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Sportwetten; Untersagung der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten privater Anbieter; Anordnung der gesetzlich ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung (abgelehnt); Rechtslage für den vorläufigen Rechtsschutz durch ständige Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts geklärt; keine Bindung des Oberverwaltungsgerichts an erstinstanzliche Hauptsacheentscheidungen in parallel gelagerten Verfahren; Dauerverwaltungsakt; maßgeblicher Zeitpunkt; Änderung der Sachlage nach Erlass der Untersagungsverfügung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 26.07.2010
Aktenzeichen OVG 1 S 86.10 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 80 Abs 5 S 1 Alt 1 VwGO, § 146 VwGO, § 4 Abs 1 GlüStVtr BE, § 9 Abs 1 S 2 Nr 3 GlüStVtr BE, § 9 Abs 2 GlüStVtr BE, § 10 Abs 2 GlüStVtr BE, § 10 Abs 5 GlüStVtr BE

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Mai 2010 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage VG 3… gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juli 2009 anzuordnen, wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 12.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Das Beschwerdevorbringen des Antragsgegners rechtfertigt eine Änderung des angefochtenen Beschlusses (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

Der Antragsgegner untersagte der Antragstellerin mit Bescheid vom 17. Juni 2009 die Veranstaltung, Vermittlung und Bewerbung von Sportwetten im Land Berlin und drohte ihr für den Fall der Nichtbefolgung der Untersagungsverfügung ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000 Euro an. Die Untersagung knüpft daran an, dass anlässlich zweier Betriebsstättenkontrollen am 10. März und 11. Juni 2009 in der Betriebsstätte der Antragstellerin in der M. in … Berlin ein Wettautomat Ambassador vorgefunden worden war, über den Sportwetten getätigt werden können. Im Widerspruchsverfahren machte die Antragstellerin geltend, der Wettautomat sei zu diesem Zeitpunkt nicht in Betrieb und eine Wettvermittlung aus technischen Gründen nicht möglich gewesen. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2009 zurückgewiesen. Über die Klage der Antragstellerin (VG 3…) ist noch nicht entschieden. Im vorliegenden Verfahren teilte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 14. Januar 2010 mit, dass sie seit dem 1. September 2009 Sportwetten an einen österreichischen Wettveranstalter vermittle. Mit Beschluss vom 28. Mai 2010 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs der Antragstellerin gegen die Untersagungsverfügung angeordnet. Es hat offen gelassen, ob die Untersagungsverfügung bereits deshalb rechtswidrig sei, weil die Antragstellerin eigenen Angaben zufolge im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids mit der Vermittlung von Sportwetten noch gar nicht begonnen gehabt habe, sondern erst danach am 1. September 2009. Weiterhin hat das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung zu dem streitgegenständlichen Themenkreis ausgeführt, dass das sog. staatliche Sportwettenmonopol im Land Berlin nach Überzeugung der Kammer verfassungswidrig und gemeinschaftsrechtswidrig sei; dementsprechend habe die Kammer in mehreren gleichgelagerten Hauptsacheverfahren den Klagen stattgegeben.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts kann auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens und vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Senats keinen Bestand haben. Der angegriffene Beschluss unterliegt nach der zutreffenden Einschätzung des Antragsgegners erheblichen Richtigkeitszweifeln, so dass die Anordnung der (kraft Gesetzes ausgeschlossenen) aufschiebenden Wirkung bei Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht in Betracht kommt.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestehen im Ergebnis keine durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Untersagungsverfügung. Deren Rechtswidrigkeit ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht schon daraus, dass sie eigenen Angaben zufolge erst seit dem 1. September 2009, mithin nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens, die Vermittlung von Sportwetten betrieben haben will. Abgesehen davon, dass ggf. der Behauptung der Antragstellerin, bei den beiden Betriebsstättenkontrollen am 10. März und 11. Juni 2009 sei der vorgefundene Wettautomat nicht in Betrieb und eine Wettvermittlung aus technischen Gründen nicht möglich gewesen, erst im Hauptsacheverfahren mit den dort zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten nachgegangen werden kann, begründet dieser Einwand nach dem Maßstab des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Richtigkeitszweifel. Denn es spricht Überwiegendes dafür, dass für den Erfolg der Klage gegen die Untersagungsverfügung, bei der es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handeln dürfte, die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Entscheidung maßgeblich sein dürfte und daher Veränderungen der Sachlage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu berücksichtigen wären (vgl. BVerwG, Urteile vom 21. August 2003 - 3 C 15.03 -, juris Rn. 21, und vom 28. Januar 1988 - 3 C 48.85 -, juris Rn. 15). Auf dieser Grundlage steht es außer Frage, dass die Voraussetzungen der Untersagungsverfügung im Fall der Antragstellerin jedenfalls ab dem 1. September 2009 (ggf. auch schon bei Erlass des Bescheids) erfüllt waren.

Die Untersagungsverfügung beruht auch auf einer wirksamen Rechtsgrundlage. Die vom Verwaltungsgericht in ständiger Spruchpraxis angenommenen Zweifel an der Wirksamkeit der glücksspielrechtlichen Ermächtigungsgrundlage in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 des Glücksspielstaatsvertrages (- GlüStV -, GVBl. 2007 S. 604) teilt der Senat nicht. Die Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages und des dazu erlassenen Berliner Ausführungsgesetzes zum sog. Sportwettenmonopol (§ 4 Abs. 2 Satz 2, § 10 Abs. 2 GlüStV und § 5 AGGlüStV) lassen gemessen an den nach dem Sportwetten-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 115, 276) zu beurteilenden Anforderungen keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit erkennen. Insoweit verweist der Senat auf seine diesbezüglichen eingehenden Ausführungen in zahlreichen gleichgelagerten Entscheidungen, an denen er auch nach erneuter Prüfung festhält (vgl. statt vieler Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2009 - OVG 1 S 11.09 -, juris Rn. 10 ff.). Ebenso wenig vermag der Senat zu erkennen, dass die streitgegenständlichen gesetzlichen Regelungen des Sportwettenmonopols gegen Bestimmungen des europäischen Gemeinschaftsrechts verstoßen. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte für eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EG, die dazu führen könnte, dass die hier einschlägigen gesetzlichen Vorschriften unangewendet bleiben dürften. Auch insoweit folgt der Senat seiner bisherigen Rechtsprechung und verweist auf die entsprechenden Ausführungen in zahlreichen früheren Beschwerdeverfahren (vgl. nur den vorzitierten Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2009, juris Rn. 19 ff.), die auch im Lichte der neueren Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu diesem Themenkreis Geltung behalten (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 8. September 2009, Rs. C-42/07 [Liga Portuguesa]; zur niederländischen Rechtslage: Urteile vom 3. Juni 2010, Rs. C-203/08 [Sporting Exchange Ltd.] und Rs. C-258/08 [Ladbrokes Betting & Gaming Ltd.]; zur schwedischen Rechtslage: Urteil vom 8. Juli 2010, Rs. C-447/08 und C-448/08 [Sjöberg, Gerdin]; jeweils bei juris; ferner für die deutsche Rechtslage von Interesse: Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi vom 4. März 2010 in den Rs. C-316/07 u.a., veröffentlicht im Internet unter , Zusammenfassung bei juris) .

Schließlich besteht eine Bindung des Senats an die Entscheidungspraxis des Verwaltungsgerichts, das in zahlreichen gleichgelagerten Hauptsacheverfahren entsprechende Untersagungsverfügungen wegen angenommener Verfassungs- und Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Regelung des Sportwettmonopols im Glücksspielstaatsvertrag aufgehoben hat, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch nach der Rechtsprechung des Berliner Verfassungsgerichtshofs nicht (vgl. etwa jüngst Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 1. Juni 2010 - VerfGH 15/09 - juris Rn. 42 ff.). In dem vorzitierten Judikat hat der Verfassungsgerichtshof in Bezug auf eine vergleichbar gelagerte Entscheidung des beschließenden Senats ausgeführt, dass sich das Oberverwaltungsgericht nicht in verfassungswidriger Weise über stattgebende Urteile des Verwaltungsgerichts in parallel gelagerten Verfahren anderer Sportwetten-vermittler hinweggesetzt habe. Es sei der Argumentation des Verwaltungsgerichts mit tragfähiger Begründung bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht gefolgt. Im Mittelpunkt der bundesweit geführten Verfahren gegen die Untersagung der privaten Sportwettenvermittlung stehe die Frage, ob die Ausgestaltung des staatlichen Sportwettmonopols auf der Grundlage des Glücksspielstaatsvertrages mit Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. Das Verwaltungsgericht habe dies für die Rechtslage in Berlin aufgrund einer vom jeweiligen konkreten Einzelfall losgelösten rechtlichen Prüfung verfassungs- und gemeinschaftsrechtlicher Fragen verneint. Auf die Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts in den konkreten Verfahren sei es insoweit nicht angekommen, eine förmliche Beweisaufnahme habe nicht stattgefunden. Die verwaltungsgerichtlichen Feststellungen zur tatsächlichen Ausgestaltung des staatlichen Sportwettenangebots hätten nicht auf den regelmäßig weiter gehenden Erkenntnismöglichkeiten des Hauptsacheverfahrens, sondern wesentlich auf allgemeinkundigen Erkenntnissen aus der Beobachtung des öffentlichen Auftritts und der Werbemaßnahmen des staatlichen Wettveranstalters beruht. Das Verwaltungsgericht habe mithin für die Beurteilung der verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Rechtslage nicht über eine andere oder gar bessere Erkenntnisgrundlage als das Oberverwaltungsgericht im Ausgangsverfahren verfügt (a.a.O., Rn. 43 und 45). Diese Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs können auch für das vorliegende Verfahren Geltung beanspruchen; ihnen ist nichts hinzuzufügen.

Bestehen danach keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids, gebührt der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung Vorrang vor dem privaten - in erster Linie wirtschaftlichen - Interesse der Antragstellerin an deren Aussetzung. Im Übrigen ginge bei der dargestellten Sachlage auch eine reine Folgenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus. Denn eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs hätte zur Folge, dass die nicht zu beanstandenden Schutzzwecke des Glücksspielstaatsvertrages bis zur endgültigen Klärung der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung vereitelt würden und sich entgegen der gesetzgeberischen Absicht, das Angebot an Sportwetten zu begrenzen, private Sportwettangebote entwickeln und in ihren Strukturen verfestigen könnten. Dem gegenüber steht allein das Erwerbsinteresse der Antragstellerin, das nicht vergleichbar schutzwürdig ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).