ergänzt, nicht aber nachgeholt werden dürfen, greift § 68 Satz 1 FGO auch dann, wenn der ursprüngliche Bescheid keine hinreichenden Ausführungen zur Ermessensausübung enthielt und diese in dem „ersetzenden“ Verwaltungsakt nachgeholt werden (so für einen Haftungsbescheid: BFH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - I R 29/08, BStBl II 2009, 539). Dies folgt aus der verfahrensbeschleunigenden Zielsetzung des § 68 FGO. Ein einmal anhängig gewordenes Klageverfahren soll ungeachtet einer Änderung der Bescheidlage fortgeführt werden können. Verzögerungen, die mit der Unterbrechung des Verfahrens und der Einleitung eines weiteren - auf den Änderungsbescheid bezogenen - außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens verbunden sein könnten, sollen durch die gemäß § 68 FGO angeordnete automatische Klageänderung vermieden werden. Dieses Anliegen müsse - so der BFH - für Ermessensentscheidungen gleichermaßen gelten.

2.

Die PA für die Jahre 2008 bis 2010 ist ermessensfehlerhaft und daher aufzuheben.

Rechtsgrundlage für die PA ist § 193 Abs. 1 AO. Die nach dem Tatbestand ansonsten voraussetzungslose Außenprüfung ist bei Steuerpflichtigen zulässig, die - wie der Kläger - einen gewerblichen Betrieb unterhalten.

Die Entscheidung über die Anordnung einer Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist (vgl. von Groll in Gräber, FGO, 7. Aufl., § 102 Rz. 2 mit weiteren Nachweisen -m. w. N.-).

Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Überprüfung der PA darauf beschränkt, ob die Finanzbehörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Ob die Behörde ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat, kann nur auf der Grundlage der Verhältnisse beurteilt werden, die der Behörde im Zeitpunkt der letzten Ermessensentscheidung bekannt waren oder bekannt sein mussten. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung der Finanzbehörde kommt es mithin auf die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an (von Groll in Gräber a. a. O., § 102 Rz. 13 m. w. N.).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 FGO) konnte sich der Senat nicht zweifelsfrei davon überzeugen, dass der Beklagte das ihm eingeräumte Entschließungs- und Auswahlermessen fehlerfrei ausgeübt hat (§§ 5 AO, 102 FGO).

a)

Zwar hat der Beklagte nicht gegen § 4 Abs. 3 BpO verstoßen.

Nach § 3 Abs. 2 BpO besteht nur bei Großbetrieben die Anweisung, dass sie grundsätzlich im Anschluss zu prüfen sind. Bei anderen Betrieben soll der Prüfungszeitraum in der Regel nicht mehr als drei zusammenhängende Besteuerungszeiträume umfassen. Der Prüfungszeitraum kann aber insbesondere dann drei Besteuerungszeiträume übersteigen, wenn mit nicht unerheblichen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen zu rechnen ist. Anschlussprüfungen sind auch bei anderen Betrieben zulässig (§ 4 Abs. 3 BpO). Dem entsprechend hält auch die ständige Rechtsprechung des BFH Anschlussprüfungen bei Kleinbetrieben für zulässig, wenn die Grenzen der Verhältnismäßigkeit sowie des Willkür- und Schikaneverbots gewahrt werden (BFH, Beschlüsse vom 29.05.2007 - I B 140/06, BFH/NV 2007, 2050; vom 14.06.2007 - VIII B 201/06, BFH/NV 2007, 1804; vom 12.11.2009 - IV B 29/08, BFH/NV 2010, 669). Es besteht allerdings keine Selbstbindung der Verwaltung, die eine Außenprüfung in kürzeren Abständen als dem statistisch ermittelten durchschnittlichen Turnus ausschließt. Eine derartige Selbstbindung widerspräche dem mit der Außenprüfung verfolgten Ziel einer möglichst zutreffenden Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und der Sicherung der vollständigen und richtigen Besteuerung durch Außenprüfungen (BFH, Beschlüsse vom 14.06.2007 - VIII B 201/06, BFH/NV 2007, 1804; vom 02.10.2007 - X B 225/06, juris, jeweils m.w.N.).

Im Streitfall bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die angeordnete Außenprüfung durch Willkür und/oder Schikane (mit-)veranlasst war. Aus der Tatsache, dass der Beklagte das Kontrollmaterial als prüfungsrelevant ansieht, ergibt sich, dass letztlich die Lieferbeziehung zwischen dem Kläger und einem Lieferanten (Fa. C…) und nicht etwa unsachliche Animositäten zwischen dem Kläger und dem Beklagten den eigentlichen Grund für die PA bilden. Solche unsachgemäßen Gründe sind vom Kläger zudem auch nicht substantiiert behauptet worden. Allein die Tatsache, dass der Beklagte zunächst einen vierjährigen Prüfungszeitraum angeordnet hatte und den Kläger zur vorzeitigen Abgabe von Steuererklärungen aufgefordert hatte, lässt keine ausreichenden Hinweise auf schikanöses oder willkürbehaftetes Tun des Beklagten erkennen.

Der Senat vermag indes nicht auszuschließen, dass die Anordnung der streitbefangenen Außenprüfung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zuwiderläuft. Außerdem kann der Senat aufgrund der gesamten Umstände nicht ausschließen, dass der Beklagte gegen § 10 Abs. 1 BpO und damit gegen eine aufgrund der Selbstbindung zu beachtende Ermessensrichtlinie verstoßen hat (vgl. Rüsken in Klein, AO, 11. Aufl., § 194 Rz. 18 m. w. N. zur höchstrichterlichen Rechtsprechung). Nach dieser Vorschrift dürfen die Ermittlungen (§ 194 AO) im Falle eines Verdachts einer Steuerstraftat oder- ordnungswidrigkeit hinsichtlich des Sachverhalts, auf den sich der Verdacht bezieht, erst fortgesetzt werden, wenn dem Steuerpflichtigen die Einleitung des Strafverfahrens mitgeteilt worden ist. Diese Informationsverpflichtung muss nach Ansicht des Senats gleichermaßen gelten, wenn schon vor Beginn der Prüfung hinsichtlich des prüfungsrelevanten Sachverhalts ein Anfangsverdacht wegen einer Steuerstraftat und/oder Steuerordnungswidrigkeit (§ 152 Strafprozessordnung - StPO -) besteht. Überdies leidet die streitgegenständliche PA auch an einem Begründungsmangel im Sinne d. § 121 Abs. 1 AO.

Hierzu im Einzelnen:

Die zu Außenprüfungen gemäß § 193 Abs. 1 AO ergangene Rechtsprechung stellt insoweit in der Regel zwar keine besonderen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Außenprüfung und hat diese im Regelfall bejaht (BFH, Urteil vom 29.10.1992 - IV R 47/91, BFH/NV 1993, 149; Beschlüsse vom 20.10.2003 - IV B 67/02, BFH/NV 2004, 311; vom 29.05.2007 - I B 140/06, BFH/NV 2007, 2050; vom 16.02.2011 - VIII B 246/09, BFH/NV 2011, 748). Allerdings hat der BFH für den Fall einer sog. Anlassprüfung darauf hingewiesen, dass es sich bei einer Außenprüfung i.S. von § 193 Abs. 1 AO um eine besonders intensive und umfangreiche Ermittlungsmaßnahme handele, die durchweg auf eine Überprüfung der Buchführung hinauslaufe. Die darin liegende Belastung müsse vom Steuerpflichtigen im Rahmen einer turnusmäßigen Prüfung hingenommen werden. Halte die Finanzbehörde zusätzliche Ermittlungen für erforderlich, müsse sie auch erwägen, ob hierfür die Durchführung einer Außenprüfung angezeigt sei oder ob nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Aufklärung mit den Steuerpflichtigen weniger belastenden Maßnahmen erreicht werden könne (BFH, Urteil vom 24.01.1985 - IV R 232/82, BFHE 143, 210, BStBl II 1985, 568). Diese Kriterien entsprechen in etwa denjenigen, die bei Außenprüfungen gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO, also bei nicht betrieblichen Einkünften, angewendet werden (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 26.07.2007 - VI R 68/04, BFHE 218, 35, BStBl II 2009, 338). Danach ist eine Außenprüfung insoweit nur zulässig, wenn die für die Besteuerung erheblichen Verhältnisse der Aufklärung bedürfen und eine Prüfung an Amtsstelle nach Art und Umfang des zu prüfenden Sachverhalts nicht zweckmäßig ist, insbesondere wenn zu erwarten ist, dass eine größere Anzahl von Lebensvorgängen mit einem größeren Zeitaufwand zu prüfen ist. Ferner ist zu berücksichtigen, dass § 193 Abs. 1 AO grundsätzlich die Prüfungsbedürftigkeit u.a. der freiberuflich Tätigen unterstellt, weil sich die steuerlichen Verhältnisse eines Unternehmers im Allgemeinen erst durch Einsicht in die Buchführung und die sonstigen betrieblichen Aufzeichnungen kontrollieren lassen (BFH, Beschluss vom 16.02.2011 - VIII B 246/09, BFH/NV 2011, 748).

Das Gericht hält die zu einer Anlassprüfung und die zu Außenprüfungen gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 2 AO ergangene Rechtsprechung auch für den hier gegebenen Fall einer zweiten Anschlussprüfung in Folge bei Kleinbetrieben bzw. bei Mittelbetrieben (so hier) für übertragbar. Für diese Würdigung spricht der Umstand, dass die vorliegend im Streit stehende Prüfungsmaßnahme auch Züge einer Anlassprüfung trägt, denn der Beklagte hat in der angefochtenen PA vom 13. März 2014 selbst ausgeführt, dass das ihm vorliegende Kontrollmaterial den „Anlass“ bilde, bei dem Kläger eine an zwei Vorprüfungen zeitlich lückenlos anschließende zweite Anschlussprüfung vorzunehmen. Bei Anlegung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Anlassprüfung aufgestellten Grundsätze vermag der Senat nach Würdigung aller Umstände nicht auszuschließen, dass die beabsichtigte weitere Prüfung gegen den verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.

Der Senat verkennt zwar nicht, dass das Kontrollmaterial zumindest für das Jahr 2008 einen Prüfungsbedarf indiziert.

Insbesondere muten die „Angebote“ des Lieferanten C… vom 11. Juli 2008 (Bl. 52 f. Steuerakte) aufgrund der darin erwähnten Vielzahl von Einzelpositionen sowie die Zusätze „ausverkauft“ merkwürdig an und könnten Anhaltspunkt dafür sein, dass der Kläger seinen Wareneinsatz und ggfls. seinen Warenumsatz zumindest in dem betreffenden Jahr nicht vollständig bzw. zutreffend erfasst hat. Aufgrund der nur wenig aussagekräftigen Begründung in der PA vom 13. März 2014 lässt sich jedoch nicht ansatzweise erkennen, ob der Beklagte eine solche Überprüfung an Amtsstelle in Erwägung gezogen und aus welchen Gründen er diesen Weg für nicht sachgerecht erachtet hat. Für eine Darlegung der für und gegen eine Überprüfung an Amtsstelle sprechenden Gründe bestand auch deshalb Anlass, weil der Kläger unwidersprochen vorgetragen hat, dass der Beklagte zumindest eine Plausibilitätsprüfung durch einen Abgleich mit den von ihm (dem Kläger) übermittelten Datenbeständen (siehe Klägerschriftsatz vom 19. März 2014, Bl. 53 f. Streitakte) hätte vornehmen können. Gegen das Erfordernis einer ausreichenden Darlegung der Abwägungsgründe lässt sich mit Erfolg nicht einwenden, der Kläger würde hierdurch gewarnt und könnte seine Buchhaltung im Nachhinein anpassen. Abgesehen davon, dass bei Vorliegen solcher Verdachtsmomente wohl schon die Schwelle eines strafrechtlichen Anfangsverdachts wegen einer Steuerstraftat (vgl. § 152 Abs. 2 StPO i. V. m. § 385 Abs. 1 AO) die Inanspruchnahme fahndungsmäßiger Mittel nahe legt, ist aber zu berücksichtigen, dass eine nachträgliche Veränderung der Buchhaltung schon aus praktischen Gründen wenig wahrscheinlich erscheint, weil dem Beklagten – worauf der Prozessbevollmächtigte - zuletzt im Termin - unwidersprochen hingewiesen hat – die Buchhaltung in elektronischer Form vorliegt und deren nachträgliche Veränderung damit ohne Weiteres offenkundig würde. Angesichts der im Dunkeln liegenden Umstände des Prüfungsanlasses vermochte der Senat sich nicht zweifelsfrei davon zu überzeugen, dass der Kläger mit der vorliegenden Anordnung einer zweiten Anschlussprüfung übermäßig belastet wird.

b)

Schließlich vermochte der Senat auch nicht auszuschließen, dass mit der PA die Vorschriften gem. §§ 397 Abs. 3, 393 Abs. 1 AO, 10 BpO 2000 sowie der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit „nemo tenetur se ipsum accusare“ unterlaufen werden. Der Senat kann deshalb eine Ermessensüberschreitung bzw. einen Ermessensfehlgebrauch nicht ausschließen.

Angesichts der Tatsache, dass der Beklagte in der PA ausführt, dass aus Sicht der Betriebsprüfungsstelle der Schluss gerechtfertigt sei, es seien nicht alle Geschäftsvorfälle zutreffend erfasst worden und andererseits Kontrollmaterial vom Beklagten zurückgehalten wird bzw. keine näheren Darlegungen zum Prüfungshintergrund gemacht werden, kann der Senat nicht ausschließen, dass die beabsichtigte Außenprüfung neben der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen auch der Ermittlung steuerstrafrechtlich relevanter Sachverhalte dient.

Zwar hat der Prüfer neben der zentralen Aufgabe, die Besteuerungsgrundlagen im Sinne d. § 199 AO zu ermitteln, auch die Pflicht, bei dem Verdacht einer Straftat die Strafverfolgung aufzunehmen und ein Verfahren einzuleiten (§ 386 Abs. 1 und 2, § 385 AO i. V. m. „§ 152 StPO). Jedoch bedarf es im Falle der „Doppelspurigkeit der Prüfungshandlungen“ (siehe Schreiber in Wannemacher, Steuerstrafrecht, 6. Aufl., Rn. 3430) einer Offenlegung, wenn der Prüfer neben der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen zugleich auch steuerstrafrechtlich relevante Sachverhalte feststellt. Im Streitfall deutet das Gebaren des Beklagten darauf hin oder lässt es zumindest möglich erscheinen, dass die Prüfung ebenfalls auf die Ermittlung (steuer-)strafrelevanter Sachverhalte abzielt. In einem solchen Fall ist es aber zur Klarheit und Eindeutigkeit des Verfahrens erforderlich, dass dem Steuerpflichtigen die Einleitung des Strafverfahrens bekannt gegeben wird, weil er andernfalls Gefahr läuft, sich selbst zu belasten (vgl. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO). Vorliegend kann der Senat angesichts des intransparenten Vorgehens des Beklagten nicht abschließend beurteilen, ob die Verdachtsmomente gegen den Kläger bereits von solchem Gewicht sind, dass ein strafrechtlicher Anfangsverdacht wegen einer (Steuer-)Straftat gegeben ist. Sollte ein solcher Anfangsverdacht bereits bestehen, wäre aber spätestens mit der Bekanntgabe der PA dem Kläger zugleich auch die Einleitung eines Strafverfahrens bekannt zu geben. Da der Senat hierzu keine ausreichenden Feststellungen zu treffen vermochte, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die PA unter Verletzung der vorstehend zitierten Vorschriften ergangen ist.

c)

Schließlich hat der Beklagte die angefochtene Verfügung auch nicht ausreichend i.S. des § 121 Abs. 1 AO begründet.

Es liegt nahe, dass sich der Beklagte bei der zweiten Anschlussprüfung in Folge wohl nicht auf die Angabe der Norm des § 193 Abs. 1 AO beschränken konnte (BFH, Beschlüsse vom 20.10.2003 - IV B 67/02, BFH/NV 2004, 311; vom 29.05.2007 - I B 140/06, BFH/NV 2007, 2050 in Abgrenzung zu dem eine erste Anschlussprüfung betreffenden Beschluss vom 19.11.2009 - IV B 62/09, BFH/NV 2010, 595).

Auch die nach § 68 FGO verfahrensgegenständliche PA vom 13. März 2014 ist aufgrund der vorstehenden unzureichenden Darlegungen nicht hinreichend begründet. Die Ausführungen des Beklagten in der PA lassen nicht in ausreichender Weise erkennen, dass der Beklagte sein Ermessen sachgerecht ausgeübt hat. Eine hinreichende Ergänzung der Begründung ist auch vom Sitzungsvertreter im Termin nicht nachgeholt worden.

III.

Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil ein Revisionszulassungsgrund i. S. d. § 115 Abs. 2 FGO nicht ersichtlich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung. Die Sach- und Rechtslage war nicht so einfach, dass der Kläger sich selbst hätte vertreten können (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).