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Bundesbeamtin; Zurruhesetzung; (vorläufige) Einbehaltung der Dienstbezüge; einstweiliger Rechtsschutz; Beschwerde; Willkür der Zurruhesetzungsverfügung; Glaubhaftmachung der anspruchsbegründenden Umstände; anderweitige Verwendung; Schwerbehinderung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat Entscheidungsdatum 16.08.2013
Aktenzeichen OVG 6 S 9.13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 123 Abs 1 VwGO, § 123 Abs 3 VwGO, § 146 Abs 4 S 6 VwGO, § 44 Abs 1 S 2 BBG, § 44 Abs 1 S 3 BBG, § 47 Abs 4 S 2 BBG, § 81 Abs 4 SGB 9, Art 3 Abs 1 GG

Leitsatz

1. Die bei angefochtener Zurruhesetzungsverfügung gesetzlich angeordnete Folge der Einbehaltung des das Ruhegehalt übersteigenden Teils der Besoldung kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur dann beseitigt werden, wenn die Zurruhesetzungsverfügung erkennbar gegen höherrangiges Recht, vornehmlich gegen das Willkürverbot des Artikel 3 Abs. 1 GG verstößt.

2. Bei einer auf § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG gestützten Zurruhesetzung ist dies grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn die ihr zu Grunde liegende Annahme der Dienstunfähigkeit auf offenkundig unrichtigen Annahmen oder sonst unsachlichen Erwägungen beruht.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 6. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten der Beschwerde.

Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für beide Rechtszüge auf 9.283,56 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist Verwaltungsinspektorin im Dienst der Antragsgegnerin. Sie wurde mit Bescheid der Agentur für Arbeit Berlin-Mitte vom 17. September 2012 zur Ruhe gesetzt. Seither wird entsprechend der Regelung in § 47 Abs. 4 Satz 2 BBG der ihr Ruhegehalt übersteigende Teil der Dienstbezüge einbehalten. Hiergegen wendet sie sich mit dem vorliegenden Antrag, mit dem sie begehrt, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, vom Einbehalt von Teilen ihrer Besoldung bis zum Eintritt der Bestandskraft des Zurruhesetzungsbescheides abzusehen. Das Verwaltungsgericht hat diesen Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge eine gesetzliche Folge ihrer Zurruhesetzung sei, die ungeachtet der von der Antragstellerin dagegen eingelegten Rechtsbehelfe eintrete. Etwas anderes gelte nur im Falle einer willkürlichen oder missbräuchlichen Herbeiführung der Rechtsfolge des § 47 Abs. 4 Satz 2 BBG durch die Zurruhesetzungsverfügung. Davon könne bei summarischer Prüfung nicht ausgegangen werden.

II.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zu Recht zurückgewiesen. Dabei hat es einen zutreffenden Prüfungsmaßstab zu Grunde gelegt und diesen beanstandungsfrei angewendet. Das im Rahmen des vorliegenden Verfahrens allein maßgebliche Beschwerdevorbringen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigt keine andere Einschätzung. Die Antragstellerin hat auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht, dass die Einbehaltung des ihr Ruhegehalt übersteigenden Teils ihrer Besoldung nach § 47 Abs. 4 Satz 2 BBG zu Unrecht erfolgt wäre.

Die bei angefochtener Zurruhesetzungsverfügung gesetzlich angeordnete Folge der Einbehaltung des das Ruhegehalt übersteigenden Teils der Besoldung kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur dann beseitigt werden, wenn die Zurruhesetzungsverfügung erkennbar gegen höherrangiges Recht, vornehmlich gegen das Willkürverbot des Artikel 3 Abs. 1 GG verstößt. Bei einer auf § 44 Abs. 1 Satz 2 BBG gestützten Zurruhesetzung ist dies grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn die ihr zu Grunde liegende Annahme der Dienstunfähigkeit auf offenkundig unrichtigen Annahmen oder sonst unsachlichen Erwägungen beruht. Maßgeblich ist hierbei der Erkenntnishorizont des Dienstherrn im Zeitpunkt der Zurruhesetzung. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann von einer willkürlichen Zurruhesetzung der Antragstellerin nicht die Rede sein.

Die Antragsgegnerin hat die Zurruhesetzungsverfügung auf die Stellungnahme des ärztlichen Dienstes des Landes Berlin vom 20. Mai 2011 gestützt. Diese war nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts aufgrund vorangegangener eigener Untersuchung unter Berücksichtigung einer zusätzlich eingeholten fachärztlichen Begutachtung der Antragstellerin ergangen und zu der Feststellung gelangt, dass die Behandlungsmaßnahmen in Bezug auf die festgestellten gesundheitlichen Leistungseinschränkungen der Antragstellerin ausgeschöpft seien und ein chronifiziertes Krankheitsbild vorliege. Die Ausführungen in dieser Stellungnahme, die in dem angefochtenen Beschluss im Einzelnen wiedergegeben werden, sind in sich schlüssig und nachvollziehbar. Das Verwaltungsgericht hat darüber hinaus nachvollziehbar ausgeführt, dass die dem ärztlichen Dienst seinerzeit vorliegende Stellungnahme des die Antragstellerin behandelnden Arztes Dr. R... vom 5. April 2011 keine Angaben enthalte, die eine andere Einschätzung gerechtfertigt hätten. Dieser Stellungnahme lasse sich eine günstige Prognose für eine erfolgreiche zeitnahe Wiedereingliederung der Antragstellerin nicht entnehmen.

Mit der Beschwerde führt die Antragstellerin keine Gründe an, die eine insoweit abweichende Einschätzung rechtfertigen könnten. Soweit sie geltend macht, das Gutachten vom 20. Mai 2011 sei in sich unstimmig, weil dort auf Seite 5 die Aussage enthalten sei, „die uneingeschränkte Belastbarkeit zur Ausübung sei bei unkomplizierten Verlauf erst wieder ab Juni 2012 gegeben“ (Seite 3 der Beschwerdeschrift, viertletzter Absatz), ist dies nicht nachvollziehbar. Das ärztliche Gutachten vom 20. Mai 2011 umfasst nur zwei Seiten und enthält im Übrigen diese Aussage nicht. Sofern der Antragstellerin weitere Gutachten des ärztlichen Dienstes vorliegen, hätte sie diese entsprechend der ihr obliegenden Verpflichtung zur Glaubhaftmachung der anspruchsbegründenden Umstände (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO) mit der Beschwerde vorlegen müssen. Dasselbe gilt für ihre Behauptung, auf Seite 3 des Gutachtens werde ein Hamburger Modell über den Zeitraum von sieben Wochen vorgeschlagen.

Ihr Hinweis auf verschiedene ärztliche Unterlagen, die im Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens vom 20. Mai 2011 nicht vorgelegen hätten, geht fehl. Ob sich aus diesen Unterlagen ergibt, dass die Einschätzung durch den ärztlichen Dienst des Landes Berlin hinsichtlich ihrer Dienstfähigkeit unzutreffend gewesen ist, bedarf dabei im vorliegenden Verfahren keiner Erörterung. Der Umstand, dass sich die Beurteilung der Dienstfähigkeit eines Beamten (im Nachhinein) als unzutreffend erweist, rechtfertigt für sich genommen nicht den Schluss, diese Einschätzung sei willkürlich gewesen. Wenn diese Unterlagen nicht vorgelegen haben, konnten sie bei der Erstellung des Gutachtens vom 20. Mai 2011 auch nicht berücksichtigt werden. Der Vorwurf der Willkür wäre insofern nur dann gerechtfertigt, wenn sie zwingend hätten herangezogen werden müssen. Das setzt zunächst denklogisch voraus, dass die fraglichen Unterlagen im Zeitpunkt der ärztlichen Begutachtung bzw. der Zurruhesetzung bereits existierten.

Vor diesem Hintergrund kommt es auf den von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vorgelegten fachärztlichen Befund-/Verlaufsbericht ihres behandelnden Arztes Dr. R... vom 4. März 2013 nicht an. Die Zurruhesetzungsverfügung datiert auf den 17. September 2012. Auch die weiteren von der Antragstellerin in der Beschwerde angeführten ärztlichen Unterlagen rechtfertigen insoweit keine andere Einschätzung. Es handelt sich hierbei um die Epikrise der R... Klinik Berlin vom 29. März 2012, den Entlassungsbrief der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik Bad B... vom 7. Oktober 2009 und den Entlassungsbericht der Inselklinik H... vom 15. Februar 2008 sowie ein Schreiben des Dr. R... vom 8. November 2011. Das Verwaltungsgericht hat insoweit nachvollziehbar ausgeführt, es gebe keine Hinweise darauf, dass die Personalstelle der Antragstellerin dem ärztlichen Dienst in Schädigungsabsicht ärztliche Unterlagen vorenthalten hätte. Zum einen hätte die Antragstellerin ein aus ihrer Sicht bestehendes Informationsdefizit des untersuchenden Amtsarztes in zumutbarer Weise selbst beheben und zum anderen hätte auch der amtsärztliche Dienst im Falle offensichtlicher Informationsdefizite von sich aus weitere Ermittlungen einleiten können. Mit derartigen Nachfragen hätte auch die für das Zurruhesetzungsverfahren verantwortliche Personalstelle rechnen müssen. Diese Auffassung teilt der Senat.

Ohne Erfolg wendet die Antragstellerin in der Beschwerde hiergegen ein, sie habe erst im Rahmen einer späteren Akteneinsicht festgestellt, dass der ärztliche Dienst die fraglichen Unterlagen nicht zur Verfügung gehabt habe; im Übrigen habe er (der ärztliche Dienst) keine eigenen Ermittlungen angestellt. Es ist schon nicht ersichtlich, dass die Einschätzung der Dienstfähigkeit durch den ärztlichen Dienst zwingend auf Grundlage der Kenntnisnahme der fraglichen ärztlichen Unterlagen hätte erfolgen müssen. Nur dann wäre die Annahme gerechtfertigt, die Feststellung der Dienstunfähigkeit sei willkürlich getroffen worden, weil sie auf unzureichender Tatsachengrundlage beruhte. Da der ärztliche Dienst die Antragstellerin nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts mehrfach auf Dienstfähigkeit untersucht und insofern bereits am 16. Februar 2009, am 30. Oktober 2009 und am 12. August 2010 entsprechende Stellungnahmen zu dieser Frage abgegeben hatte, war die Antragstellerin dem ärztlichen Dienst daher über einen längeren Zeitraum bekannt und dieser mit ihrer gesundheitlichen Situation vertraut. Dass die Dienstfähigkeit schließlich verneint wurde, beruhte daher nicht auf erkennbar unzureichender Tatsachengrundlage.

Unbeschadet dessen lässt sich im vorliegenden Verfahren ohnehin nicht klären, ob die von der Antragstellerin angeführten drei Entlassungsberichte geeignet sind, die Einschätzung des ärztlichen Dienstes zu relativieren. Denn die Antragstellerin hat diese Unterlagen mit der Beschwerde nicht vorgelegt. Sie sind auch nicht in den Verwaltungsvorgängen oder der Streitakte enthalten. Die ausdrückliche Aufforderung zur Vorlage dieser Berichte mit Schreiben des Berichterstatters vom 29. Juli 2013 hat sie unbeantwortet gelassen. Eine Überprüfung ihrer Behauptung ist dem Senat daher ohnehin nicht möglich. Auch dies geht zu Lasten der Antragstellerin, der es obliegt, die anspruchsbegründenden Umstände glaubhaft zu machen. Soweit die Antragstellerin anführt, aus einer Stellungnahme des sie behandelnden Arztes vom 8. November 2011 ergebe sich ohne weiteres ihre Dienstfähigkeit, gilt nichts anderes, weil auch diese Stellungnahme nicht vorliegt.

Soweit die Antragstellerin geltend macht, das ärztliche Gutachten vom 20. Mai 2011 sei im Zeitpunkt der Zurruhesetzungsverfügung am 17. September 2012 bzw. im Zeitpunkt des Widerspruchbescheides am 18. Dezember 2012 bereits über ein Jahr alt und daher keine geeignete Grundlage für eine Zurruhesetzung gewesen, rechtfertigt auch dies keine andere Entscheidung. Dass die Zurruhesetzung der Antragstellerin willkürlich erfolgte, lässt sich aus diesem Umstand nicht folgern, zumal die Antragstellerin selbst nach der ausführlichen und von ihr unbestrittenen Darstellung im Widerspruchsbescheid mehrere von der Antragsgegnerin veranlasste erneute Begutachtungen abgelehnt hat.

Soweit die Antragstellerin moniert, das Verwaltungsgericht habe nicht geprüft, ob ihre anderweitige Verwendung im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 3 BBG möglich sei, zeigt sie ebenfalls nicht Willkür der Zurruhesetzung auf. In dem Zurruhesetzungsbescheid heißt es insoweit, dass die bei der Antragstellerin im Gutachten vom 20. Mai 2011 festgestellten Gesundheitsstörungen eine Weiterverwendung auch auf anderen Dienstposten nicht möglich erscheinen ließen, da Kompetenzen betroffen sein, welche auf allen Dienstposten benötigt würden, um einen möglichst reibungslosen Dienstbetrieb zu gewährleisten, welcher Grundlage für eine zielführende Aufgabenerledigung darstelle. Diese Erwägungen erscheinen sachlich begründet und damit frei von Willkür.

Soweit sie geltend macht, die Antragsgegnerin habe die aus ihrer (der Antragstellerin) anerkannten Schwerbehinderung folgenden Rechte nach § 81 Abs. 4 SGB IX nicht hinreichend beachtet, zeigt sie ebenfalls keine Willkür auf. Im Widerspruchsbescheid weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit der Antragstellerin wegen der bei ihr festgestellten Dienstunfähigkeit nicht in Betracht komme. Diese Auffassung ist nicht willkürlich. Sofern die Antragstellerin tatsächlich dienstunfähig ist, dürfte sie vielmehr zutreffen.

Soweit die Antragstellerin unter Hinweis auf europarechtliche Vorgaben weitere Verstöße gegen § 81 SGB IX geltend macht, kann dahinstehen, ob ihrer Auffassung zu folgen ist. Selbst wenn man dies unterstellt, wäre damit eine willkürliche Zurruhesetzung nicht belegt. Der Umstand, dass sich die Zurruhesetzungsverfügung nach eingehender Überprüfung als rechtswidrig erweist, würde nicht die Annahme rechtfertigen, sie sei willkürlich erfolgt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG. Die monatlich einbehaltenen Dienstbezüge der Antragstellerin belaufen sich auf 1.547,26 Euro. Im Hinblick auf den Charakter als einstweiliges Rechtsschutzverfahren wurde vorliegend der hälftige Jahreswert dieses Betrages festgesetzt. Der den Streitwert auf den hälftigen Auffangwert von 2.500 Euro festsetzende Beschluss des Verwaltungsgerichts war daher von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).