Gericht | OLG Brandenburg 5. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 24.09.2012 | |
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Aktenzeichen | 3 WF 85/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Kosten werden nicht erstattet.
I.
Unter dem 16.11.2011 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Regelung des Umgangs mit ihrem beim Antragsgegner lebenden Kind gestellt und zugleich die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten beantragt. Im Anhörungstermin vom 6.12.2011 hat das Amtsgericht mitgeteilt, dass über den Verfahrenskostenhilfeantrag außerhalb der mündlichen Verhandlung nach Eingang angeforderter Unterlagen entschieden werde. In diesem Termin ist ausweislich des Sitzungsprotokolls zwischen den Eltern eine Vereinbarung geschlossen worden, der die Vertreterin des Jugendamtes ausdrücklich zugestimmt hat. Durch Beschluss vom 9.12.2011 hat das Amtsgericht unter Hinweis auf die getroffene Vereinbarung das Umgangsverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt. Im Hinblick auf den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe hat es unter dem 29.12.2011 von der Antragstellerin eine Kopie des Mietvertrages angefordert. Dieser Auflage ist der Antragstellerin unter dem 1.2.2012 nachgekommen.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 14.5.2012 hat das Amtsgericht den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Rechtsverfolgung sei jedenfalls mutwillig, weil die Antragstellerin die Möglichkeit der kostenlosen Vermittlung in der Umgangsauseinandersetzung durch das Jugendamt nicht genutzt habe.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde. Sie macht geltend, es habe Einigungsversuche, vermittelt über das Jugendamt, hinsichtlich des telefonischen Kontakts und hinsichtlich der Treffen mit dem Kind in L… gegeben. An diese Vereinbarungen und Regelungen habe sich der Antragsgegner nicht gehalten. So habe er auch Umgangskontakte in L… abgelehnt. Die fehlende Mitwirkungsbereitschaft des Antragsgegners zeige sich ferner darin, dass er auf ein weiteres außergerichtliches Schreiben durch ihre Verfahrensbevollmächtigte nicht reagiert habe, in der eine Umgangsregelung vorgeschlagen worden sei. Ihr sei daher nichts anderes übrig geblieben, als das gerichtliche Verfahren einzuleiten.
Durch Beschluss vom 19.6.2012 hat das Amtsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Es hat bereits Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtsmittels geäußert, da dieses möglicherweise verspätet eingegangen sei. Jedenfalls sei die sofortige Beschwerde unbegründet, zumal das Vorbringen der Antragstellerin hinsichtlich der Bemühungen beim Jugendamt weiterhin unkonkret bleibe.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde, über die der Senat nach Übertragung durch den Einzelrichter gemäß §§ 76 Abs. 2 FamFG, 568 Satz 2 ZPO in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung entscheidet, führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung.
1.
Die sofortige Beschwerde ist ungeachtet der vom Amtsgericht in der Nichtabhilfeentscheidung geäußerten Zweifel gemäß §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2, 567 ff. ZPO zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdefrist von einem Monat, § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO, gewahrt.
Ausweislich des bei den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses ist der angefochtene Beschluss den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 16.5.2012 zugestellt worden. Die Monatsfrist lief daher an sich am 16.6.2012 ab. Hierbei handelte es sich aber um einen Samstag, so dass die Beschwerdeeinlegung am Montag, dem 18.6.2012, wie geschehen, ausreichend war, § 222 Abs. 2 ZPO.
2.
Das Rechtsmittel führt zur aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der Antragstellerin kann Verfahrenskostenhilfe nicht aus den vom Amtsgericht angegebenen Gründen versagt werden.
a)
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts war die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig, §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO.
Mutwillen ist gegeben, wenn ein verständiger Beteiligter ohne Verfahrenskostenhilfe sein Recht nicht in gleicher Weise verfolgen würde (BGH, NJW 2010, 3522 Tz. 6; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 33. Aufl., § 114 Rn. 7; Verfahrenshandbuch Familiensachen – FamVerf -/Gutjahr, 2. Aufl., § 1 Rn. 182).
aa)
Streitig ist die Frage, wann Mutwillen anzunehmen ist, wenn ein Umgangsverfahren ohne vorherige Einschaltung des Jugendamtes eingeleitet wird. Zum Teil wird angenommen, dass vor der Inanspruchnahme des Gerichts regelmäßig der Versuch einer außergerichtlichen Klärung mit Hilfe des Jugendamtes erfolgen müsse, sofern diese nicht ausnahmsweise aussichtslos bzw. als bloße Förmelei erscheine, da der vernünftige bemittelte Beteiligte zuerst die ihm eröffneten Möglichkeiten einer kostenlosen Streitbeilegung nutzen werde (OLG Brandenburg, 1. Familiensenat, FPR 2003, 675; FamRZ 2005, 1914; BeckRS 2008, 12817; OLG Rostock, ZFE 2011, 271, 272; OLG Saarbrücken, FamRZ 2010, 310; OLG Koblenz, BeckRS 2005, 01271; OLG Stuttgart, NJW-RR 2009, 149, 150; Johannsen/Henrich/Markwardt, Familienrecht, 5. Auflage, § 114 ZPO Rn. 28; Münchener Kommentar/Viefhues, ZPO, 3. Auflage, § 76 FamFG Rn. 32 f.; Keuter, FamRZ 2009, 1891 ff.). Nach anderer Ansicht steht es der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe grundsätzlich nicht entgegen, wenn das Jugendamt vor der Inanspruchnahme des Gerichts nicht eingeschaltet wurde (OLG München, FamRZ 2008, 1089; OLG Hamm, FamRZ 2007, 1337; OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 1115, 1116; FamVerf/Gutjahr, § 2 Rn. 71; Prütting/Gehrlein/Völker/Zempel, ZPO, 3. Auflage, § 114 Rn. 40). Schließlich wird die – vermittelnde – Auffassung vertreten, die Einschaltung des Jugendamtes sei je nach Lage des Einzelfalles erforderlich, wenn davon auszugehen sei, dass die Vermittlungsbemühungen des Jugendamtes in angemessener Zeit zum Erfolg geführt hätten (OLG Düsseldorf, FamRZ 2011, 51, 52; OLG Koblenz, NJW 2009, 1425; OLG Schleswig, BeckRS 2008, 02579; OLG Karlsruhe, FPR 2002, 543; OLG Celle, ZKJ 2012, 358; Zöller/Geimer, ZPO, 29. Auflage, § 114 Rn. 31; Reichling, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 5. Edition, § 114 Rn. 63.1).
bb)
Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass die Einleitung eines Umgangsverfahrens ohne vorherige Einschaltung des Jugendamtes grundsätzlich nicht mutwillig ist.
Dafür spricht schon, dass es keinen Erfahrungssatz des Inhalts gibt, eine bemittelte Partei werde regelmäßig die außergerichtliche Streitschlichtung suchen (OLG Hamm, a.a.O.; OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 1115, 1116; (FamVerf/Gutjahr, a.a.O.). Im Übrigen gibt § 18 Abs. 3 Satz 3, 4 SGB VIII den Eltern zwar einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung bei der Ausübung des Umgangsrechts. Eine Verpflichtung, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen, besteht aber nicht.
Den Eltern muss es erlaubt sein, die Erfolgsaussichten einer Vermittlung durch das Jugendamt selbst einzuschätzen. Scheitert nämlich die Vermittlung über das Jugendamt, kann eine längere Zeit verstrichen sein, bevor dann doch gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss. Der Umgang mit dem Kind kann dadurch für längere Zeit unterbrochen bzw. beeinträchtigt sein. So wünschenswert und sinnvoll die Vermittlung durch das Jugendamt ist, muss doch die Entscheidung, ob im ungünstigen Fall eine Verzögerung hingenommen wird, den Eltern überlassen bleiben. Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe kann daher nicht davon abhängig gemacht werden, wie die Entscheidung der Eltern insoweit ausfällt (OLG München, a.a.O.; vgl. auch OLG Hamm, a.a.O.; OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 1115, 1116).
Schließlich ist zu beachten, dass nach dem Gesetz das Gericht erst im Hauptsacheverfahren auf Möglichkeiten der Beratung, der Mediation oder der sonstigen außergerichtlichen Streitbeilegung hinweisen soll, § 156 Abs. 1 Satz 2, 3 FamFG, und eine Anordnung nach § 156 Abs. 1 Satz 4 FamFG treffen kann. Dies spricht gegen eine in das Verfahrenskostenhilfeverfahren vorverlagerte Verpflichtung der Beteiligten (FamVerf/ Gutjahr, a.a.O.).
cc)
Da nach alledem grundsätzlich davon auszugehen ist, dass die Einleitung eines Umgangsverfahrens ohne vorherige Einschaltung des Jugendamtes nicht mutwillig ist, bedarf es vorliegend keiner Einzelfallprüfung. Es kommt daher nicht darauf an, ob sich die Antragstellerin, wie sie nochmals in der Beschwerdeschrift vorgetragen hat, um eine Vermittlung durch das Jugendamt bemüht hat. Insoweit ist dem Amtsgericht allerdings darin zuzustimmen, dass die Angaben hierzu sehr vage geblieben sind. Ebenfalls dahinstehen kann somit, ob der Ausgang des Verfahrens, nämlich die Bereitschaft des Antragsgegners, sich auf eine Umgangsvereinbarung einzulassen, ein Indiz dafür ist, dass bereits eine vorgerichtliche Vermittlung durch das Jugendamt zu dem von der Antragstellerin erstrebten Erfolg geführt hätte. Dagegen spricht allerdings, dass der Antragsgegner nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Antragstellerin auf die vorgerichtliche Aufforderung ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 8.6.2011 nicht reagiert hat.
b)
Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen, §§ 76 Abs. 2 FamFG, 572 Abs. 3 ZPO (vgl. auch FamVerf/Gutjahr, § 1 Rn. 94). Denn das Amtsgericht muss noch Feststellungen zu der Frage treffen, ob die weiteren Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, §§ 76 Abs. 2 FamFG, 114 f. ZPO, gegeben sind.
Dies betrifft zunächst die Erfolgsaussicht, wobei schon der Umstand, dass es im Anhörungstermin vor dem Amtsgericht zu einer Umgangsvereinbarung gekommen ist, dafür sprechen dürfte, dass für die Rechtsverfolgung der Antragstellerin hinreichende Erfolgsaussicht bestanden hat.
Das Amtsgericht hat aber auch noch keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Antragstellerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, die Kosten der Verfahrensführung aufzubringen, §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114, 115 ZPO. Insoweit liegt lediglich eine Erklärung der Antragstellerin über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 7.9.2011 nebst Anlagen und weiteren später eingereichten Unterlagen vor. Das Amtsgericht wird die Antragstellerin auffordern, eine aktuelle Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorzulegen und auf dieser Grundlage unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats über den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe entscheiden.
Sollten die Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe vorliegen, ist ferner über den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts nach § 78 FamFG zu entscheiden.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.