Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat | Entscheidungsdatum | 27.11.2012 | |
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Aktenzeichen | L 13 SB 166/12 NZB | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 144 SGG, § 45 SGB 10, § 63 SGB 10 |
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. Juli 2012 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
I.
Der Beklagte wendet sich gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. Juli 2012.
Bei der 1951 geborenen Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 13. August 2004 wegen einer Brustkrebserkrankung in Heilungsbewährung einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 fest und kündigte an, dass der GdB nach Ablauf der Heilungsbewährung im April 2009 entsprechend der dann tatsächlich vorliegenden Funktionsbeeinträchtigung festgesetzt werden könne. Mit Schreiben vom 17. Februar 2010 teilte der Beklagte der Klägerin nach Beiziehung eines Befundberichtes ihres behandelnden Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe vom 28. Oktober 2009 mit, dass beabsichtigt sei, unter Änderung des Ausgangsbescheides wegen einer Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen nunmehr einen GdB von 30 für einen Teilverlust der Brust links bei erreichter Heilungsbewährung und Funktionsbehinderung des Schultergelenkes neu festzusetzen, und gab der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme dazu. Die Klägerin äußerte sich nicht. Mit Bescheid vom 16. April 2010 änderte der Beklagte den Bescheid vom 13. August 2004 entsprechend seiner Ankündigung ab. Dagegen legte die Klägerin – vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten – am 22. April 2010 Widerspruch ein, den sie unter Vorlage von ärztlichen Berichten damit begründete, dass bei ihr weiterhin ein GdB von 50 bestehe, weil neben der von dem Beklagten zugrunde gelegten Funktionsbeeinträchtigung eine mittelgradige depressive Episode und generalisierte Angsterkrankung mit psychovegetativen und Somatisierungsstörungen, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit Bandscheibenschäden und Cephalgien, eine Kniegelenksdegeneration links mit Schädigung des Meniskus sowie eine chronische Gastritis und eine Refluxösophagitis bestünden, die sich insgesamt massiv auf ihre Teilhabemöglichkeiten in Beruf und Gesellschaft auswirkten. Der Beklagte holte daraufhin Befundberichte bei dem die Klägerin behandelnden Internisten sowie ihrem behandelnden Nervenarzt ein und ließ die Klägerin anschließend orthopädisch begutachten. Nach Vorlage einer zusammenfassenden versorgungsärztlichen Stellungnahme änderte der Beklagte mit Bescheid vom 26. April 2011 aufgrund des Widerspruchs der Klägerin den Bescheid vom 16. April 2010 und stellte bei dieser einen GdB von 50 fest. Dem legte der Beklagte folgenden Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
Teilverlust der Brust links nach abgelaufener Heilungsbewährung;
Funktionsbehinderung des Schultergelenks(Einzel-GdB 30)
Psychische Krankheit, psychosomatische Störungen
(Einzel-GdB 30)
Funktionsbehinderung der Wirbelsäule;
Nervenwurzelreizerscheinungen der Wirbelsäule;
Wirbelsäulenverformung(Einzel-GdB 20)
Funktionsbehinderung des Kniegelenks links
(Einzel-GdB 10)
Refluxkrankheit der Speiseröhre
(Einzel-GdB 10)
Weiterhin stellte der Beklagte aufgrund des Erfolges des Widerspruchsbegehrens seine vollumfängliche Kostenerstattungsverpflichtung fest und erklärte die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig. Daraufhin begehrte die Klägerin mit Kostenantrag vom 28. April 2011 vom Beklagten eine Erstattung der Kosten ihres Prozessbevollmächtigten in Höhe von 645,03 Euro.
Mit Schreiben vom 27. Mai 2011 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass nach Überprüfung des Bescheides vom 26. April 2011 beabsichtigt sei, diesen hinsichtlich der Kostenentscheidung zurückzunehmen. Die mit dem Widerspruch geltend gemachten übrigen Funktionsbeeinträchtigungen der Klägerin seien nicht Gegenstand des durchgeführten Nachuntersuchungsverfahrens gewesen. Die diesbezügliche Feststellung eines GdB von 30 habe auch nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens Bestand gehabt. Hätte die Klägerin nicht im Rahmen des Widerspruchs, sondern bei der zuvor erfolgten Anhörung auf diese weiteren Erkrankungen hingewiesen, wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Widerspruchsverfahren zu vermeiden gewesen. Es sei daher nicht gerechtfertigt, dem Beklagten die Kosten des Widerspruchsverfahrens aufzuerlegen. Die Klägerin trug demgegenüber vor, eine Anhörung beinhalte gerade keine Verpflichtung zu einer Stellungnahme. Vielmehr treffe den Beklagten vor Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes eine umfassende Amtsermittlungspflicht.
Mit Bescheid vom 14. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2011 hob der Beklagte den Kostengrundbescheid vom 26. April 2011 auf. Zur Begründung führte er aus, dass der Bescheid nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückgenommen werde, weil die Kostenentscheidung von Anfang an rechtswidrig gewesen sei. Die Klägerin habe keine Einwände gegen die beabsichtigte Herabsetzung des GdB erhoben. Erstmalig im Widerspruchsverfahren gegen den Neufeststellungsbescheid habe diese weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen vorgebracht, so dass der Beklagte auch erstmals zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt habe, diese Angaben zu überprüfen, die dann in der Folge zu der Abhilfeentscheidung geführt hätten, ohne dass sich hinsichtlich der abgelaufenen Heilungsbewährung eine Änderung ergeben habe. Unter diesen Umständen sei es nicht gerechtfertigt, dem Beklagten eine Pflicht zur Kostenerstattung nach § 63 SGB X aufzuerlegen. Für die Festsetzung der Kosten sei das Veranlassungsprinzip ein tragender Abwägungsgesichtspunkt. Bei einer Änderung der Sachlage während des Verfahrens zugunsten des Widerspruchsführers sei es nicht billig, den Widerspruchsgegner mit den Kosten zu belasten, wenn das Verfahren vor der Änderung aussichtslos gewesen sei und der Widerspruchsgegner der Änderung nach Kenntnis Rechnung trage, indem er den streitigen Anspruch anerkenne. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin in die Bestandskraft der Kostenentscheidung bestehe nicht, weil ein öffentliches Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung durch eine einheitliche Auslegung von Tatbeständen gegeben sei. Auch wenn der Beklagte ursächlich am Zustandekommen der rechtswidrigen Entscheidung beteiligt sei, überwiege das öffentliche Interesse an der Rechtmäßigkeit der Verwaltung. Es sei nicht erkennbar, dass die Klägerin eine Vermögensdisposition getroffen habe, die sie nur unter unverhältnismäßigen Nachteilen rückgängig machen könnte.
Mit ihrer am 30. August 2011 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage hat die Klägerin die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 14. Juli 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2011 mit der Begründung begehrt, für eine positive Kostengrundentscheidung nach § 63 SGB X sei allein maßgebend, ob dem Widerspruch stattgegeben werde und der Rechtsbehelf dafür ursächlich im Rechtssinne gewesen sei. Das Sozialgericht hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. Juli 2012 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Kostenentscheidung vom 26. April 2011 hätten nicht vorgelegen, weil diese rechtmäßig gewesen sei. Nach § 63 Absatz 1 Satz 1 SGB X habe der Beklagte die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Klägerin zu erstatten, weil deren Widerspruch erfolgreich gewesen sei. Durch den Abhilfebescheid vom 26. April 2011 sei dem Anfechtungswiderspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 16. April 2010 in vollem Umfang stattgegeben worden. Veranlassungsgesichtspunkte seien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Rahmen von § 63 Absatz 1 SGB X – im Gegensatz zur Regelung in § 193 Absatz 1 SGG – grundsätzlich unbeachtlich. Die fehlende Reaktion der Klägerin im Rahmen der Anhörung könne nicht dazu führen, dass der Erfolg des Widerspruchs und damit die Kostentragungspflicht des Beklagten entfielen. Auch könne die Situation eines Anhörungsverfahrens nicht mit der einer mangelnden Mitwirkung verglichen werden. Das Sozialgericht hat dem Gerichtsbescheid eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, nach der die Beteiligten wahlweise mündliche Verhandlung beantragen oder Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung einlegen können.
Der Beklagte hat am 8. August 2012 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem ihm am 9. Juli 2012 zugestellten Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin eingelegt und zur Begründung ausgeführt, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Der Rechtsstreit werfe die Rechtsfrage auf, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Widerspruch und Abhilfeentscheidung im Sinne des § 63 Absatz 1 Satz 1 SGB X auszuschließen sei, wenn die Abhilfeentscheidung allein auf den nach Einlegung des Widerspruchs erstmalig angegebenen Tatsachen beruhe. Dem Begehren der Klägerin sei nicht gerade wegen der Widerspruchseinlegung stattgegeben worden. Die Klägerin könne nicht erwarten, dass der Beklagte ohne jegliche Konkretisierung des Begehrens in jede Richtung von Amts wegen ermittle. Es hätte der Klägerin oblegen, im Rahmen der Anhörung zumindest den GdB betreffende Funktionsbeeinträchtigungen zu benennen. Da dies erst im Widerspruchsverfahren durch den Bevollmächtigten erfolgt sei, könne keine Kostenerstattungspflicht begründet werden. Die Rechtsfrage habe grundsätzliche Bedeutung, da sie über den vorliegenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtssicherheit im allgemeinen Interesse der Klärung bedürfe.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 4. Juli 2011 zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Die fehlende Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus § 105 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit § 144 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach bedarf die Berufung der Zulassung in dem Gerichtsbescheid des Sozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt, es sei denn, dass die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Angesichts des von der Klägerin geltend gemachten Kostenerstattungsverlangens in Höhe von 645,03 Euro wird im vorliegenden Verfahren weder der Berufungsstreitwert von 750,00 Euro überschritten, noch geht um wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr.
Die Berufung ist nicht gemäß § 144 Absatz 2 SGG zuzulassen. Nach dieser Vorschrift muss eine Zulassung nur dann erfolgen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr.1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr.2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr.3). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Die vorliegende Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist von einer grundsätzlichen Bedeutung nur dann auszugehen, wenn sich eine Rechtsfrage stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Berufungsgericht auch zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit) (vgl. nur Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 10. Auflage 2012, Rn. 28 zu § 144 SGG, Rn. 6 zu § 160 SGG m.w.N.). Die von dem Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Widerspruch und einer Abhilfeentscheidung im Sinne des § 63 Absatz 1 Satz 1 SGB X auszuschließen ist, wenn die Abhilfeentscheidung allein auf den nach Einlegung des Widerspruchs erstmalig angegebenen Tatsachen beruht, ist nicht klärungsbedürftig, da sie durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt ist. Nach dieser ist ein Widerspruch nur dann, aber auch stets dann erfolgreich im Sinne von § 63 Absatz 1 Satz 1 SGB X, wenn zwischen Rechtsbehelf und begünstigender Entscheidung der Behörde eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne besteht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteil vom 20. Oktober 2010 – B 13 R 15/10 R, Rn. 31 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Die Berufung ist auch nicht wegen der Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 144 Absatz 2 Nr. 2 SGG genannten höheren Gerichte zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts voraus, dass einerseits ein abstrakter Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung und andererseits ein der Entscheidung eines höheren Gerichts zu entnehmender abstrakter Rechtssatz nicht übereinstimmen. Dabei muss das abweichende Gericht den mit der Rechtsprechung des höheren Gerichts nicht übereinstimmenden Rechtssatz seiner Entscheidung zugrunde gelegt, insoweit eine die Entscheidung tragende Rechtsansicht entwickelt und damit der Rechtsprechung des höheren Gerichts im Abstrakten widersprochen haben. Dagegen genügt nicht ein Rechtsirrtum im Einzelfall, also zum Beispiel eine fehlerhafte Subsumtion des Sachverhalts, eine unzutreffende Beurteilung oder das Übersehen einer Rechtsfrage (Leitherer, a.a.O., Rn. 13 ff. zu § 160 SGG m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat das Sozialgericht seiner Entscheidung nicht einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt, der von einem durch ein höheres Gericht formulierten abstrakten Rechtssatz im Grundsätzlichen abweicht. Vielmehr ist das Sozialgericht in Übereinstimmung mit dem Bundessozialgericht davon ausgegangen, dass für die Kostenerstattungspflicht des Beklagten nach § 63 Absatz 1 Satz 1 SGB X eine ursächliche Verknüpfung im Rechtssinne zwischen dem Widerspruch der Klägerin und der Abhilfeentscheidung des Beklagten bestehen muss.
Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Insoweit fehlt es bereits an der nach § 144 Absatz 2 Nr. 3 SGG erforderlichen Geltendmachung eines solchen Mangels durch den Beklagten.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Absatz 1 SGG.
Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden. Nach § 145 Absatz 4 Satz 5 SGG wird die Entscheidung des Sozialgerichts mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.