Gericht | OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 04.09.2019 | |
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Aktenzeichen | 13 UF 77/19 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2019:0904.13UF77.19.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers und unter Zurückweisung der Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 26.02.2019 abgeändert:
Der Antragsgegner wird verpflichtet,
1. ab 01.03.2019 an den Antragsteller, das minderjährige Kind …, geboren am … 2009, zu Händen der Kindesmutter und gesetzlichen Vertreterin, Frau …, 100 % des Mindestunterhaltes der jeweiligen Altersstufe gemäß den §§ 1612a ff. BGB abzüglich des jeweiligen hälftigen staatlichen Kindergeldes monatlich im Voraus jeweils zum Ersten eines jeden Monats zu zahlen, derzeit 304 €;
2. rückständigen Kindesunterhalt für die Zeit
vom 01.05.2018 bis 13.09.2018 in Höhe von insgesamt 436,50 €,
vom 14.09.2018 bis 31.12.2018 in Höhe von insgesamt 1057 € und
vom 01.01.2019 bis 28.02.2019 in Höhe von insgesamt 618 €
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 287 BGB ab 05.02.2019 an den Antragsteller zu Händen der Kindesmutter zahlen;
Von den Kosten des Verfahrens der I. Instanz haben der Antragsteller 5 % und der Antragsgegner 95 % zu tragen. Die Kosten der II. Instanz hat der Antragsgegner zu tragen.
Dieser Beschluss ist für Unterhaltsverpflichtungen ab 01.09.2019 sofort wirksam.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren beträgt bis zu 4000 €.
II. Der Antrag des Antragstellers auf Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
Der Antrag des Antragsgegners auf Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
I.
Die Beteiligten streiten mit wechselseitigen Beschwerden über Mindestunterhalt.
Der am … 2009 geborene Antragsteller lebt einkommens- und vermögenslos bei seiner Mutter, die für ihn in wechselndem Umfang Unterhaltsvorschuss bezogen hat, und beansprucht vom Antragsgegner, seinem Vater, Mindestunterhalt.
Der Antragsgegner hat Leistungsunfähigkeit eingewendet sowie eine weitere Unterhaltsverpflichtung für seine am … 2017 geborene Tochter, mit deren Mutter er in einer Haushaltsgemeinschaft lebt.
Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist, hat das Amtsgericht den Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller zur Zahlung laufenden Unterhalts in Höhe von 241 € sowie näher bezifferter Rückstände verpflichtet. Der Antragsgegner habe seine Arbeitskraft bestmöglich einzusetzen, könne als gelernter KFZ-Mechatroniker 1414 € netto monatlich verdienen und sei bei einem verminderten Selbstbehalt von 972 € in Höhe von 442 € leistungsfähig, woraus sich ein quotierter Unterhalt von 241 € für den Antragsteller ergebe.
Mit ihren hiergegen gerichteten Beschwerden verfolgen die Beteiligten im Umfang ihres jeweiligen Unterliegens ihre erstinstanzlichen Begehren uneingeschränkt weiter.
Der Antragsteller meint, das Amtsgericht habe das dem Antragsgegner mögliche Einkommen deutlich zu niedrig veranschlagt und erweitert seinen Antrag für zwischenzeitlich aufgelaufen Rückstände in Ansehung entfallener Unterhaltsvorschussleistungen.
Er beantragt,
wie erkannt.
Der Antragsgegner beantragt neben der Zurückweisung der gegnerischen Beschwerde,
die Zahlungsbegehren des Antragstellers unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses abzuweisen.
Er hält sich in Ansehung seiner derzeitigen Beschäftigung im Umfang von 30 Wochenstunden zum Mindestlohn weiterhin für leistungsunfähig und wendet sich gegen die Antragserweiterung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf den Schriftsatzwechsel im Beschwerderechtszug. Er entscheidet, wie angekündigt (141), ohne mündliche Verhandlung (§§ 117 Abs. 3, 68 Abs. 3 S 2 FamFG), von der weitere Erkenntnisse nicht zu erwarten waren.
II.
Von den nach §§ 58 ff FamFG statthaften und auch im Übrigen zulässigen Beschwerden hat nur die des Antragstellers Erfolg.
Gegenüber seinen Kindesunterhaltsansprüchen (§§ 1601, 1602, 1610, 1612a, 1612b BGB) greift der Einwand der Leistungsunfähigkeit (vgl. § 1603 BGB) nicht durch.
Auf sein tatsächliches Einkommen kann sich der Antragsgegner nicht zurückziehen, da ihn gegenüber dem Antragsteller eine nach § 1603 Abs. 2 BGB verschärfte Erwerbsobliegenheit trifft. Diese rechtfertigt die Zurechnung eines erzielbaren Einkommens, wenn der Unterhaltsschuldner hinreichende Erwerbsbemühungen unterlässt (vgl. Nr. 9 der Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, fortan auch: LL). Die nach § 1603 Abs. 2 BGB gesteigerte Obliegenheit, seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen und einträgliche Erwerbstätigkeiten auszuüben, trifft auch den berufstätigen Unterhaltsschuldner, dessen vorhandenes Einkommen zur Erfüllung der Unterhaltspflichten nicht ausreicht, und legt ihm auf, sich um besser bezahlte Beschäftigungsmöglichkeiten zu bemühen (vgl. Wendl/Klinkhammer, Unterhaltsrecht, 9. Aufl. § 2 Rn. 244 m.w.N.), wobei ihm auch eine Tätigkeit über 40 Wochenarbeitsstunden hinaus bis zu 48 Stunden nach Maßgabe von §§ 3, 9 Abs. 1 ArbZG einschließlich Nebentätigkeiten angesonnen werden kann (vgl. OLG Naumburg, FamRZ 2014, 133; Senat NZFam 2018, 1095, jew. m.w.N.).
Hierfür hinreichende Erwerbsbemühungen sind bestritten und der für seine Leistungsunfähigkeit darlegungs- und beweisbelastete Antragsgegner hat sie schon nicht substanziiert und erwiderungsfähig dargelegt, worauf bereits das Amtsgericht zutreffend abgestellt hat und wogegen die Beschwerde des Antragsgegners auch keine näheren Angriffe führt.
Der 1983 geborene Antragsgegner, der über eine abgeschlossene Ausbildung als Maler und Lackierer sowie daneben über einen weiteren Ausbildungsabschluss als KFZ-Mechatroniker verfügt, könnte auf der Grundlage des unwidersprochen gebliebenen Vorbringens des Antragstellers zu den durchschnittlichen Ecklöhnen im Maler- und Lackierergewerbe mit Stundenlöhnen von 16,18 € bereits in 2016 und 18,61 € bereits in 2017 (vgl. 75) ein bereinigtes Nettoeinkommen erwirtschaften, das ihm auch in Ansehung seines zweiten Kindes ohne weiteres die Zahlung des Mindestunterhalts an den Antragsteller ohne Beeinträchtigung seines Selbstbehaltes ermöglichen würde.
Im Übrigen ergibt sich selbst auf der Grundlage eines vom Amtsgericht veranschlagten Nettoeinkommens von nur 1.414 € bei regelmäßiger Arbeitszeit als KFZ-Mechatroniker nichts anderes. Die nach § 1603 Abs. 2 BGB gesteigerte Erwerbsobliegenheit umfasst nach den Oben dargestellten Grundsätzen auch Nebentätigkeiten. Allein aus der Tatsache, dass ein Unterhaltsschuldner mit einem weiteren eigenen Kind und seiner Partnerin zusammenlebt, folgt für sich genommen noch nicht, dass ihm eine Nebentätigkeit nicht zumutbar sei (vgl. BGH Beschl. v. 24.9.2014 – XII ZB 111/13, BeckRS 2014, 20122, Rn. 23; Senat NZFam 2018, 1095, m.w.N.).
Dem Antragsgegner ist damit eine Nebentätigkeit von bis zu 34 Stunden monatlich zuzumuten. In diesem arbeitszeitrechtlich zulässigen – vorliegend indessen bei weitem nicht erforderlichen - Umfang könnte er unter Geltung des Mindestlohns im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung und damit nicht versicherungspflichtig und bei pauschalierter Steuer (§ 40a EStG) 300,56 € in 2018 und 312,46 € monatlich in 2019 hinzuverdienen.
Das so ermittelte fiktive Gesamteinkommen des Antragsgegners beliefe sich auf 1714,56 € in 2018 und, bei gestiegenem Mindestlohn, auf 1726,46 € in 2019. Abzüglich 5% pauschalierter berufsbedingter Aufwendungen (Nr. 10.2.1. LL), ergeben sich bereinigt 1.628,83 € in 2018 und 1640,14 € in 2019. Auch wenn Mindestunterhaltsansprüche im Raume stehen, kann im Fall fiktiver Einkünfte kein konkreter Vortrag verlangt werden (vgl. BGH FPR 2009, 124, Rn. 39; E. Hammermann in: Erman, BGB, 14. Aufl. 2014, § 1603 BGB, Rn. 21a m.w.N.; Senat, Beschluss vom 19. September 2018 – 13 UF 57/18 –, juris Rn. 22).
Abzüglich seines Selbstbehaltes, den das Amtsgericht nach Nr. 21.5 Abs. 2 LL zutreffend, und von der Beschwerde des Antragsgegners auch nicht angegriffen, auf 972 € festgesetzt hat, verblieben dem Antragsgegner monatlich 656,83 € in 2018 und 668,14 € in 2019. Diese Beträge übersteigen die Summe der Zahlbeträge der ersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle für ein Kind in der ersten und ein Kind in der zweiten Altersstufe in jedem Jahr um monatlich mehr als 100 €.
Die antragserweiternde Geltendmachung uneingeschränkten rückständigen Unterhalts ab 14.09.2018 begegnet keinen Bedenken. In Familienstreitsachen (§ 112 FamFG) gilt kein Novenverbot. § 117 Abs. 2 S 1 FamFG verweist nicht auf § 531 Abs. 2 ZPO. § 65 Abs. 3 FamFG ist hingegen anwendbar (§ 113 Abs. 1 S 1 FamFG). Die Beschwerde eröffnet innerhalb des durch die Beschwerdeanträge abgegrenzten Verfahrensgegenstandes eine neue Tatsacheninstanz. Die Voraussetzungen einer Zurückweisung nach § 115 FamFG fehlen vorliegend.
Die Beschwerde ist auch insoweit begründet. Die Leistungseinstellung zum Ablauf des 13.09.2018 und damit der Wegfall der Übergangsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S 1 UVG ist durch Bescheid vom 04.03.2019 urkundlich dokumentiert (111) und im Übrigen unstreitig. Der Antragsteller beansprucht für die Zeit von 01.05.2018 bis 13.09.2018 einen Betrag von 4,5 * 97 € und für die Zeit vom 14.09.2018 bis 31.12.2018 einen Betrag von 3,5 * 302 €, woran der Senat nach §§ 113 Abs. 1 FamFG, 308 Abs. 1 ZPO gebunden ist.
Die Verzinsungspflicht des Antragsgegners folgt aus den §§ 286, 288 BGB.
Für die Kostenverteilung stellt der Senat nach § 243 Abs. 1 S 2 Nr. 1 FamFG auf die Obsiegensquote unter Berücksichtigung der Dauer der Unterhaltsverpflichtung ab, indem er hier den zuerkannten laufenden Unterhalt bei wirtschaftlicher Betrachtung unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 9 ZPO mit dem 3,5 fachen Jahreswert, also dem Faktor 42 gewichtet, und die Rückstände mit ihrer Summe (vgl. Senat FamRZ 2019, 1153 m.w.N.). Der Antragsteller hat in I. Instanz bei Klageeinreichung bestehende Unterhaltsrückstände von zunächst 906 € beansprucht, von denen 615 € nach § 7 UVG bereits übergegangen waren, und hat sein Begehren insoweit zurückgenommen. Für die Rückstände vor Rechtshängigkeit kam dem Antragsgegner, anders als für die später in die Vergangenheit rückenden Zeiträume, die Regelung des § 265 Abs. 2 S 1 ZPO für übergehende Unterhaltsansprüche nicht zugute. Seine anfängliche Zuvielforderung hat einen Kostensprung verursacht.
Die Entscheidung zur sofortigen Wirksamkeit beruht auf § 116 Abs. 3 S 2, 3 FamFG, die Wertfestsetzung auf den §§ 55 Abs. 2, 51 Abs. 1, Abs. 2 FamGKG.
Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG), besteht nicht.
III.
Verfahrenskostenhilfe konnte dem Antragsteller für das Beschwerdeverfahren nicht bewilligt werden, da sich eine anzuerkennende Hilfsbedürftigkeit (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 S 1, 119 ZPO) nicht feststellen ließ. Ihm steht zur Durchführung eines Unterhaltsverfahrens der Anspruch auf einen Verfahrenskostenvorschuss entsprechend § 1360a Abs. 4 BGB gegen seinen betreuenden Elternteil zu (vgl. Senat FamRZ 2019, 962) und eine Bezugnahme auf unveränderte Einkommens- und Vermögensverhältnisse (vgl. 108) seiner Mutter (vgl. § 2 Abs. 1 S 2 PKHFV) hat nach ihrer zwischenzeitlichen Heirat schon in Ansehung geänderter einkommensteuerrechtlicher Einstufungen auszuscheiden.
Verfahrenskostenhilfe konnte dem Antragsgegner weder zur Abwehr der Beschwerde des Antragstellers noch für seine eigene Beschwerde bewilligt. werden, da sich schon eine anzuerkennende Hilfsbedürftigkeit (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 S 1, 119 ZPO) nicht feststellen ließ. Es fehlt an einer von ihm persönlich unterzeichneten Erklärung zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (vgl. 27 VK Antragsgegner).
Seiner eigenen Beschwerde fehlte zudem die Erfolgsaussicht (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1, 119 Abs. 1 S 1 ZPO), wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt.
Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG), besteht nicht.