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Betriebsbedingte Kündigung; Prognose


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 18. Kammer Entscheidungsdatum 21.10.2010
Aktenzeichen 18 Sa 1108/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 1 KSchG

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. März 2010 - 36 Ca 10513/09 - abgeändert:

1.Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2009 nicht aufgelöst worden ist.
2.Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Gießer/Schmelzer in der Gießerei zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung sowie um die vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers.

Die Beklagte, die mehr als 100 Arbeitnehmer beschäftigt, produziert Messingprodukte. Ein Betriebsrat ist gebildet. Der am 10. Januar 1965 geborene, verheiratete und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger steht bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit 18. März 1985 in einem Arbeitsverhältnis als gewerblicher Arbeitnehmer, zuletzt als Gießer/ Schmelzer ohne Ausübung von stellvertretenden Vorarbeiterfunktionen im Fabrikationsbereich Gießerei. Im Arbeitsvertrag vom 14. März 1985 ist als Tätigkeit „ Gießereiarbeiter“ angegeben.

Im Herbst 2008 verzeichnete die Beklagte einen Auftrags- und Auslastungsrückgang; dem trugen die Betriebspartner dadurch Rechnung, dass sie mit Wirkung zum 01. November 2008 die Betriebsvereinbarung Nr. 162 über die Regelung von Arbeitszeit zur Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen entsprechend dem Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg, Tarifgebiet I (im Folgenden: BV Nr. 162) abschlossen, die eine Arbeitszeitreduzierung von 7,14 % und einen bis zum 31. März 2009 befristeten Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit vorsah. Infolge weiteren Rückgangs der Produktion traten die Betriebspartner im Frühjahr 2009 zu Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans zusammen; es ging um einen Abbau von 48 Stellen bzw. um eine Alternativlösung. Letztere erreichten sie dadurch, dass sie unter Aufhebung der BV Nr. 162 mit der Betriebsvereinbarung Nr. 163 zur Einführung von Kurzarbeit (im Folgenden: BV Nr. 163) vom 27. Februar 2009 mit Wirkung zum 01. März 2009 die Einführung von Kurzarbeit und mit der Betriebsvereinbarung Nr. 164 zur Verschiebung der zweiten Stufe der Tariferhöhung 2009 (im Folgenden: BV Nr. 164) vom selben Tag die tariflich mögliche Verschiebung der zum 01. Mai 2009 vorgesehenen Tariflohnerhöhung um sieben Monate vereinbarten. Des Weiteren kam am 27. Februar 2009 die Rahmenbetriebsvereinbarung Nr. 165 über die Einführung eines Prämienentgeltes und einer außertariflichen Leistungszulage (im Folgenden: BV Nr. 165) zustande; darin regelten die Betriebspartner mit Wirkung zum 01. Mai 2009, bezogen auf die in dieser BV genannten sieben Produktionsbereiche, die Abkehr von der Entlohnung nach Akkord hin zu der Einführung eines Prämienentgeltes nebst einer außertariflichen Leistungszulage. Davon waren auch die Produktionsbereiche erfasst, denen der Kläger zuletzt angehörte. Die Einführung des Prämienentgelts sollte bei zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der BV Nr. 165 tätigen Mitarbeitern durch den Abschluss eines Änderungsvertrages gemäß der Anlage 1 der BV Nr. 165 umgesetzt werden; betroffen waren die in der Anlage 3 namentlich benannten 128 Produktionsmitarbeiter; darunter auch der Kläger. Nach den Maßgaben der Ziffer 11 der BV Nr. 165 verpflichtete sich die Beklagte, gegenüber denjenigen Arbeitnehmern, die den Änderungsvertrag abschließen würden, auf den Ausspruch einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung bis zur vollständigen Beendigung der in der Produktion durchgeführten Kurzarbeit für die Jahre 2009/10 zu verzichten. In Übereinstimmung mit der BV Nr. 165 enthält der Änderungsvertrag in § 3 des Weiteren eine Regelung über die befristete Zahlung eines Aufstockungsbetrages.

Die Beklagte erwartete aufgrund der Einführung dieses Prämienentgelts eine Kosteneinsparung im Umfang von 22 Arbeitsplätzen in der Produktion. Sie unterbreitete in Umsetzung der BV Nr. 165 insgesamt 127 Arbeitnehmern Ende Februar/Anfang März 2009 das Änderungsangebot. Der Kläger nahm das Änderungsangebot nicht an. Mit Schreiben vom 09. März 2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie auf die Einhaltung „der 95 %-Bedingung“ (Erreichen des Quorums von 95 % im Sinne der Ziffer 11 der BV Nr. 165 bzw. des § 6 Änderungsvertrages) verzichte. Bis zum 11. März 2009 nahmen 111 betroffene Arbeitnehmer das Änderungsangebot an.

Mit Schreiben vom 29. Mai 2009 kündigte die Beklagte nach Anhörung des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich zum 31. Dezember 2009.

Mit seiner am 08. Juni 2009 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage hat der Kläger sich gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses gewendet und die vorläufige Weiterbeschäftigung als Gießer/Schmelzer bei einem Umfang von 37 Wochenstunden verlangt. Er hat die soziale Rechtfertigung bestritten, die ordnungsgemäße Sozialauswahl, die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats sowie einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot gerügt. Er hat gemeint, durch die Betriebsvereinbarung Nr. 165 sei für eine Vielzahl vergleichbarer, sozial weniger schutzbedürftiger Arbeitnehmer in unzulässiger Weise zu seinen Lasten ein Sonderkündigungsschutz vereinbart worden, so dass die von der Beklagten getroffene Sozialauswahl unzutreffend sei.

Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe Anfang 2009 bereits geplant gehabt, den Personalbestand von 290 Arbeitnehmern um 48 Arbeitsplätze abzubauen, da bereits 2008 ihre Mitarbeiter in der Produktion nicht ausgelastet gewesen seien. Zur Vermeidung dieses Personalabbaus habe sie mit dem Betriebsrat die Betriebsvereinbarungen Nr. 163 und Nr. 165 vereinbart, zu diesem Zeitpunkt sei der Auftragsbestand um ca. 25 % verringert gewesen. Nach Einführung der Kurzarbeit seien weitere Umstände eingetreten, so dass der Rückgang der Auslastung in der Produktion ab der 14. Kalenderwoche 2009 bei teilweise mehr als 60 % gelegen habe. Das Arbeitspensum sei proportional zum Auftragsverlust zurückgegangen. Sie habe daher am 19. Mai 2009 die unternehmerische Entscheidung getroffen, die im Bereich Gießerei eingerichtete Funktion „Gießer/Schmelzer ohne Ausübung von stellvertretenden Vorarbeiterfunktionen“ ab 01. Oktober 2009, 9:00 Uhr, dauerhaft nur noch von fünf statt sieben Arbeitnehmern ausüben zu lassen. Außerdem habe sie beschlossen, neben den verbleibenden fünf Mitarbeitern drei Mitarbeiter aus dem Bereich Gießerei, die Tätigkeiten eines Gießers/Schmelzers einschließlich stellvertretender Vorarbeiterfunktionen verrichten, sowie fünf Mitarbeiter, die Tätigkeiten eines Schmelzers ausüben, gegebenenfalls unterstützend heranzuziehen. Mögliche Verzögerungen und Arbeitsrückstände habe sie in Kauf genommen. Zum Zeitpunkt der Kündigung habe sie mit einem dauerhaften Arbeitsausfall rechnen müssen, der nicht auf die Kurzarbeitsperiode beschränkt gewesen sei. Sie hat gemeint, sie habe damit eine unternehmerische Entscheidung zur Leistungsverdichtung getroffen, die lediglich auf Willkür zu überprüfen sei. Zur Sozialauswahl hat die Beklagte gemeint, sie habe diese zutreffend getroffen, weil die Mitarbeiter mit Sonderkündigungsschutz nicht einzubeziehen gewesen seien. Einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot hat sie bestritten und unter anderem darauf hingewiesen, dass sie auch gegenüber einem Mitarbeiter das Arbeitsverhältnis gekündigt habe, der eine Einkommenssteigerung von 2,5 % bis 7,5 % zu erwarten gehabt hätte, wenn er den Änderungsvertrag angenommen hätte.

Durch Urteil vom 30. März 2010 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Arbeitsplatz des Klägers als Gießer/Schmelzer aufgrund der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten vom 19. Mai 2009 ab 01. Oktober 2009 dauerhaft entfallen sei. Aufgrund der prognostizierten Auftragslage und der Entscheidung, notfalls Auftragsverzögerungen und Arbeitsrückstände in Kauf zu nehmen, sei davon auszugehen, dass eine überobligatorische Inanspruchnahme der verbleibenden Arbeitnehmer nicht erfolge. Auch sei die Sozialauswahl nicht zu beanstanden, da die Arbeitnehmer, die Sonderkündigungsschutz nach der Betriebsvereinbarung erhalten haben, zu Recht aus der Sozialauswahl ausgenommen worden seien, da diese mit einer Vergütungsreduzierung einverstanden gewesen seien und im Gegenzug hierfür einen zeitlich begrenzten Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen erhalten haben. Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot sei nicht gegeben, da die Beklagte keine andere Möglichkeit gehabt habe, die getroffene unternehmerische Entscheidung umzusetzen. Auch sei die Anhörung des Betriebsrates nicht zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung der Entscheidung wird auf die dortigen Gründe (Bl. 237 - 241 d. A.) verwiesen.

Gegen dieses ihm am 15. April 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 17. Mai 2010 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19. Juli 2010, mit am 19. Juli 2010 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Der Kläger ist weiterhin der Auffassung die ausgesprochene Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Er weist darauf hin, dass er die unternehmerische Entscheidung vom 19. Mai 2009 mit Nichtwissen bestritten habe sowie darauf, dass die behauptete Entscheidung deckungsgleich mit der Kündigungsentscheidung sei. Außerdem zeige die Entwicklung der Produktion in den Monaten Januar bis Mai 2010, dass ein dauerhafter Wegfall der Arbeitsplätze nicht gegeben sei, da die Auslastung die Planzahlen in nahezu allen Bereichen weit übertroffen habe. Der Kläger nimmt Bezug auf die Aufstellung der Produktion Halbzeuge für die Jahre 2008 bis 2010 (Bl. 267 - 269 d. A.) sowie auf eine Werksmitteilung vom 01. Juli 2010 (Bl. 270 d. A.), wonach 38 Leiharbeitnehmer beschäftigt würden und für September 2010 die Prüfung der Möglichkeit von Neueinstellungen angekündigt werde. Er meint, die von der Beklagten vorgetragene Prognose hinsichtlich der Dauerhaftigkeit des Arbeitsausfalles über die Kurzarbeitsperiode hinaus, sei nicht fundiert.

Weiter trägt der Kläger zur Sozialauswahl vor und meint darüber hinaus die Herausnahme der Arbeitnehmer mit Sonderkündigungsschutz aus der Sozialauswahl sei unzulässig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Klägers in der Berufungsinstanz wird auf den Berufungsbegründungsschriftsatz vom 19. Juli 2010 und den Schriftsatz vom 18. Oktober 2010 nebst Anlagen verwiesen.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

unter Aufhebung des am 30. März 2010 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Berlin - 36 Ca 10513/09 -

1.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2009 nicht aufgelöst worden ist;
2.die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Gießer/Schmelzer in der Gießerei zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und tritt den Ausführungen des Klägers in der Berufungsinstanz entgegen.

Die ausgesprochene fristgemäße Kündigung sei sozial gerechtfertigt.

Der Arbeitsplatzwegfall und damit die Kündigung sei Folge ihrer Organisationsentscheidung gewesen, zwei der sieben Arbeitsplätze für Gießer/Schmelzer ohne stellvertretende Vorarbeiterfunktionen im Bereich der Gießerei wegfallen zu lassen. Es sei ihr gerade nicht darum gegangen, die Anzahl der Arbeitsplätze der Auftrags- und Auslastungslage anzupassen. Die Einzelheiten zur Auslastung des Klägers und derjenigen Mitarbeiter, die nach ihrer Entscheidung seine Arbeiten hätten miterledigen sollen, habe sie zum Zwecke der Darlegung der Durchführbarkeit der unternehmerischen Entscheidung vorgetragen und dazu auch den tabellarischen Vergleich die Jahre 2008/2009 dargestellt. Der Rückgang der geleisteten Arbeitszeit sei danach nahezu proportional zu dem der dargestellten produzierten Arbeitsmenge gewesen. Im Bereich der Gießerei sei die Produktion im Zeitraum Januar bis Mai 2009 im Vergleich zum selben Zeitraum des Jahres 2008 um 35,89 % und die geleistete Arbeitszeit um 31,82 % zurückgegangen. An diesem Ergebnis ändere auch die bei einem Auftragsrückgang von 25 % eingeführte Kurzarbeit nichts.

Soweit es ab Februar 2010 zu einem Einsatz von Leiharbeitnehmern gekommen sei, ändere dies nichts an der Berechtigung ihrer negativen Prognose hinsichtlich des Auftragsrückgangs und der Auslastung ihres Produktionsbereichs zum Zeitpunkt der Kündigung. Der Einsatz von Leiharbeitnehmern hänge mit dem vorübergehenden Ausfall einer Produktionsanlage eines der drei großen Unternehmen der Messingproduktion in Deutschland zusammen.

Auf eine fehlerhafte soziale Auswahl könne der Kläger nicht verweisen. Die von ihm benannten Arbeitnehmer seien entweder nicht vergleichbar bzw. könnten für eine soziale Auswahl aufgrund des ihnen gegenüber erklärten verzichtet auf Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung nicht herangezogen werden. Dies gelte selbst dann, wenn die soziale Auswahl nach der Wertung des Gesetzes „auf den Kopf gestellt werden würde“. Die Arbeitnehmer hätten sich für ein sie benachteiligendes, neues Entgeltsystem entschieden und für diese freiwillige Leistung einen zeitweiligen Schutz vor einer betriebsbedingten Kündigung erhalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf den Berufungsbeantwortungsschriftsatz vom 23. August 2010 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß den §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 b, c ArbGG statthaft und frist- und formgerecht i.S.d. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung des Klägers hat in der Sache auch Erfolg.

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist nicht durch die fristgemäße betriebsbedingte Kündigung der Beklagten vom 29. Mai 2009 mit Ablauf des 31. Dezember 2009 aufgelöst worden, denn die ausgesprochene Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam. Die streitgegenständliche Kündigung ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG bedingt.

Die Beklagte hat vorliegend nach ihrem Vortrag auf den bereits seit Oktober 2008 stattfindenden Auftragsrückgang zunächst in einem ersten Schritt durch Reduzierung der betrieblichen Arbeitszeit auf 32,5 Wochenstunden ab 01. November 2008 reagiert (vgl. Betriebsvereinbarung Nr.162).

Nachdem sich die Auftragslage weiter verschlechterte, einigte sie sich in einem zweiten Schritt im Rahmen der Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen über den geplanten Abbau von 48 Arbeitsplätzen am 27. Februar 2009 mit dem Betriebsrat darauf, unter Aufhebung der Betriebsvereinbarung Nr. 162 für die Zeit von zunächst 01. März bis 31. August 2009 Kurzarbeit einzuführen (vgl. Betriebsvereinbarung Nr. 163), die vorgesehene Tariflohnerhöhung um sieben Monate zu verschieben (vgl. Betriebsvereinbarung Nr. 164) sowie ein neues Prämienentgeltsystem einzuführen (vgl. Betriebsvereinbarung Nr. 165).

Zu diesem Zeitpunkt ging die Beklagte nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer davon aus, dass diese Maßnahmen - jedenfalls sofern ein Akzeptanzquorum von 95% bezüglich des Prämienentgeltsystems erreicht wird - bis Juli 2009 ausreichen um die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu stabilisieren und dass erst dann, wenn die Jahresleistung von 50.000 t für 2009 nicht zu erreichen sein würde, zusätzliche Maßnahmen wie Kündigungen notwendig sein würden. Dies hat die Kammer aus den Regelungen der Betriebsvereinbarung Nr. 165 abgeleitet, insbesondere aus der Regelung unter 11.2. Dort sind nämlich die Voraussetzungen geregelt unter denen der, den Arbeitnehmernbei Annahme des neuen Prämiensystems gewährte, Sonderkündigungsschutz entfallen soll und damit der Beklagten betriebsbedingte Kündigungen möglich sein sollen. Der Sonderkündigungsschutz entfällt gemäß 11.2 dann, wenn über einen Zeitraum von drei zusammenhängenden Monaten im Bereich der Produktion die produzierte Menge unter ein prognostiziertes Ergebnis von 50.000 Jahrestonnen fällt, wobei die erstmalige diesbezügliche Kontrollberechnung Anfang August 2009 für den Zeitraum Mai bis Juli 2009 erfolgen sollte. Da die Beklagte zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Regelung damit rechnen musste, dass alle Arbeitnehmer das neue Prämiensystem akzeptieren, lässt die Aufnahme dieser Regelung in die Betriebsvereinbarung Nr. 165 nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer nur den oben aufgeführten Schluss zu, dass die Beklagte die getroffenen Maßnahmen zum damaligen Zeitpunkt für ausreichend zur wirtschaftlichen Stabilisierung hielt, sofern die Jahresleistung nicht auf unter 50.000 t absinkt. Diese Prognose hat die Beklagte nach Auffassung der erkennende Berufungskammer sodann auch für den Fall bestätigt, dass das Akzeptanzquorum unter 95% liegt, indem sie am 09. März 2009 auf die Einhaltung des Quorums als Wirksamkeitsvoraussetzung für den Sonderkündigungsschutz verzichtete und auch gegenüber dem Betriebsrat von der geplanten Betriebsänderung durch Personalabbau Abstand nahm.

Der streitgegenständlichen betriebsbedingten Kündigung liegt die unternehmerische Entscheidung vom 19. Mai 2009 (dritter Schritt) zu Grunde, die nach dem Vortrag der Beklagten durch einen weiteren Auftragsrückgang im Zeitraum ab 01. April 2000 motiviert war.

Vor dem geschilderten Hintergrund hätte es nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer zur Darlegung der behaupteten dringenden betrieblichen Gründe für die ausgesprochene Kündigung des Vortrages bedurft, aufgrund welcher konkreten Tatsachen die noch im Februar/März 2009 gegebene Einschätzung, dass bei einer Jahresleistung von 50.000 t die wirtschaftliche Situation des Unternehmens auch ohne betriebsbedingte Kündigungen ausreichend gesichert sei, zurzeit des Kündigungsentschlusses nicht mehr gerechtfertigt gewesen sein soll oder die Prognose gerechtfertigt gewesen sein soll, dass die als ausreichend angesehene Jahresleistung von 50.000 t künftig dauerhaft unterschritten wird.

Aus welchen konkreten Gründen die ehemalige Einschätzung, eine Jahresleistung von 50.000 t reiche zur wirtschaftlichen Stabilisierung ohne betriebsbedingte Kündigungen aus, nicht mehr gerechtfertigt gewesen sein soll, hat die Beklagte nicht vorgetragen.

Auch hat die Beklagte nicht vorgetragen, aufgrund welcher konkreten Umstände sie von einem dauerhaften Absinken der Jahrestonnenleistung hat ausgehen müssen beziehungsweise können. Den Gesamtproduktionsaufstellungen der Geschäftsjahre 2009 und 2010 (Bl. 268, 269 d. A.) war hingegen zu entnehmen, dass zurzeit des Ausspruches der Kündigung am 29. Mai 2009, die für das Erreichen der Jahresleistung von 50.000 t erforderliche Tagesleistung von 200 t im Durchschnitt der Monate März bis Mai 2009 ebenso wie in den folgenden Monaten bis Mai 2010 nie unterschritten worden ist.

Nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer fehlt es somit an ausreichendem Vortrag für das Vorliegen dringender betrieblicher Gründe.

Außerdem hat die Beklagte nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer nicht ausreichend dargelegt, dass die von ihr getroffene unternehmerische Entscheidung auch für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist auf Dauer angelegt und organisatorisch durchführbar ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z.B. BAG vom 18. September 2008 - 2 AZR 560/07 - NZA 2009, 142; vom 23. April 2008 - 2 AZR 1110/06 - EzA-SD 2008, Nr. 15, 3 - 4) können sich betriebliche Erfordernisse iSv § 1 Abs. 2 KSchG insbesondere aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen), wie Rationali-sierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion oder von Arbeitsabläufen ergeben. Die unternehmerische Organisationsentscheidung kann auch darin liegen, festzulegen, mit welcher Stärke der Belegschaft des Betriebs zukünftig das Unternehmensziel erreicht werden soll bzw. welche Kapazität an einzusetzenden Arbeitskräften und ihrer Arbeitszeit vorgehalten werden muss (BAG vom 02. Juni 2005 - 2 AZR 480/04 - NZA 2006, 207 m.w.N). Die unternehmerische Entscheidung selbst ist nicht auf ihre rechtliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (vgl. z.B. BAG 21. September 2006 - 2 AZR 607/05 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 130 = EzA KSchG § 2 Nr. 62).

Dagegen obliegt es den Arbeitsgerichten nachzuprüfen, ob eine unternehmerische Entscheidung überhaupt getroffen wurde und ob sie sich betrieblich dahingehend auswirkt, dass der Beschäftigungsbedarf für den gekündigten Arbeitnehmer entfallen ist. Erschöpft sich die Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, so rückt sie nahe an den Kündigungsentschluss heran. Da die Kündigungsentscheidung selbst nach dem Gesetz nicht frei, sondern an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit ("Dauer") verdeutlichen, damit das Gericht prüfen kann, ob sie im Sinne der oben gekennzeichneten Rechtsprechung offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich, also missbräuchlich ausgesprochen worden ist (BAG vom 18. September 2008 - 2 AZR 560/07 - NZA 2009, 142; vom 22. Mai 2003 - 2 AZR 326/02 - a.a.O.).

An einer solchen Verdeutlichung der organisatorischen Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit der unternehmerischen Entscheidung auch für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist fehlte es indes im vorliegenden Fall.

Die unternehmerische Entscheidung der Beklagten, den Arbeitsplatz des Klägers als „Gießer/Schmelzer“ zum 01. Oktober 2009 wegfallen und die Arbeiten nur noch von fünf Arbeitnehmern durchführen zu lassen, erschöpft sich im Wesentlichen darin, Personal einzusparen und ist nahezu identisch mit dem Kündigungsentschluss selbst. Insofern bedurfte es nach den oben dargestellten Grundsätzen einer näheren Darlegung zur Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit dieser unternehmerischen Entscheidung.

Zunächst hat die Beklagte schon ausreichend nicht dargelegt, wie die 5 von ihr benannten Mitarbeiter im Rahmen der bestehenden Arbeitsabläufe die Tätigkeiten der wegfallenden Arbeitsplätze mit übernehmen können, ohne dass es an anderer Stelle zu betrieblichen Ablaufstörungen kommt. Eine Umorganisation der bestehenden Arbeitsabläufe wird nicht vorgetragen. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang behauptet, Teil ihrer unternehmerischen Entscheidung sei es, mögliche Verzögerungen und Arbeitsrückstände in Kauf zu nehmen, hat sie dies im Ergebnis so nicht durchgeführt. Unstreitig hat die Beklagte nämlich im Jahr 2010 bei steigendem Auftragsvolumen nicht etwa Verzögerungen und Arbeitsrückstände in Kauf genommen, sondern in erheblichem Umfang Leiharbeitnehmer eingesetzt. Dies zeigt aber, dass es der von Aufträgen und Maßgaben der Auftraggeber abhängigen Beklagten nicht gleichgültig war (und sein konnte), wie und wann sie diese Aufträge auch erfüllt.

Weiterhin fehlte es aber auch an einer näheren Darlegung der Nachhaltigkeit der unternehmerischen Entscheidung. Diese setzt voraus, dass die unternehmerische Entscheidung der Beklagten auf Dauer angelegt und durchführbar ist. Die Beklagte begründet die Durchführbarkeit ihrer Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die von ihr benannten nicht gekündigten fünf Arbeitnehmer sowie die hilfsweise heranzuziehenden Arbeitnehmer aufgrund des Rückgangs des Auftrags- und Arbeitsvolumens über entsprechende freie Kapazitäten verfügen würden. Sie hat dazu umfangreiche Berechnungen zum Rückgang der Arbeitsmenge und des durchschnittlich freiwerdenden Arbeitsvolumens in den verschiedenen Arbeitsbereichen, so auch im Bereich des Klägers, schriftsätzlich dargestellt.

Dass sich dabei die Prognose der Beklagten zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung darauf erstreckte, dieser Rückgang werde auch nach Ablauf der Kündigungsfrist auf Dauer bestehen, die Mitarbeiter also auch noch nach Ablauf der Kündigungsfrist aufgrund eigener freier Kapazitäten die Tätigkeiten des Klägers mit übernehmen können, ohne überobligatorisch in Anspruch genommen zu werden oder aber ohne neue Mitarbeiter zur Abarbeitung der Auftragslage einstellen zu müssen, lässt sich dem Vortrag der Beklagten nicht entnehmen. Dabei ist zunächst schon festzustellen, dass sich bereits in dem weiteren von der Beklagten berechneten Zeitraum Januar bis August 2009 das Arbeitsvolumen und die dafür aufzuwendende Arbeitszeit im Monatsdurchschnitt leicht erhöht hat. Zudem ist die Beklagte dem Rückgang des Auftragsvolumens und damit einhergehend des Arbeitsvolumens in Absprache mit dem Betriebsrat bereits mit der Einführung von Kurzarbeit begegnet. Die Einführung von Kurzarbeit spricht aber schon nach den gesetzlichen Voraussetzungen der Kurzarbeit zunächst einmal indiziell dafür, dass die Beklagte von einem nur vorübergehenden Arbeitsmangel ausgegangen ist, der eine betriebsbedingte Kündigung noch nicht rechtfertigen kann (BAG vom 26. Juni 1997 - 2 AZR 494/96 - AP Nr. 86 zu § 1 KSchG 1969 betriebsbedingte Kündigung). Die Entwicklung im Jahr 2010 rechtfertigt im Ergebnis diese Einschätzung der Beklagten zur Einführung der Kurzarbeit.

Die Beklagte hat die Indizwirkung nicht durch konkreten Sachvortrag entkräftet, wonach eine Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger auf Dauer entfallen ist. Die Tätigkeiten des Klägers waren in gleicher Weise von Kurzarbeit betroffen wie die übrigen Arbeiten; auch für diesen Bereich galt somit die Indizwirkung eines nur vorübergehenden Rückgangs an Arbeitsvolumen. Sonstige Rationalisierungsmaßnahmen, die zu einem geringeren Anfall dieser Arbeiten - auch nach Ende der Kurzarbeit - führen würden, hat die Beklagte nicht behauptet. Vielmehr beruft sich die Beklagte zur Widerlegung dieses Indizes auf ihre unternehmerische Entscheidung, den Arbeitsplatz des Klägers als solchen, nämlich als „Gießer/Schmelzer“, in Wegfall zu bringen, die dortigen Tätigkeiten auf andere Mitarbeiter zu verteilen. Dies ist für sich genommen aber nicht schlüssig. Steigt nämlich das Arbeitsvolumen nach Ablauf der Kurzarbeit wieder an, sinken auch die freien Kapazitäten dieser Mitarbeiter, mit der Folge, dass diese nicht mehr ohne weiteres in der Lage sein werden, die zusätzlichen Arbeiten mit zu übernehmen. Ob die Beklagte diese dann in einem Arbeitsplatz als „Gießer/Schmelzer“ oder anderweitig organisiert, spielt für die dann gegebene Einsatzmöglichkeit des Klägers keine Rolle.

(vgl. zum Ganzen auch Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.08.2010, 7 Sa 903/10)

Bei dieser Sachlage konnte es die erkennende Berufungskammer unentschieden dahin stehen lassen, ob die Kündigung (auch) gemäß § 1 Abs. 3 KSchG wegen nicht ordnungsgemäßer Sozialauswahl durch Nichteinbeziehung der mit dem Kläger vergleichbaren, aber Sonderkündigungsschutz genießenden Arbeitnehmer sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam war.

Nach alledem war auf die Berufung des Klägers das Urteil erster Instanz abzuändern und der Klage mit der Kostenfolge des § 91 ZPO stattzugeben.