Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 24.11.2014 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 K 61.14 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 162 Abs 2 S 2 VwGO |
1. Bei der Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren muss das Gericht sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO prüfen. Dazu gehört auch die Frage, ob eine "Zuziehung" wegen einer lediglich internen Beratung zu verneinen ist.
2. Mit dem Ausspruch, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig war, entscheidet das Gericht zugleich über die Erstattungsfähigkeit einer Geschäftsgebühr nach Ziffer 2300 VV RVG. Diese Entscheidung kann nur im Beschwerdeverfahren gegen die gerichtliche Entscheidung, nicht aber mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle geändert werden.
Auf die Beschwerde der Erinnerungsführerin ist unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 31. März 2014 der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. April 2013 zu ändern. Die Neufassung des Kostenfestsetzungsbeschlusses nach Maßgabe dieses Beschlusses wird der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle übertragen.
Der Erinnerungsgegner trägt die Kosten des Erinnerungs- und des Beschwerdeverfahrens.
I.
Die Erinnerungsführerin und Klägerin des Ausgangsverfahrens begehrt Vergütungserstattung für die außergerichtliche Tätigkeit ihrer Verfahrensbevollmächtigten im Vorverfahren. Das Verwaltungsgericht hat der von der Erinnerungsführerin erhobenen Anfechtungsklage stattgegeben, der Beklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat den Kostenfestsetzungsantrag der Klägerin in Bezug auf eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23. April 2013 abgelehnt, weil die Verfahrensbevollmächtigten nicht im Vorverfahren tätig gewesen seien. Das Verwaltungsgericht wies die hiergegen gerichtete Erinnerung mit Beschluss vom 31. März 2014 zurück. Der Ausspruch über die Notwendigkeit einer Zuziehung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO stelle zwar eine Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit dar, ersetze jedoch nicht die fehlende Tätigkeit des Rechtsanwaltes im Vorverfahren, die über eine bloße Beratung hinausgehen müsse.
II.
Die Beschwerde der Erinnerungsführerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat Erfolg. Die Erinnerungsführerin kann eine Vergütungsfestsetzung für die außergerichtliche Tätigkeit ihrer Verfahrensbevollmächtigten im Vorverfahren beanspruchen.
Zwar geht der erstinstanzliche Beschluss zutreffend davon aus, dass Kosten des Vorverfahrens im Sinne von § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO grundsätzlich nur erstattungsfähig sind, wenn der tätig gewordene Rechtsanwalt förmlich bevollmächtigt war und er zudem nach außen aufgetreten ist. Eine lediglich interne Beratung des Widerspruchsführers durch seinen Bevollmächtigten erfüllt das Tatbestandsmerkmal der „Zuziehung eines Bevollmächtigten“ nicht (OVG Magdeburg, Beschluss vom 14. Februar 2007 - 4 O 23/07 -, juris Rn. 2; OVG Greifswald, Beschluss vom 4. Januar 2005 - 1 O 267/04 -, juris Rn. 7 f.; VGH Mannheim, Urteil vom 8. Mai 1998 - 8 S 444/98 -, juris Rn. 24; OVG Münster, Beschluss vom 29. November 1995 - 8 E 400/95 -, juris Rn. 8 ff.). Dies ist u.a. deshalb gerechtfertigt, weil anderenfalls die Abgrenzung der im Vorverfahren angefallenen Gebühren und Auslagen von den sonstigen zur Rechtsverfolgung oder -verteidigung gemachten Aufwendungen erschwert würde (vgl. Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Kommentar, § 162 Rn. 72).
Das für die Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO zuständige Gericht darf die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren jedoch nur dann nur bejahen, wenn sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm erfüllt sind. Dazu gehört auch die Prüfung, ob eine „Zuziehung“ tatsächlich gegeben, d.h. ob der Rechtsanwalt förmlich bevollmächtigt war und nicht nur intern beratend tätig geworden ist (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 29. November 1995 - 8 E 400/95 -, juris Rn. 5 und Leitsatz 2). Wird die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ausgesprochen und damit auch seine „Zuziehung“ bejaht, so ist zugleich positiv über die Erstattungsfähigkeit der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG entschieden.
Dies ist auch im Hinblick auf die Rechtsnatur der Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO gerechtfertigt. Anders als die Entscheidung über die Kostenfolge im Sinne von §§ 154 bis 161, 120 Abs. 1 VwGO, über die nach § 161 Abs. 1 VwGO zwingend im Urteil zu entscheiden ist, wenn ein solches ergeht, und die die Kostenerstattungspflicht der Beteiligten lediglich dem Grunde nach regelt, betrifft die Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO den Umfang der Kostenerstattungspflicht. Das Gericht befindet anstelle des für die Kostenfestsetzung im Allgemeinen zuständigen Beamten darüber, ob die geltend gemachten Kosten des Vorverfahrens als im Sinne des § 162 Abs. 1 VwGO zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendige Aufwendungen anzusehen sind, d.h. auch darüber, ob und inwieweit Aufwendungen erstattungsfähig sind. (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1981 - 4 C 75/80 -, juris Rn. 8 f.; BVerwG, Urteil vom 28. April 1967 - VII C 128/66 -, juris Rn. 12). Die Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO legt die Notwendigkeit einer einzelnen Kostenposition fest und regelt damit die erstattungsfähigen Kosten ihrer Höhe nach (Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 4. Auflage, § 162 Rn. 113; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, Kommentar, 14. Auflage, § 162 Rn. 13; OVG Koblenz, Beschluss vom 6. Juni 2011 - 1 E 10470/11 -, NVwZ-RR 2011, 789; vgl. auch VGH München, Beschluss vom 25. Mai 2009 - 13 M 09.1144 -, juris Rn. 13).
Eine gerichtliche Entscheidung, die die Notwendigkeit einer Zuziehung ausspricht oder diese verneint und damit über das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO befindet, kann grundsätzlich weder durch den Kostenbeamten noch im Erinnerungsverfahren geändert werden. Dies ist regelmäßig nur möglich, wenn der von der Entscheidung Beschwerte hiergegen Beschwerde einlegt, die auch dann statthaft ist, wenn das Gericht über die Notwendigkeit der Zuziehung im Urteil entschieden hat. § 158 Abs. 1 VwGO ist insoweit nicht anwendbar. Diese Vorschrift betrifft allein die Kostengrundentscheidung, nicht aber die Kostenfestsetzung (BVerwG, Urteil vom 28. April 1967 - VII C 128/66 -, juris Rn. 14; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 4. Auflage, § 162 Rn. 119; zur fehlenden Anwendbarkeit von § 158 Abs. 2 VwGO vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Mai 2014 - OVG 2 L 11.14 -, juris Rn. 1). Wird - wie hier - gegen die Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO keine Beschwerde zum Rechtsmittelgericht erhoben oder ist diese im Hinblick auf den Beschwerdewert nicht statthaft oder bleibt sie sonst ohne Erfolg, ist der Kostenbeamte an die gerichtliche Entscheidung über die Notwendigkeit einer Zuziehung auch dann gebunden, wenn diese Entscheidung von unzutreffenden Voraussetzungen ausgeht und mit materiellem Recht nicht vereinbar ist.
Bei der Neufassung des Kostenfestsetzungsbeschlusses ist nach der hier gemäß § 60 RVG maßgeblichen, vor Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 23. Juli 2013 (BGBL I S. 2586) geltenden Rechtslage zu berücksichtigen, dass die Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG für die Tätigkeit im Vorverfahren nach Nr. 2301 VV RVG nur 0,7 beträgt, weil der Verfahrensbevollmächtigte bereits zuvor im Verwaltungsverfahren tätig gewesen war. Dass diese Tätigkeit umfangreich oder schwierig war, ist nicht ersichtlich. Ferner ist nach Vorbemerkung 3 Absatz 4 Satz 1 zu Teil 3 VV RVG (a.F.) die 0,7-Geschäftsgebühr für das Betreiben des Vorverfahrens angesichts desselben Gegenstandes zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens nach Nr. 3100 VV RVG mit 0,35 anzurechnen (vgl. dazu VGH München, Beschluss vom 25. Mai 2009 - 13 M 09.1144 -, juris Rn. 13).
Soweit die Erinnerungsführerin im Übrigen hinsichtlich der (allerdings nicht mehr erheblichen) Berechnung einwendet, der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23. April 2013 sei fehlerhaft, weil die Kostenbeamtin die halbe Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG angerechnet habe, obwohl eine Geschäftsgebühr gerade nicht als erstattungsfähig anerkannt worden sei, trifft dies nicht zu. Die Erinnerungsführerin hatte in ihrem das gerichtliche Verfahren betreffenden Kostenfestsetzungsantrag zwar wegen eines Hinweises der Kostenbeamtin eine solche Anrechnung vorgenommen und die Endsumme mit 1.624,21 Euro beziffert. Der Kostenfestsetzungsantrag bedurfte jedoch zunächst insoweit einer Korrektur, als die Erinnerungsführerin statt der geltend gemachten Gerichtskosten von 726,00 Euro nur einen Gerichtskostenvorschuss in Höhe von 453,00 Euro geleistet hatte. Vor diesem Hintergrund hat die Kostenbeamtin die zu der Vergütung hinzugesetzten Gerichtskosten zutreffend von 726,00 Euro um 273,00 Euro auf 453,00 Euro reduziert. Rechnet man zu dem sich danach ergebenden Betrag von 1.351,21 Euro - wie dies die Kostenbeamtin angesichts der von ihr nicht für erstattungsfähig gehaltenen Geschäftsgebühr gemacht hat - den in dem Kostenfestsetzungsantrag von der Erinnerungsführerin abgezogenen Anrechnungsbetrag wieder hinzu (243,75 Euro + 19 % Mehrwertsteuer = 290,06 Euro), so ergibt sich als Gesamtsumme der in dem Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzte Betrag von 1.641,27 Euro.
Die Übertragung der Neufestsetzung auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beruht auf § 173 VwGO in Verbindung mit §§ 573 Abs. 1, 572 Abs. 3 ZPO (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 29. August 2014 - OVG 6 K 56.14 - und vom 4. September 2014 - OVG 3 K 36.14).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.