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Entscheidung S 51 SF 325/12


Metadaten

Gericht SG Potsdam 51. Kammer Entscheidungsdatum 19.11.2012
Aktenzeichen S 51 SF 325/12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 197 Abs 2 SGG, Nr 3102 RVG-VV, § 88 SGG, § 14 RVG

Leitsatz

Mehrere Untätigkeitsklagen von einzelnen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft sind nicht eine Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinn.

Tenor

1. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. August 2012 wird zurückgewiesen.

2. Der Erinnerungsführer hat die außergerichtlichen Kosten des Erinnerungsgegners zu erstatten.

3. Kosten des Erinnerungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Erinnerungsverfahren noch um die Höhe der dem Kläger und Erinnerungsgegner (im Folgenden nur: Erinnerungsgegner) zu erstattenden notwendigen außergerichtlichen Kosten eines sozialrechtlichen Klageverfahrens im Bereich des Grundsicherungsrechts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die Bedarfgemeinschaft des Erinnerungsgegners besteht insgesamt aus vier Personen. Gegen alle Mitglieder erließ der Beklagte und Erinnerungsführer (im Folgenden nur: Erinnerungsführer) Erstattungsbescheide, gegen die der Bevollmächtigte im Auftrag jeden einzelnen Bedarfsgemeinschaftsmitgliedes Widerspruch erhob. Nachdem der Erinnerungsführer nach mehr als drei Monate über die Widersprüche nicht entschieden hatte, erhob der Bevollmächtigte für den Erinnerungsgegner und in weiteren acht Verfahren für jeweils jeden eingelegten Widerspruch jedes Bedarfsgemeinschaftsmitgliedes eine Untätigkeitsklage. Durch Erlass des begehrten Widerspruchsbescheides und Abgabe eines Kostengrundanerkenntnisses konnte das Verfahren beendet werden.

Der Erinnerungsgegner beantragte die Festsetzung folgender Gebühren als Kostenerstattung gegenüber dem Erinnerungsführer:

Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 RVG

125,00 EUR

Auslagenpauschale Nr. 7002 VV

20,00 EUR

Umsatzsteuer 19 % nach Nr. 7008 VV RVG

27,55 EUR

Gesamtsumme

172,55 EUR

Die Urkundsbeamtin der Geschäftstelle setzte mit Beschluss vom 21. August 2012 die zu erstattenden Kosten antragsgemäß fest.

Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss hat der Erinnerungsführer am 20. September 2012 beim Sozialgericht Potsdam Erinnerung eingelegt.

Er ist der Ansicht,

dass die neun Untätigkeitsklagen, die der Bevollmächtigte im Auftrag aller Bedarfsgemeinschaftsmitglieder eingereicht hatte, nur eine Angelegenheit im vergütungsrechtlichen Sinne wären und daher höchstens die Festsetzung einer Verfahrensgebühr unter Beachtung des Erhöhungstatbestandes nach Nr. 1008 VV RVG in Betracht komme. Da der Bevollmächtigte aber noch nicht ordnungsgemäß hier abgerechnet habe, könne eine Kostenerstattung nicht stattfinden. Hilfsweise wird die Herabsetzung auf die Mindestgebühr begehrt.

Der Erinnerungsgegner erhielt die Möglichkeit zur Stellungnahme auf die Erinnerung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug

II.

Die Erinnerung des Erinnerungsführers vom 20. September 2012 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 21. August 2012 ist gemäß § 197 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, aber nicht begründet.

1. Zu Recht ist die Urkundsbeamtin hier von einer Angelegenheit im vergütungsrechtlichen Sinne ausgegangen. Unter einer "Angelegenheit" ist das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll (vgl. etwa BGH, Urteil vom 9. Februar 1995, Az.: IX ZR 207/94.). Gegenstand der Angelegenheit ist das Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts aufgrund des Auftrags bezieht (BGH, Urteil vom 5. April 1976, Az.: III ZR 95/74 - LM § 7 BRAGebO Nr. 2 m.w.N.). Eine Angelegenheit kann auch mehrere Gegenstände umfassen (BGH, Urteil vom 5. April 1976 - a.a.O.). Ob mehrere Gegenstände dieselbe oder mehrere Angelegenheiten darstellen, hängt davon ab, ob sie von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt (so für den Fall mehrerer Aufträge BGH, Urteil vom 29. Juni 1978 - III ZR 49/77 - LM § 6 BRAGebO Nr. 1; vgl. im übrigen Mayer/Kroiß, RVG, 15. Auflage, 2012, § 15 Rdnr. 7.). Danach soll auf den einheitlichen Tätigkeitsrahmen des Rechtsanwalts abgestellt werden, wenn der Rechtsanwalt mehrere Gegenstände durch eine gleichgerichtete Vorgehensweise bearbeitet kann, die - bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - wegen des verringerten Arbeitsaufwandes auch gebührenrechtliche Konsequenzen rechtfertigen. Es kann dann in Ausnahmefällen "dieselbe Angelegenheit" auch mehrere selbständige Verfahren umfassen.

Die Durchführung verschiedener behördlicher oder gerichtlicher Verfahren spricht insbesondere im Hinblick darauf, dass von den Möglichkeiten der objektiven Klagehäufung oder der Verbindung von Verfahren kein Gebrauch gemacht wurde, regelmäßig dafür, dass ein innerer Zusammenhang zwischen den Verfahrensgegenständen nicht besteht und der Rechtsanwalt wegen der unterschiedlichen materiellrechtlichen und prozessualen Voraussetzungen und Anforderungen an einer einheitlichen Vorgehensweise gehindert ist. Allerdings ist nicht ausnahmslos von der Identität von Verfahren und Angelegenheit in der Weise auszugehen, dass mehrere Verfahren auch zwingend mehrere Angelegenheiten darstellen.

Ob ein Ausnahmefall vorliegt, ist in Anwendung der dargelegten allgemeinen Abgrenzungskriterien zu entscheiden. Dabei wird die Annahme "derselben Angelegenheit" vor allem in Fällen paralleler Verwaltungsverfahren in Betracht kommen, die sich daraus ergeben, dass dieselbe Behörde Verwaltungsakte aus einem gemeinsamen Anlass und Rechtsgrund in engem zeitlichen Zusammenhang objektbezogen erlässt, so dass einen Adressaten mehrere Verwaltungsakte erreichen, die auch zusammengefasst in einem einzigen Bescheid hätten ergehen können. Beauftragt der Adressat einen Rechtsanwalt damit, aus demselben rechtlichen Gesichtspunkt einheitlich gegen alle Verwaltungsakte vorzugehen, wird der Rechtsanwalt, sofern keine inhaltliche oder formale Differenzierung zwischen den Verfahren geboten ist, in "derselben Angelegenheit" tätig.

Erteilen aber mehrere Auftraggeber getrennte Mandate in gleichgelagerten Fällen, handelt es sich nicht um einen einheitlichen Auftrag (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, 15. Auflage, 2012, § 15 Rdnr. 15) Niemand ist verpflichtet, sich mit anderen Personen zur Verfolgung oder Abwehr gleichartiger Ansprüche zusammenzuschließen, um dem Gegner Kosten zu ersparen.

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist vorliegend nicht von einer Angelegenheit bei mehreren Untätigkeitsklagen verschiedener Bedarfsgemeinschaftsmitglieder auszugehen. Bei verschiedenen Widersprüchen gegen unterschiedliche Bescheide gegen verschiedene Bedarfsgemeinschaftsmitglieder liegen verschiedene Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne vor. Dies ergibt sich hier bereits schon daraus, dass hier mehrere Auftraggeber vorhanden sind, die nicht zwingend eine Beteiligteneinheit bilden. Ganz im Gegenteil hat hier jeder für sich gegen einen jeweils nur an ihn adressierten Bescheid mit unterschiedlichen Regelungsgehalten Widerspruch eingelegt. Im Gegensatz zu einem reinen Leistungsbegehren von einzelnen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft, der aufgrund der regelmäßigen Abhängigkeit der einzelnen Leistungsansprüche im Rahmen der Berechnung von einander vielleicht noch als eine Angelegenheit betrachtet werden kann, ist dies bei Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden gerade nicht der Fall. Einwendungen gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid können oftmals nicht blindlings auf einen anderen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid übertragen werden. Legt nun der Bevollmächtigte gegen diesen gesondert ergangenen Bescheid auch gesondert Widerspruch ein, so hat er bei Erhebung der Untätigkeitsklage für jedes einzelne Mitglied die Voraussetzungen der Untätigkeit zu prüfen. Der Umfang und Aufwand des Prozessbevollmächtigten bei Erhebung einer Untätigkeitsklage reduziert sich nicht dadurch, dass die Behörde bezüglich mehrerer Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft bei der Bescheidung eines Antrags oder Widerspruchs untätig geblieben ist. Der Arbeitsaufwand ist bei jedem Antrag oder Widerspruch für den Prozessbevollmächtigten der gleiche - egal ob die Beteiligten sich kennen und eine Auftragsgeber Mehrheit bilden könnten oder nicht. Der Prozessbevollmächtigte hat vor Klageerhebung zu prüfen ob die jeweilige Bescheidungsfrist für den jeweiligen Auftraggeber abgelaufen ist. Eine Arbeitserleichterung für den Prozessbevollmächtigten ist durch die Erhebung mehrerer Untätigkeitsklagen mehrerer Bedarfsgemeinschaftsmitglieder gegen die Unterlassung der Bescheidung verschiedener Widersprüche nicht zu erkennen.

Die Kammer schließt sich nicht der Auffassung des SG Berlins in seiner Entscheidung vom 27.01.20112 (Az.: S 127 SF 9411/10 E) an, in der es ausführt:

"dass der erstattungspflichtige Gegner im Prozess nicht verpflichtet ist, auf Kosten des Steuerzahlers Kosten zu tragen, die bei Beachtung der Grundsätze einer wirtschaftlichen Prozessführung nicht entstanden wären (ebenso: SG Berlin, Beschluss vom 24. Februar 2010, -S 164 SF 1396/09 E-, dokumentiert bei juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de, ferner Beschluss vom 27. Juli 2010, -S 164 SF 1536/09 E-). Gebühren, die erst dadurch entstehen, dass Streitgegenstände in gesonderten Klagen statt durch Klagehäufung geltend gemacht werden, sind daher nicht zu erstatten, wenn dies nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entsprach (vgl. KG OLGR 2007, 79). Zweckentsprechender Rechtsverfolgung entspricht ein derartiges Vorgehen dabei nur, wenn dies notwendig ist."

Grundsätzlich kann ein Kläger oder eine Klägermehrheit alle seine Ansprüche oder Klagebegehren gegen einen Beklagten in Wege der Klagehäufung geltend machen. Nach der Auffassung des SG Berlins wäre dies eigentlich immer notwendig, da es grundsätzlich zu einer Reduzierung der Erstattungspflicht - aufgrund der im Sozialrecht geltenden Rahmengebühren - bei einer Klagehäufung statt bei getrennter Klageerhebung kommen dürfte. Zwar gehört zu den Prinzipien des Kostenrechts auch der tragende Grundsatz der Verfahrensverbilligung, wie er in den §§ 91 ff., 788 ZPO, 46 RVG zum Ausdruck kommt, auch Kostenminderungspflicht genannt. Dieser Grundsatz kann aber nicht - wie es das SG Berlin in seiner Entscheidung meint - derart überdehnt werden, dass die anderen Gesichtspunkte wie ein enger sachlicher Zusammenhang der Sachen nur eines Mandanten, der zu einer Arbeitserleichterung des Prozessbevollmächtigten bei gleichzeitiger Bearbeitung durch die gleiche Vorgehens- und Argumentationsweise führt, außen vor bleiben.

2. Der Gebührenrahmen für eine Verfahrensgebühr ergibt sich aus Nr. 3102 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG (VV-RVG). Danach beträgt die Verfahrensgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten 40,00 € bis 460,00 €. Hieraus ergibt sich eine Mittelgebühr in Höhe von 250,00 €. Die Vorschrift des RVG bezeichnet eine Rahmengebühr, und zwar in Form einer Betragsrahmengebühr, d. h. dass der untere und der obere Rahmen jeweils durch eine Mindest- und eine Höchstgebühr bestimmt wird. Welche konkrete Höhe eine Gebühr hat, bestimmt der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 und S. 3 RVG. Er muss dabei sein Ermessen ausüben, wobei er zur Berücksichtigung aller in § 14 Abs. 1 RVG aufgezählten Umstände verpflichtet ist. Bei der Bestimmung der Gebühr im konkreten Einzelfall durch den Rechtsanwalt gelten die allgemeinen Grundsätze der Ausübung des Ermessens nach § 315 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wobei der Rechtsanwalt die für seine Ermessensausübung vorgenommenen Erwägungen darlegen muss (vgl. Baumgärtel/Hergenröder/Hoben/Lompe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 6. Auflage, April 2005, § 14 Rn. 1 und 2). Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit wird im Wesentlichen durch die zeitliche Inanspruchnahme bestimmt. Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ist anhand der Intensität der Tätigkeit zu bewerten. Die Bedeutung der Angelegenheit ist zu bestimmen anhand der konkreten Bedeutung für den Mandanten. Zusätzlich sind die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers maßgeblich. Wenn sich ergibt, dass die Tätigkeit besonders umfangreich oder besonders schwierig war oder die weiteren Kriterien des § 14 Abs.1 RVG sich als überdurchschnittlich darstellen, kommt eine Gebühr oberhalb der Mittelgebühr in Betracht, im umgekehrten Fall kann entsprechend von der Mittelgebühr nach unten abgewichen werden. Gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG ist schließlich die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung dann nicht verbindlich, wenn die Gebühr - wie hier - von einem Dritten zu ersetzen und sie unbillig ist.

Dabei hat die Kammer berücksichtigt, dass es sich bei der Verfahrensgebühr um eine Tätigkeitsgebühr handelt, mit der jede prozessuale Tätigkeit eines Rechtsanwaltes abgegolten wird, für die das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz keine sonstige Gebühr vorsieht. Sie entsteht für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information, und gilt ab u. a. die Prüfung der Schlüssigkeit der Klage oder des Rechtsmittels durch den Rechtsanwalt anhand von Rechtsprechung und Literatur, die im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Verfahren notwendigen Besprechungen des Rechtanwalts mit dem Auftraggeber, Dritten, dem Gericht, Sachverständigen sowie Schriftwechsel mit dem Auftrageber, Dritten, Behörden und dem Gericht, der sich auf den Prozessstoff bezieht, ferner die Mitwirkung bei der Auswahl und Beschaffung von Beweismitteln, die Sammlung und den Vortrag des aus der Sicht des Rechtsanwalts rechtlich relevanten Stoffs sowie das Anbieten von Beweismitteln (BT-Drucksache 15/1971, S. 210). Der durchschnittliche Umfang der anwaltlichen Tätigkeit hat sich dabei am Leitbild der zugehörigen Verfahrensordnung am Ablauf eines Verfahrens, hier des sozialgerichtlichen Verfahrens, zu orientieren. Wird ein mit der Sache bislang noch nicht befasster Rechtsanwalt mit der Durchführung des sozialrechtlichen Gerichtsverfahrens beauftragt, kommt es mangels anderweitiger Anhaltspunkte zunächst für den Umfang seiner Tätigkeit auf die Zahl der gefertigten Schriftsätze an. Von Bedeutung ist darüber hinaus allerdings auch, welchen Einsatz der Rechtsanwalt im Einzelnen zur Erstellung dieser Ausführungen notwendigerweise erbringen muss. Zu berücksichtigen sind dabei z. B. das Lesen der Verwaltungsentscheidung, die Beratung des Mandanten, das Aktenstudium, das Anfertigung von Notizen, mithin bei Geltendmachung eines Anspruchs die Darlegung, wie sich dieser rechnerisch ermittelt, und zwar unter Eingehung auf die streitigen Rechtsvorschriften sowie der Heranziehung von Kommentarliteratur und, soweit vorhanden, einschlägiger Rechtsprechung (so ausdrücklich: Bundessozialgericht, Urteil vom 01. Juli 2009, - B 4 AS 21/09 R, zitiert nach juris).

Zur Bestimmung der angemessenen Betragsrahmengebühr bei einer Untätigkeitsklage werden eine Vielzahl von Ansätzen vertreten (vgl. zu den verschiedenen Ansätzen Wahlen, in: Schneider/Wolf (Hrsg.), RVG, 5. Aufl. 2010, VV 3102-3103, Rn. 7 a.E. m.w.N.). Bei der Bestimmung der angemessenen Gebühr innerhalb eines Gebührenrahmens ist grundsätzlich von der Mittelgebühr auszugehen. Dies gilt auch für die Untätigkeitsklage. Es entspricht allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass die Mittelgebühr ein angemessenes Äquivalent für die anwaltliche Tätigkeit in einem in jeder Hinsicht durchschnittlichen Streitverfahren darstellt. Davon ausgehend sind sodann Abschläge für unterdurchschnittliche und Zuschläge für überdurchschnittliche Klageverfahren am oben bezeichneten Maßstab des § 14 Abs. 1 RVG vorzunehmen. In Bezug auf die Untätigkeitsklage ist zu beachten, dass diese eine reine Bescheidungsklage ist. Gegenstand des Verfahrens ist also allein der Erlass des begehrten Verwaltungsakts. Auf die materielle Rechtslage kommt es folglich nicht an; sie muss vom Rechtsanwalt weder geprüft noch dargelegt werden. Der anwaltliche Arbeitsaufwand beschränkt sich daher auf die vorgerichtliche Überwachung der Frist des § 88 SGG, die Fertigung der Klageschrift, die Abgabe der nach Eintritt des erledigenden Ereignisses angezeigten Prozesserklärung sowie den Kostenantrag. Dabei handelt es sich um anwaltliche Tätigkeiten einfacher Art. Andererseits ist aber nicht zu verkennen, dass die Untätigkeitsklage dem betroffenen Anspruchsinhaber mittelbar zur Erreichung seines eigentlichen Ziels dient. Dazu ist der von der Behörde begehrte Erlass des Verwaltungsakts ein notwendiger Zwischenschritt, da er zwingende Voraussetzung für die Klageerhebung in der Sache ist (SG Berlin, Beschluss vom 13.02.2009, Az.: S 164 SF 126/09 E, veröffentlicht in juris). Im Vergleich zur Leistungsklage ist eine Untätigkeitsklage von einem weniger hohen wirtschaftlichen Wert für die Erinnerungsgegnerin. Das Haftungsrisiko des Rechtsanwaltes ist ebenso stark eingeschränkt. Dies rechtfertigt hier aber nicht nur - wie von dem Erinnerungsführer begehrt - die Mindestgebühr hier anzunehmen. Die Mindestgebühr ist für die Fälle gedacht, in denen der Prozessbevollmächtigte Tätigkeiten einfachster Art erbringt - wie z.B. vor einem Termin die Anzeige der Vertretung ohne Sach- oder Rechtsvortrag oder die Klageerhebung ohne konkreten Antrag und Begründung. Auch in diesen Fällen fällt eine Verfahrensgebühr an, die aber im Vergleich zu einer ausführlich begründeten Untätigkeitsklage, weitaus geringer ist.

Das vorliegende Verfahren gestaltete sich für den Prozessbevollmächtigten als unterdurchschnittlich. Hier allerdings hat der Bevollmächtigte eine Klageschrift gefertigt, die nicht allein aus Textbausteinen besteht und in der nur das Datum des Widerspruchs eingesetzt werden musste. Der Bevollmächtigte präzisiert in der Klageschrift den Lebenssachverhalt des mit Widerspruch angegriffenen Bescheides derart, dass dem Beklagten problemlos die genaue Zuordnung des begehrten Widerspruchsbescheides möglich ist. Ca. einen Monat später bekam die Erinnerungsgegnerin den begehrten Bescheid, woraufhin lediglich der Prozessbevollmächtigte noch den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärte. Allein die vorliegenden Tätigkeiten werden nicht – wie von dem Erinnerungsführer begehrt – durch die Mindestgebühr abgegolten. Die Verfahrensdauer war mit einem Monat auch für Untätigkeitsklagen durchschnittlich und im Vergleich zu anderen sozialrechtlichen Verfahren weit unterdurchschnittlich bemessen. Hinsichtlich der Einkommens- und Vermögensverhältnisse sind keine Anhaltspunkte (wie z.B. die Gewährung von Prozesskostenhilfe) gegeben, so dass von durchschnittlichen Verhältnissen hier ausgegangen werden muss. Die beantragte und festgesetzte Hälfte der Mittelgebühr ist nach alledem für die Tätigkeit angemessen.

Das Gericht sieht in der Gebührenfestsetzung oberhalb der Mindestgebühr auch keine Bestrafung des Erinnerungsführers. Ihm ist insoweit Recht zugeben, dass die Rechtsanwaltsgebühr keinen Strafcharakter für den erstattungspflichtigen Beteiligten haben soll. Das Gericht prüft die Billigkeit ausschließlich anhand der Kriterien des § 14 RVG und damit ist im Wesentlichen entscheidend, dass der Prozessbevollmächtigte für seine Tätigkeit angemessen honoriert wird.

3. Die Entscheidung über die Kostentragung des Erinnerungsverfahrens beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Eine gesonderte Kostengrundentscheidung im Erinnerungsverfahren war notwendig, weil es sich insofern um eine besondere Angelegenheit im Sinne von § 18 Nr. 3 RVG handelt (dazu näher m.w.N. SG Berlin, Beschluss vom 10.09.2007, Az: S 48 SB 2223/05, juris, Rdnr 15 f.). Ausgehend davon dass der Erinnerungsführer lediglich eine Verfahrensgebühr von 100,- Euro statt der nunmehr 125,- Euro festgesetzt haben wollte, unterliegt er insgesamt mit ca. 25 %.

4. Die Erinnerungsentscheidung ergeht nach entsprechender Anwendung des § 33 Abs. 9 S. 1 RVG, des § 56 Abs. 2 S. 2 RVG und des § 66 Abs. 8 S. 1 GKG gerichtskostenfrei.

5. Die Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig. Ein weiteres Rechtsmittel oder Rechtsbehelf ist gegen einen auf eine Erinnerung ergangenen Beschluss wegen des abschließenden Normengefüges der §§ 172 ff. SGG im Geltungsbereich des SGG nicht gegeben. Denn danach findet die Beschwerde an das Landessozialgericht gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist (§ 172 Abs. 1 SGG). Etwas anderes in diesem Sinne bestimmt § 178 SGG. Danach sind - wie ausgeführt - auf eine Erinnerung ergangene Beschlüsse des Sozialgerichts unanfechtbar vgl. auch LSG Berlin, Beschluss vom 28.02.2005, Az.: L 9 B 166/02 KR)