Gericht | OLG Brandenburg 1. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 21.09.2011 | |
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Aktenzeichen | 1 AR 47/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Zuständig ist das Amtsgericht Fürstenwalde.
I.
Die Klägerin, ein Versorgungsunternehmen, nimmt den Beklagten auf die Zahlung von 246,35 € nebst Zinsen für die Lieferung von Erdgas in Anspruch. Der Beklagte rügt das Fehlen der sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Fürstenwalde; in der Sache macht er geltend, dass die der Forderung zu Grunde liegende Preiserhöhung der Klägerin unwirksam sei.
Mit Verfügung vom 22.03.2011 hat das Amtsgericht den Parteien mitgeteilt, dass es die Zuständigkeitsbedenken des Beklagten teile. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 22.03.2011 zum Vorliegen der sachlichen Zuständigkeit vorgetragen und hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Frankfurt (Oder) - Kammer für Handelssachen - beantragt. Daraufhin hat sich das Amtsgericht Fürstenwalde mit Beschluss vom 11.05.2011 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt (Oder) verwiesen. Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat sich nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 01.06.2011 seinerseits für unzuständig erklärt und die Sache zur Entscheidung über die Zuständigkeit dem Senat vorgelegt.
II.
1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, weil es für die am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht ist.
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Fürstenwalde als auch das Landgericht Frankfurt (Oder) haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für sachlich unzuständig erklärt, ersteres durch den nach § 281 Abs. 2 ZPO unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 11.05.2011 und letzteres durch den seine Zuständigkeit abschließend verneinenden Vorlagebeschluss vom 01.06.2011; beide genügen den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es insoweit allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekanntgemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler: Senat NJW 2004, 780; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 36, Rdnr. 24 f.).
3. Zuständig ist das Amtsgericht Fürstenwalde.
Zwar kommt dem Verweisungsbeschuss des Amtsgerichts vom 11.05.2001 grundsätzlich Bindungswirkung zu (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Diese entfällt nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Im Interesse einer baldigen Klärung der Gerichtszuständigkeit und der Vermeidung wechselseitiger (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler wie das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzu kommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (statt vieler: Senat JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; 2004, 780; MDR 2006, 1184; eingehend ferner: Tombrink, NJW 2003, 2364 f.; jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Den derart zu konkretisierenden (verfassungsrechtlichen) Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde jedoch nicht stand.
a) Die Auffassung des Amtsgerichts Fürstenwalde, dass sich für den vorliegenden Rechtsstreit aus § 102 EnWG eine ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte ergibt, trifft nicht zu.
Gemäß § 102 Abs. 1 EnWG sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus diesem Gesetz ergeben, ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Landgerichte ausschließlich zuständig. Dies gilt gemäß § 102 Abs. 2 EnWG auch dann, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach diesem Gesetz zu treffen ist. Mit ihrer Klage macht die Klägerin die Zahlung von Versorgungsentgelten gegenüber dem Beklagten geltend, die dieser bisher nicht beglichen hat, da er die zu Grunde liegenden Preiserhöhungen für unwirksam hält. Solche Zahlungsansprüche werden von der Zuständigkeitsregelung des § 102 EnWG nicht erfasst, da hier nicht der Anspruch auf Grundversorgung Streitgegenstand ist (Senat JMBl. 2011, 25, 26; ebenso die wohl einhellige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte: OLG Oldenburg, Beschluss vom 03.01.2011, 5 AR 35/10, zitiert nach Juris; OLG Celle, Beschluss vom 23.12.2010, 13 AR 9/10, zitiert nach Juris; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 16.12.2010, 11 AR 3/10, zitiert nach Juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10.07.2009, 2 AR 23/09, zitiert nach Juris; OLG München, Beschluss vom 15.05.2009, AR (K) 7/09, zitiert nach Juris; wohl auch: KG, Beschluss vom 09.10.2009, 2 AR 48/09, zitiert nach Juris; OLG Köln, Beschluss vom 03.04.2008, 8 W 19/08, zitiert nach Juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 15.08.2008, 1 W 43/07, zitiert nach Juris).
Eine Rechtsstreitigkeit im Sinne des § 102 Abs. 1 EnWG liegt nicht vor, da sich der mit der Klage geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht auf eine Anspruchsgrundlage des EnWG oder des auf dem EnWG beruhenden Regelwerks stützen lässt und sich mithin nicht aus dem EnWG ergibt (vgl. Senat a. a. O.; Britz/Hellermann/Hermes/Hölscher, EnWG, 2. Aufl., § 102, Rdnr. 12). Der gegen den Beklagten, für den bereits in der Anspruchsbegründung klargestellt ist, dass die Gasversorgung ursprünglich auf einem Sonderkundenvertrag beruht hat, erhobene Anspruch hat seine Grundlage vielmehr gegebenenfalls in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag.
§ 102 Abs. 2 EnWG ist ebenfalls nicht einschlägig, da die Entscheidung des Rechtsstreits nicht von einer Entscheidung abhängt, die nach diesem Gesetz zu treffen ist. Der von der Klägerin geltend gemachte Zahlungsanspruch hängt - jedenfalls auch - davon ab, ob die von ihr vorgenommenen Preiserhöhungen wirksam sind. Auch diese Entscheidung ist jedoch nicht nach den Regelungen des EnWG, sondern allein nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu treffen. Ob die Klägerin sich auf das Preisanpassungsrecht nach der AVBGasV bzw. GasGVV berufen kann oder ob die Preiserhöhung nach § 315 BGB der Billigkeit entspricht, ergibt sich nicht aus dem EnWG, und zwar auch und insbesondere nicht aus § 1 Abs. 1 EnWG. Diese Vorschrift enthält lediglich die programmatische Umschreibung des Gesetzeszweckes einer möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und unweltverträglichen leistungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas; sie stellt keine Regelung dar, nach der die Vorfrage der Anwendung der AVBGasV bzw. GasGVV oder der Billigkeit zu entscheiden wäre, sondern zeigt lediglich allgemein Gesichtspunkte auf, die in diese Abwägung einzufließen haben (vgl. Senat a. a. O.; OLG Oldenburg a. a. O.; OLG Frankfurt/Main a. a. O.; Britz/Hellermann/Hermes/Hölscher, a. a. O., § 102, Rdnr. 13). Was der Billigkeit gemäß § 315 BGB entspricht, ergibt sich nicht aus dem EnWG, sondern aus einer Abwägung der beiderseitigen Vertragsinteressen (Senat a. a. O.).
Auch die möglicherweise zu beantwortende Vorfrage, ob im Rahmen des gewählten Tarifs überhaupt ein Preisanpassungsrecht besteht, ist nach den konkreten vertraglichen Vereinbarungen der Parteien und nicht nach Normen des EnWG zu beantworten; dafür ist weder § 36 EnWG, der den Anspruch auf Grundversorgung regelt, noch § 41 EnWG, der den notwendigen Inhalt von Verträgen außerhalb der Grundversorgung zum Gegenstand hat, einschlägig.
Aus der Begründung des EnWG ergibt sich nichts anderes. So verweist der Gesetzgeber (vgl. BT-Drs. 15/3917, S. 75) allein darauf, dass die Vorschrift der Regelung in § 87 GWB entspreche, was schon insoweit ungenau ist, als dort von bürgerlichen Rechtstreitigkeiten, „die die Anwendung dieses Gesetzes […] betreffen“ die Rede ist, während in § 102 EnWG die Zuständigkeit für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, „die sich aus diesem Gesetz ergeben“, geregelt ist. Aus der in § 87 GWB „zur Wahrung der Rechtseinheitlichkeit“ (vgl. BR-Drs. 441/04, S. 122) getroffenen Regelung kann jedoch nicht darauf geschlossen werden, dass durch § 102 EnWG jegliche Verfahren, an denen Energieversorger beteiligt sind, bei den Landgerichten konzentriert sein sollen. Darauf würde eine derart weite - nach hiesiger Auffassung - über den Wortlaut hinausgehende Auslegung indes hinauslaufen. Einer Konzentration bedarf es demgegenüber nur hinsichtlich über den Einzelfall hinausgehender, grundsätzlicher Fragen und nicht für individuelle Streitigkeiten über einzelvertragliche Ansprüche (vgl. Senat, a. a. O., 27; OLG Köln a. a. O.).
b) Im Hinblick auf diese Rechtslage erweist sich der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Fürstenwalde vom 11.05.2011 als grob rechtfehlerhaft. Denn zur Abweichung von der obergerichtlichen Rechtsprechung, die für sich allein diesen Vorwurf noch nicht zu begründen vermag (BGH NJW 2003, 3201, 3202; NJW-RR 2002, 1498, 1499), treten weitere Umstände hinzu, in deren Lichte die getroffene Entscheidung sich als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und mithin willkürlich darstellt (vgl. BGH NJW-RR 2002, 1498, 1499, m. w. N.).
Die - ihrem äußeren Erscheinungsbild nach ausführlichen - Gründe der Beschlussfassung des Amtsgerichts Fürstenwalde enthalten inhaltlich eine Begründung für das Bestehen einer sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts nach § 102 EnWG nicht. Sie erschöpfen sich im Vortrag abstrakter rechtlicher Erwägungen, die einen konkreten oder wenigstens nachvollziehbaren Bezug zum vorliegenden Fall nicht aufweisen. In welcher Weise der Rechtsstreit sich aus dem EnWG ergeben oder die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder teilweise nach dem EnWG zu treffen sein soll, ist nicht dargestellt. Die - als solche zutreffende - Feststellung, dass es um die Frage der Angemessenheit und Billigkeit der von der Klägerin berechneten Preise gehe, wird nicht mit einer das Vorbringen der Parteien berücksichtigenden Subsumtion des zu beurteilenden Tatsachenstoffs untersetzt, sondern lediglich mit weiteren abstrakten rechtlichen Erwägungen, die dessen Erfassung und Verwertung nicht erkennen lassen.
Indem bei alledem auf die im EnWG geregelte Grundversorgung abgehoben wird, wird darüber hinaus bereits im Ausgangspunkt verkannt, dass eine Versorgung im Rahmen der Grundversorgung schon nach der Anspruchsbegründung der Klägerin nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist.
Die Gründe des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts setzen sich auch nicht mit der gegenteiligen obergerichtlichen Rechtsprechung, einschließlich der des Senats, auseinander. Vielmehr werden nur scheinbar verschiedene Urteile von Oberlandesgerichten im Hinblick auf die hier zu entscheidende Rechtsfrage diskutiert. So wird für Entscheidungen des OLG Köln und des OLG München angeführt, dass diese anders gelagerte und nicht vergleichbare Sachverhalte beträfen; eine inhaltliche Diskussion mit den einschlägigen Grundsätzen der obergerichtlichen Rechtsprechung findet dabei nicht statt. Der ebenfalls angesprochenen Entscheidung des OLG Celle (Beschluss vom 10.03.2010, 4 AR 17/10, zitiert nach Juris) wird entgegengehalten, dass eine energiewirtschaftliche Vorfrage auch dann vorliege, wenn die Beklagtenseite entsprechende Einwände geltend mache; den Kern der Entscheidung des OLG Celle (a. a. O., Rdnr. 3), dass - wie auch im vorliegenden Fall - der Klageforderung zu Grunde liegende Energiepreiserhöhungen des Versorgungsunternehmens nicht zur ausschließlichen Zuständigkeit nach § 102 EnWG führen, da sie allein nach § 315 BGB zu bemessen sind, betrachtet das Amtsgericht nicht. Andere obergerichtliche Entscheidungen werden nicht angesprochen.
In Fallgestaltungen wie der vorliegenden, die bereits mehrfach Anlass zu Beschlussfassungen des Senats über die Bestimmung der gerichtlichen Zuständigkeit nach § 36 ZPO gegeben haben, haben entsprechende Vorgehensweisen von Amtsgerichten in der Vergangenheit im Lichte des eingangs genannten Zwecks des § 281 ZPO, eine baldige Klärung der Gerichtszuständigkeit herbeizuführen und wechselseitige (Rück-)Verweisungen zu vermeiden, hingenommen werden müssen. Mit der Veröffentlichung der Entscheidung des Senats vom 14.03.2011 (JMBl. 2011, 25) ist jedoch eine andere Situation eingetreten. Denn nun ist die Rechtslage für jedes Gericht im hiesigen Zuständigkeitsbereich ohne eine umfangreiche Rechtsprüfung leicht erkennbar. Wird - wie hier geschehen - gleichwohl und ohne eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung die Verweisung an das sachlich nicht zuständige Landgericht ausgesprochen, so stellt diese sich deshalb nicht mehr als ein einfacher Rechtsfehler dar; vielmehr liegt in solchen Fallen nun ein grober Rechtsfehler vor, der die Verweisung als willkürlich erscheinen und die Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO entfallen lässt.