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Alpha-Liponsäure - Polyneuropathie - OTC-Liste


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 02.04.2013
Aktenzeichen L 1 KR 195/10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 2 GG, § 34 Abs 1 SGB 5, AMRL

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Im Streit steht, ob die Beklagte die Klägerin mit nichtverschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Alpha-Liponsäure versorgen muss.

Die 1969 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet seit ihrer Kindheit an Diabetes Mellitus Typ I. Folgeleiden der Erkrankung ist u. a. eine diabetische Polyneuropathie.

Der sie behandelnde Diabetologe Dr. L beantragte mit Schreiben vom 27. Juli 2007 bei der Beklagte die Kostenübernahme für Alpha-Liponsäure als Infusion und Tabletten. Die Klägerin leide u. a. an Neuropathie mit schweren Symptomen. Nur unter Gabe von Magnesium und Liponsäure sei diese erträglich. Alle von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlten Therapiealternativen seien ausprobiert und von der Klägerin nachweislich nicht vertragen worden.

Nach Einholung einer Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. August 2007 eine Kostenübernahme ab.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie habe alle Medikamente gegen Polyneuropathie ausprobiert. Statt Hilfe hätten diese Allergien und Haarausfall sowie starke Magenbeschwerden zur Folge gehabt. Es sei ihr „Scheiß egal“, ob Alpha-Liponsäure umstritten sei. Ihr helfe sie.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2007 zurück. Mit In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (vom 14. November 2003, BGBl I 2120, GMG) zum 1. Januar 2004 seien nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel nach § 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) von der Versorgung mit zugelassenen verkehrsfähigen Arzneimitteln im Sinne des § 31 Abs. 1 SGB V ausgeschlossen. Alpha-Liponsäure sei nicht verschreibungspflichtig. Das Medikament sei auch nicht in die Ausnahmeliste, der Over-the-Counter = OTC-Liste der Richtlinie über die Verordnung von Arzneimittel in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittel-Richtlinie, AM-RL), aufgenommen.

Hiergegen hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) erhoben. In ihrem Falle sei Alpha-Liponsäure ausnahmsweise verschreibbar nach Ziffern 16.2 AM-RL (alte Fassung; jetzt: § 12 Abs. 8 AM-RL). Sie hat sich auf die Stellungnahmen ihres behandelnden Diabetologen Dr. Lvom 19. Januar 2009 und vom 20. August 2009 berufen, auf die ergänzend verwiesen wird (GA Blatt 62ff, 78ff). Die Behandlung mit anderen, verschreibungspflichtigen Medikamente führe bei ihr zu schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Übelkeit, Haarausfall sowie Benommenheit.

Die Beklagte hat ausführliche gutachterliche Stellungnahmen des MDK eingereicht (vom 10. September 2009 sowie vom 6. Oktober 2009, auf die ebenfalls ergänzend verwiesen wird.

Die Klägerin hat in erster Instanz zuletzt beantragt, die Beklagte unter Abänderung des streitgegenständlichen Bescheides zur verurteilen, die für die medizinische Behandlung der Klägerin mit dem Arzneimittel Alpha-Liponsäure durch parenterale Infusion über zwei bis drei Wochen und anschließender oraler Dauertherapie entstehenden zukünftigen Kosten zu tragen.

Das SG hat diese Klage mit Urteil vom 22. April 2010 abgewiesen. Durch die Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei bereits geklärt, dass der grundsätzliche Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung auf Sachgründen beruhe und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Es sei auch verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber den gemeinsamen Bundesausschuss beauftragte habe, in der AM-RL die Ausnahmen zu regeln. Alpha-Liponsäure sei jedoch weder ein „Therapiestandart zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung“ so dass das Medikament nicht direkt in die OTC-Liste der Anlage I zur AM-RL aufgenommen worden sei. Noch liege ein Ausnahmefall nach § 12 Abs. 8 AM-RL vor. Alpha-Liponsäure diene bei der Klägerin nicht zur Behandlung der beim bestimmungsgemäßen Gebrauch eines zugelassenen, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Arzneimittels auftretenden schädlichen unbeabsichtigten Reaktionen. Bei der schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie handele es sich nämlich nicht um eine unerwünschte Arzneimittelwirkung. Eine analoge Anwendung der Vorschrift sei bereits zweifelhaft. Im Übrigen könne nicht – wie dies nach §§ 3, 12 Abs. 8 AM-RL analog Voraussetzung wäre – eine schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkung vor, weil sie weder lebensbedrohlich noch aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige. Ausweislich der Stellungnahme des behandelnden Arztes der Klägerin vom 19. Januar 2009 sei nämlich bei der Behandlung der Polyneuropathie mit den verordnungsfähigen Arzneimittelwirkstoffen Amitriptylin und Carbamazepin als Nebenwirkungen (nur) Müdigkeit zu verzeichnen gewesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin: Die Voraussetzung einer ausnahmsweisen Leistungspflicht lägen entgegen der Auffassung des SG vor. Die Behandlung der Klägerin mit den Medikamenten Rewodina (Wirkstoff: Diclofenac), Neurotin (gemeint wohl: Neurontin, Wirkstoff Gabapentin), Lyrica (Wirkstoff: Pregabalin) und Cymbalta (Wirkstoff: Duloxetin) hätten nämlich schwerwiegende Nebenwirkungen, insbesondere schwere allergische Hautveränderungen und Haarausfall zur Folge gehabt. Die Klägerin habe es vermieden, aus dem Haus zu gehen und zu anderen Menschen Kontakt aufzunehmen. Deshalb habe sie sich einer psychotherapeutischen Behandlung unterziehen müssen. Diese Nebenwirkungen seien erfolgreich mit Alpha-Liponsäure behandelt worden.

Sie beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 22. April 2010 abzuheben und die Beklagte unter Abhebung des Bescheides vom 9. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 2007 zu verurteilen, die für die medizinische Behandlung der Klägerin mit dem Arzneimittel Alpha-Liponsäure durch parenteralen Infusion über zwei bis drei Wochen und anschließende orale Dauertherapie entstehenden zukünftigen Kosten zu tragen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte im Beschlusswege gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden. Die Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, mit Verfügung vom 4. Februar 2013 hingewiesen worden.

Der Berufung muss Erfolg versagt bleiben.

Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, auf die zur Vermeidung bloßer Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen wird.

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. Der Gemeinsame Bundesausschuss legt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 fest, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegenden Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Hier kann die Klage nach dem Wortlaut des Antrages bereits deshalb keinen Erfolg haben, weil die Klägerin die Kostenerstattung unabhängig von einer ärztlichen Verordnung begehrt. Eine ärztliche Verordnung ist immer Voraussetzung für einen Anspruch auf eine Arzneimittelversorgung auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Klage hat aber auch unter der Annahme, dass Leistungen jeweils nur im Falle der Verordnung begehrt werden, keinen Erfolg.

Das SG hat hier bereits festgestellt, dass Alpha-Liponsäure weder in der OTC-Liste aufgeführt ist, noch dass eine Aufnahme hätte erfolgen müssen.

Diese Annahme deckt sich mit den sachverständlichen Äußerungen der Gutachterin des MDK Dr. S, wonach hinsichtlich der Wirksamkeit von Alpha-Liponsäure zur Behandlung der schmerzhaften diabetischen Neuropathie lediglich eine geringe Evidenz festgestellt worden sei und das Ansprechen auf die Therapie überwiegend auf Placeboeffekten beruhe (Gutachten vom 6. Oktober 2009, Seite 4).

Der grundsätzliche Ausschluss nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel verstößt –wie vom SG ebenfalls bereits ausgeführt- nach Auffassung des BSG nicht gegen Verfassungsrecht und ist danach insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und den Grundrechten aus Artikel 2 Abs. 2 und 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip vereinbar. (BSG, Urteil vom 6. November 2008 – B 1 KR 6/08 R Rdnr. 20ff).

Der hiesige Senat hat es bislang dahingestellt sein lassen, ob dem BSG in dieser rechtlichen Bewertung in jedem Einzelfall gefolgt werden kann (vgl. Urteil vom 30. Oktober 2009 – L 1 KR 246/06 – juris).

Ein Klageerfolg folgt hier jedoch keinesfalls direkt aus den Grundrechten der Klägerin aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG und aus Artikel 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip bzw. § 2 Abs. 1a SGB V:

Zum einen ist die diabetische Polyneuropathie keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder eine einer solchen zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung, selbst wenn ihre Behandlung dauerhaft zu den von der Klägerin geschilderten Nebenwirkungen führte.

Zum anderen -und hier durchgreifend- hat das SG bereits zutreffend daraufhin gewiesen, dass es Behandlungsalternativen gibt, welche als Nebenwirkungen nicht zu Haarausfall bzw. einer schweren Hautallergie geführt haben bzw. führen.

Als nichtverschreibungspflichtiges Medikament muss sich die Klägerin deshalb Alpha-Liponsäure auf eigene Kosten verschaffen.

Nur ergänzend – ohne dass dies entscheidungserheblich wäre – sei angemerkt, dass die Tabletten (mit Wirkstärke 600mg) bereits zu einem Stückpreis von nur 0,42 € im Apothekenversandhandel erhältlich sind, also zu einem ähnlichen Preis wie auch andere Antioxidantien wie Vitamin C oder Vitamin E.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision ist keiner der in § 160 Abs. 2 SGG dargelegten Gründe ersichtlich.