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Klage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung; Geltungsdauer der Baugenehmigung; Unterbrechung der Bauausführung infolge einer gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs; Abstandsflächen; Nichterforderlichkeit von Abstandsflächen nach planungsrechtlichen Vorschriften; Eigenart der näheren Umgebung; Abgrenzung der maßgeblichen Umgebung; verschiedenartige Baustrukturen in Teilen eines Straßenviertels; Bezugsrahmen; Altbestand; künftige bauliche Entwicklungen; geschlossene Bauweise; faktische Baugrenze; Blockrandbebauung; Seitenflügel; unbebaute Grundstücksfläche; Nebenanlagen; Garagen; Abweichung von Abstandsflächenvorschriften; atypische Grundstückssituation; einfügen; negative Vorbildwirkung; Freiflächen; Mischung von Bebauung und unbebauten Flächen; Rücksichtnahmegebot; (keine) Teilbarkeit der Baugenehmigung; (keine) teilweise Aufhebung im Gerichtsverfahren


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 13.03.2013
Aktenzeichen OVG 10 B 4.12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen Art 14 Abs 1 S 1 GG, § 6 Abs 1 S 1 BauO BB, § 6 Abs 1 S 3 BauO BB, § 68 Abs 1 S 1 BauO BB, § 71 Abs 1 BauO BB, § 72 Abs 1 BauO BB, § 34 Abs 1 S 1 BauGB, § 14 BauNVO, § 22 Abs 2 S 1 BauNVO, § 22 Abs 3 BauNVO, § 22 Abs 4 S 1 BauNVO, § 22 Abs 4 S 2 BauNVO, § 42 Abs 1 VwGO, § 42 Abs 2 VwGO, § 113 Abs 1 S 1 VwGO

Leitsatz

1. Zur Nichterforderlichkeit von bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen nach planungsrechtlichen Vorschriften im unbeplanten Innenbereich.

2. Die Merkmale der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nach denen sich ein Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einfügen muss, sind unabhängig voneinander zu prüfen. Bei einer geschlossenen Bauweise am Blockrand eines Straßenviertels dürfen Gebäude hinsichtlich der Bebauungstiefe nur insoweit ohne Abstandsflächen an die Grenze gebaut werden, als das Vorhaben im rückwärtigen Blockinnenbereich eine faktisch vorhandene Baugrenze nicht überschreitet.

3. Eine faktische Baugrenze im unbeplanten Innenbereich, die zu einer dahinter liegenden, nicht überbaubaren Grundstücksfläche führt, ist eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG). Für ihre Feststellung bedarf es hinreichender Anhaltspunkte für eine städtebaulich verfestigte Situation, d.h. es darf insbesondere kein bloßes Zufallsprodukt ohne eigenen städtebaulichen Aussagewert vorliegen.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. April 2012 geändert.

Die Baugenehmigung Nr. ... des Bezirksamts Pankow von Berlin vom 23. November 2009 wird aufgehoben.

Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge je zur Hälfte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte und die Beigeladene dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Seitenflügels nebst Quergebäude im rückwärtigen Bereich eines Nachbargrundstücks.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Zum Gesellschaftsver-mögen zugeordnet ist das gesamthänderische Eigentum am Grundstück Kollwitzstraße … in Berlin, Gemarkung Prenzlauer Berg (Flur , Flurstück ), das straßenseitig mit einem fünfgeschossigen Wohngebäude bebaut ist.

Auch die Beigeladene ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Zum Gesell-schaftsvermögen gehört das gesamthänderische Eigentum an dem unmittelbar nordöstlich angrenzenden Grundstück Kollwitzstraße (Flur Flurstück ). Dieses Vorhabengrundstück hat eine Größe von 595 m². Zur Kollwitzstraße hin ist es mit einem auf einem Bauschein aus dem Jahre 1875 beruhenden Wohn- und Geschäftsgebäude ohne seitliche Grenzabstände mit fünf oberirdischen Geschossen bebaut. Von der Grundstücksfläche sind 224,31 m² überbaut. Auf der Grundlage einer am 22. Oktober 2009 erteilten Baugenehmigung wurden das Gebäude saniert, das Dachgeschoss ausgebaut und ein Aufzug sowie Balkone angebaut.

Das Vorhabengrundstück befindet sich in einem Bereich des Ortsteils Prenzlauer Berg, der nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt. Der Ortsteil wurde als Teil der gründerzeitlichen Stadterweiterung Berlins zwischen 1865 und der Jahrhundertwende bebaut. Bereits um 1900 gehörte der Ortsteil zu den am dichtesten besiedelten Gebieten Berlins. Das Vorhabengrundstück befindet sich in dem durch die Kollwitz-, Knaack-, Diedenhofer- und Belforter Straße gebildeten Straßenviertel in der Nähe des zentral gelegenen Kollwitzplatzes. Die bauliche Struktur des Straßenviertels besteht aus einer hohen Bebauungsdichte mit einer gründerzeitlichen, in der Regel fünfgeschossigen straßenseitigen Block-randbebauung. Die Hauptanlagen sind ohne seitliche Grenzabstände errichtet. Im nördlichen Bereich des Straßenviertels befinden sich im Blockinneren auch Seitenflügel, Quergebäude und Remisen. Der südliche Bereich weist auf den Flurstücken straßenseitig ebenfalls eine Blockrandbebauung auf. Diese ist zwischen den Gebäuden Diedenhofer Straße und (Flurstück ) durch eine nicht bebaute Fläche zur Straße hin geöffnet. Der Beklagte hatte für diese Fläche mit Bescheid vom 14. Januar 2003 eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohn- und Geschäftsgebäudes erteilt. Ausweislich der Bauvorlagen sollte das neue Gebäude auf dem Grundstück Diedenhofer Straße 10 nur in geringem Ausmaß über die durch die hinteren Gebäudeteile der Häuser Diedenhofer Straße 9 und 11 gebildete Flucht hervortreten. Auf den Grundstücksflächen im Blockinneren sollte eine Grünfläche mit Kinderspielplatz und eine unterirdische Tiefgarage mit Stellplätzen errichtet werden. Mit der Bauausführung wurde nicht begonnen. Der Beklagte hat zuletzt mit Bescheid vom 8. April 2011 einen Antrag auf Verlängerung der Baugenehmigung abgelehnt. Dagegen ist ein Widerspruchsverfahren anhängig. Östlich der Diedenhofer Straße befindet sich das Bau- und Gartendenkmal „Wasserturmplatz“, eine öffentliche Grünfläche, die u.a. mit einem Turm und einer Kindertagesstätte bebaut ist. Das Plateau, auf dem der Turm errichtet wurde, ist rund 11 m höher als die Diedenhofer Straße.

Im Inneren des südlichen Teils des Blockes Kollwitz-, Knaack-, Diedenhofer- und Belforter Straße befinden sich derzeit nicht bebaute Grundstücksflächen, die im Wesentlichen als private Grün- und Freiflächen genutzt werden. Das Flurstück besteht im Inneren aus einer parkähnlichen Anlage mit Laubbäumen und Umfassungsweg. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den nachfolgenden Auszug aus der Flurkarte und die im Berufungsverfahren getroffenen Feststellungen im Ortstermin am 12. Dezember 2012 Bezug genommen.

Die Beigeladene reichte im September 2009 einen Bauantrag für ein als „Neubau Seitenflügel und Gartenhaus“ bezeichnetes Vorhaben ein. Nach den Bauvorlagen sollen im rückwärtig gelegenen Bereich des Grundstücks - anschließend an das vorhandene Gebäude - ein Seitenflügel nebst Quergebäude errichtet werden. Der Neubau soll sechs Geschosse aufweisen. Die beiden unteren Geschosse sollen bis zur östlichen rückwärtigen Grundstücksgrenze reichen. Bei den vier darüber gelegenen Geschossen sollen die Gebäudeteile gestaffelt angeordnet werden. Die Außenwand des Seitenflügels soll als Brandwand mit einer Länge von 20,97 m an der seitlichen Grenze zum Grundstück der Klägerin errichtet werden. Nach den Berechnungen der Beigeladenen in den Bauvorlagen sollen im Zuge des Vorhabens zusätzliche 223,15 m² Grundstücksfläche überbaut werden, was mit dem vorhandenen Vorderhaus zu einer bebauten Grundstücksfläche von insgesamt 447,46 m² führen würde.

Das Bezirksamt Pankow von Berlin erteilte mit Bescheid vom 23. November 2009 im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die Baugenehmigung für das Vorhaben. Eine Ausfertigung der Baugenehmigung wurde der Klägerin nicht zugestellt. Nachdem sie von dieser Kenntnis erhalten hatte, erhob sie am 31. Mai 2010 Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist. Der Beklagte informierte mit Schreiben vom 1. Juni 2010 die Beigeladene über den Widerspruch und wies darauf hin, dass sie ab jetzt auf eigenes Risiko baue. Mit der Ausführung des Bauvorhabens wurde am 30. Juni 2010 begonnen.

Den Antrag der Klägerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Baugenehmigung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. August 2010 zurückgewiesen. Der Senat hat im Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 16. November 2010 (OVG 10 S 31.10, LKV 2010, 567, juris) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet und dazu ausgeführt: Die Baugenehmigung verletze die Nachbarrechte der Klägerin. Nach der planungsrechtlichen Vorschrift des § 34 Abs. 1 BauGB dürfe nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO Bln an die seitliche Grundstücksgrenze angebaut werden. Bei der bauplanungsrechtlichen Beurteilung der gegebenen Situation sei nicht der Baubestand im nördlichen Teil des Baublocks maßgeblich, sondern die öffentliche Grünfläche am Wasserturmplatz, zu der sich der südliche Teil des Baublocks zwischen den Grundstücken Diedenhofer Straße 9 und 11 öffne und - wie weitere umliegende Baublöcke mit begrünten Innenbereichen - gestalterisch Bezug nehme. Dies erfordere einen Perspektivwechsel, der den begrünten Innenbereich zwischen der Kollwitz- und der Diedenhofer Straße nicht nur als (noch) unbebaute Fläche begreife, sondern deren eigenständige städtebauliche Qualität als Freifläche mit der Zweckbestimmung einer privaten Grünfläche erkenne. Daraus leite sich zugleich eine faktische hintere Baugrenze hinter den „seitenflügellosen“ Vorderhäusern entlang der Kollwitz-, Belforter- und Diedenhofer Straße ab, die die Errichtung des Bauvorhabens auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen ausschließe.

Infolge dieser Entscheidung ist es zu einer weitgehenden Einstellung der Arbeiten an dem inzwischen im Rohbau im Wesentlichen fertig gestellten Bauvorhaben gekommen. Nachdem in dem Rohbau teilweise Fensterelemente eingesetzt worden waren, hat der Beklagte mit bestandskräftigem Bescheid vom 27. Juni 2011 die sofortige Einstellung der Weiterführung des Neubaus angeordnet.

Am 15. Februar 2011 hat die Klägerin gegen die Baugenehmigung vom 23. November 2009 Klage erhoben. Sie hat im Wesentlichen vorgetragen, die nachbarschützende Abstandsflächenvorschrift des § 6 BauO Bln sei durch den genehmigten Seitenflügel verletzt. Die Ausnahmeregelung des Abs. 1 Satz 3 der Vorschrift greife nicht ein. Das angegriffene Vorhaben füge sich weder hinsichtlich des Maßes noch hinsichtlich der Grundtücksfläche, die überbaut werden solle, gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Das Vorhaben stelle ferner einen Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot dar.

Der Beklagte hat im erstinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen vorgetragen, dass das Vorhaben der vorgefundenen Bebauung auf zahlreichen Grundstücken im nördlichen Bereich des Straßenviertels entspreche. Im Baublock seien Vorder-häuser, Seitenflügel und Remisen grenzständig errichtet. Soweit die Klägerin die unmittelbare Umgebung auf den südlichen Teilbereich des Blocks beschränke, sei die Trennung nicht gerechtfertigt, denn beide Bereiche seien nicht durch eine Straße entkoppelt und wiesen keine wesentlichen Unterschiede in der Baustruktur auf. Soweit der Senat im vorläufigen Rechtsschutzverfahren Anhaltspunkte für eine aus mehreren Höfen gebildete private Grünfläche gesehen habe, gehe er teilweise von falschen Voraussetzungen aus. Nur das Grundstück Diedenhofer Straße habe einen parkähnlichen Charakter. Das Vorhabengrundstück an der Kollwitzstraße sei von diesem durch eine Mauer getrennt und zudem tiefer belegen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. April 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin durch die Baugenehmigung nicht in ihren Nachbarrechten verletzt werde. Diese verstoße nicht gegen § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln, da gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO Bln nach der planungsrechtlichen Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB an die Grenze gebaut werden dürfe. Hinsichtlich der Bauweise sei die maßstabsbildende nähere Umgebung nicht auf den engen südwestlichen Ausschnitt des Straßenviertels Kollwitz-, Knaack-, Diedenhofer- und Belforter Straße beschränkt, vielmehr sei der gesamte Baublock zu berücksichtigen. Die bauliche Struktur in diesem Block und in weiteren Blöcken in der näheren Umgebung zeichne sich durch eine stark verdichtete Blockrandbebauung mit zahlreichen grenzständigen Seitenflügeln und Quergebäuden sowie Remisen aus. Das Vorhaben füge sich auch nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Zwar sei der maßstabsgebende Rahmen insoweit enger zu ziehen und umfasse den nordöstlichen Bereich des Baublocks nicht. Im unbeplanten Innenbereich bedürfe es für die Annahme einer nicht überbaubaren Grundstücksfläche in Form einer privaten Grünfläche jedoch deutlicher Anhaltspunkte, die für eine entsprechende bauliche Verfestigung der Situation sprächen. Nach dem Ergebnis der Augenscheinnahme habe sich der Eindruck einer abschließend gestalteten Innenbereichsfläche mit eigener städtebaulicher Qualität nicht bestätigt. Zwischen dem Innenhof der Grundstücke an der Diedenhofer- und Belforter Straße einerseits und derjenigen an der Kollwitzstraße andererseits bestehe aufgrund topografischer Gegebenheiten eine deutliche Zäsur, die durch einen knapp 2 m hohen Geländesprung entlang der hinteren Grundstücksgrenze gebildet werde. An dieser Bewertung könne auch die Öffnung des Hofbereichs zur Diedenhofer Straße und das sich anschließende Bau- und Gartendenkmal Wasserturmplatz nichts ändern. Die Wirkungsmacht dieser Anlage auf die umliegenden Hofinnenbereiche sei bereits in erheblicher Weise durch den Umstand begrenzt, dass sich die öffentliche Grünanlage mit ihren darauf befindlichen historischen Wasserversorgungsanlagen auf einem rund 10 m höheren Plateau befinde. Eine gestalterische Bezugnahme des Innenhofs bzw. der umliegenden Innenhöfe anderer Baublöcke auf den Wasserturmplatz habe sich im Ortstermin nicht bestätigt. Auf eine Verletzung von Nachbarschutz gewährenden planungsrechtlichen Vorschriften, insbesondere das Rücksichtnahmegebot, könne sich die Klägerin nicht stützen. Infolge der Lage des Seitenflügels entlang der nordöstlichen Grundstücksgrenze und der Staffelung nach hinten beschränkten sich seine Auswirkungen auf den Tagesbeginn. Der Umstand, dass die Brandwand des Seitenflügels auf das Grundstück der Klägerin weise, führe zwar zu einer spürbaren Beeinträchtigung, lasse jedoch keine unzumutbare „Gefängnishofsituation“ entstehen.

Die Klägerin hat am 11. Juni 2012 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und diese im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die angefochtene Baugenehmigung sei rechtswidrig, weil das Vorhaben der Beigeladenen die nachbarschützende Abstandsflächenvorschrift des § 6 BauO Bln verletze. Die Voraussetzungen des Abs. 1 Satz 3 dieser Norm lägen nicht vor. Unter der näheren Umgebung könne nur die grundstücksübergreifende Freifläche im südlichen Blockinnenbereich des Straßenviertels in Verbindung mit den Grünflächen am Wasserturmplatz verstanden werden. Maßgeblich seien insoweit die mit dem Auge wahrnehmbaren Gegebenheiten. Deshalb müsse sich der Blick auf den südlichen Blockinnenbereich beschränken, der von dem Grundstück der Beigeladenen aus sichtbar sei. Dort gebe es im rückwärtigen Bereich keine geschlossene Bauweise. Bei dem rückwärtigen Grundstücksteil der Beigeladenen handele es sich um eine nicht bebaubare Grundstücksfläche, die Teil einer mehrere Grundstücke umfassenden privaten Grünfläche sei. Die Erforderlichkeit der Freihaltung des Blockinnenbereichs ergebe sich aus der faktischen hinteren Baugrenze zwischen dem Baukörper und der Grünfläche. Der Blockinnenbereich sei baulich abschließend gestaltet und habe städtebauliche Funktion. Eine grundstücksübergreifende Grünfläche innerhalb des Baublocks setze weder voraus, dass dieser Bereich für alle Anlieger frei zugänglich sei noch dass er ein identisches Geländeniveau aufweise. Die zu Zeiten der DDR erfolgte Entkernung des Blockinneren sei Beleg für das gezielte und planvolle Vorgehen der damaligen Stadtplanung, die darauf gerichtet gewesen sei, durch die Entfernung der Seitenflügel im südlichen Bereich des Straßenviertels eine bessere Wohnqualität durch Belüftung, Besonnung und Belichtung zu schaffen, um damit zeitgemäße Vorstellungen moderner Siedlungsentwicklung auch in Ostdeutschland umzusetzen. Ferner verstoße das Vorhaben der Beigeladenen gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot. Von dem im Rohbau bereits realisierten Seitenflügel gingen unzumutbare erdrückende Wirkungen für ihr Grundstück aus, durch die der Eindruck der Einmauerung und der Abriegelung entstehe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. April 2012 zu ändern und die Baugenehmigung Nr. ... vom 23. November 2009 aufzuheben.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angegriffene Urteil.

Der Beklagte führt an, dass die maßgebliche Umgebung nicht nur die in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks gelegenen Grundstücke, sondern der Baublock zwischen der Kollwitz-, Knaack-, Diedenhofer- und Belforter Straße sei. Zwar sei vom Hof des Grundstücks der Beigeladenen naturgemäß nicht die komplette Bebauung im Blockinnenbereich erkennbar. Hierauf komme es aber nicht an, da ansonsten in verdichteten Innenstadtbereichen häufig nur das eigene Grundstück zur näheren Umgebung gehören würde. Das Bauvorhaben der Beigeladenen liege auch nicht auf einer nicht überbaubaren Grundstücksfläche, sondern folge der typischen Bebauung im Blockinnenbereich des Straßenviertels. Die dortigen Grundstücke seien in voller Tiefe bebaubar, so dass sich der Neubau nach § 34 Abs. 1 BauGB in die ortsübliche Hofbebauung mit Seitenflügeln und Remisen einfüge. Eine abschließend gestaltete Freifläche habe es nie gegeben. Hiergegen spreche auch der Geländeversprung sowie das Mauerwerk im Blockinneren, welche eine deutliche Zäsur darstellten. Das Vorhaben der Beigeladenen verstoße auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot. Auf fast allen Grundstücken im Baublock seien vergleichbare Verhältnisse anzutreffen.

Die Beigeladene macht geltend, dass ihr Bauvorhaben an der Grundstücksgrenze errichtet werden könne, weil nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden dürfe. Die weitaus größere Anzahl der Grundstücke im Block Kollwitz-, Knaack-, Diedenhofer- und Belforter Straße wiesen Seitenflügel und Quergebäude auf. Auch in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft bestünden auf dem Grundstück Kollwitzstraße ein Seitenflügel und eine Remise mit einer Höhe von ca. 7 m. Es gebe auch keine planvolle Entwicklung zu einer aus mehreren Höfen gebildeten zusammenhängenden Grünfläche. Die Seitenflügel im Block seien abgerissen worden, weil sie baulich vollständig heruntergekommen gewesen seien und mit den Mitteln der damaligen DDR nicht mehr hätten saniert werden können. Der im Innenbereich des südlichen Blocks bestehende Geländeversprung durch eine 2,15 m hohe Mauer verhindere einen durchgängig begrünten Hof und stelle eine deutliche Zäsur dar. Bei dem Vorhabengrundstück handele es sich nicht um eine abschließend gestaltete Grünfläche mit städtebaulicher Qualität. Der Hof sei bis August 2009 - abgesehen von einem etwa 3 m breiten Streifen zum Grundstück der Klägerin - fast vollständig versiegelt und ursprünglich mit einer Garage und zwei Carports bebaut gewesen. Auch auf dem Grundstück der Klägerin hätten sich zwei Garagen befunden und die ursprünglich betonierten Grundstücksflächen seien nach dem Jahre 2003 im Hofinnenbereich mit einer Mischung aus Beton und Tonkugeln versehen worden. Die Klägerin habe erst unter Eindruck des Rechtsstreits auf ihrem Grundstück eine Grünfläche angelegt. Auch sei angesichts der Baugenehmigung für die Schließung der Baulücke zwischen den Häusern Diedenhoferstraße und , die auch die Errichtung einer Tiefgarage umfasse, davon auszugehen, dass das Vorhaben noch realisiert werde. Das Rücksichtnahmegebot werde nicht verletzt, denn es werde keine Brandwand mit 22 x 22 m Höhe errichtet, sondern die Abstufung ihres Gebäudes nehme auf die Bedürfnisse der Klägerin Rücksicht.

Der Berichterstatter hat am 12. Dezember 2012 die Örtlichkeiten, insbesondere die tatsächliche städtebauliche Situation im Straßenviertel und die Umgebung des Bauvorhabens in Augenschein genommen. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf das Protokoll des Ortstermins nebst Anlagen verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese haben in der mündlichen Verhandlung und der Beratung des Senats vorgelegen und sind zum Gegenstand der Entscheidungsfindung gemacht worden.

Entscheidungsgründe

Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung (§ 124 Abs. 1 VwGO) der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben und begründet worden. Die Berufung ist auch begründet, weil das Verwaltungsgericht die Nachbarklage zu Unrecht abgewiesen hat.

I.

Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) der Klägerin gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ist zulässig.

Die Klägerin ist als Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach § 61 Nr. 2 VwGO beteiligtenfähig. Ihr können eigene Rechte zustehen. Hierzu zählen namentlich auch die dem Gesellschaftsvermögen zuzuordnenden Rechte an dem gesamt-händerischen Eigentum an dem von dem Bauvorhaben betroffenen Nachbargrundstück Kollwitzstraße (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. August 2004 - BVerwG 9 A 1.03 -, NuR 2005, 177, juris Rn. 18).

Die Klägerin ist klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO), denn ihr Vorbringen lässt die Verletzung ihrer Rechte aus § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln vom 29. September 2005 (GVBl. S. 495), geändert durch Gesetz vom 7. Juni 2007 (GVBl. S. 222), durch die Baugenehmigung als möglich erscheinen. Für die Klägerin hat die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung belastende Drittwirkung. Die Baugenehmigung ist rechtlich weiter existent, da sie nicht durch den Ablauf ihrer Geltungsdauer erloschen ist. Die Baugenehmigung erlischt nach § 72 Abs. 1 BauO Bln, wenn innerhalb von drei Jahren nach ihrer Erteilung mit der Ausführung des Bauvorhabens nicht begonnen oder die Bauausführung ein Jahr unterbrochen worden ist. Mit der Ausführung des Bauvorhabens wurde am 30. Juni 2010 begonnen. Die Bauausführung ist im rechtlichen Sinne noch nicht ein Jahr unterbrochen, obgleich mit Beschluss des Senats vom 16. November 2010 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Klägerin gegen die Baugenehmigung angeordnet wurde und es infolgedessen jedenfalls nach Erlass der Baueinstellungsverfügung vom 27. Juni 2011 tatsächlich zu einer Einstellung der Bauausführung gekommen ist. Der Lauf der Jahresfrist ist nämlich während der Dauer der hier erfolgten gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Nachbarwiderspruchs nach §§ 80 Abs 5, 80a Abs. 3 VwGO gehemmt, da die Unterbrechung der Ausführung des Bauvorhabens infolge der gerichtlichen Anordnung für deren Dauer außerhalb der Risikosphäre der Bauherrin liegt (vgl. Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, BauO Bln, 6. Aufl., 2008, § 72 Rn. 10 f.; Reimus/Semtner/Langer, BbgBO, 3. Aufl. 2009, § 69 Rn. 5; Otto, BbgBO, 3. Aufl. 2012, § 69 Rn. 10 ff.).

Die Anfechtungsklage ist zulässigerweise am 15. Februar 2011 erhoben worden, obwohl die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht zuvor in einem Widerspruchsverfahren überprüft worden ist. Ist, wie hier, über den am 31. Mai 2010 erhobenen Nachbarwiderspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, ist die Klage nach § 75 Satz 1 VwGO abweichend von § 68 VwGO in Form der Untätigkeitsklage zulässig.

II.

Die Klage ist begründet. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 23. November 2009 ist aufzuheben, denn sie ist rechtswidrig (1.) und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt (2.), § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

1. Die angefochtene Baugenehmigung verstößt gegen die landesrechtliche Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BauO Bln, weil das mit ihr genehmigte Bauvorhaben mit den Außenwänden des Seitenflügels an der Grenze zum Grundstück der Klägerin errichtet werden soll und damit keine Abstandsflächen freigehalten werden.

a. Vor den Außenwänden von Gebäuden sind nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Die Abstandsflächen müssen auf dem Grundstück selbst liegen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 BauO Bln). Die Außenwand des geplanten Seitenflügels des oberirdischen Gebäudes der Beigeladenen soll ausweislich des zur Baugenehmigung gehörenden Lageplans unmittelbar an der seitlichen Grenze zum Grundstück der Klägerin errichtet werden und hält damit keine Abstandsflächen ein.

b. Die Ausnahmebestimmung des § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO Bln greift bei dem Bau-vorhaben der Beigeladenen entgegen deren Ansicht nicht ein. Die Norm schränkt in Anknüpfung an vorrangige planungsrechtliche Vorschriften den Grundsatz des § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln zur Erforderlichkeit von Abstandsflächen ein. Eine Abstandsfläche ist danach nicht erforderlich von Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Diese Regelung gilt nicht nur in Bereichen, in denen planungsrechtliche Festsetzungen in Bebauungsplänen bestehen, sondern auch im unbeplanten Innenbereich. Maßgebliche planungsrechtliche Vorschrift ist im vorliegenden Fall § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, weil das Vorhaben im unbeplanten Innenbereich ausgeführt werden soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 1994 - BVerwG 4 B 54.94 -, NVwZ 1994, 1008, juris Rn. 4). Das Vorhabengrundstück befindet sich nämlich innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils Prenzlauer Berg in einem Bereich, der nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt.

Eine Abstandsfläche vor Außenwänden ist demnach nicht erforderlich, wenn nach der planungsrechtlichen Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Das mit der angegriffenen Baugenehmigung genehmigte Vorhaben der Beigeladenen zur Errichtung eines Seitenflügels im rückwärtigen Bereich des Vorhabengrundstücks an der Grenze zum Grundstück der Klägerin muss und darf nach der planungsrechtlichen Vorschrift des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht an die Grenze gebaut werden, weil es sich nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Es überschreitet nämlich eine faktische hintere Baugrenze.

aa. Ein Vorhaben ist nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB wirkt damit als „Planersatz“, insoweit die für die Anwendung der Norm hier maßgeblichen Faktoren, nämlich die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in Rede stehen, wobei sich die Erforderlichkeit von Abstandsflächen nach dem tatsächlich in der maßgeblichen Umgebung prägend vorhandenen Rahmen richtet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 1994 - BVerwG 4 B 158/93 -, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 163, juris Rn. 10; Reimus/Semtner/ Langer, BbgBO, 3. Aufl. 2009, § 6 Rn. 9). Planungsrechtliche Merkmale, die regeln, ob an die Grenze gebaut werden muss oder darf, sind vor allem die über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll. Bei offener Bauweise werden nach § 22 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 BauNVO die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand, bei geschlossener Bauweise grundsätzlich ohne seitlichen Grenzabstand errichtet. Die Festsetzungen und bauplanungsrechtlichen Regelungen über § 34 Abs. 1 BauGB zur offenen oder geschlossenen Bauweise betreffen, wie der Wortlaut des § 22 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 BauNVO zeigt, allein die Anordnung des Gebäudes auf dem Baugrundstück im Verhältnis zur seitlichen Grenze des Nachbargrundstücks (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 - BVerwG 4 C 12.98 -, BVerwGE 110, 355, juris Rn. 17; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 30. Oktober 2009 - OVG 10 S 26.09 -, BauR 2010, 441, juris Rn. 11 m.w.N.). Im Rahmen des § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO Bln i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist für die Frage der Erforderlichkeit von Abstandsflächen bzw. dafür, ob die Außenwände an der Grundstücksgrenze errichtet werden dürfen, ferner maßgeblich, ob sich das Vorhaben nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (vgl. Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, BauO Bln, 6. Aufl. 2008, § 6 Rn. 24; Gädtke/Czepuck u.a., BauO NRW, 12. Aufl. 2011, § 6 Rn. 150). Die Merkmale, nach denen sich ein Vorhaben im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen muss, sind nämlich jeweils unabhängig voneinander zu prüfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. November 1997 - BVerwG 4 B 172.97 -, NVwZ-RR 1998, 539, juris Rn. 5). Fügt sich ein Vorhaben seiner Bauweise nach ein, so kommt es weiter darauf an, ob es sich nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die nähere Umgebung einfügt (vgl. Hahn/Radeisen, BauO Bln, 4. Aufl. 2007, § 6 Rn. 26; OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 1995 - 10 B 2445/95 -, BRS 57 Nr. 136, juris Rn. 3; OVG LSA, Beschluss vom 12. November 2010 - 2 M 142.10 -, BauR 2011, 667, juris Rn. 15). Dies führt dazu, dass die geschlossene Bauweise sich nur auf die Grundstücksfläche in dem Bereich bezieht, der überbaubar ist, d.h. an der seitlichen Grenze zum Nachbargrundstück nur bis zu einer hinteren Baugrenze (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand: 1. September 2012, § 22 BauNVO, Rn. 32; OVG Bln, Beschluss vom 28. Januar 1981 - OVG 2 S 194.80 -, OVGE 15, 196 [200]). Dabei kommt es insoweit auf die konkrete Größe der Grundstücksfläche des in Frage stehenden Vorhabens und auch auf seine räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung an (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - BVerwG 4 B 50.08 -, BauR 2009, 1564, juris Rn. 4; Beschluss vom 28. September 1988 - BVerwG 4 B 175.88 -, BauR 1989, 60, juris Rn. 4 m.w.N). Nach der Rechtsprechung des Senats zur landesrechtlichen Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 3 BauO Bln (Beschluss vom 30. Oktober 2009 - OVG 10 S 26.09 -, BauR 2010, 441, juris Rn. 12; Beschluss vom 26. November 2010 - OVG 10 S 31.10 -, LKV 2010, 567, juris Rn. 10 u. 14; Beschluss vom 4. August 2011 - OVG 10 S 7.11 -, juris Rn. 8; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - BVerwG 4 B 50.08 -, BauR 2009, 1564, juris Rn. 4 zur Bautiefe; VGH München, Urteil vom 21. Juli 1997 - 14 B 96.3086 -, NVwZ-RR 1998, 712, 713) können anhand der tatsächlich vorhandenen Bebauung aus der jeweils überbauten Grundstücksfläche und der räumlichen Lage der baulichen Anlagen Merkmale abgelesen werden, aus denen eine faktische (hintere) Baugrenze festellbar ist, die die Gebäude und Gebäudeteile nicht überschreiten dürfen (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO).

bb. Gemessen an diesen Maßstäben fügt sich das Bauvorhaben der Beigeladenen zur Errichtung eines Seitenflügels im rückwärtigen Bereich des Vorhabengrundstücks trotz der straßenseitigen Blockrandbebauung in geschlossener Bauweise nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ein.

(1) Für die Beurteilung, ob sich das Vorhaben der Beigeladenen nach der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist nach der in diesem Einzelfall gegebenen städtebaulichen Situation der südliche Bereich des Straßenviertels Kollwitz-, Belforter-, Diedenhofer Straße und Knaackstraße bestehend im Wesentlichen aus den Grundstücken Flur , Flurstücke und der südliche Teil des Flurstücks sowie das Flurstück als nähere Umgebung im Sinne von § 34 BauGB zu berücksichtigen. Entgegen der Ansicht des Beklagten und der Beigeladenen ist damit nicht der gesamte Block des Straßenviertels maßgeblich.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei der Bestimmung der näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB auf diejenige Umgebung abzustellen, auf die sich die Ausführung des Vorhabens auswirken kann und die ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (Urteil vom 20. Dezember 2012 - BVerwG 4 C 11.11 -, ZfBR 2013, 266, juris Rn. 30 m.w.N.; vgl. auch OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 18. September 2012 - OVG 10 N 9.11 -, juris Rn. 7). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Diese kann so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen. Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion; umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen (BVerwG, Beschluss vom 28. August 2003 - BVerwG 4 B 74/03 -, juris Rn. 2; Urteil vom 26. Mai 1978 - BVerwG 4 C 9.77 -, BVerwGE 55, 369, juris Rn. 34; Urteil vom 21. November 1980 - BVerwG 4 C 30/78 -, DVBl. 1981, 100, juris Rn. 20; Beschluss vom 16. Juni 2009 - BVerwG 4 B50.08 -, BauR 2009, 1564, juris Rn. 5).

Auf der Grundlage der vorgenannten Grundsätze kommt der Senat in Übereinstimmung mit seiner Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu der tatrichterlichen Bewertung, dass es für die Beurteilung, ob sich das Vorhaben nach der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die nähere Umgebung einfügt, nur auf den südlichen Bereich des Straßenviertels Kollwitz-, Belforter-, Diedenhofer- und Knaackstraße ankommt.

Bei der Abgrenzung der Reichweite der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist regelmäßig danach zu differenzieren, ob es sich um ein Einfügen nach der Art der baulichen Nutzung oder nach den übrigen in der Norm genannten Kriterien handelt. Beim Einfügen nach der Art der baulichen Nutzung kommt es z.B. bei Vorhaben, von denen Emissionen ausgehen, über den Nahbereich hinaus auf eine tendenziell weiter zu ziehende Umgebung an, nämlich soweit sich die Ausführung des Vorhabens mit seinen Emissionen auswirkt. Unter dem Blickwinkel der übrigen Kriterien des § 34 Abs. 1 BauGB, hier der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, sind die Auswirkungen des Vorhabens auf die Umgebung und umgekehrt die Wirkung der Umgebung auf das Bauvorhaben in der Regel auf einen engeren Kreis begrenzt (vgl. Schrödter, BauGB, 7. Aufl. 2006, § 34 Rn. 26; Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 7. Aufl. 2004, Rn. 2011; Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand: 1. September 2012, § 34 Rn. 45 m.w.N.). Dies spricht dafür, hier auf den engeren Bereich des südlichen Teils des Straßenviertels als nähere Umgebung abzustellen.

Das eher schematische Vorgehen des Beklagten, der meint, es sei auf den gesamten Baublock innerhalb des Straßenviertels abzustellen, vermag aufgrund der hier gegebenen Umstände des Einzelfalls nicht zu überzeugen. Zwar sind Grundstücke und die auf ihnen ausgeübte Art der Nutzung oder der überbauten Grundstücksflächen innerhalb eines durch ein Straßenviertel begrenzten Bebauungsblocks in der Regel in besonderer Weise aufeinander bezogen (vgl. BayVGH, Urteil vom 27. Juli 2005 - 25 BV 03.73 -, NVwZ-RR 2006, 312, juris Rn. 13). Dies rechtfertigt aber nicht den Schluss, dass stets der durch ein Straßenviertel begrenzte Bebauungsblock als maßgebliche Umgebung anzusehen ist; die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich, wie ausgeführt, nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation und den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen.

Auf der Grundlage der tatsächlichen Eindrücke, die der Berichterstatter durch die Inaugenscheinnahme der städtebaulichen Situation und der Baustruktur im Straßenviertel Kollwitz-, Belforter-, Diedenhofer Straße und Knaackstraße in dem im Berufungsverfahren durchgeführten Ortstermin gewonnen und dem Senat insbesondere anhand der von ihm gefertigten Fotos und des vom Beklagten vorgelegten Flurkartenauszuges vom 24. Oktober 2012 sowie des in das Verfahren eingeführten Luftbildes vermittelt hat, ist dieser zu der Feststellung gelangt, dass im konkreten Einzelfall entlang des nördlichen Seitenflügels des Grundstücks Kollwitzstraße und der nördlichen Grenze des Grundstücks Diedenhofer Straße die Grenze zwischen der hier maßgeblichen näheren und der ferneren Umgebung zu ziehen ist. Hierfür spricht, dass die Baustrukturen im Blockinneren in dem südlichen und dem nördlichen Bereich des Straßenviertels voneinander verschieden sind. Im nördlichen Bereich befindet sich straßenseitig eine Blockrandbebauung und im Blockinneren sind Seitenflügel, Quergebäude, Remisen vorhanden, so dass relativ beengte Hofsituationen entstanden sind. Davon unterscheidet sich die Baustruktur im südlichen Bereich des Straßenviertels, da hier im Blockinneren eine grundstücksübergreifende, im räumlichen Zusammenhang stehende, nicht bebaute Grundstücksfläche vorhanden ist, die insbesondere keine sie prägenden Hauptanlagen wie Seitenflügel oder Quergebäude aufweist. Vielmehr sind dort auf den unbebauten Grundstücksflächen (private) Grünflächen in Form von Gärten mit Bäumen und Sträuchern sowie auf dem Grundstück Diedenhofer Straße eine parkähnliche Anlage mit Laubbäumen und Wegen vorhanden. Damit wird die Baustruktur im südlichen Straßenviertel durch die straßenseitige Blockrandbebauung mit einer großen, im Wesentlichen nicht überbauten Freifläche im Blockinneren geprägt. Anhaltspunkte dafür, dass die im Ortstermin festgestellten Baustrukturen und die Freiflächen im Straßenviertel sich seit der Erteilung der Baugenehmigung erheblich verändert hätten, bestehen nicht. Das städtebauliche Erscheinungsbild der im Wesentlichen unbebauten Grundstücksfläche wird ausweislich des herangezogenen Luftbildes (Bl. 435 d.A.) und gefertigten Lichtbildes (Bl. 438 d.A., Nr. 13) auch nicht durch das von der Beigeladenen im Ortstermin und in der mündlichen Verhandlung angeführte eingeschossige Wohngebäude an der südlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks Kollwitzstraße … in Frage gestellt. Denn die Betrachtung ist auf das Wesentliche zurückzuführen und das relativ kleine eingeschossige remisenartige Gebäude mit Brandwand zum Grundstück der Beigeladenen prägt die Umgebung und den bodenrechtlichen Charakter des Vorhabengrundstücks nicht und kann daher hier außer Acht gelassen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2009 - BVerwG 4 B 50.08 -, BauR 2009, 1564, juris Rn. 6 m.w.N.; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 14. März 2012 - OVG 10 N 34.10 -, juris Rn. 12).

Dass der Senat damit allein den südlichen Bereich des Straßenviertels als maßgebliche nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB berücksichtigt, führt nicht dazu, dass zu Unrecht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen würde, die gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft oder dem unmittelbaren Nahbereich des Baugrundstücks liegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1974 - BVerwG IV 4 C 77.73 -, NJW 1975, 460, juris Rn. 15). Vielmehr wird als nähere Umgebung des Bauvorhabens ein größerer, aus einer Reihe von Flurstücken bestehender Bereich als maßgeblich erachtet, auf die sich die Ausführung des Vorhabens auswirkt und die ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Vorhabengrundstücks prägt und beeinflusst. Für die Beurteilung, ob sich ein Vorhaben in Bezug auf die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, ist auch entscheidend, ob und in welcher Tiefe Gebäude im Blockinneren bereits vorhanden sind und ob es sich dabei um Hauptgebäude oder Nebengebäude handelt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 1986 - BVerwG 4 B 7.86 u.a.-, NVwZ 1986, 740, juris Rn. 3). Nach dem im Ortstermin gewonnenen Eindruck wirken die im nördlichen Bereich des Straßenviertels im Blockinneren vorhandenen Seitenflügel, Quergebäude und Remisen nicht mehr prägend auf den bodenrechtlichen Charakter des Vorhabengrundstücks im südlichen Teil des Straßenviertels ein. Zum einen werden die Bereiche durch eine relativ hohe fünfgeschossige Bebauung im Blockinnern auf den Flurstücken und optisch vollständig voneinander getrennt. Zum anderen besteht durch die unterschiedlichen baulichen Strukturen eine hinreichende städtebauliche Trennlinie, die eine wechselseitige prägende Auswirkung ausschließt. Auch umgekehrt hat die unbebaute Grundstücksfläche im südlichen Blockinnenbereich keine prägende Auswirkung für die Bebauung im nördlichen Blockinnenbereich des Straßenviertels.

Substanzielle Anhaltspunkte dafür, dass der bodenrechtliche Charakter des Vorhabengrundstücks darüber hinaus auch durch eine vorhandene Bebauung im Blockinneren jenseits des Straßenviertels Kollwitz-, Belforter-, Diedenhofer- und Knaackstraße geprägt wird, haben weder der Beklagte noch die Beigeladene dargetan. Eine solche Betrachtung wäre allenfalls dann anzustellen, wenn es in der Umgebung jenseits der vier vorgenannten Straßen mehr oder weniger gang und gäbe wäre, dass in von der Blockrandbebauung umschlossenen Flächen Seitenflügel oder Quergebäude mit Hauptnutzungen stehen (vgl. in diese Richtung zur Hinterlandbebauung BVerwG, Urteil vom 21. November 1980 - BVerwG 4 C 30.78 -, DVBl. 1981, 100, juris Rn. 20). Eine solche durchgängige Baustruktur ist hier aber nicht ersichtlich, denn im Ortstermin ist geklärt worden, dass auch im Blockinnenbereich des Straßenviertels Knaack-, Kolmarer-, Mühlhauser Straße und Prenzlauer Allee sowie im Straßenviertel Prenzlauer Allee, Belforter-, Straßburger und Metzer Straße zusammenhängende unbebaute Flächen vorhanden sind (vgl. auch Auszug aus dem Liegenschaftskataster vom 24.10.2012, Beiakte zu Bl. 415 d.A.).

Auch der Einwand des Beklagten, die Beschränkung der näheren Umgebung auf den südlichen Bereich des Straßenviertels sei nicht gerechtfertigt, da dieser und der nördliche Bereich nicht durch eine Straße entkoppelt seien, vermag nicht zu überzeugen. Das Fehlen einer Straße als Trennlinie führt - wie ausgeführt - nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht dazu, dass eine benachbarte Bebauung stets als nähere Umgebung anzusehen wäre.

(2) Auf der Grundlage des dargestellten rechtlichen Maßstabes und der im Ortstermin vom 12. Dezember 2012 getroffenen tatrichterlichen Feststellungen, der gefertigten bzw. herangezogenen Lichtbilder sowie der Auswertung der beigezogenen Flurkarte hält das Vorhaben der Beigeladenen zur Errichtung des Seitenflügels im rückwärtigen Bereich des Grundstücks Kollwitzstraße nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, den aus seiner Umgebung im südlichen Bereich des in Rede stehenden Straßenviertels hervorgehenden Rahmen nicht ein. Zwar ist dort straßenseitig zur Kollwitz-, Belforter-, Diedenhofer- und Knaackstraße, abgesehen von der Öffnung zwischen den Gebäuden Diedenhofer Straße und , eine ohne seitliche Grenzabstände errichtete Blockrandbebauung vorhanden. Ein Vorhaben muss aber - wie ausgeführt - den aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmen nicht nur nach der Bauweise, sondern grundsätzlich auch nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, einhalten. Trotz der geschlossenen Bauweise am Blockrand dürfen Gebäude hinsichtlich der Bebauungstiefe nur insoweit ohne Abstandsflächen an die Grenze gebaut werden, als sich das Vorhaben im rückwärtigen Blockinnenbereich noch innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche hält. Eine faktische hintere Baugrenze darf daher nicht überschritten werden (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO). Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 16. November 2010 im vorläufigen Rechtsschutzverfahren (OVG 10 S 31.10, juris Rn. 14) angenommen hat, kann hier aus der tatsächlich vorhandenen Bebauung und den dahinter liegenden unbebauten Grundstücksflächen im Inneren des Blocks eine faktische hintere Baugrenze abgeleitet werden. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass für die Feststellung einer faktischen Baugrenze hinreichende Anhaltspunkte für eine städtebaulich verfestigte Situation bestehen müssen (a.a.O., Rn. 11). Die tatsächlich vorhandene Bebauung und die daraus folgende Baugrenze zu einer nicht überbaubaren Grundstücksfläche darf kein bloßes „Zufallsprodukt“ ohne eigenen städtebaulichen Aussagewert sein. Dies folgt auch daraus, dass die Feststellung einer faktischen Baugrenze mit einer dahinterliegenden, mit Hauptanlagen nicht überbaubaren Grundstücksfläche eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) ist, die auch im Rahmen der gesetzlichen Grundlage des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einer Rechtfertigung bedarf (vgl. dazu Fickert/Fieseler/Determann/Stühler, BauNVO, 11. Aufl., 2008, § 23 Anm. 3.1). Nach den Feststellungen im Ortstermin, die insbesondere durch das als Anlage zum Protokoll gegebene Luftbild (Bl. 435 d.A.) und den beigezogenen Flurkartenauszug vom 24. Oktober 2012 bestätigt werden, besteht im südlichen Bereich des Straßenviertels im Blockinneren hinter den Gebäuden der Blockrandbebauung mit gewissen baulichen Vorsprüngen, die in geringem Ausmaß zu einem Vortreten von Gebäudeteilen führen, eine faktische Baugrenze. Sie verläuft hinter den Gebäuden Kollwitzstraße , Belforter Straße sowie Diedenhofer Straße und . Damit ist die bauliche Tiefe der tatsächlichen Bebauung mit Hauptanlagen im südlichen Teil des Blockes umlaufend beschränkt. Hinter dieser Baugrenze ist im Blockinneren tatsächlich eine grundstücksübergreifende, im räumlichen Zusammenhang stehende, unbebaute Grundstücksfläche vorhanden, die als Grün- und Freifläche bzw. als parkähnliche Anlage mit Bäumen und Wegen genutzt wird. Auf der unbebauten Grundstücksfläche im Blockinneren sind, abgesehen von dem streitigen, im Rohbau befindlichen Vorhaben der Beigeladenen, keine Hauptanlagen, insbesondere Seitenflügel oder Quergebäude, vorhanden. Auch die im Lageplan vom 4. September 2009 zum Vorhaben der Beigeladenen eingezeichnete unterirdische Tiefgarage auf dem Flurstück ist nach den Feststellungen im Ortstermin nicht vorhanden.

Der Feststellung einer faktischen Baugrenze mit dahinterliegenden unbebauten Grundstücksflächen im Blockinneren steht auch nicht entgegen, dass ein Geländesprung mit einem Niveauunterschied von ca. 2 m vorhanden ist, der derzeit durch eine Ziegelmauer zwischen den tiefer gelegenen Grundstücken an der Kollwitzstraße und den höher gelegenen Grundstücken an der Diedenhofer Straßen und abgegrenzt wird. Die Feststellung einer faktischen Baugrenze mit einer dahinterliegenden nicht überbaubaren Grundstücksfläche setzt nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht voraus, dass die unbebauten Flächen genau auf dem gleichen Geländeniveau liegen. Die der unbebauten Grundstücksfläche zukommende städtebauliche Funktion als Freifläche wird nämlich nicht von dem - mit ca. 2 m Höhe zudem relativ geringen - Niveauunterschied in Frage gestellt, zumal dieser nach den Eindrücken im Ortstermin keine Geländekante von solcher Wirkung ist, dass er die im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang stehenden unbebauten Grundstücksflächen voreinander entkoppeln würde.

Schließlich steht der Ableitung einer faktischen Baugrenze auch der Einwand der Beigeladenen nicht entgegen, dass früher im Inneren des südlichen Straßenblocks Seitenflügel vorhanden gewesen seien, die baulich vollständig heruntergekommen gewesen und abgerissen worden seien, weil sie mit den Mitteln der damaligen DDR nicht mehr hätten saniert werden können.

Der beseitigte Altbestand an Seitenflügeln im südlichen Blockinnenbereich des Straßenviertels steht der Feststellung einer Baugrenze und der Annahme einer nicht überbaubaren Grundstücksfläche im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB nicht entgegen, weil diese Gebäude seit längerem nicht mehr vorhanden sind und damit ihre prägende Kraft verloren haben.

Wie erwähnt, ist bei der Bestimmung des sich aus der vorhandenen Bebauung der näheren Umgebung ergebenden Maßstabes grundsätzlich alles in den Blick zu nehmen, was in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist (BVerwG, Beschluss vom 16. Juni 2009 - BVerwG 4 B 50.08 -, BauR 2009, 1564, juris Rn. 6). Dabei verliert ein Altbestand, der vernichtet oder eine Nutzung, die aufgegeben worden ist, nicht automatisch die prägende Kraft, von der § 34 Abs. 1 BauGB es abhängen lässt, wie weit der Bezugsrahmen reicht. Die Prägung dauert fort, solange mit einer Wiederbebauung oder einer Wiederaufnahme der Nutzung zu rechnen ist. Innerhalb welcher zeitlichen Grenzen Gelegenheit besteht, an die früheren Verhältnisse wieder anzuknüpfen, richtet sich nach der Verkehrsauffassung (BVerwG, Urteil vom 27. August 1998 - BVerwG 4 C 5.98 -, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr.190, juris Rn. 22; Beschluss vom 16. Juni 2009, a.a.O., juris Rn. 9). Zur Bestimmung der Verkehrsauffassung kann als Orientierungshilfe das zu § 35 Abs. 4 Nr. 3 BauGB entwickelte Zeitmodell herangezogen werden (Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 11. Aufl. 2009, § 34 Rn. 14 m.w.N). Im ersten Jahr nach der Zerstörung eines Bauwerks rechnet die Verkehrsauffassung stets mit dem Wiederaufbau. Eine Einzelfallprüfung erübrigt sich. Im zweiten Jahr nach der Zerstörung spricht für die Annahme, dass die Verkehrsauffassung einen Wiederaufbau noch erwartet, eine Regelvermutung, die im Einzelfall jedoch entkräftet werden kann, wenn Anhaltspunkte für das Gegenteil vorhanden sind. Nach Ablauf von zwei Jahren kehrt sich diese Vermutung um. Es ist davon auszugehen, dass die Grundstückssituation nach so langer Zeit für eine Neuerrichtung nicht mehr offen ist. Der Bauherr hat besondere Gründe dafür darzulegen, dass die Zerstörung des Gebäudes noch keinen als endgültig erscheinenden Zustand herbeigeführt hat (BVerwG, Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 -, BVerwGE 98, 235, juris Rn. 15).

Demnach war hier nach der Verkehrsauffassung mit einer Wiedererrichtung der Seitenflügel nicht mehr zu rechnen. Vielmehr ist nach den Umständen des Falles davon auszugehen, dass die Grundstückssituation nach so langer Zeit für eine Neuerrichtung nicht mehr offen ist. Die Beseitigung der Seitenflügel im südlichen Blockinnenbereich erfolgte zu einem geringen Teil durch Kriegseinwirkungen im Zweiten Weltkrieg, überwiegend aber durch eine geplante bauliche Blockentkernung in den 60er und 70er Jahren, jedenfalls aber vor dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990. Zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung lag die Beseitigung der Seitenflügel seit der Wiedervereinigung 19 Jahre zurück. Die historische Entwicklung der Bebauung, die sich aus den beigezogenen Grundstücksakten und den von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen aus einer Gesamtschau ableiten lässt, zeigt überdies, dass die bestehende faktische Baugrenze mit den dahinterliegenden unbebauten Grundstücksflächen im Blockinnenbereich kein bloßes Zufallsprodukt oder eine bloße Momentaufnahme ist, sondern eine städtebaulich verfestigte Situation darstellt. Aus der zur Gerichtsakte gereichten Karte von Berlin betreffend die Bebauung in den Jahren 1894 bis 1898 geht hervor, dass der Blockinnenbereich des südlichen Straßenviertels auf den Grundstücken Kollwitzstraße Belforter Straße und Diedenhofer Straße bis auch mit Seitenflügeln bebaut war, die während des Zweiten Weltkrieges teilweise Kriegseinwirkungen ausgesetzt waren. Eine geplante und damit nicht zufällige städtebauliche Entwicklung begann mit der Errichtung der Wohngebäude Diedenhofer Straße und auf der Grundlage von Baugenehmigungen der staatlichen Bauaufsicht von Großberlin vom 24. Mai 1957. Diese Neubauten traten an die Stelle der durch Kriegseinwirkungen beeinträchtigten Gebäude und Seitenflügel. Aus dem vom Chefarchitekten der Meisterwerkstatt Städtebau erstellten Plan vom 3. Januar 1957 geht hervor, dass der Blockinnenbereich des Flurstücks bewusst unbebaut belassen und dort die noch heute vorhandene relativ große Freifläche mit einer parkähnlichen Anlage, Bäumen und Wegen angelegt wurde. Die Neubebauung erfolgte, worauf der Beklagte selbst unbestritten hingewiesen hat, nach einem „Typenprojekt“, das auch an verschiedenen anderen Stellen in Ostberlin mit nicht überbauten Öffnungen der Blockinnenbereiche zu den Straßen verwirklicht wurde (u.a. Beiakte zu Bl. 354 d.A., Anlage 18). Die damit eingeleitete Entwicklung zu einer mehrere Grundstücke umfassenden unbebauten Grundstücksfläche im Blockinnenbereich setzte sich in den 60er und 70er Jahren fort. Der auf dem Grundstück der Beigeladenen stehende Seitenflügel wurde bereits in den 60er Jahren bis auf einen ca. 2 m breiten Reststummel abgetragen. Auch der auf dem Grundstück der Klägerin ursprünglich befindliche Seitenflügel wurde mit Zustimmung der Abteilung Stadtplanung des Stadtbezirks Prenzlauer Berg vom 20. Februar 1973 abgerissen. Diese Entscheidung erfolgte, wie aus dem Dokument ersichtlich ist, „unter dem Aspekt der städtebaulichen Entkernung“. Auch dies zeigt, dass die hohe Bebauungsdichte aufgrund der gründerzeitlichen Blockrandbebauung mit rückwärtigen Seitenflügeln durch eine planvolle Entkernung des Blockinnenbereichs vermindert wurde. Nach dem unbestrittenen Vorbringen der Klägerin sind jedenfalls vor dem 3. Oktober 1990 auch der südliche Seitenflügel auf dem Grundstück Kollwitzstraße und der Seitenflügel auf dem Grundstück Belforter Straße abgerissen worden. Auf der Grundlage des Gesamtergebnisses dieser Entwicklung ist davon auszugehen, dass die genannte faktische Baugrenze mit der dahinterliegenden unbebauten Grundstücksfläche im Blockinneren zwar nicht das Ergebnis einer rechtlichen Bauleitplanung ist, es aber gleichwohl gerechtfertigt ist, sie im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB als städtebaulich hinreichend verfestigte Situation zu berücksichtigen.

Auch der Einwand der Beigeladenen, dass das Vorhabengrundstück im rückwärtigen Bereich ursprünglich mit einer Garage und zwei Carports bebaut und überwiegend versiegelt gewesen sei und auf dem Hof des Grundstücks der Klägerin früher zwei Garagen gestanden hätten, steht der Feststellung einer faktischen Baugrenze mit dahinterliegenden, nicht überbauten Grundstücksflächen nicht entgegen. Dies folgt schon daraus, dass es für die Feststellung einer faktischen hinteren Baugrenze und einer nicht überbauten Grundstücksfläche auf die vorhandenen Hauptanlagen (Hauptgebäude), nicht dagegen auf die Nebenanlagen ankommt, denen insoweit die maßstabbildende Kraft fehlt (OVG Bln, Urteil vom 1. Dezember 2004 - OVG 2 B 14.03 -, BRS 67, Nr. 69, juris Rn. 16; Beschluss vom 30. Juli 2004 - OVG 2 N 222.04 -, GE 2004, 1103; OVG LSA, Beschluss vom 12. November 2010 - 2 M 142.10 -, BauR 2011, 667, juris Rn. 15). Nebenanlagen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie der Hauptanlage funktionell zugeordnet und ihr räumlich-gegenständlich („optisch") untergeordnet sind (BVerwG, Beschluss vom 17. September 1985 - BVerwG 4 B 167.85 -, Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 107, juris Rn. 4). Für die räumliche Lage von Nebenanlagen sieht das Bauplanungsrecht zudem gewisse Erleichterungen vor. So regelt § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO, dass - wenn im Bebauungsplan nichts anderes festgesetzt ist - auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen Nebenanlagen im Sinne des § 14 BauNVO zugelassen werden können. Auch Garagen können nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO in Verbindung mit den landesrechtlichen Vorschriften über die Zulässigkeit von baulichen Anlagen in den Abstandsflächen, also der bauordnungsrechtlichen Regelung über die Zulässigkeit von Grenzgaragen, hier § 6 Abs. 7 Nr. 1 BauO Bln, zugelassen werden (vgl. Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB, BauNVO, 4. Aufl. 2005, § 23 BauNVO, Rn. 13). Eine Bebauung nicht überbaubarer Grundstücksflächen mit Hauptgebäuden ist deshalb unzulässig, auch wenn in diesem Bereich auf den umliegenden Grundstücken Nebenanlagen oder Garagen vorhanden sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. November 1997 - BVerwG 4 B 172.97 -, NVwZ-RR 1998, 539, juris Rn. 6; Beschluss vom 28. September 1988 - BVerwG 4 B 175.88 -, NVwZ-RR 1989, 354, juris Rn. 4). Dass auf dem Vorhabengrundstück und auf der rückwärtigen Grundstücksfläche der Klägerin ursprünglich Garagen und Carports vorhanden waren und auf dem Grundstück der Klägerin nach den Feststellungen im Ortstermin ein 2 x 2 m großer Gartenschuppen als untergeordnete Nebenanlage vorhanden ist, steht damit der Annahme einer nicht überbaubaren Grundstücksfläche nicht entgegen und lässt entgegen der Auffassung der Beigeladenen nicht den Schluss zu, dass eine rückwärtige Bebauung des Vorhabengrundstücks mit einem Seitenflügel als Hauptgebäude zulässig wäre.

Der Feststellung einer faktischen Baugrenze, die im Blockinneren hinter den straßenseitigen Gebäuden der Blockrandbebauung mit gewissen baulichen Vorsprüngen verläuft, steht auch das Vorbringen der Beigeladenen nicht entgegen, es bestehe eine Baugenehmigung für die Schließung der „Baulücke“ zwischen den Gebäuden Diedenhofer Straße und durch ein zusätzliches Wohnhaus mit Tiefgarage.

Selbst wenn man zugunsten der Beigeladenen unterstellt, dass trotz der Versagung der Verlängerung der Baugenehmigung aus dem Jahre 2003 für die bauliche Anlage Diedenhofer Straße in Folge des anhängigen Widerspruchverfahrens oder eines neuen Bauantrags möglicherweise künftig einmal eine Bebauung entstehen könnte, wäre dies bereits aus rechtlichen Gründen für die obige Feststellung einer faktischen Baugrenze unerheblich. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass es im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB auf die vorhandene und nicht auf eine möglicherweise demnächst entstehende Bebauung in der Umgebung ankommt. Künftige bauliche Entwicklungen wären nur dann von Bedeutung, wenn sich diese bereits in der vorhandenen Bebauung niederschlagen (Urteil vom 26. Mai 1978 - BVerwG IV C 9.07 -, BVerwGE 55, 369, juris Rn. 34; Urteil vom 29. November 1974 - BVerwG IV C 10.73 -, BauR 1975, 106, juris Ls. 1). Da mit der Bauausführung des Vorhabens Diedenhofer Straße noch nicht begonnen wurde und eine solche Bebauung auch in der vorhandenen Bebauung keinen Niederschlag gefunden hat, ist sie im Rahmen der hiesigen Betrachtung des § 34 Abs. 1 BauGB unmaßgeblich. Mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Bebauung des Grundstücks Diedenhofer Straße 10 trotz der noch nicht bestandskräftigen Versagung der Verlängerung der Baugenehmigung aus dem Jahre 2003 in Aussicht steht, spielt daher in diesem Rechtsstreit schon aus Rechtsgründen keine Rolle (BVerwG, Urteil vom 29. November 1974, a.a.O., S. 108).

Der Rechtsstreit gibt keine Veranlassung, über die vorgenannten Feststellungen hinaus im Berufungsverfahren abschließend zu klären, ob die vom Senat im summarischen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (OVG 10 S 31.10, juris Rn. 12) der Sache nach geäußerte und von dem Beklagten und der Beigeladenen vor allem aus tatsächlichen Gründen angegriffene zusätzliche Erwägung zutrifft, wonach „ein weiteres Indiz“ für den städtebaulichen Zusammenhang der begrünten Blockinnenbereiche im Baublock Kolmarer Straße/Ecke Mühlhauser Straße und im Baublock Straßburger Straße/Ecke Belforter Straße mit der zentralen öffentlichen Grünfläche am Wasserturmplatz und wiederum mit den unbebauten Grundstücksflächen im Blockinneren des Straßenviertels Kollwitz-, Belforter-, Diedenhofer- und Knaackstraße deshalb bestehe, weil die gärtnerische Anlegung der privaten Grünflächen in den Baublöcken Kolmarer Straße/Ecke Mühlhauser Straße und Straßburger Straße/Ecke Belforter Straße die charakteristische Rotunde in der Mitte des zentralen Platzes am Wasserturm in eigener Weise gestalterisch aufgreife und quasi wiederhole. Zumindest eine optisch sichtbare gestalterische Bezugnahme der vorgenannten Blockinnenbereiche zu der unbebauten Grundstücksfläche in dem Blockinnenbereich, in dem das Vorhaben der Beigeladenen verwirklicht werden soll, kann auf der Grundlage des von dem Berichterstatter des Berufungsverfahren durchgeführten Ortstermins jedenfalls insoweit nicht bestätigt werden, als durch das rund 11 Meter hohe Plateau des Bau- und Gartendenkmals Wasserturmplatz keine Sichtbeziehung zwischen den Blockinnenbereichen der Baublöcke Kolmarer Straße/Mühlhauserstraße/Knaackstraße und Prenzlauer Alle sowie Straßburger Straße/Belforter Straße/Metzer Straße und Kollwitzstraße und dem für das Vorhaben relevanten Innenbereich des Straßenviertels Kollwitz-, Belforter-, Diedenhofer- und Knaackstraße besteht. Dieser Umstand ist aber im Ergebnis für den Ausgang des Rechtsstreits unerheblich, denn, wie ausgeführt, kann im südlichen Bereich des Straßenviertels Kollwitz-, Belforter-, Diedenhofer- und Knaackstraße schon für sich genommen hinter den straßenseitigen Gebäuden der Blockrandbebauung eine faktische Baugrenze abgeleitet werden, die vom Vorhaben der Beigeladenen überschritten wird, weshalb sich das Vorhaben nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält.

Im Ortstermin bestätigt hat sich hingegen die Erwägung des Senats im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, dass zwischen den Gebäuden Diedenhofer Straße und eine nicht überbaute Öffnung besteht, die auf der erwähnten Planung der Architekten der Meisterwerkstatt Städtebau aus dem Jahre 1957 beruht und damit eine Sichtbeziehung zwischen der grundstücksübergreifenden unbebauten Freifläche im Innenbereich des Straßenviertels, in dem das Vorhaben verwirklicht werden soll, und dem Böschungsbereich der öffentlichen Grünfläche des Bau- und Gartendenkmals Wasserturmplatz besteht. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass die oben festgestellte Baugrenze und die hinter ihr liegenden unbebauten Grundstücksflächen kein Zufallsprodukt ohne eigenen städtebaulichen Aussagewert sind, sondern dass es sich um geplante, mit den Freiflächen am Wasserturmplatz im Zusammenhang stehende unbebaute Grundstücksflächen handelt, denen auch auf Grund der vorhandenen Sichtbeziehung zum und vom Wasserturmplatz städtebauliche Funktion zukommt.

(3) Das Vorhaben der Beigeladenen, fügt sich nicht nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein.

Die Feststellung, dass das Vorhaben der Beigeladenen im rückwärtigen Bereich des Vorhabengrundstücks nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, den aus ihrer Umgebung ableitbaren Rahmen überschreitet, erschöpft allerdings die Möglichkeiten des „Einfügens" nicht. Auch Vorhaben, die den aus ihrer Umgebung ableitbaren Rahmen überschreiten, können sich dennoch in diese Umgebung einfügen. Beim „Einfügen" geht es weniger um „Einheitlichkeit" als um „Harmonie". Das Gebot des „Einfügens" soll nicht als starre Festlegung auf den gegebenen Rahmen allen individuellen Ideenreichtum blockieren, es zwingt nicht zur Uniformität (BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 - BVerwG IV C 9.77 -, Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 63, juris Rn. 47). Ein Vorhaben fügt sich aber nicht im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wenn es, bezogen auf die in dieser Vorschrift genannten Kriterien, den aus der Umgebung ableitbaren Rahmen überschreitet und geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche bewältigungsbedürftige Spannungen zu begründen oder zu erhöhen. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn das Vorhaben selbst oder sei es infolge seiner Vorbildwirkung die vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise verschlechtert, stört oder belastet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. März 1999 - BVerwG 4 B 15.99 -, BauR 2000, 245, juris Rn. 5; Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand: 1. September 2012, § 34 Rn. 30 m.w.N.).

Eine solche Situation ist beim Bauvorhaben der Beigeladenen gegeben. Die Errichtung des Seitenflügels im rückwärtigen Bereich des Vorhabengrundstücks hinter der faktischen Baugrenze ist geeignet, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen, und verschlechtert die im südlichen Bereich des Straßenviertels vorhandene Situation in bauplanungsrechtlich relevanter Weise, weil die nicht überbauten Grundstücksflächen im Blockinneren gleichsam in Bewegung geraten. Infolge einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung besteht die Gefahr, dass auch auf weiteren Grundstücken im rückwärtigen Bereich Seitenflügel errichtet werden und im Folgenden nach und nach die unbebaute Fläche im Blockinneren des Straßenviertels verloren geht, was trotz der städtebaulich gewünschten Innenentwicklung in Städten angesichts des gegebenen strukturellen Freiflächendefizits in diesem verdichteten Bereich des Ortsteils Prenzlauer Berg (vgl. u.a. Senat von Berlin, Vorlage zur Zehnten Verordnung zur Änderung von Verordnungen über die förmliche Festlegung von Sanierungsgebieten - Stadt IV C 1/IV C 16 -, S. 23) die städtebauliche Situation verschlechtern würde. Die vorhandene Mischung von Bebauung und unbebauten Flächen im südlichen Teil des Straßenviertels könnte entfallen, obwohl nach der beigezogenen städtebaulichen Stellungnahme in dem Gebiet eine mittelschwere Beeinträchtigung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse vorliegt (vgl. S.T.E.R.N., Städtebauliche Stellungnahmen zur Ermittlung des Ausgleichbetrages gemäß § 154 BauGB nach Aufhebung des Sanierungsgebietes Kollwitzplatz gemäß § 162 BauGB, S. 9 und 31).

(4) Ein Einfügen des Vorhabens in die Eigenart der näheren Umgebung nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, kann hier auch nicht aus dem Gesichtspunkt hergeleitet werden, dass das streitige Gebäude der Beigeladen im Wege einer Befreiung oder einer Abweichung rechtmäßig zugelassen werden könnte (vgl. dazu Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB, BauNVO, 4. Aufl. 2005, § 34 Rn. 97 m.w.N.). Die Beigeladene hat einen Anspruch auf eine Befreiung oder eine Abweichung nicht dargetan und ein solcher ist auch sonst nicht ersichtlich.

Eine Befreiung von den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, insbesondere von dem hier nicht gegebenen Einfügenserfordernis, ist nicht möglich. Das Baugesetzbuch kennt die Möglichkeit der Gewährung von Befreiungen im Einzelfall nur bei Bebauungsplänen (§ 31 Abs. 2 BauGB, vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand 1. September 2012, § 34 Rn. 29; BVerwG, Urteil vom 4. Mai 1979 – BVerwG IV C 23.76 -, DÖV 1979, 675, juris Rn. 19). Das Vorhaben der Beigeladenen an der Grundstücksgrenze der Klägerin kann auch nicht durch die Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften des § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln nach § 68 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln rechtmäßig realisiert werden. Unabhängig davon, dass die Beigeladene keinen schriftlichen Abweichungsantrag gestellt hat (vgl. § 68 Abs. 2 Satz 1 BauO), scheitert eine solche bereits daran, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 68 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln nicht vorliegen. Danach kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen u.a. von Anforderungen dieses Gesetzes zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des § 3 Abs. 1 BauO Bln, vereinbar sind. Nach der durch den Landesgesetzgeber vorgenommenen Verkürzung des Abstandsmaßes von 1 H auf 0,4 H gewährleistet § 6 BauO Bln nur noch einen bauordnungsrechtlich zu sichernden Mindeststandard. Abstandsflächenvorschriften dürfen daher lediglich in atypischen Situationen durch die Anwendung von § 68 BauO Bln ergänzt, nicht aber grundsätzlich relativiert werden. Die Abstandsflächenvorschrift regelt in typischen Situationen zugleich den Umfang dessen, was im Hinblick auf die nachbarlichen Belange zumutbar ist. Eine Abweichung von Abstandsflächenvorschriften ist daher nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen einer atypischen Grundstückssituation zulässig (OVG Bln-Bbg, Beschlüsse vom 19. Dezember 2012 - OVG 2 S 44.12 -, juris Rn. 3; und vom 27. Februar 2013 - OVG 2 S 59.12 -, juris m.w.N.; Reimus/Semtner/Langer, BbgBO, 3. Aufl. 2009, § 60 Rn. 9, Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, BauO Bln, 6. Aufl. 2008, § 68 Rn. 18, wonach Abweichungen nur in Sonderfällen zulässig sind). Daran fehlt es bei dem rückwärtigen Bereich des Vorhabengrundstücks der Beigeladenen.

2. Die Klägerin ist durch die angefochtene Baugenehmigung für die Errichtung des Seitenflügels nebst Quergebäude auch in ihren Rechten verletzt, weshalb diese gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben ist.

a. Die Baugenehmigung verstößt zu Lasten der Klägerin gegen die Nachbarschutz vermittelnde landesrechtliche Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln. Die dortige Regelung über Abstandsflächen dient neben den städtebaulichen Interessen auch dem Schutz des Nachbarn und ist damit drittschützend. Dem Nachbarn steht grundsätzlich bei jedem Verstoß ein Abwehrrecht zu, und zwar unabhängig davon, ob durch die Unterschreitung der erforderlichen Abstandsflächen eine tatsächliche Beeinträchtigung bewirkt wird (vgl. u.a. OVG Bln, Urteil vom 11. Februar 2003 - OVG 2 B 16.99 -, juris Rn. 29; Reimus/Semtner/Langer, BbgBO, 3. Aufl. 2009, § 6 Rn. 5; Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, BauO Bln, 6. Aufl. 2008, § 6 Rn. 69 m.w.N.).

b. Die Baugenehmigung für die Errichtung eines Seitenflügels nebst Quergebäude ist vollständig aufzuheben. Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt ein Verwaltungsakt der Aufhebung zwar nur, soweit die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist. Die Aufhebung nur eines Teils der Baugenehmigung scheidet hier aber aus.

Voraussetzung für eine Teilaufhebung wäre, dass der angefochtene Verwaltungsakt materiell-rechtlich teilbar ist. Das ist der Fall, wenn die rechtlich unbedenklichen Teile nicht in einem untrennbaren inneren Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Teil stehen, sondern als selbständige Regelungen weiter existieren können, ohne ihren ursprünglichen Bedeutungsgehalt zu verändern (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. August 1992 - BVerwG 4 C 13.91 -, NVwZ-RR 1993, 225, juris Rn. 17). Fehlt eine Teilbarkeit der Baugenehmigung, scheidet ihre teilweise Aufhebung im Gerichtsverfahren aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2008 - BVerwG 4 B 60.07-, NVwZ 2008, 786, juris Rn. 18; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 27. Februar 2013 - OVG 2 S 59.12 -, juris).

Wie der Senat im vorläufigen Rechtsschutzverfahren bereits angenommen hat (OVG 10 S 31.10, juris Rn. 15), scheidet eine Teilaufhebung der Baugenehmigung vom 23. November 2009 in Anwendung der vorgenannten Grundsätze aus, weil der angefochtene Verwaltungsakt nicht teilbar ist. Die Baugenehmigung stellt nach § 71 Abs. 1 BauO Bln die bauaufsichtliche Zulassung für das (Gesamt-) Bauvorhaben dar, nämlich den Neubau eines Gebäudes bestehend aus einem Seitenflügel und einem Quergebäude und nicht eine Zusammenfassung von Einzelgenehmigungen für verschiedene Bauteile. Dementsprechend hatte der Beklagte zu prüfen, ob dem Bauvorhaben in seiner Gesamtheit keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen (vgl. § 64 BauO Bln), was gegen die Teilbarkeit der hier in Rede stehenden Genehmigung spricht. Hinzu kommt, dass der die Nachbarrechte verletzende rechtswidrige Teil des an der Grundstücksgrenze errichteten Seitenflügels mit den anderen Teilen des Gebäudes in einem untrennbaren inneren Zusammenhang steht. Aufgrund der sich aus den Bauvorlagen ergebenden baulichen Situation bilden die ersten beiden Geschosse des Seitenflügels zusammen mit dem zweigeschossigen Quergebäude ein zusammenhängendes Gebäude, das nach seiner baulichen Gestaltung nicht teilbar ist. Der Senat würde bei einer auf den Seitenflügel beschränkten Teilaufhebung der Baugenehmigung einen Gebäudetorso für ein weder bautechnisch noch nach der von der Beigeladenen bestimmten Funktion abteilbares Gebäudes „übrig lassen“. Gegen die Teilbarkeit der Baugenehmigung spricht zudem der Umstand, dass auch das Quergebäude kein rechtlich unbedenklicher Gebäudeteil ist, weil er nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB unzulässig auf einer nicht überbaubaren Grundstückfläche errichtet werden soll.

3. Da die angefochtene Baugenehmigung wegen eines Verstoßes gegen § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 BauO Bln rechtswidrig ist und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist, kann der Senat offen lassen, ob die Errichtung des Gebäudes der Beigeladenen mit einer 20,97 Meter langen und teilweise auch relativ hohen Außenwand des Seitenflügels an der Grenze zum Grundstück der Klägerin darüber hinaus das im Begriff des Einfügens im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB enthaltene Rücksichtnahmegebot (vgl. dazu näher BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1986 - BVerwG 4 C 34.35 -, NVwZ 1987, 34, juris Rn. 15; Beschluss vom 11. Januar 1999 - BVerwG 4 B 112.98 -, NVwZ 1999, 879, juris Rn. 6; Urteil vom 20. Dezember 2012 - BVerwG 4 C 11.11 -, juris Rn. 32; Gaentsch, ZfBR 2009, 321 [325 f.]) verletzt.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.