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Anschlussbeitrag; Grundsatz der konkreten Vollständigkeit; Maßstab; Anzahl der Vollgeschosse; Nichtigkeit der Satzung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 30.09.2011
Aktenzeichen OVG 9 N 62.11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 8 KAG BB, § 2 Abs 1 S 2 KAG BB

Tenor

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 10. Juni 2011 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Beklagte.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.892,75 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Mit Bescheid vom 30. September 2009 forderte der Beklagte von den Klägern für ihr Grundstück einen Abwasserbeitrag in Höhe von 5.892,75 Euro. Der Widerspruch der Kläger wurde mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2010 zurückgewiesen. Der danach erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 10. Juni 2011 stattgegeben und den Beitragsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben, weil keine wirksame Beitragssatzung existiere. Das Urteil ist dem Beklagten am 20. Juni 2011 zugestellt worden. Er hat am 28. Juni 2011 die Zulassung der Berufung beantragt und am 22. August 2011, einem Montag, seinen Antrag begründet.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, sind nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Berufung ist nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO nur zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO dargelegt ist und vorliegt. Danach ist die Berufung hier nicht zuzulassen.

1. Die Darlegungen des Beklagten wecken keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der angegriffene Bescheid überwiegend wahrscheinlich rechtswidrig sei, weil ihm die Grundlage einer wirksamen Beitragssatzung fehle.

Soweit die Berufungszulassungsbegründung geltend macht, der Verband habe zwischenzeitlich eine neue Beitragssatzung (Abwasserbeitragssatzung vom 17. August 2011 - ABS 2011) erlassen, mit der die Beanstandungen des Verwaltungsgerichts berücksichtigt worden seien, kommt es darauf vorliegend nicht an. Diese am Tag nach ihrer öffentlichen Bekanntmachung in Kraft gesetzte Satzung (§ 17 Abs. 1 ABS 2011) entfaltet für den Beitragsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides, nachdem beide Bescheide bereits vor Inkrafttreten der Satzung erlassen worden sind, keine Wirkung (vgl. Urteil des Senats vom 9. September 2009 - 9 B 60.08 -, Juris Rn. 13).

Die zuvor erlassene Abwasserbeitragssatzung vom 19. August 2009 (ABS 2009) ist unwirksam. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend von dem Grundsatz ausgegangen, dass im Anschlussbeitragsrecht der Satzungsgeber den Verteilungsmaßstab für alle im Versorgungsgebiet in Betracht kommenden Anwendungsfälle regeln muss (Grundsatz der konkreten Vollständigkeit; vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Loseblatt-Kommentar, Stand: März 2011, § 8 Rn. 666); ohne vollständige Maßstabsregelung fehlt der Satzung der nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG notwendige Mindestgehalt mit der Folge ihrer Ungültigkeit insgesamt (vgl. OVG Brandenburg, Beschluss vom 15. September 2004 - 2 B 31/04 -, S. 5 EA). Letzteres hat das Verwaltungsgericht für die ABS 2009 zu Recht angenommen.

Denn das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung u.a. tragend damit begründet, dass ein Maßstabsfehler der ABS 2009 vorliege, weil die maßgebliche Zahl der Vollgeschosse nicht für alle denkbaren Fälle bestimmbar sei. Die betreffenden Erwägungen halten dem Vorbringen in der Begründung des Berufungszulassungsantrags stand.

Die einen (aus Grundstücksfläche und Anzahl der Vollgeschosse) kombinierten Vollgeschossmaßstab gebrauchende ABS 2009 enthält keine hinreichenden Maßstabsbestimmungen, wie die Anzahl der Vollgeschosse zu ermitteln ist, wenn ein Bebauungsplan nur die zulässige Höhe der baulichen Anlagen oder die Geschossfläche(nzahl) bzw. Grundfläche(nzahl) festsetzt. Soweit die Beschwerde geltend macht, § 5 Abs. 3 ABS 2009 enthalte auch hierfür eine Auffangregelung, genügt dies nicht. Gemäß § 5 Abs. 3 ABS 2009 sollen bei Grundstücken, für die ein Bebauungsplan weder die Geschosszahl noch die Baumassenzahl festsetzt, maßgebend sein:

a) bei bebauten Grundstücken die Zahl der tatsächlich vorhandenen Vollgeschosse, mindestens jedoch die Zahl der nach Maßgabe des § 34 BauGB zulässigen Vollgeschosse; sind auf einem Grundstück bauliche Anlagen mit unterschiedlicher Vollgeschosszahl vorhanden, ist die höchste Zahl der Vollgeschosse maßgebend;

b) bei unbebauten, aber bebaubaren Grundstücken die Zahl der nach Maßgabe des § 34 BauGB zulässigen Vollgeschosse.

Danach ist aber die Zahl der Vollgeschosse - wie das Verwaltungsgericht zutreffend beanstandet - nicht immer eindeutig bestimmbar. Namentlich in den Fällen, in denen Bebauungspläne des genannten Inhalts für Neubaugebiete („auf der grünen Wiese“ bzw. am Ortsrand und sonst für bisherigen Außenbereich) erlassen werden, kann es regelmäßig keine bauplanungsrechtliche Prägung der bzw. aller Flächen des neuen Baugebiets durch Umgebungsbebauung geben. Die Bezugnahme auf § 34 BauGB bleibt in diesen Fällen unergiebig. Es fehlt insoweit an einem Anhalt, um aus der festgesetzten Gebäudehöhe oder der Geschossflächen- bzw. Grundflächenzahl auf die Zahl der zulässigen Vollgeschosse schließen zu können.

Diese Maßstabsunvollständigkeit führt zur Nichtigkeit der Satzung. Die Lückenhaftigkeit ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nicht ausnahmsweise unschädlich. Das Verwaltungsgericht weist - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des OVG Brandenburg (Beschluss vom 11. März 2003 - 2 A 116/02.Z -, S. 4 EA) - darauf hin, dass auf eine Maßstabsregelung nur verzichtet werden könne, wenn betreffende Grundstücke derzeit nicht vorhanden seien und der Beklagte gesicherte Erkenntnisse darüber vorweisen könne, dass während der Geltung seiner Beitragssatzung bzw. des Herstellungszeitraums der öffentlichen Einrichtung solche Grundstücke nicht entstehen würden. Einen solchen Nachweis könne der Beklagte hier jedoch nicht erbringen, namentlich weil er darauf, ob die jeweiligen Gemeinden Bebauungspläne erlassen bzw. ändern (werden) und welche Inhalte diese haben (werden), rechtlich keinen Einfluss habe. Hiermit hat sich der Beklagte in der Begründung seines Zulassungsantrags nicht auseinandergesetzt; ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind - auch - insoweit nicht dargetan.

Angesichts des Vorstehenden kommt es nicht darauf an, ob die ABS 2009 auch deshalb wegen Verstoßes gegen das Gebot der konkreten Vollständigkeit nichtig ist, weil sie - wie das Verwaltungsgericht meint - keine Maßstabsregelung für die Fälle enthalte, in denen ein Buchgrundstück vom beplanten Bereich in den unbeplanten Innenbereich übergeht oder in denen ein durchgängig bebautes oder gewerblich oder vergleichbar genutztes Grundstück vom beplanten Bereich oder unbeplanten Innenbereich in den Außenbereich übergeht.

2. Aus den Darlegungen des Beklagten ergibt sich auch nicht, dass die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) bzw. weil das erstinstanzliche Urteil auf einer Abweichung von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts beruhte (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), zuzulassen wäre. Denn die insoweit vom Beklagten angeführten Aspekte (s. vorangegangener Absatz) sind für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungserheblich.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).