Gericht | VG Cottbus 7. Kammer | Entscheidungsdatum | 12.03.2012 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 7 L 362/11.A | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Der Antrag, mit dem der Antragsteller sinngemäß begehrt,
Die aufschiebende Wirkung seiner Klage (7 K 864/11.A) gegen die unter Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides des vom 14. November 2011 Abschiebungsandrohung anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
Nachdem der Antragsteller 2007 in Lübeck um Asyl nachgesucht hatte, verzog er zunächst nach Frankreich und später nach Finnland. Am 1. März 2011 stellte er einen Asylantrag. Das Bundesamt behandelte diesen Asylantrag als Folgeantrag, weil der Antragsteller es unterlassen habe, im Januar 2007 der Weiterleitung von der Aufnahmeeinrichtung Lübeck zur Aufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt nachzukommen. Der Folgeantrag selbst sei mangels Wiederaufnahmegründe unbegründet.
Gemessen an dem für das Eilverfahren maßgeblichen Prüfungsmaßstab geht das Bundesamt zu Recht davon aus, dass der nunmehr gestellte Asylantrag vom 1. März 2011 als Folgeantrag zu behandeln ist (1.) und Gründe für das Wiederaufgreifen des Verfahrens fehlen (2.).
1. Es fragt sich allerdings, ob der im gerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO bei Bescheiden auf Folgeanträge anzulegende Maßstab der ernstlichen Zweifel (vgl. zum diesem Maßstab BVerfG, Beschluss vom 16. März 1999 – 2 BvR 2131/95 – DVBl 1999, 1204f.) auch in Fällen der vorliegenden Art insoweit gilt, als die Frage inmitten steht, ob der Asylantrag als Folgeantrag behandelt werden darf (so aber VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 5. Oktober 2010 – 5a L 1057/10.A; VG Aachen, Beschluss vom 27. Dezember 2011 – 6 L 517/11.A jeweils zit. nach Juris). Als verfahrensrechtliche Schlechterstellung findet der verschärfte Prüfungsmaßstab der ernstlichen Zweifel seine Rechtfertigung darin, dass der Asylantragsteller im Erstverfahren bereits Gelegenheit hatte, seine Verfolgungsgeschichte einer vertieften, ggf. auch einer gerichtlichen Prüfung unterziehen zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. März 1999 – 2 BvR 2131/95 – DVBl 1999, 1204f.). Dort steht die Tatsache, dass ein Erstverfahren durchgeführt wurde, und damit der Grund für die verfahrensrechtliche Schlechterstellung indes unzweifelhaft fest. Demgegenüber steht hier der Grund für die verfahrensrechtliche Sanktion, nämlich die vorsätzliche oder grobfahrlässige Missachtung der Mitwirkungsobliegenheiten, gerade im Streit.
Vorliegend kann diese Frage auf sich beruhen, weil nach der im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nur möglichen aber auch gebotenen summarischen Prüfung sich der im Hauptsacheverfahren angefochtene Bescheid mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch insoweit als rechtmäßig erweist, als dem Antragsteller darin trotz schriftlicher Belehrung eine vorsätzliche oder grobfahrlässige Missachtung seiner Mitwirkungsobliegenheiten vorgehalten wird.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG hat sich ein Ausländer, der den Asylantrag bei einer Außenstelle des Bundesamtes zu stellen hat (§ 14 Abs. 1 AsylVfG), in einer Aufnahmeeinrichtung persönlich zu melden. Diese nimmt ihn auf oder leitet ihn an die für seine Aufnahme zuständige Aufnahmeeinrichtung weiter (§ 22 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Gemäß § 22 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG ist der Ausländer verpflichtet, der Weiterleitung an die für ihn zuständige Aufnahmeeinrichtung unverzüglich oder bis zu einem ihm von der Aufnahmeeinrichtung genannten Zeitpunkt zu folgen. Kommt der Ausländer der Verpflichtung nach Satz 1 vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nach, so gilt § 20 Abs. 2 und 3 AsylVfG entsprechend (§ 22 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG). Gemäß § 22 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG ist der Ausländer auf diese Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbekenntnis hinzuweisen. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG findet für einen später gestellten Asylantrag § 71 AsylVfG entsprechende Anwendung.
Das Gesetz knüpft demnach an den vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtenverstoß die einschneidende Sanktion, dass ein vom Asylsuchenden nach seiner Aufnahme bei der Außenstelle des Bundesamtes verspätet gestellter Asylantrag lediglich als Folgeantrag behandelt wird, auf den ein Asylverfahren nur dann durchgeführt wird, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Voraussetzung ist nunmehr, dass sich die Sach- und Rechtslage nachträglich, also nach Nichterfüllung der Folgepflicht, geändert hat oder neue Beweismittel bereitstehen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Asylsuchende seine bis dahin bestehenden (möglicherweise guten) Gründe für eine Asyl- und/oder Flüchtlingsanerkennung verliert, er insoweit gewissermaßen präkludiert ist (VG Aachen, Beschluss vom 27. Dezember 2011 – 6 L 517/11.A jeweils zit. nach Juris).
Dieser Nachteil, den der Asylbewerber infolge der Missachtung seiner Mitwirkungsobliegenheiten erleiden kann, ist allerdings nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Betroffene auf die gesetzliche Regelung hingewiesen wird. Dieser letztlich in dem alle staatlichen Organe verpflichtenden Gebot eines fairen Verfahrens (vgl. zur Zustellfiktion BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1996 – 2 BvR 96/95 – DVBl 1996, 1252f.) wurzelnden rechtsstaatlichen Anforderung hat der Gesetzgeber mit § 22 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG entsprochen. Soll der danach vorgeschriebene Hinweis seiner Aufgabe gerecht werden, gerade mit Blick auf den Ausnahmecharakter der Norm für Rechtsklarheit zu sorgen (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1996 – 2 BvR 96/95 – DVBl 1996, 1252f.), muss er den Besonderheiten des Adressatenkreises Rechnung tragen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Asylbewerber sich in einer ihm fremden Umgebung befindet, mit dem Ablauf des deutschen Asylverfahrens nicht vertraut und in aller Regel der deutschen Sprache nicht mächtig ist (vgl. BVerfGE 64, 135 <145, 156>). Es ist demnach erforderlich, dass dem Asylbewerber durch eine erläuternde Belehrung mit der gebotenen Deutlichkeit vor Augen geführt wird, welche Obliegenheiten ihn im Einzelnen treffen und welche Folgen bei deren Nichtbeachtung entstehen können. Der Hinweis kann sich deshalb zum einen nicht auf die gesetzlichen Vorschriften als solche beschränken, sondern muss sich auf die hieraus folgenden Konsequenzen sowohl im behördlichen Verfahren als auch für die fristgerechte Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes erstrecken. Zum anderen reicht eine bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts vor dem Hintergrund des Verständnishorizonts des Asylbewerbers nicht aus. Vielmehr bedarf es einer verständlichen Umschreibung des Inhalts der gesetzlichen Bestimmungen. Diesem Gebot wird in aller Regel schon durch die in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle erforderliche Übersetzung der Vorschriften in eine dem Asylbewerber geläufige Sprache genügt, weil sich dabei aus Gründen der Praktikabilität eine sinngemäße, nicht strikt an juristischen Begrifflichkeiten orientierte Übertragung anbietet (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1996 – 2 BvR 96/95 – DVBl 1996, 1252f.). Diesen Anforderungen wird die Aufforderung der Lübecker Aufnahmeeinrichtung an den Antragsteller, sich nach Eisenhüttenstadt zu begeben, und der sich anschließende Hinweis auf verfahrensrechtliche Folgen gerecht. In einer auch dem juristischen Laien ohne Weiteres verständlichen Sprache wird darin erklärt, dass der Antragsteller die Aufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt aufsuchen soll, von wo aus er an die Außenstelle des Bundesamtes weitergeleitet werde, die seinen Asylantrag aufnehmen wird. Der sich anschließende Hinweis benennt in eindringlichen Worten die Folgen, sollte der Antragsteller die Aufforderung unbeachtet lassen. Insbesondere finden sich dort auch die Nachteile beschrieben, die ein Folgeantragsverfahren nach sich zieht. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass die schriftliche Belehrung in deutscher Sprache abgefasst war (vgl. Marx, AsylVfG-Komm. 7. Aufl. § 20 Rn, 23). § 22 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG schreibt für den Hinweis zwar die Schriftform vor, nicht aber in welcher Sprache dieser erteilt sein muss. Von Verfassungs wegen ist eine schriftliche Übersetzung nicht geboten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1996 – 2 BvR 96/95 – DVBl 1996, 1252f.) Auch der Normzweck verlangt dies nicht. Das Erfordernis der Schriftform und der Empfangsbestätigung bezweckt, Beweisschwierigkeiten zu vermeiden (Treiber: GK-AsylVfG § 20 Rn. 43). Den Nachweis der Belehrung erleichtert bereits ein Text in deutscher Sprache, sofern darin – etwa wie hier - eine mündliche Übersetzung be-stätig wird. Auch mit Blick auf die Praktikabilität im Verwaltungsvollzug liegt es fern, dass der Gesetzgeber nur eine fremdsprachige Urkunde gelten lassen wollte. Die Pflicht zur Belehrung trifft nämlich nicht nur die Aufnahmeeinrichtungen (§ 22 Abs. 3 Satz 3 AsylVfG), die Grenzbehörden (§ 18 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 3 AsylVfG) und die Ausländerbehörden (§ 19 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 3 AsylVfG), die im Umgang mit Fremdsprachigen vertraut sind, sondern auch jede Polizeidienststelle ((§ 19 Abs. 1 i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 3 AsylVfG), wo diese Vorkenntnisse nicht stets vorausgesetzt werden können. Es versteht sich indes von selbst, dass der Hinweis die ihm verfassungsrechtlich zugedachte Funktion nur dann erfüllen kann, wenn er von einem der deutschen Sprache ggf. unkundigen Adressaten auch verstanden werden kann. Wird die Belehrung – wie hier - auf deutsch abgefasst, kommt es darauf an, dass ein Dolmetscher den Text mündlich überträgt. Vorliegend ist davon auszugehen, dass dem Antragsteller die Belehrung auch vor Ort ins Französische mündlich übertragen wurde. Soweit der Antragsteller nunmehr behauptet, dass in Lübeck zu keinem Zeitpunkt ein Dolmetscher zugegen gewesen sei, so dass er von den Merkblättern – mit Ausnahme jener in Französischer Sprache - keinerlei Kenntnis gehabt habe, ist dies nicht glaubhaft. Der dem Gericht vorliegende bereits in Lübeck angelegte Verwaltungsvorgang zum dortigen Az. 5238863 – 252 enthält auch Merkblätter auf Französisch. Diese verhalten sich jedoch ausschließlich zur erkennungsdienstlichen Behandlung und zum Dublin-Übereinkommen. Bereits in der vorbereitenden Anhörung am 1. März 2011 gab der Antragsteller gleichwohl an, dass er in Lübeck eine Verteilung nach Eisenhüttenstadt erhalten habe, ohne ihr jedoch gefolgt zu sein. Wie er von der Weiterleitung nach Eisenhüttenstadt ohne die Hilfe eines Dolmetschers erfahren haben soll, erschließt sich dem Gericht nicht. Erhebliche Zweifel an dieser Behauptung weckt zudem der Umstand, dass die im Verwaltungsvorgang enthaltene, in deutscher Sprache abgefasste Belehrung mit der vom Antragsteller unterschriebenen Erklärung schließt, dass ihm diese Belehrung in die französische Sprache übersetzt wurde und er den Inhalt verstanden hat.
Die Obliegenheit, der Weiterleitung nach Eisenhüttenstadt zu folgen, hat der Antragsteller auch vorsätzlich, zumindest aber grob fahrlässig missachtet. Eigenen Angaben zufolge begab er sich nach Frankreich, statt nach Eisenhüttenstadt. Einer Erklärung hierfür bleibt er schuldig. Der Verschuldensvorwurf entfällt auch nicht deshalb, weil dem Antragsteller mit der Lübecker Weiterleitung vom 4. Januar 2007 angesonnen wurde, sich am selben Tage in der Aufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt einzufinden. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Bundesamtes erhält der Ausländer in Fällen dieser Art von der weiterleitenden Stelle zugleich eine kostenlose Bahnfahrkarte für denselben Tag zur Weiterreise an die zugewiesene Aufnahmeeinrichtung. Auch wäre die Aufnahme in Einsenhüttenstadt am 4. Januar 2007 bis 24 Uhr möglich gewesen.
2. Hat das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers nach alledem höchstwahrscheinlich zu Recht als Folgeantrag behandelt, kann das Rechtsschutzbegehren nur dann Erfolg haben, wenn ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens besteht (§ 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG). An der Rechtmäßigkeit des diesen Anspruch verneinenden Bescheides bestehen hingegen keine ernstlichen Zweifel. Zur Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG Bezug genommen. Den dortigen Ausführungen zum Fehlen von Gründen für ein Wiedereingreifen des Verfahrens ist der Antragsteller nicht entgegengetreten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 vwGO, § 83b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.