Gericht | OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 14.02.2011 | |
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Aktenzeichen | 9 UF 101/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Auf die befristete Beschwerde des Antragsgegners vom 4. August 2009 wird der im am 14. Juli 2009 verkündeten Urteil des Amtsgerichts Senftenberg (Az. 32 F 45/09) enthaltene Ausspruch zum Versorgungsausgleich (Ziff. 2 des Tenors) aufgehoben.
Das Verfahren über den Versorgungsausgleich wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht, das auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu befinden hat, zurückverwiesen.
Das Amtsgericht wird angewiesen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates den Versorgungsausgleich durchzuführen.
2. Der Beschwerdewert beträgt 2.000 €.
Die noch dem alten Recht gemäß Artikel 111 Abs. 1 FGG-RG unterfallene befristete Beschwerde (§ 621e ZPO a.F.) des Antragsgegners ist zulässig und insoweit begründet, als sie zur Aufhebung und Zurückverweisung der Versorgungsausgleichssache an das Amtsgericht führt. Die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf dem Umstand, dass das Amtsgericht bislang in der Sache selbst über den Versorgungsausgleich nicht entschieden hat, soweit dies dessen Durchführung im Einzelnen betrifft. Vielmehr hat das Amtsgericht den durch die beteiligten Ehegatten vereinbarten Ausschluss des Versorgungsausgleiches gemäß § 1587o Abs. 2 S. 4 BGB a.F. – das bis 31.08.2009 geltende materielle Recht des Versorgungsausgleiches ist gemäß § 48 Abs. 1 VersAusglG in der Beschwerdeinstanz weiterhin anzuwenden – genehmigt und daher den Versorgungsausgleich ausgeschlossen. Die Erteilung der Genehmigung nach § 1587o Abs. 2 BGB a.F., welche mit dem Rechtsmittel der Beschwerde nach § 621 e ZPO a.F. anfechtbar ist (HK-FamR/Bergmann, 2008, § 1587o BGB Rn. 46), ist aber zu versagen. Infolge dessen sind zudem weitere Ermittlungen notwendig, wie aus den Ausführungen am Ende des Beschlusses folgt.
1.
Vereinbaren sich die beteiligten Ehegatten über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich gemäß § 1587o Abs. 1 BGB a.F., so bedarf dies gemäß § 1587o Abs. 2 S. 2 BGB a.F. der Genehmigung des Familiengerichts. Diese Genehmigung ist dann zu verweigern, wenn unter Einbeziehung der sonstigen Vereinbarungen der Ehegatten offensichtlich die vereinbarte Leistung nicht zu einer dem Ziel des Versorgungsausgleiches entsprechenden Sicherung des Berechtigten geeignet ist oder zu keinem nach Art und Höhe angemessenen Ausgleich unter den Ehegatten führt, vgl. auch § 1587o Abs. 2 S. 3 BGB a.F.
Vorliegend haben die Ehegatten während des bereits laufenden Scheidungsverfahrens die Durchführung des Versorgungsausgleiches insgesamt ausgeschlossen. Der vereinbarte Ausschluss des Versorgungsausgleichs beruht auf der Scheidungsfolgenvereinbarung vom 9. Juli 2009, notariell beurkundet vom Notar … in S… (Urkundennummer: 701/2009, Bl. 137 ff.).
Der Versorgungsausgleich ist zwar – als gleichberechtigte Teilhabe beider Ehegatten am beiderseits erworbenen Versorgungsvermögen – einerseits dem Zugewinnausgleich verwandt und wie dieser ehevertraglicher Disposition im Grundsatz in jeder Hinsicht zugänglich (§ 1408 Abs. 2, § 1587o BGB a.F.). Er ist jedoch andererseits als vorweggenommener Altersunterhalt zu verstehen; von daher steht er einer vertraglichen Abbedingung gerade dann nicht schrankenlos offen, wenn er vollständig ausgeschlossen werden soll (vgl. auch KG Berlin, NJW-RR 2010, 730).
Angesichts der weiteren Scheidungsfolgenvereinbarungen kann nicht festgestellt werden, dass ein angemessener Ausgleich zugunsten des Antragsgegners, der hier bei Betrachtung des wirtschaftlichen Ergebnisses des Versorgungsausgleiches der Ausgleichsberechtigte wäre, stattgefunden hat. Die Erteilung der Genehmigung ist aus diesem Grunde zu versagen. Es ist ein auffälliges Missverhältnis zwischen dem Wert der bei Durchführung des Versorgungsausgleichs zu übertragenden/begründenden Anrechte und der vereinbarten Gegenleistung festzustellen.
2.
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass sich wirtschaftlich betrachtet im Versorgungsausgleich ein Ausgleichsanspruch zugunsten des Antragsgegners von rd. 97.000 € ergibt.
Innerhalb der Ehezeit vom 1. Mai 1979 bis 31. Januar 2009 haben die beteiligten Ehegatten beiderseits Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung/Ost sowie bei mehreren Lebensversicherungen erworben, die im Versorgungsausgleich auszugleichen sind. Dabei gilt das frühere Recht des Versorgungsausgleichs derzeit in der Beschwerdeinstanz fort.
a.
Zunächst sind die bei den privaten Rentenversicherungen bestehenden Anrechte der Ehegatten nach § 1587a Abs. 3 BGB a.F. umzuwerten.
Dabei ist hinsichtlich der auf Seiten des Antragsgegners bei der G… Versicherung bestehenden Anrechte zu berücksichtigen, dass hier sowohl das jeweilige Deckungskapital zuzüglich der genannten Überschüsse für die Bewertung des Anrechtes und daher für die Umwertung maßgeblich ist (zur Einbeziehung der Überschussanteile vgl. § 169 Abs. 7 VVG sowie für das neue Recht NK-BGB/Rehbein, 2. Aufl. 2010, § 47 VersAusglG, Rn. 6).
Umwertung der privaten Rentenversicherung Nr. 11...652 der Antragsstellerin | |
Deckungskapital | 3.464,10 € |
Umrechnungsfaktor Beitrag in Entgeltpunkte zum Ehezeitende | 0,0001627360 |
ergibt Entgeltpunkte | 0,5637 |
aktueller Rentenwert zum Ehezeitende | 26,56 |
Rentenanwartschaft | 14,97 € |
Umwertung der privaten Rentenversicherung Nr. FR ...939 der Antragsstellerin | |
Deckungskapital | 4.030,16 € |
Umrechnungsfaktor Beitrag in Entgeltpunkte zum Ehezeitende | 0,0001627360 |
ergibt Entgeltpunkte | 0,6559 |
aktueller Rentenwert zum Ehezeitende | 26,56 |
Rentenanwartschaft | 17,42 € |
Umwertung der privaten Rentenversicherung Nr. 11...716 des Antragsgegners | |
Deckungskapital | 132,33 € |
Umrechnungsfaktor Beitrag in Entgeltpunkte zum Ehezeitende | 0,0001627360 |
ergibt Entgeltpunkte | 0,0215 |
aktueller Rentenwert zum Ehezeitende | 26,56 |
Rentenanwartschaft | 0,57 € |
Umwertung der privaten Rentenversicherung Nr. 11...686 des Antragsgegners | |
Deckungskapital | 25.427,60 € |
Umrechnungsfaktor Beitrag in Entgeltpunkte zum Ehezeitende | 0,0001627360 |
ergibt Entgeltpunkte | 4,1380 |
aktueller Rentenwert zum Ehezeitende | 26,56 |
Rentenanwartschaft | 109,90 € |
Umwertung der privaten Rentenversicherung Nr. ...574 des Antragsgegners | |
Deckungskapital | 21.482,36 € |
Umrechnungsfaktor Beitrag in Entgeltpunkte zum Ehezeitende | 0,0001627360 |
ergibt Entgeltpunkte | 3,4960 |
aktueller Rentenwert zum Ehezeitende | 26,56 |
Rentenanwartschaft | 92,85 € |
b.
Sodann stellen sich die Kapitalwerte der auszugleichenden Versorgungen der gesetzlichen Rentenversicherung/Ost beider Ehegatten wie folgt dar:
Antragsstellerin
Monatsrente in der gesetzlichen Rentenversicherung | 1.358,92 € |
aktueller Rentenwert/Ost bei Ehezeitende | 23,34 |
Monatsrente : aktueller Rentenwert/Ost = EP/Ost | 58,2228 |
Umrechnungsfaktor EP/Ost in Beiträge | 5177,7224 |
EP/Ost x Umrechnungsfaktor EP/Ost in Beiträge = Kapitalwert | 301.461,46 € |
Antragsgegner
Monatsrente in der gesetzlichen Rentenversicherung | 306,07 € |
aktueller Rentenwert/Ost bei Ehezeitende | 23,34 |
Monatsrente : aktueller Rentenwert/Ost = EP/Ost | 13,1135 |
Umrechnungsfaktor EP/Ost in Beiträge | 5177,7224 |
EP/Ost x Umrechnungsfaktor EP/Ost in Beiträge = Kapitalwert | 67.898,26 € |
c.
Die Ausgleichsbilanz auf Kapitalwertbasis ergibt daher Folgendes:
Art des Versorgungsrechtes | Antragstellerin | Antragsgegner |
1. Angleichungsdynamische Rechte | ||
gesetzliche Rentenversicherung/Ost | 301.461,46 € | 67.898,26 € |
Summe | 301.461,46 € | 67.898,26 € |
Differenz | 233.563,20 € | |
Hälfte = Ausgleichsbetrag | 116.781,60 € | |
2. Nichtangleichungsdynamische Anrechte | ||
private Rentenversicherung | 3.464,10 € | 25.427,60 € |
private Rentenversicherung | 4.030,16 € | 21.482,36 € |
private Rentenversicherung | - € | 132,33 € |
Summe | 7.494,26 € | 47.042,29 € |
Differenz | - 39.548,03 € | |
Hälfte = Ausgleichsbetrag | - 19.774,02 € |
Auf Kapitalwertbasis ergibt sich damit, dass die Antragstellerin einerseits bei den angleichungsdynamischen Anrechten in einem Kapitalwertumfang von 116.781,60 €, der Antragsgegner dagegen bei den nichtangleichungsdynamischen Anrechten in einem Kapitalwertumfang von 19.774,02 € ausgleichspflichtig sind.
Insgesamt ergibt sich daher wirtschaftlich betrachtet ein Ausgleichsanspruch zugunsten des Antragsgegners von rd. 97.000 €. Anhand dessen ist die erforderliche Genehmigung gemäß § 1587o Abs. 2 BGB a.F. zu bemessen.
3.
Als Gegenleistung für den Verzicht auf den wirtschaftlich betrachtet in einem Umfang von 97.000 € bestehenden Versorgungsausgleich ist zugunsten des Antragsgegners im Wesentlichen das hälftige Miteigentum an dem vormaligen Familienheim festzustellen.
Der insoweit feststellbare Verzicht des Antragsgegners (97.000 €, vgl. zuvor) sollte dadurch ausgeglichen werden, dass die Antragstellerin ihren hälftigen Miteigentumsanteil am Familiengrundstück auf den Antragsgegner überträgt und auf Zahlungsansprüche in Bezug auf diesen Grundbesitz verzichtet (Seite 2 des vorgenannten Notarvertrages, Bl. 139).
Nach derzeitigem Stand (Kurzgutachten des Sachverständigen K… aus 2009, vgl. 156 ff.) ergibt sich ein feststellbarer Verkehrswert des Grundstückes von 118.000 €; da die Antragstellerin als hälftige Miteigentümerin daran hälftig beteiligt ist, steht ihr also insoweit an sich ein Anteil in einem wertmäßigen Umfang von 59.000 € zu. Den zuvor genannten 97.000 € Verzichtsbetrag steht daher nach derzeitigem Stand ein Ausgleichsbetrag von 59.000 € gegenüber. Die Differenz beträgt rd. 38.000 €.
Angesichts der Höhe dieses Betrages stellt sich die Verzichtsvereinbarung auch unter Beachtung der sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisses der Eheleute – soweit diese überhaupt bekannt sind – als unangemessen dar. Dass dagegen ein weitergehender Ausgleich beispielsweise durch Übernahme von Schuldverbindlichkeiten bzw. durch Verzicht auf sonstige Ansprüche stattgefunden hat, kann anhand des Inhalts des vorgenannten Notarvertrages derzeit nicht festgestellt werden. Sachvortrag hinsichtlich eines solchen Ausgleichsbetrages mit Ausnahme der Bezugnahme auf den Wert des vorgenannten Grundstückes ist auch nach den durch den Berichterstatter des Senats erteilten Hinweisen (Verfügung vom 13. Januar 2011, Bl. 206 ff.) nicht erfolgt.
Erst recht gilt die Unangemessenheit der Verzichtsvereinbarung unter Berücksichtigung dessen, dass der Notarvertrag nach derzeitigem Stand schwebend unwirksam ist. Nach Ziffer II. 1. letzter Absatz (Seite 12 des Notarvertrages, Bl. 149) darf die Eintragung des Eigentumswechsels (die dingliche Einigung ist unter Ziffer I., Bl. 147 f. des Notarvertrages, vereinbart) erst beantragt werden, wenn die Gläubigerin, d.h. die …-Bank die Schuldübernahme genehmigt hat. Eine Haftungsentlassung der Antragstellerin aus den bei der …-Bank bestehenden Verbindlichkeiten in einem Umfang von rd. 143.000 € wird nach letztem Sachstand (Schreiben des Ehemannes vom 11. Februar 2010, Bl. 198) jedoch versagt. Nach den vertraglichen Bedingungen kann derzeit also die vereinbarte Eigentumsumschreibung bzw. der Eigentumswechsel nicht vollzogen werden. Da der Vertrag insoweit (zumindest) schwebend unwirksam ist, worauf auch der Notar hingewiesen hat (Seite 17 des Notarvertrages, Bl. 154), ist nach derzeitigem Stand gänzlich offen, ob es überhaupt zu einem Ausgleich auf Seiten des Antragsgegners für den Verzicht auf die zuvor genannten 97.000 € kommt. Auch insoweit ist die notwendige eine Genehmigung nach § 1587o Abs. 2 BGB a.F. zu versagen.
Nach alledem ist die Verzichtsvereinbarung unwirksam und der Versorgungsausgleich im Grundsatz durchzuführen.
4.
Für das weitere Verfahren wird noch auf Folgendes hingewiesen:
Derzeit ist der Versorgungsausgleich gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 VAÜG a.F. auszusetzen, da die Antragstellerin die höheren angleichungsdynamischen, der Antragsgegner dagegen die höheren nichtangleichungsdynamischen Anrechte besitzt.
Mit Einführung des Versorgungsausgleichgesetzes zum 1. September 2009 ergibt sich sodann gemäß Art. 111 Abs. 3 FGG-RG, dass aufgrund der zu treffenden Aussetzungsentscheidung das Versorgungsausgleichsverfahren nach neuem Recht (auch materiell, § 48 Abs. 2 VersAusglG) durchzuführen ist. Insoweit ist die getroffene Entscheidung aufzuheben und das Verfahren an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Das Amtsgericht wird, soweit es das Verfahren gem. § 50 VersAusglG aufnimmt, hinsichtlich der vorhandenen auszugleichenden Anrechte neue Auskünfte von den Versorgungsträgern gemäß § 5 VersAusglG einzuholen haben.
5.
Die Entscheidung über den Beschwerdewert beruht auf § 49 Nr. 3 GKG a.F.
Gründe, die Rechtsbeschwerde gem. § 574 ZPO zuzulassen, liegen nicht vor.