Gericht | OLG Brandenburg 1. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 25.05.2020 | |
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Aktenzeichen | 1 W 5/20 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2020:0525.1W5.20.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die sofortige Beschwerde des Verfügungsklägers wird der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 23. Januar 2020 - 2 O 5/20 - aufgehoben.
Der Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, in Bezug auf den Verfügungskläger zu behaupten und/oder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen: Er habe gesagt, man müsse die Euthanasie im Dritten Reich aus ihrer Zeit heraus verstehen.
Die durch die Anrufung des unzuständigen Gerichts entstandenen Kosten hat der Verfügungskläger zu tragen. Die übrigen Kosten des Verfahrens hat die Verfügungsbeklagte zu tragen.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 20.000,00 € festgesetzt.
I.
Der Verfügungskläger begehrt die Unterlassung der Äußerung durch die Verfügungsbeklagte, er habe gesagt „man müsse die Euthanasie im Dritten Reich aus ihrer Zeit heraus verstehen“.
Der Verfügungskläger ist Mitglied der ...-Fraktion des Deutschen Bundestags und besuchte am.... Oktober 2019 mit einer Gruppe des Bundespresseamtes die durch die Verfügungsbeklagte geleitete Gedenkstätte Lindenstraße in P.... Im Gebäude dieser Gedenkstätte befand sich von 1934 bis 1944 das NS-Erbgesundheitsgericht, das mehr als 3.300 Zwangssterilisationen anordnete, und bis 1945 das Gerichtsgefängnis für politisch und rassisch Verfolgte des NS-Regimes. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Gebäude als Zentrales Sowjetisches Geheimdienstgefängnis und ab 1952 als Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit genutzt. Im Rahmen der Führung kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Verfügungskläger und der Gedenkstättenführerin S... R... über die thematische Ausrichtung der Führung.
Am 28. November 2019 erstattete die Verfügungsbeklagte Strafanzeige gegen den Verfügungskläger wegen Volksverhetzung. Sie führte hierzu gegenüber der Polizei unter anderem aus, dass dieser im Laufe der Führung geäußert habe, man müsse die Euthanasiemorde aus ihrer Zeit heraus verstehen. Am 29. November 2019 bestätigte die Verfügungsbeklagte diesen Geschehensablauf gegenüber einem Journalisten der Zeitung „...“, woraufhin noch weitere Medien unter Bezugnahme auf die dortige Veröffentlichung bzw. auf Anfragen an die Polizei zu der erstatteten Strafanzeige über den Vorfall berichteten.
Der Verfügungskläger hat beantragt,
1. der Verfügungsbeklagten aufzugeben, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, in Bezug auf ihn zu behaupten und/oder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen: Er habe gesagt, man müsse die Euthanasie im Dritten Reich aus ihrer Zeit heraus verstehen,
2. der Verfügungsbeklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen.
Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass der Verfügungskläger zwar eine entsprechende Äußerung der Verfügungsbeklagten gegenüber der Zeitung „...“, nicht jedoch die Unwahrheit dieser Äußerung glaubhaft gemacht habe. Seine diesbezügliche eidesstattliche Versicherung sei, da sie sich lediglich auf den Inhalt eines mit der Gedenkstättenführerin am Ende der Führung geführten Gesprächs beziehe, nicht ergiebig.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verfügungsklägers, der sein erstinstanzliches Begehren auf Erlass der einstweiligen Verfügung vollumfänglich weiterverfolgt.
Die strafrechtlichen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Potsdam, Az.: 496 Js 54691/19, haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 936, 922 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie wurde insbesondere innerhalb der Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO eingelegt. Auch wenn es an der nach § 572 Abs. 1 ZPO erforderlichen Nichtabhilfe- und Vorlageentscheidung des Landgerichts fehlt, ist angesichts der Eilbedürftigkeit der Sache davon abzusehen, die Sache zur ordnungsgemäßen Entscheidung über die Abhilfe an das Landgericht zurückzugeben. Das hier aufgrund des unmittelbar beim Beschwerdegericht eingelegten Rechtsmittels nicht durchgeführte Abhilfeverfahren ist keine Verfahrensvoraussetzung für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens und die insoweit zu treffende Entscheidung (vgl. OLG Stuttgart, MDR 2003, 110, 111; Zöller/Heßler, ZPO, 33. Auflage, § 572 Rn. 4). Dies gilt insbesondere in Fällen besonderer Dringlichkeit, die im einstweiligen Verfügungsverfahren regelmäßig gegeben ist (OLGR Frankfurt 2002, 234, 236).
Aufgrund der in der Beschwerdeinstanz erfolgten Anordnung der mündlichen Verhandlung ist ein Übergang in das Urteilsverfahren erfolgt (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, § 922 Rn. 20; für die erste Instanz: OLG Hamburg, MDR 2013, 1122). Dies hat zur Folge, dass so zu verfahren ist, als sei in erster Instanz aufgrund mündlicher Verhandlung ein Urteil erlassen und dagegen Berufung eingelegt worden. Die Entscheidung ist daher durch ein (nicht mehr anfechtbares) Endurteil zu treffen (OLG Dresden, MDR 2012, 668; OLG Zweibrücken, FamRZ 1985, 928; Zöller, a.a.O.; vgl. auch OLG Koblenz, NJW-RR 1993, 697).
Der Antrag des Verfügungsklägers auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist zulässig, auch wenn er sich zur Begründung des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs neben weiteren Bekundungen der Verfügungsbeklagten auch auf die gegenüber der Polizei im Zusammenhang mit der Erstattung der Strafanzeige getätigten Äußerungen bezieht.
Zwar fehlt einem auf Unterlassung gerichteten Rechtsschutzbegehren das Rechtsschutzbedürfnis, wenn es sich auf Äußerungen bezieht, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem Gerichtsverfahren oder dessen Vorbereitung dienen, das nicht durch eine Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt werden soll. Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BVerfG, NJW-RR 2007, 840, 841; BGH, NJW 2012, 1659 Rn. 7; BGH, NJW 2005, 279, 280; BGH, NJW 1992, 1314, 1315 jeweils mwN), der der Senat in ebenfalls ständiger Rechtsprechung folgt (vgl. Urteil vom 28. Oktober 2019, Az.: 1 U 15/19, juris Rn. 26; Beschluss vom 6. November 2013, Az.: 1 W 32/13; Beschluss vom 8. Oktober 2013, Az.: 1 W 27/13; Beschluss vom 28. März 2013, Az.: 1 W 9/13), dass Äußerungen im Rahmen eines rechtsstaatlich geregelten Verfahrens der Rechtspflege oder Verwaltung regelmäßig nicht zum Gegenstand eines Ehrschutzverlangens gemacht werden können. In einem schwebenden Verfahren sollen Zeugen ihre Bekundungen frei von der Befürchtung, mit einer Widerrufs-, Unterlassungs- oder Schadensersatzklage überzogen zu werden, abgeben können. Ob die Zeugenaussage richtig und die geschilderten Tatsachen erheblich sind, wird allein in dem seiner eigenen Ordnung unterliegenden Ausgangsverfahren geprüft. Mit der Wahrung der schutzwürdigen Belange des Betroffenen und den Erfordernissen eines sachgerechten Funktionierens der Rechtspflege wäre es unvereinbar, wenn diese Kompetenzregelung durch die Möglichkeit einer gesonderten Geltendmachung von Abwehransprüchen in einem separaten Prozess unterlaufen werden könnte. Deshalb fehlt in derartigen Fällen für eine solche Abwehrklage grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis. Darüber hinaus besteht kein Bedürfnis, die Richtigkeit der in einer Strafanzeige erhobenen Vorwürfe in einem weiteren Verfahren ein zweites Mal zu überprüfen. Den berechtigten Belangen des Betroffenen ist durch die rechtsstaatliche Ausgestaltung des Strafverfahrens weitgehend Rechnung getragen (BGH, NJW 1986, 2502, 2503).
Werden ehrverletzende Äußerungen jedoch auch außerhalb der prozessualen Rechtsverfolgung aufgestellt, indem der Äußernde an die Öffentlichkeit geht, gelten die Grundsätze für den Ausschluss von Ehrschutzklagen nicht. Da diese Grundsätze sich als einschneidende Beschränkung des Ehrschutzes darstellen, die nur mit der besonderen Interessenlage anlässlich eines laufenden Rechtsstreits oder im Hinblick auf ein konkret bevorstehendes gerichtliches oder behördliches Verfahren gerechtfertigt werden kann, ist das Interesse des Äußernden daran, seine Rechtsverfolgung oder -verteidigung in einem anhängigen oder künftigen Verfahren führen oder vorbereiten zu können, ohne sich damit einem Ehrschutzverfahren auszusetzen, nicht betroffen, wenn es um öffentliche Angriffe, Rundschreiben und Ähnliches geht (BGH, NJW 2005, 279, 281 mwN; vgl. Palandt/Sprau, BGB, 79. Auflage, § 823 Rn. 108). Dies ist hier der Fall, da die Verfügungsbeklagte die streitgegenständliche Äußerung nach dem insoweit maßgeblichen Vorbringen des Verfügungsklägers auch gegenüber verschiedenen Medienvertretern getätigt haben soll.
Darüber hinaus steht der Zulässigkeit des Antrags auch keine Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Von diesem Grundsatz ausgenommen sind Fälle, in denen der Verfügungskläger dringend auf einen gerichtlichen Titel angewiesen ist und ihm ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zugemutet werden kann; letzteres gilt etwa für Ansprüche auf Unterlassung ehrkränkender Äußerungen, wenn die Wiederholung der Äußerung konkret zu befürchten ist (vgl. Senat, Urteil vom 19. Februar 2007, Az.: 1 U 17/06, juris Rn. 16; Senat, NJW-RR 2002, 1127). Diesist hier schon mit Blick auf das Vorbringen der Verfügungsbeklagten im Beschwerdeverfahren der Fall.
Der Antrag ist auch begründet. Dem Verfügungskläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB gegenüber der Verfügungsbeklagten zu, da es sich um eine unwahre Tatsachenbehauptung handelt.
Wie das Landgericht bereits ausgeführt hat, kommt als Anknüpfungspunkt für einen Unterlassungsanspruch allerdings lediglich die gegenüber der Zeitung „...“ getätigte Äußerung der Verfügungsbeklagten in Betracht, die durch den entsprechenden Artikel vom ... November 2019 glaubhaft gemacht wurde und durch die Verfügungsbeklagte letztlich nicht bestritten wird. Soweit die Verfügungsbeklagte hierzu ausführt, dass sie nicht von sich aus an diese Zeitung herangetreten sei, sondern auf Nachfrage des Artikelverfassers lediglich die diesem bereits bekannten Informationen bestätigt habe, hat sie sich jedoch auch nach ihrem Vorbringen, dessen Richtigkeit sie an Eides statt versichert hat, nicht darauf beschränkt, die Erstattung einer Strafanzeige zu bestätigen oder auf das laufende Ermittlungsverfahren zu verweisen, sondern darüber hinaus die streitgegenständliche Äußerung des Verfügungsklägers bestätigt. Die weitere seitens des Verfügungsklägers vorgelegte Berichterstattung nimmt lediglich auf den vorbezeichneten Artikel bzw. auf eine Anfrage bei der Polizei zu der erstatteten Strafanzeige Bezug.
Bei der streitgegenständlichen Bekundung der Verfügungsbeklagten handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung. Während bei Meinungsäußerungen die subjektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit im Vordergrund steht, ist für Tatsachenbehauptungen die objektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Äußerung charakteristisch. Von einer Tatsachenbehauptung ist auszugehen, wenn der Gehalt der Äußerung entsprechend dem Verständnis des Durchschnittsempfängers der objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes grundsätzlich dem Beweis offensteht (vgl. BVerfG, NJW-RR 2017, 1003 Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 4. August 2016, Az.: 1 BvR 2619/13, juris Rn. 13; BGH, NJW 2005, 279, 281; BGH, NJW 2002, 1192, 1193; BGH, NJW 1992, 1314, 1316). Die Frage, ob sich der Verfügungskläger entsprechend geäußert hat, ist einer objektiven Klärung im Wege einer Beweiserhebung zugänglich. Der Senat muss von der Unwahrheit dieser Tatsachenbehauptung ausgehen, da die Verfügungsbeklagte, der insoweit die Behauptungs- und Glaubhaftmachungslast obliegt, die grundsätzlich wie die Darlegungs- und Beweislast im Hauptsacheverfahren verteilt ist (Zöller/Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, § 935 Rn. 8; Münchener Kommentar/Drescher, ZPO, 5. Auflage, § 935 Rn. 13), nicht glaubhaft machen konnte, dass der Verfügungskläger diese Äußerung getätigt hat.
Zwar trägt grundsätzlich der Verletzte im Rahmen des geltend gemachten Anspruchs die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gegner rechtswidrig gehandelt hat und seine Behauptung unwahr ist. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Unterlassungsanspruch auf eine üble Nachrede gestützt wird (vgl. Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Auflage 2003, Kap. 12 Rn. 138 f.; Beck/OK/Specht-Riemenschneider, BGB, Stand: 01.11.2019, § 823 Rn. 1336). In diesem Fall trägt nach der über § 823 Abs. 2 BGB in den zivilgerichtlichen Ehrschutz transformierten Beweisregel des § 186 StGB grundsätzlich der Verfügungsbeklagte als Äußernder hinsichtlich der Wahrheit der behaupteten Tatsache die Darlegungs- und Beweislast (vgl. Senat, Urteil vom 19. Februar 2007, Az.: 1 U 17/06, juris Rn. 22 mwN). Ein solcher Fall liegt hier vor, da die streitgegenständliche Tatsachenbehauptung – wie nicht zuletzt die entsprechende Medienberichterstattung und die bei der Verfügungsbeklagten hierauf erfolgten Eingaben zeigen – geeignet ist, den Verfügungskläger herabzuwürdigen. Insbesondere hat die Verfügungsbeklagte selbst die Äußerung ersichtlich als Relativierung des Unrechts der Euthanasie und damit als eine Bekundung verstanden, die grundsätzlich den Tatbestand des § 130 Abs. 3 StGB erfüllen kann. Ein Verharmlosen von unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlungen der in § 6 Abs. 1 VStGB bezeichneten Art und Weise ist anzunehmen, wenn der Täter das betreffende Geschehen in tatsächlicher Hinsicht herunterspielt, beschönigt, in seinem wahren Gewicht verschleiert oder in seinem Unwertgehalt bagatellisiert bzw. relativiert. Hierbei kann es sich sowohl um ein quantitatives als auch um ein qualitatives Abwerten handeln, also neben einem Herunterrechnen von Opferzahlen auch um sonstige Formen des Relativierens oder Bagatellisierens (Münchener Kommentar/Schäfer, StGB, 3. Auflage, § 130 Rn. 82). Auch wenn eine Strafbarkeit der maßgeblichen Äußerung mit Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Potsdam vom 4.Februar 2020 verneint wurde, kommt der Behauptung, der Verfügungskläger habe sich entsprechend geäußert, angesichts des denkbaren und für die Verfügungsbeklagte und die Medien ersichtlich naheliegenden Verständnisses der Erklärung ein herabwürdigender Charakter zu.
Zwar hat die Verfügungsbeklagte eine eidesstattliche Versicherung der Gedenkstättenführerin vorgelegt, nach der sich gleich im ersten Raum der Führung, der dem Thema Erbgesundheitsgericht gewidmet gewesen sei, ein längeres Gespräch zwischen ihr und dem Verfügungskläger entwickelt habe, in dessen Verlauf der Verfügungskläger geäußert habe, dass man die Euthanasiemorde aus ihrer Zeit heraus verstehen müsse, da die Menschen nach dem ersten Weltkrieg nichts zu essen gehabt hätten. Die Gedenkstättenführerin führt weiter aus, dass für sie deutlich zu erkennen gewesen sei, dass der Verfügungskläger die Euthanasie habe verharmlosen wollen, auch wenn er das nicht wörtlich gesagt habe. Auf entsprechende Nachfrage habe er empört reagiert und sich herauszureden versucht. Er habe sich als Opfer stilisieren wollen, da er ihr unterstellt habe, dass sie seine Aussage falsch darstellen würde, habe aber letztlich offengelassen, wie seine Äußerung ansonsten zu verstehen sei.
Auch der Verfügungskläger hat zunächst im Einklang mit der Gedenkstättenführerin berichtet, dass er die Themen Euthanasie und Todesstrafe im Verhältnis zu der Zeit der SED-Diktatur im Rahmen der Führung als überrepräsentiert dargestellt empfunden habe, und hat an Eides statt versichert, dass die Gedenkstättenführerin ihn gefragt habe, ob er die Gräueltaten der Euthanasie verharmlosen wolle. Im Gegensatz zu deren Schilderung sei dies jedoch nicht aufgrund der streitgegenständlichen Äußerung, sondern infolge seiner Anmerkung erfolgt, dass er eine Einordnung des Themas in einer Form wie in der Gedenkstätte Hadamar vermisse. Die Frage der Gedenkstättenführerin habe er ausdrücklich verneint und im Übrigen darauf hingewiesen, dass die Führung seiner Meinung nach sehr NS-Zeit-lastig gewesen sei. Aus dieser und entgegen der Auffassung des Landgerichts auch aus der bereits in erster Instanz vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Verfügungsklägers ergibt sich eindeutig, dass er insgesamt bestreitet, die streitgegenständliche Äußerung während der Führung in der Gedenkstätte getätigt zu haben. Da es sich hierbei um eine negative Tatsache handelt, kann ohne konkrete Anhaltspunkte für entsprechende Widersprüchlichkeiten in seinem Vorbringen nicht von einer Unergiebigkeit der eidesstattlichen Versicherung im Hinblick auf einen bestimmten Zeitpunkt der Führung ausgegangen werden.
Diese Angaben können durch die eidesstattliche Versicherung der Gedenkstättenführerin nicht entkräftet werden. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der Gedenkstättenführerin ersichtlich das gesamte Gespräch mit dem Verfügungskläger deutlich missfallen hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass dieser Gesamteindruck ihre Wahrnehmung bestimmter Aussagen beeinflusst hat. Dementsprechend hat auch die Verfügungsbeklagte mit ihrem an die Staatsanwaltschaft Potsdam gerichteten Schreiben vom 8. Januar 2020 ausdrücklich klargestellt, dass es sich nur um eine sinngemäße Wiedergabe der Äußerung handele.
Die seitens der Verfügungsbeklagten erfolgte Tatsachenbehauptung ist schließlich auch nicht aufgrund einer Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne des § 193 StGB gerechtfertigt. Nach dieser Vorschrift können Äußerungen zur Wahrnehmung eigener Rechtspositionen auch außerhalb förmlicher Verfahren zulässig sein (Palandt/Sprau, BGB, 79. Auflage, § 823 Rn. 108), sofern ein berechtigtes Interesse des Äußernden vorliegt, das sich hier, da sich die streitgegenständliche Äußerung nicht gegen die von der Verfügungsbeklagten geleitete Gedenkstätte richtet, nur aus einem von jedermann zur vertretenen Allgemeininteresse ergeben kann. In der Wahrnehmung solcher Allgemeininteressen regelmäßig gerechtfertigt sind Strafanzeigen, und zwar auch dann, wenn der erhobene Vorwurf später nicht bewiesen werden kann (vgl. Schönke/Schröder/Eisele/Schittenhelm, StGB 30. Auflage, § 193 Rn. 20; BeckOK/Valerius, StGB, 46. Ed., § 193 Rn. 18). Darüber hinaus ist jedoch im Rahmen der insoweit gebotenen Interessenabwägung bei ehrenrührigen Tatsachen vorrangig deren Wahrheit bzw. Unwahrheit zu berücksichtigen; an der Äußerung unzutreffender Behauptungen besteht grundsätzlich kein schützenswertes Interesse (BVerfG, NJW 1999, 1322, 1324). Zwar können Behauptungen, deren Unwahrheit sich erst zu einem späteren Zeitpunkt herausstellt, berechtigt sein, wenn der Äußernde im Rahmen der ihm insoweit obliegenden Informationspflichten die Tatsachen sorgfältig geprüft und im Rahmen seiner Möglichkeiten nach Beweisen für die Wahrheit seiner Äußerung gesucht hat (vgl. BGH, NJW 1993, 525, 527). Angesichts des Umstands, dass die streitgegenständliche Äußerung aus den bereits dargestellten Gründen geeignet ist, den Verfügungskläger in einem erheblichen Maße herabzuwürdigen, war es für die Verfügungsbeklagte zur Wahrnehmung eines allgemeinen Informations- und Aufklärungsinteresses jedoch nicht geboten, diese Behauptung zwei Monate nach dem Vorfall neben der erst am Vortag erfolgten Strafanzeige und damit vor Abschluss des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens zum Gegenstand einer Presseberichterstattung zu machen, indem sie eine entsprechende Presseanfrage positiv bestätigte.
Schließlich steht dem Verfügungskläger auch ein Verfügungsgrund zu. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO ist nur veranlasst, wenn zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert wird, oder wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen erforderlich erscheint. Dies ist hier aufgrund der nach wie vor abrufbaren Berichterstattung in der Online-Ausgabe der Zeitung „...“ der Fall.
Die hinsichtlich der Unterlassungsverpflichtung ausgesprochene Androhung von Ordnungsmitteln folgt aus § 890 Abs. 2 ZPO; eine weitere Androhung – neben der bereits im Tenor enthaltenen – war nicht erforderlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO.