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Merkzeichen - Folgenabwägung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 13. Senat Entscheidungsdatum 22.08.2011
Aktenzeichen L 13 SB 120/11 B ER ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 86b SGG

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 26. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die 1963 geborene Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Zuerkennung der Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), „B“ (Notwendigkeit einer ständigen Begleitung) und „H“ (Hilflosigkeit).

Auf einen im Juni 2009 beim Antragsgegner eingegangenen Neufeststellungsantrag gewährte der Beklagte der Antragstellerin mit Bescheid vom 15. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November 2010 einen Grad der Behinderung (GdB) von 90 und lehnte die Zuerkennung der Merkzeichen „G“, „B“ und „H“ ab. Am 15. Dezember 2010 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Potsdam unter dem Aktenzeichen S 9 SB 390/10 gerichtet auf Zuerkennung der Merkzeichen „G“, „B“ und „H“ Klage erhoben. Unter dem 21. März 2011 ersuchte die Antragstellerin ferner um die Gewährung von Eilrechtsschutz. Mit Beschluss vom 26. Mai 2011 hat das Sozialgericht Potsdam den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der am 12. Juli 2011 eingelegten Beschwerde.

II.

Die Beschwerde ist gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, wobei zu Gunsten der Antragstellerin entsprechend ihrem Vorbringen von einer Zustellung des angefochtenen Beschlusses des Sozialgerichts Potsdam am 14. Juni 2011 ausgegangen wird.

Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat zu Recht den Antrag auf Zuerkennung der Merkzeichen „G“, „B“ und „H“ im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt und zutreffend darauf verwiesen, dass bereits zweifelhaft ist, ob eine Statusentscheidung überhaupt einer einstweiligen Regelung zugänglich ist und eine im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz gebotene etwaige Einzelfallentscheidung jedenfalls vorliegend nicht in Betracht kommt. Insoweit wird auf die Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss vom 26. Mai 2011, denen sich der Senat anschließt, gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug genommen.

Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierbei dürfen Entscheidungen nach der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009 -1 BVR 120/09- und Beschluss vom 12. Mai 2005 -1 BVR 569/05-) sowohl auf eine Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache als auch auf eine Folgenabwägung gestützt werden. Der Senat stützt sich vorliegend auf eine Folgenabwägung, weil der geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung von Merkzeichen gemäß § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) von einer weiteren Aufklärung des Gesundheitszustandes der Antragstellerin abhängt, deren Durchführung den Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens sprengen würde. Abzuwägen sind danach die Folgen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellte, dass der Anspruch besteht und auf der anderen Seite die Nachteile, die entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich im Hauptsacheverfahren aber herausstellte, dass der Anspruch nicht besteht. Diese Folgenabwägung fällt im vorliegenden Fall zu Lasten der Antragstellerin aus, weil sie bei Ablehnung des Antrages nicht mit schweren und unzumutbaren Nachteilen rechnen müsste.

Die Merkzeichen „G“ und „H“ berechtigen zu Vergünstigungen / Freifahrt im öffentlichen Personennahverkehr bzw. haben eine Kfz- Steuerermäßigung / Befreiung zur Folge, wobei bereits nicht ersichtlich ist, ob die Antragstellerin, der das Führen eines Kraftfahrzeuges aus medizinischer Sicht untersagt worden ist, überhaupt ein entsprechendes Fahrzeug unterhält. Durch das Merkzeichen „B“ wird einer Begleitperson im öffentlichen Nah- und Fernverkehr Freifahrt gewährt. Die begehrte Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen „G“, „B“ und „H“ hat mithin lediglich finanzielle Vorteile zur Folge, die eine Folgenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin nicht begründen können, zumal die Antragstellerin nach den eigenen Angaben in der Antragsschrift vom 21. März 2011 mit dem hiesigen Eilverfahren nicht die Erlangung finanzielle Vorteile bezweckt. Vielmehr geht es der Antragstellerin mit ihrem einstweiligen Rechtsschutzgesuch „einzig und allein darum, im öffentlichen Leben keine Gefahr mehr für andere und auch für sich selbst darzustellen“. Dieser Zweck lässt sich jedoch mit der Zuerkennung der begehrten Merkzeichen nicht erreichen, denn der Antragstellerin wird dadurch weder eine ständige Begleit- und Hilfsperson gestellt noch wird die Anwesenheit einer derartigen Person finanziert, worauf auch bereits das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat.

Dass die Antragstellerin öffentliche Verkehrsmittel nicht nutzen kann, da sie die dafür anfallenden Kosten für sich und eine Begleitperson nicht aufbringen kann, ist überdies weder glaubhaft dargetan noch sonst ersichtlich. Zwar verfügt die Antragstellerin entsprechend ihrem Vorbringen im Widerspruchsverfahren nur über eingeschränkte finanzielle Mittel, jedoch war es ihr auch in der Vergangenheit möglich im erforderlichen Maße, insbesondere für Arztbesuche öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, wobei sie neben familiärer Unterstützung in sämtlichen Lebensbereichen bei der Bewegung im öffentlichen Straßenverkehr auch „ehrenamtliche“ Hilfe durch eine Nachbarin erhält. Dass insbesondere die seit Jahren erfolgenden familiären Hilfeleistungen nunmehr von einer eiligen Regelung hinsichtlich der geltend gemachten Merkzeichen abhängen ist nicht erkennbar, zumal die Hilfeleistungen im Hinblick auf den vom Medizinischen Dienst der Krankenkasse im Rahmen der Feststellung einer Pflegebedürftigkeit nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch ermittelten täglichen Pflegebedarf über eine Begleitung hinausgehen. Überdies sind finanzielle Aspekte - wie oben ausgeführt - für das einstweilige Rechtsschutzgesuch nach den eigenen Angaben der Antragstellerin nicht von Belang.

Die etwaige vorübergehende Nichtgewährung von Vergünstigungen, die der Antragstellerin infolge der Zuerkennung der begehrten Merkzeichen offen stünden, führt nach alledem zu keinen den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigenden gravierenden Nachteilen.

Zur Vermeidung weiteren Streits sei noch angemerkt, dass das Sozialgericht nach Abschluss des Eilverfahrens der Hauptsache nunmehr Fortgang zu geben haben wird, wobei es zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen der begehrten Merkzeichen den Gesundheitszustand der Antragstellerin nach Maßgabe von §§ 103, 106 SGG weiter aufzuklären haben wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.