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Unbeschränkte Beiordnung eines nicht im Bezirk des SG ansässigen Rechtsanwalts - besondere Umstände - Kostenvergleich


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 26.05.2014
Aktenzeichen L 3 U 140/13 B PKH ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 73a SGG, § 121 Abs 3 ZPO, § 121 Abs 4 ZPO

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. August 2013 dahingehend geändert, dass Rechtsanwalt W K ohne Beschränkung beigeordnet wird.

Gründe

I.

Der in Rumänien lebende Kläger und Beschwerdeführer (im Weiteren: Kläger), der während seines Aufenthaltes in D am 02. Mai 2009 eine Gehirnblutung erlitten hatte, begehrt in der Hauptsache von der Beklagten die Anerkennung des Ereignisses vom 02. Mai 2009 als Arbeitsunfall.

Bereits mit Schriftsatz vom 15. September 2010 hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen bei der Beklagten die Prüfung eines Arbeitsunfalls beantragt und in der Folgezeit dargelegt, dass der Kläger aufgrund eines mit der Familie R H geschlossenen Arbeitsvertrages ab dem 07. Januar 2008 bei der Renovierung eines Häuserkomplexes in D tätig gewesen sei. Aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen (Überkopfarbeiten und ohne Schutzmaske in staubiger Umgebung, 10 bis 14 Stunden täglicher Arbeitszeit, unzureichender Verpflegung) sei es am 02. Mai 2009 zunächst zum Auftreten von Kopfschmerzen und dann zu starkem Nasenbluten und Übelkeit gekommen. Er habe sich mehrmals übergeben müssen, bevor er ohnmächtig geworden sei. Seinen Bitten, einen Krankenwagen zu rufen, sei der Arbeitgeber nicht nachgekommen. Erst als er bereits im Koma gelegen und man ihn von seiner Arbeitskleidung befreit habe, sei ärztliche Hilfe beigeholt worden. Nach Durchführung von weiteren Ermittlungen unter Einbeziehung des Prozessbevollmächtigten des Klägers lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 21. Februar 2011 die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Hiergegen erhob der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, Widerspruch. Daneben führte der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, ein Klageverfahren gegen R H wegen Lohnzahlungsansprüchen vor dem Arbeitsgericht Freiburg (7 Ca 46/11) bzw. dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (11 Ta 12/11). Die Beklagte wies den Widerspruch nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme durch Prof. Dr. S vom 02. Mai 2012 mit Widerspruchsbescheid vom 18. Dezember 2012 zurück.

Am 08. Januar 2013 hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten, Klage beim Sozialgericht (SG) Berlin, erhoben, diese begründet und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten beantragt.

Mit Beschluss vom 16. Augst 2013 hat das SG Berlin dem Kläger PKH ohne Ratenzahlungsverpflichtung gewährt und den Prozessbevollmächtigten „zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts § 121 Abs. 3 Zivilprozessordnung -ZPO- i. V. m. § 73a Sozialgerichtsgesetz -SGG-„ beigeordnet.

Gegen den ihm am 23. August 2013 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 09. September 2013 beim SG Berlin Beschwerde eingelegt. Eine Beschränkung der Beiordnung zu den Konditionen eines ortsansässigen Anwaltes sei vorliegend nicht zulässig, da er im Ausland lebe und sein Prozessbevollmächtigter ihn bereits in allen anderen Verfahren im Bereich seines Wohnsitzes während des Aufenthaltes im Bundesgebiet vertreten habe. Der Prozessbevollmächtigte habe ihn insbesondere im arbeitsgerichtlichen und auch im strafrechtlichen Verfahren vertreten und sei in den äußerst komplexen Fall eingearbeitet. Der Anspruch auf eine ordnungsgemäße Vertretung gebiete es, ihm im vorliegenden Verfahren den bereits eingearbeiteten Prozessbevollmächtigten unbeschränkt beizuordnen.

Das SG Berlin hat die Beschwerde an das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg weitergeleitet.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1 SGG zulässig, da sie innerhalb der Frist des § 173 Abs. 1 SGG eingelegt worden und nicht durch § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG in der ab dem 01. April 2008 geltenden Fassung ausgeschlossen ist. Denn das SG Berlin hat nicht ausschließlich die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint, sondern PKH ohne Festsetzung von Raten bewilligt. Die gegen die beschränkte Beiordnung eines Rechtsanwalts durch das SG Berlin eingelegte Beschwerde ist damit zulässig (vgl. Meyer-Ladwig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 73a, Rn. 12b).

Die Beschwerde ist auch begründet. Vorliegend ist eine unbeschränkte Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers vorzunehmen, obwohl dieser seine Kanzlei in Freiburg und damit außerhalb des Gerichtsbezirks des SG Berlin hat.

Nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 121 Abs. 3 ZPO in der ab dem 01. Juni 2007 geltenden Fassung kann ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Daraus folgt, dass der PKH zu gewährendem Beteiligte grundsätzlich gehalten ist, einen Anwalt zu wählen, der im Bezirk des zuständigen SG seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei hat. Wählt er einen nicht im Bezirk des zuständigen SG niedergelassenen Rechtsanwalt aus, kann dessen Beiordnung grundsätzlich nur zu den Bedingungen eines im Bezirk des zuständigen SG ansässigen Rechtsanwalts erfolgen, denn regelmäßig entstehen allein durch die Anreise des Rechtsanwalts zur Wahrnehmung eines mündlichen Verhandlungstermins Mehrkosten für die Staatskasse gegenüber der Beauftragung eines ortsansässigen Rechtsanwalts. Dies führt im Ergebnis dazu, dass Reisekosten vom Kanzleisitz bis zum Eintritt in den Bezirk des Prozessgerichts nicht, wohl aber Reisekosten innerhalb des Bezirks des Prozessgerichts beansprucht werden können (vgl. hierzu auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Oktober 2012, L 9 SO 261/12 B, LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07. Juni 2011, L 8 AY 1/11 B, jeweils zitiert nach juris). Durch die Neufassung des § 121 Abs. 3 ZPO mit Wirkung ab dem 01. Juni 2007 ist klar gestellt, dass der Bezirk des Prozessgerichts maßgeblich ist. Eine Beiordnung „zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts“ kommt daher nicht in Betracht. Eine Einschränkung der Beiordnung zu den Bedingungen eines im Bezirk des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalts entfällt jedoch nur dann, wenn im konkreten Fall Mehrkosten durch die Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts offensichtlich nicht zu erwarten sind (vgl. Beschlüsse der LSG Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt, a. a. O.; siehe auch Brandenburgisches Oberlandesgericht <OLG>, Beschluss vom 08. Januar 2013, 3 WF 130/12, zitiert nach juris). Dies ist vorliegend der Fall, denn die Kosten für die Beiordnung eines im Bezirk des SG Berlin ansässigen Rechtsanwalts würden die Kosten einer unbeschränkten Beiordnung des Prozessbevollmächtigten übersteigen.

Zwar sind hier nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in der dafür maßgeblichen Fassung vor dem 01. August 2013 (vgl. § 60 Abs. 1 RVG) bei unbeschränkter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers (unter Zugrundelegung der Mittelgebühr) neben der Verfahrensgebühr nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) Nr. 3103 i.H.v. 170,- €, der Terminsgebühr nach VV Nr. 3106 i.H.v. 200,- € und der Auslagenpauschale nach VV Nr. 7002 i.H.v. 20,- € noch Reisekosten i.H.v. mindestens 240,- € (Hin- und Rückflug von Basel/-Freiburg nach Berlin nebst Fahrtkosten im öffentlichen Nahverkehr <ÖPNV> und Airportbus Freiburg-Basel <Hin- und Rückfahrt ca. 42,-€> nach VV Nr. 7003 i.H.v. ca. 180,- € sowie Abwesenheitsgeld nach VV Nr. 7006 für einen Tag i.H.v. 60,- €) bis maximal 685,40 € (Hin- und Rückfahrt von Freiburg nach Berlin mit dem PKW <2 x 809 km> VV Nr. 7003 i.H.v. 485,40 €, Abwesenheitsgeld nach VV Nr. 7006 für zwei Tage i.H.v. 120,- € und Übernachtungskosten nach VV Nr. 7006 i.H.v. 90,- €) und damit unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer von 19 % Kosten von mindestens 750,- € bis zu 1.292,- € zu erwarten. Im Hinblick auf die Länge und Dauer der Fahrt mit dem PKW (oder der Bahn) ist hier realistischer Weise eine Anreise per Flugzeug zugrunde zu legen, zumal zwischen Berlin und Basel/Freiburg gute und günstige Flugverbindungen (z. B. Direktflüge mit Easyjet ab 94,33 € bis 122,95 €) bestehen, die sogar eine An- und Abreise am gleichen Tag ermöglichen. Demzufolge sind bei Zugrundelegung von Flugkosten incl. Kosten des ÖPNV und des Airporttransfers i.H.v. 180,- € auch bei einer Übernachtung in Berlin (90,- €) mit einer Abwesenheitspauschale für 2 Tage (120,- €) Kosten i.H.v. ca. 929,- € für die unbeschränkte Beiordnung des Prozessbevollmächtigten zu erwarten.

Dem stehen jedoch bei Beiordnung eines im Bezirk des SG Berlin ansässigen Rechtsanwalts mit und ohne Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers als Verkehrsanwalt nach § 121 Abs. 4 ZPO höhere Kosten gegenüber. So sind allein für einen im Bezirk des SG Berlin ansässigen Rechtsanwalt nach dem RVG in der ab dem 01. August 2013 maßgeblichen Fassung Kosten i.H.v. 714,- € (Verfahrensgebühr nach VV Nr. 3102 i.H.v. 300,- €, Terminsgebühr nach VV Nr. 3106 i.H.v. 280,- €, Auslagenpauschale nach VV Nr. 7002 i.H.v. 20,- sowie Umsatzsteuer i.H.v. 114,- €) anzusetzen. Des Weiteren sind entweder die Kosten für eine Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers als Verkehrsanwalt nach des § 121 Abs. 4 ZPO i.H.v. 380,80 € (Verfahrensgebühr nach VV Nr. 3400 i.H.v. 300,- €, Auslagenpauschale nach VV Nr. 7002 i.H.v. 20,- sowie Umsatzsteuer i.H.v. 60,80 €) oder für eine Informationsreise des Klägers zu dem im Bezirk des SG Berlin ansässigen Rechtsanwalt i.H.v. mindestens 350,- € (ein Hin- und Rückflug von Bukarest nach Berlin ist ab 230,- € möglich, Kosten für eine Übernachtung in Berlin von ca. 90,-€, zzgl. Reisekosten vom Heimatort nach Bukarest und zurück) bzw. 755,- € (Reise mit dem PKW: 2 x 1.510 km á 0,25 € gemäß dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz <JVEG>, ohne noch anzusetzende Übernachtungskosten) zu berücksichtigen.

Nach § 121 Abs. 4 ZPO kann der Partei, wenn besondere Umstände dies erfordern, auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten beigeordnet werden. Bei der Prüfung, ob die Beiordnung eines Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO wegen besonderer Umstände erforderlich ist, ist auf die rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten des Rechtsstreits und die subjektiven Fähigkeiten der Parteien abzustellen (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs <BGH> vom 23. Juni 2006, XII ZB 61/04, zitiert nach juris; Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt, a. a. O.). Vorliegend ist der Kläger rumänischer Staatsangehöriger und lebt (wieder) in Rumänien. Er verfügt, da eine Verständigung im erstbehandelnden Krankenhaus nur mit Hilfe einer rumänisch sprechenden Krankenschwester möglich war (vgl. Bericht der Neurochirurgischen Universitätsklinik F vom 27. Mai 2009), offensichtlich über keine ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse, um sich hinreichend - insbesondere schriftlich - mit einem ihm fremden Rechtsanwalt in Berlin über den streitigen Sachverhalt und die rechtlichen Aspekte verständigen zu können. Zudem begehrt er die Feststellung eines Arbeitsunfalls nach § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII), die nach dem aus den Akten zu entnehmenden Sachverhalt eine umfangreiche Prüfung sowie weitere Ermittlungen zur versicherten Tätigkeit, Ablauf des Unfallgeschehens und zum Kausalzusammenhang erforderlich machen. Hinzu kommt, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers diesen anscheinend noch aus der Zeit des Aufenthalts in Deutschland kennt, ihn im arbeitsgerichtlichen Verfahren und auch im vorliegenden Verwaltungsverfahren vertreten hat, also über detaillierte Kenntnisse der damaligen Lebensumstände des Kläger sowie über dessen Vertrauen verfügt. Aufgrund dieser besonderen Umstände ist es dem Kläger unzumutbar, sich ausschließlich von einem im Bezirk des SG Berlin ansässigen Rechtsanwalt vertreten zu lassen oder ausschließlich schriftlich mit diesem zu kommunizieren. Daher waren in den Kostenvergleich zusätzlich alternativ die Kosten eines Verkehrsanwalts oder einer Informationsreise des Klägers nach Berlin einzustellen.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da im PKH-Beschwerdeverfahren Kosten nicht zu erstatten sind (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.