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Asylrechts (Iran/Frankreich)


Metadaten

Gericht VG Potsdam 6. Kammer Entscheidungsdatum 16.05.2014
Aktenzeichen VG 6 L 383/14.A ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 12 EGV 343/2003

Tenor

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage VG 6 K 1067/14.A gegen die Abschiebungsanordnung unter Nummer 2 des Bescheides vom 15. April 2014 anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu jeweils einem Drittel.

Gründe

Der gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 AsylVfG statthafte Eilrechtsschutzantrag ist zulässig, aber unbegründet.

Nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass die gesetzlich sofort vollziehbare Anordnung rechtmäßig ist; daher überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Abschiebungsanordnung das private Interesse der Antragsteller, hiervon verschont zu bleiben. Die Abschiebungsanordnung unter Ziffer 2 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 15. April 2014 beruht auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung an, wenn sie in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) erfolgen soll. Vorliegend geht es um die Abschiebung der Antragsteller nach Frankreich, das Mitgliedsstaat der Europäischen Union und insofern sicherer Drittstaat ist (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG; § 26 a Abs. 2 AsylVfG). Darüber hinaus ergibt sich die Zuständigkeit Italien auch aus § 27a AsylVfG i. V. m. den Vorschriften der Verordnung (EG) Dublin III-VO Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (EU-ABl. L 180/31). Diese Verordnung ist nach ihrem Art. 49 Satz 2 und 3 uneingeschränkt auf alle nach dem 1. 1. 2014 gestellten Schutzgesuche anzuwenden, wie dies die französische Seite, nicht hingegen das Bundesamt getan hat. Da Frankreich auf das Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin vom 18. Februar 2014 die Wiederaufnahme am 8. April 2014 akzeptiert hat, ist dieser Mitgliedstaat schon allein deshalb zuständig. Hinzukommt, dass sich die Zuständigkeit materiell-rechtlich entgegen der Ansicht der Antragsteller auch aus Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO ergibt. Nach dieser Vorschrift ist derjenige Mitgliedstaat zuständig, der ein Visum oder einen Aufenthaltstitel ausgestellt hat, aufgrund dessen der Antragsteller in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, solange er nicht das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten verlassen hat. Dies gilt auch für den Fall, dass das Visum schon abgelaufen ist, wenn es erst weniger als sechs Monate seine Gültigkeit verloren hat. So liegt der Fall hier, denn die Antragsteller waren bei ihrer Einreise im Besitz von Schengenvisa, die ihnen von der französischen Botschaft mit Gültigkeit vom 15. September 2013 bis 10. Oktober 2013 ausgestellt worden waren. Nach ihren eigenen Angaben, sind sie damit am 20. September 2013 von Teheran per Flugzeug direkt nach Frankfurt (Main) geflogen und sind seitdem in Deutschland. Ihre Angabe, sie hätten am 1. Oktober 2013 die Bundesrepublik Deutschland wieder verlassen, ist nicht glaubhaft. Zwar haben sie angegeben, dass sie erneut am 11. Dezember 2013 von Teheran aus per Flugzeug mit einem Schleuser und Reisepapieren direkt nach Frankfurt (Main) geflogen seien. Dort hätte ihnen der Schleuser nach Einreise die Papiere wieder abgenommen. Zum Beleg ihres zwischenzeitlichen Aufenthalts im Iran haben sie zudem eine Krankschreibung des Antragstellers zu 1. für den Zeitraum 1. bis 4. November 2013 und zwei Reisetickets einer persischen Busreisegesellschaft für den 27. und 29. Oktober 2013 mit zugehörigen Übersetzungen vorgelegt. Dies überzeugt aus mehreren Gründen nicht. Zum einen geben die Antragsteller an, sie seien am 1. Oktober 2013 freiwillig und legal mit den Schengenvisa in ihre Heimat zurückgereist, behaupten aber bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 3. Februar 2014 sinngemäß infolge einer flüchtlingsrelevanten Verfolgung im Dezember ausgereist zu sein. Es ist weder dargestellt noch anderweit erklärlich, was der Grund für eine solche angebliche Flucht war, wenn noch zwei Monate zuvor die Kläger ohne weiteres zurückgekehrt sein wollen. Hierzu hätte es eines substantiierten Vortrags bedurft. Zum anderen ist dem Gericht bekannt, dass Ausreisen aus Teheran auf dem Luftweg ohne gültige oder gefälschte Papiere angesichts der bestehenden Kontrolldichte am Flughafen Imam-e Khomeini recht unwahrscheinlich sind (Auswärtiges Amt, Lagebericht Iran vom 11. Februar 2014, Stand Oktober 2013, S. 41). Die behauptete Einreise mit einem Schleuser und wie auch immer gearteten Papieren am 11. Dezember 2013 erscheint daher unglaubhaft. Dasselbe gilt für den angeblichen Verlust der Reisepässe. Diese wären infolge der Einstempelung der Ein- und Ausreise geeignet, die Wahrheit ihres Vortrags zu belegen, gerade aber sie sind angeblich - im Gegensatz zu den Personalausweisen - vom Schleuser einbehalten worden. Die vorgelegten Belege für den angeblichen Aufenthalt haben keinen erheblichen Beweiswert, denn es ist bekannt, dass gefälschte iranische Dokumente jeglicher Art relativ leicht zu beschaffen sind (Auswärtiges Amt, a. a. O. S. 40), zumal es überrascht, dass gerade diese Unterlagen (Krankheitsbescheinigung und Busfahrkarten), die keinen weiteren Nutzwert mehr in Deutschland haben, sich trotz der behaupteten Fluchtsituation noch im Besitz der Antragsteller befanden.

Es liegen auch keine Gründe für einen nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO zulässigen Selbsteintritt Deutschlands in das Asylverfahren der Antragsteller vor. Die Antragsteller haben keinen subjektiven öffentlich-rechtlichen Anspruch darauf, dass Deutschland nach freiem Ermessen von der dort vorgesehen Möglichkeit eines Selbsteintritts in sein Asylverfahren Gebrauch macht (vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 -, juris). Eine Überstellung in den nach Dublin III-Verordnung ermittelten zuständigen Mitgliedstaat – hier nach Italien – scheidet lediglich dann aus, wenn eine Überstellung den Betreffenden der tatsächlichen Gefahr aussetzte, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh unterworfen zu sein (so bereits EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und C-493/10 -, juris). Dabei stehen einer Überstellung im Rahmen des Dublin III-Systems nicht schon (irgend)eine Verletzung von EU-Recht, vereinzelte Verstöße gegen sonstige Grundrechte sowie anderweitige Missstände unterhalb der Schwelle „systemischer Mängel“ entgegen (EGMR, Beschluss vom 2. April 2014 - Nr. 27725/10 -, ZAR 2013, 336), sondern einzig außergewöhnlich zwingende humanitäre Gründe. Dieser strengen Auslegung liegt die im EU-Vertrag vorgesehene und im Wege des ausgearbeiteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems umgesetzte Vermutung zugrunde, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II, S. 559) (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl. 1952 II, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2010 (BGBl. II, S. 1198)) - Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) - steht. Das wird vom Europäischen Gerichtshof als "Prinzip des gegenseitigen Vertrauens" (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 - nach juris, Rn. 78 ff.) bzw. entsprechend in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als "Konzept der normativen Vergewisserung" (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 u.a., BVerfGE 94, 49, nach juris, Rn. 181) bezeichnet. Die betreffende Vermutung kann daher nur dann widerlegt werden, wenn aufgrund substantiierten Vortrags und sich aufdrängender Erkenntnisse ernsthaft zu befürchten steht, dass in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber grundlegende Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 EUGRCh implizieren. Dabei ist der Inhalt dieses Grundrechts an der Auslegung des Art. 3 EMRK auszurichten (OVG Münster, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, zit. nach juris Rn. 71). Von dem in Rede stehenden Überstellungsverbot zweifelsfrei erfasst werden daher nur solche Verhältnisse, in denen es im Zielstaat aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung aus Art. 4 EUGRCh kommt. Die bloße Möglichkeit derartiger Verletzungshandlungen - auch bei einer allgemein unsicheren Lage in dem betreffenden Staat - reicht hingegen nicht (vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 - 37201/06 - (Saadi), juris, Rn. 131).

Hierzu haben die Antragsteller nur ausgeführt, dass sie unter erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden und die konkrete Gefahr der Vornahme selbstgefährdender Handlungen besteht. Sie seien deshalb nicht reisefähig. Diese Umstände sind trotz des gerichtlichen Hinweises auf die rasche Entscheidungspraxis in Verfahren der vorliegenden Art zwischenzeitlich nicht glaubhaft gemacht worden, zumal nicht einleuchtet, was ernstlich gegen eine Durchführung des Asylverfahrens in Frankreich spricht, wenn man von den verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen der Antragsteller zu anderen Landsleuten in Deutschland absieht.

Der Kostenausspruch beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO i. V. m. § 101 Abs. 1 ZPO; § 83b AsylVfG.