Gericht | VG Frankfurt (Oder) 2. Kammer | Entscheidungsdatum | 19.05.2011 | |
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Aktenzeichen | VG 2 L 58/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 46 Abs 1 FeV, § 46 Abs 3 FeV, § 11 Abs 2 FeV, § 3 Abs 1 StVG |
1. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin XXX aus Greifswald bewilligt.
2. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches des Antragstellers vom 16. Februar 2011 gegen die am 01. Februar 2011 zugestellte Ordnungsverfügung vom 31. Januar 2011, mit der der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller die Entziehung der Fahrerlaubnis verfügt hat, wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.
1. Dem Antrag des Antragstellers, ihm nach § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe zu bewilligen, war stattzugeben, denn die Rechtsverfolgung durch den Antragsteller war im vorgenannten Umfang nicht mutwillig und hatte eine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. hierzu unten 2.). Schließlich war es dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen als Empfänger ergänzender Leistungen nach dem SGB II – wie durch Vorlage entsprechender Bescheide nachgewiesen - nicht möglich, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
2. Der in der Sache gestellte sinngemäße Antrag,
die aufschiebende Wirkung der vom 06. Februar 2011 bzw. vom 16. Februar 2011 datierenden Widersprüche des Antragstellers gegen die am 01. Februar 2011 zugestellte Ordnungsverfügung vom 31. Januar 2011, mit der der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller die Entziehung der Fahrerlaubnis verfügt hat, wiederherzustellen,
ist zulässig und begründet.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung entspricht zunächst den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Der Antragsgegner hat das überwiegende Interesse am Sofortvollzug unter Hinweis auf die bei einer weiteren Verkehrsteilnahme des Antragstellers von diesem ausgehende Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer dargelegt. Ob diese Begründung durchgreift, ist bei der Entscheidung der Frage, ob die Anordnung den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügt, unbeachtlich.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist jedoch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Das Gericht kann nach § 80 Abs. 1 VwGO in den Fällen, in denen die Behörde nach Abs. 2 Nr. 4 der Vorschrift die sofortige Vollziehung angeordnet hat, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. einer nachfolgenden Klage wiederherstellen. Im Rahmen der hierbei anzustellenden Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, vorläufig von der Vollziehung verschont zu werden, und dem Interesse der Allgemeinheit an einer sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung überwiegt hier ersteres. Denn auf der Grundlage der bisher vorliegenden Erkenntnisse erweist sich die angegriffene Fahrerlaubnisentziehung bei summarischer Prüfung als rechtwidrig. Daher kann dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angeordneten Entziehungsmaßnahme kein Vorrang gegenüber dem Aussetzungsinteresse eingeräumt werden.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 4 Satz 1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat die zuständige (Fahrerlaubnis-)Behörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken an der Eignung oder aber Befähigung des Fahrerlaubnisinhabers in dieser Richtung begründen, kann die Behörde zur Vorbereitung ihrer Entscheidung bei Eignungszweifeln unter anderem gemäß § 46 Abs. 3 FeV nach Maßgabe der §§ 11 bis 14 FeV die Vorlage von ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Gutachten anordnen.
Als Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis wurde vom Antragsgegner im vorliegenden Fall § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 FeV herangezogen. Danach ist dem Inhaber einer Fahrerlaubnis diese zu entziehen, wenn er sich zum Führen von Kraftfahrzeugen als ungeeignet erweist. Vorliegend durfte der Antragsgegner – entgegen seiner Auffassung – allerdings nicht gem § 11 Abs. 6 und 8 FeV aus dem Umstand, dass der Antragsteller das von ihm geforderte Gutachten eines Facharztes für Neurologie/Psychiatrie nicht innerhalb der vorgegebenen Frist beigebracht hat, auf dessen fehlende Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen und ihm deshalb Fahrerlaubnis entziehen, denn die unter dem 16. November 2010 gegenüber dem Antragsteller ausgesprochene Anordnung der Beibringung eines solchen Gutachtens erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig.
Zur Mitwirkung im Verwaltungsverfahren ist der Betroffene dann verpflichtet, wenn die Voraussetzungen des § 46 Abs. 3, 4 FeV i. V. m. den §§ 11 ff. FeV erfüllt sind und das dort beschriebene Verfahren eingehalten wurde (vgl. OVG Koblenz, Beschluss vom 10. August 1999 – 7 B 11398/99 -, DAR 1999, 518). Daran fehlt es vorliegend, denn die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Gutachtenbeibringung waren nicht gegeben.
Die vom Antragsgegner zur Begründung der Anordnung herangezogenen tatsächlichen Umstände – namentlich der anläßlich einer mit einer Gebühr von 5 Euro verbundenen Verwarnung wegen eines Parkvergehens entstandene und im Übrigen gemäß § 2 Abs. 12 StVG in nicht zu beanstandender Weise dem Antragsgegner zugänglich gemachte Schriftwechsel zwischen dem Antragsteller und den Polizeibehörden in XXX– sind nicht geeignet, Bedenken gegen die geistige Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen im Sinne der §§ 46 Abs. 3, 11 Abs. 2 FeV zu begründen. Die vom Antragsteller bei der Ausschöpfung der ihm eröffneten Rechtsmittel im vorerwähnten Schriftwechsel und auch gegenüber dem Antragsgegner mit Blick auf die staatsrechtlichen Grundlagen der Gültigkeit bestehender Normen vertretenen Rechtsauffassungen mögen zwar sehr eigenwillig sein, sie stellen jedoch lediglich provokative Meinungsäußerungen dar, welche im Ergebnis die Annahme von Anhaltspunkte für das Vorliegen einer die Kraftfahreignung mindernden oder gar ausschließenden geistigen Störung im Sinne der Anlage 4 zu § 11 FeV nicht zu rechtfertigen geeignet sind. Insbesondere der in der Anordnung zur Gutachtenbeibringung enthaltene und wie folgt lautende Passus:
„Ihre hartnäckige und grundsätzliche Ablehnung der bundesdeutschen Rechtsordnung bietet ohne eine medizinische und gegebenenfalls darüber hinausgehende Eignungsprüfung keine hinreichende Sicherheit dafür, dass Sie den verkehrsrechtlichen Vorschriften in allen nach den Gegebenheiten des Straßenverkehrs häufig wechselnden Situationen Folge leisten werden und daher eine Gefahr für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer darstellen.“,
begegnet erheblichen Bedenken der Kammer.
Den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften ist ein gesinnungsrechtlicher Ansatz fremd. Aus der provokativen Ablehnung großer Teile der geltenden Rechtsordnung kann nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, sie werde bezüglich straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ebenfalls mißachtet werden.
Die vom Niedersächsischen OVG in seinem Beschluss vom 16. April 2007 (Az.: 12 ME 154/07) bestätigte Auffassung des VG Braunschweig (Beschluss vom 23. Februar 2007 – 6 B 413/06 -, zitiert nach Juris), wonach berechtigte Bedenken gegen die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen anzunehmen seien, wenn beispielsweise „Äußerungen des Betroffenen einen hinreichenden Anlass zu Zweifeln an seinem Realitätssinn bieten und damit konkrtete Anhaltspunkte für eine die Fahreignung beeinträchtigende Gesundheitsstörung vorliegen“ ist nach Auffassung der Kammer im Ergebnis zu weitgehend und in den Fällen von – wie vorliegend beim Antragsteller – politisch motivierten und durch das Recht auf freie Meinungsäußerung jedenfalls im Grundsatz geschützten Aussagen dahin gehend zu ergänzen, dass zur Rechtfertigung einer Anordnung der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens über die eine Realitätsferne in bestimmten Bereichen belegenden Äußerungen des betroffenen Fahrerlaubnisinhabers hinaus konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sein müssen, dass eine auf den zum Ausdruck gebrachten realitätsfernen Anschauungen beruhende und andere Verkehrsteilnehmer gefährdende Mißachtung gerade straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften als möglich erscheint.
An solchen weiteren konkreten Anhaltspunkten fehlte es vorliegend.
Dem Antragsteller werden ausweislich der dem Gericht vorliegenden Unterlagen bis auf den eingangs erwähnten Parkverstoß keine straßenverkehrsrechtlichen Verstöße zur Last gelegt; er hat sich darüber hinaus im Zuge der Anhörung vor Erlaß der Fahrerlaubnisentziehung bislang unwiderlegt dahin gehend geäußert, „zu keinem Zeitpunkt die Normativen der StVO“ zu verneinen oder gar „ein vorsätzlich regelwidriges Verhalten im Straßenverkehr tolerieren“ zu wollen. Es erscheint danach nicht fernliegend, dass der Antragsteller sogar überzogene Ansprüche an die Einhaltung der Vorschriften im Straßenverkehr dergestalt umsetzt, dass er sich besonders normtreu und rücksichtsvoll verhält. Wenn er – unwidersprochen und mangels entgegenstehendem Vortrag des Antragsgegners auch ohne weiteres anzunehmen – bislang als 41-jähriger im Straßenverkehr nur dadurch aufgefallen ist, dass er „im Bereich eines Parkscheinautomaten ohne gültigen Parkausweis“ parkte, kann er mangels entgegenstehender Erkenntnisse nur zu dem Teil der Bevölkerung gerechnet werden, der sich im Straßenverkehr im wesentlichen rechtstreu verhält. Schließlich mag die Forderung des Antragstellers nach Zahlung von Schadensersatz in Höhe von „100 Unzen Gold“ zwar von Realitätsverlust zeugen, sie hat jedoch keinen konkreten straßenverkehrsrechtlichen Bezug.
War somit im Ergebnis Anordnung der Beibringung eines Gutachten eines Facharztes für Neurologie/Psychiatrie rechtswidrig, so war dem Antragsgegner vorliegend – wie bereits zuvor ausgeführt - der aus der Nichtvorlage des Gutachtens resulierende Schluss auf die fehlende Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen verwehrt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus den §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG in der ab dem 01. Juli 2004 gültigen Fassung. Nach dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1367 ff.) ist für die Entziehung der Fahrerlaubnis der Klassen A, B, C1E, M und L des Antragstellers von einem Streitwert in Höhe des dreifachen Auffangwertes von 5.000,00 Euro auszugehen. Die sich danach ergebende Summe von 15.000,00 Euro war im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren.