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Entscheidung 5 Sa 1789/12


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 5. Kammer Entscheidungsdatum 31.01.2013
Aktenzeichen 5 Sa 1789/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 155 Abs 4 S 9 SGB 5, § 164 Abs 4 S 1 SGB 5, § 1 Abs 2 KSchG

Tenor

I.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16.08.2012 – 59 Ca 7750/11 – abgeändert.

1.Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin aufgrund der Schließung der Beklagten nicht am 30.06.2011 beendet worden ist.
2.Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin weder durch die vorsorgliche außerordentliche Kündigung vom 19.05.2011 mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2011 noch durch die höchstvorsorgliche außerordentliche Kündigung vom 19.05.2011 mit sozialer Auslauffrist zum 31.12.2011 oder zu einem späteren Zeitpunkt aufgelöst worden ist.

II.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt bei einem Gebührenstreitwert von 10.884,00 € die Beklagte.

III.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes sowie über die Wirksamkeit außerdem vorsorglich arbeitgeberseitig ausgesprochener Kündigungen.

Die am ….1956 geborene Klägerin, die ihre in Berlin ansässige Mutter als Pflegefall zu betreuen hat, war seit 05.04.1993 zunächst beim Land Berlin und seit 01.01.1999 bei der beklagten Betriebskrankenkasse bzw. deren Rechtsvorgängerin, zuletzt zu 50 % der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit mit einem Bruttomonatsentgelt von 1.814,00 €, als Angestellte beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ist in Anwendung tarifvertraglicher Bestimmungen ordentlich unkündbar.

Am 07.04.2011 zeigte der Vorstand der Beklagten dem Bundesversicherungsamt (BVA) die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung an. Das BVA ordnete daraufhin mit Bescheid vom 04.05.2011 die Schließung der Beklagten zum 30.06.2011 sowie die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an. Mit Schreiben vom 06.05.2011 (Bl. 9/ 10 d. A.) wies die Beklagte die Klägerin auf ein Rückkehrrecht zum Land Berlin und ein Weiterbeschäftigungsangebot seitens des BKK Landesverbandes Baden-Württemberg hin. Mit weiterem Schreiben vom 09.05.2011 (Bl. 11/12 d. A.) teilte die Beklagte der Klägerin u.a. mit, dass nach §§ 153, 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 1 SGB V die Schließung der C. BKK zur Beendigung aller Arbeitsverhältnisse zum Schließungszeitpunkt führe und auch ihr Arbeitsvertrag somit zum 30.06.2011 ende. Mit Schreiben vom 19.05.2011 (Bl. 19 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich zum 30.06.2011 sowie höchstvorsorglich zum 31.12.2011 als nächst zulässigem Termin. Zuvor hatte sie mit Schreiben vom 20.04.2011 (Bl. 110 d. A.) und vom 04.05.2011 (Bl. 112 bis 116 d. A.) den Hauptpersonalrat (HPR) zur vorsorglichen Kündigung aller Arbeitsverhältnisse zum 30.06.2011 sowie zur höchstvorsorglichen ordentlichen bzw. außerordentlichen Kündigung aller Arbeitsverhältnisse unter Einhaltung der Kündigungsfristen bzw. sozialen Auslauffristen angehört und, nachdem dieser mit Schreiben vom 17.05.2011 (Bl. 117/ 118 d. A.) den beabsichtigten Kündigungen widersprochen hatte, mit zwei Schreiben vom 18.05.2011 (Bl. 119 bis 122 d. A.) erwidert.

Mit der am 24.05.2011 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2011 und mit am 08.06.2011 beim Arbeitsgericht eingegangener Klageerweiterung gegen die Kündigungen „vom 17.05.2011“ gewandt, wobei sie diesem Schriftsatz das Kündigungsschreiben vom 19.05.2011 beigefügt hatte.

Das der Klägerin vom Landesverband Baden-Württemberg unterbreitete Stellenangebot am Standort Villingen-Schwenningen mit einer Bruttomonatsvergütung von 2.719,00 € auf Basis einer Vollbeschäftigung und ohne Anerkennung des erreichten Besitzstands hat die Klägerin nicht angenommen.

Die Beklagte firmiert seit ihrer Schließung als „C. BKK Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung“. Seit Juli 2011 werden Abwicklungsarbeiten durchgeführt und dafür bisherige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit neuen befristeten Arbeitsverträgen eingesetzt. Zwischen den Parteien ist streitig, ob auch die Klägerin ein Weiterbeschäftigungsangebot für Abwicklungsarbeiten erhielt. Sie wurde jedenfalls nicht für solche Arbeiten beschäftigt.

Die Klägerin hat gemeint, ihr Arbeitsverhältnis sei nicht durch Gesetz beendet worden. Die Regelungen der §§ 155, 164 SGB V begegneten massiven verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Beschäftigungsangebot des Landesverbandes Baden-Württemberg sei unannehmbar gewesen. Ein Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses liege nicht vor. Der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden.

Die Klägerin hat beantragt,

1.

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Mitteilungen der Beklagten vom 04.. 06. und 09.05.2011 nicht zum 30.06.2011 beendet wird, sondern über den 30.06.2011 hinaus unbefristet fortbesteht,

2.

festzustellen, dass die von der Beklagten unter dem 17.05.2011 ausgesprochenen Kündigungen unwirksam sind und das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen über den 30.06.2011 respektive 31.12.2011 fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Regelungen der §§ 155, 164 SGB V für verfassungskonform gehalten. Sie begründeten keinen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG, da die BKK durch die Schließung ihre Rechtspersönlichkeit verloren habe. Die Abwicklungskörperschaft sei mit dieser nicht identisch. Jedenfalls sei ein etwaiger Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt. Mit der gesetzlich angeordneten Beendigung der Arbeitsverhältnisse solle eine finanzielle Überforderung der Versichertengemeinschaft vermieden und ein funktionierendes, bezahlbares Gesundheitssystem erhalten werden. Dabei handle es sich um ein Gemeinwohlgut ersten Ranges. Auf ordnungsgemäße Unterbringungsbemühungen komme es nicht an. Ein Verstoß gegen die in § 164 Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB V enthaltenen Verpflichtungen begründe allenfalls einen Schadensersatzanspruch. Jedenfalls habe das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung sein Ende gefunden.

Mit Urteil vom 16.08.2012 – 59 Ca 7750/11 - hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei parteifähig und passivlegitimiert. Die Klägerin habe auch das erforderliche Feststellungsinteresse. Die Klage sei jedoch nicht begründet. Die arbeitsvertraglichen Beziehungen der Parteien seien am 30.06.2011 kraft Gesetzes gemäß § 155 Abs. 4 S. 9 SGB V i.V.m. § 164 Abs. 4 S. 1 SGB V beendet worden. § 164 Abs. 4 S. 1 SGB V, der nach § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V auch für die ordentlich unkündbaren Beschäftigten der Betriebskrankenkassen gelte, sehe vor, dass bei der Auflösung oder Schließung einer Innungskrankenkasse die Vertragsverhältnisse der Beschäftigten, die nicht nach § 164 Abs. 3 SGB V untergebracht werden, mit dem Tag der Auflösung oder Schließung enden. Für die ordentlich unkündbare Klägerin habe eine Unterbringung im Sinne der gesetzlichen Regelung (bisher) nicht stattgefunden. Sie sei nicht im Sinne der gesetzlichen Regelung untergebracht worden, nachdem sie auf ein unzumutbares Angebot der Beklagten nicht eingegangen sei, was die gesetzlich vorgesehene Beendigungswirkung zur Folge habe. Für diese komme es nach ihrem eigentlichen Zweck nur darauf an, dass eine Unterbringung tatsächlich nicht stattgefunden habe, nicht aber auch auf die Zumutbarkeit eines vorangegangenen Weiterbeschäftigungsangebotes. Mit dieser Auslegung begegne die gesetzliche Regelung keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie greife nicht unverhältnismäßig in die nach Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit der Klägerin ein und verstoße auch nicht gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Der Eingriff in die Berufsfreiheit diene jedenfalls mittelbar auch dem Schutz eines funktionierenden und bezahlbaren Gesundheitssystems und damit einem überragenden Gemeinschaftsgut in Gestalt der durch die gesetzliche Krankenversicherung gewährleisteten Volksgesundheit. Mittelbar werde die Versichertengemeinschaft durch die Regelung vor der Gefahr einer zusätzlichen finanziellen Inanspruchnahme infolge weiterer Personalkosten geschützt. Der Eingriff sei geeignet, erforderlich und auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Seine Angemessenheit entfalle nicht durch das Fortbestehen eines nicht unerheblichen Arbeitskräftebedarfs für die Abwicklungsarbeiten im Nachgang der Schließung. Die arbeitsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zur Abdeckung dieses Arbeitskräftebedarfs, der ohnehin im Zuge fortschreitender Abwicklung sukzessive abnehme, seien für die notleidende BKK deutlich kalkulierbarer und rechtssicherer, wenn ihre Schließung zunächst einmal die Beendigung der Arbeitsverhältnisse insgesamt zur Folge habe. Den Arbeitsverhältnissen in der gesetzlichen Sozialversicherung sei der Vorbehalt ihrer Beendigung aufgrund der Schließung der Krankenkasse gemäß der Art. 12 GG einschränkenden gesetzlichen Regelung des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V von Anfang an immanent. Den damit verbundenen Wegfall jeglichen Kündigungsschutzes sowie der Interessenwahrnehmung durch die Personalvertretung habe der Gesetzgeber im Gemeinwohlinteresse so gewollt. Auch die fehlende Sozialplanpflicht und das Ausbleiben sonstiger gesetzlicher Entschädigungszahlung rechtfertige keine andere Bewertung, weil eine Bereitstellung nennenswerter Abfindungszahlungen in Ansehung der die Schließungsentscheidung auslösenden Überschuldung der Krankenkasse in der Regel ohnehin ausscheide. Aus denselben Gründen scheide auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG aus, da mit Rücksicht auf das Gemeinwohlgut der funktionierenden Sozialversicherung die Schlechterstellung der in der Sozialversicherung beschäftigten Angestellten gegenüber anderen Arbeitnehmergruppen sachlich gerechtfertigt sei. Auf die weiteren Streitgegenstände des allgemeinen Fortbestehensantrags sowie die Wirksamkeit der Kündigung vom 17.05.2011 komme es somit nicht mehr an.

Gegen dieses, der Klägerin am 28.08.2012 zugestellte Urteil, auf dessen Tatbestand (Bl. 196 bis 199 d. A.) wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien Bezug genommen wird, richtet sich ihre am 19.09.2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die sie mit am 26.10.2012 eingegangenem Schriftsatz begründet hat.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Regelung von § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V stelle einen ungerechtfertigten Eingriff in ihre Rechte aus Art. 12 GG dar. Zur Erreichung des Schutzes des Gesundheitssystems und der Versichertengemeinschaft sei die gesetzliche Beendigung aller Arbeitsverhältnisse zumindest dann unangemessen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach der Schließung der Kasse weiterbeschäftigen könne, weil er ihn weiter benötige, wie die auch heute noch bei der Beklagten bestehenden Abwicklungstätigkeiten belegten. In diesem Falle gebiete der Zweck des Gesetzes nicht die gesetzliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Schließungszeitpunkt, da aufgrund der zur Abwicklung erforderlichen fortlaufenden Beschäftigungen ohnehin weitere Kosten für die Beklagte bzw. die mithaftenden Krankenkassen anfielen. Auch habe die Beklagte zwischen Anordnung und Schließung der Kasse Gelegenheit und Pflicht zur Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten gehabt. Zur Wahrung eines Mindestmaßes sozialer Rücksichtnahme gegenüber den Beschäftigten und den Mitgliedern der BKK sei auch die Aufsichtsbehörde verpflichtet, eine Vorlaufzeit zwischen der Anordnung und der Schließung zu wahren. Eine „ad-hoc-Beendigung“ wäre verfassungsrechtlich ohnehin nicht zulässig. Bei Abwägung der beiderseitigen Interessen sei auch zu berücksichtigen, dass Art. 12 GG auch die freie Arbeitsplatzwahl schütze. Im Falle der gesetzlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses werde der ordentlich unkündbare Arbeitnehmer in eine Zwangslage gebracht, da er entweder ein Arbeitsverhältnis mit einer anderen BKK oder dem Landesverband schließen müsse oder jeglichen Bestandsschutz verliere. Vorsorglich werde gerügt, dass sich das angefochtene Urteil zu der von ihr gerügten mangelhaften Beteiligung des Personalrats nicht verhalte. Es habe nicht einmal eine ordnungsgemäße Sozialauswahl bezüglich der mit Abwicklungsarbeiten betrauten Weiterbeschäftigten stattgefunden. Die Klägerin nimmt im Übrigen Bezug auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 16.08.2012 – 59 Ca 7750/11 –

1.

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin aufgrund der Schließung der Beklagten nicht am 30.06.2011 beendet worden ist,

2.

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin weder durch die vorsorgliche außerordentliche Kündigung vom 19.05.2011 mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2011 noch durch die höchstvorsorgliche außerordentliche Kündigung vom 19.05.2011 mit sozialer Auslauffrist zum 31.12.2011 oder zu einem späteren Zeitpunkt aufgelöst worden ist.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Beklagte meint unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag, es sei bereits fraglich, ob es für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2011 überhaupt (konstitutiv) auf § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V ankomme. Die Vorschrift sei auch verfassungskonform, wie bereits erstinstanzlich ausgeführt. Die durch die Normen vermittelte Rechtssicherheit und die daraus resultierende Kostenbeschränkung sei nicht weg zu reden. Weiter sei zu beachten, wie schwer das Schutzgut wirke, das auf Arbeitnehmerseite in die Abwägung einzubeziehen sei. Es handle sich dabei um ein prekäres Arbeitsverhältnis, bei dem der Arbeitgeber nicht mehr von sich aus in der Lage wäre, die monatlichen Gehälter zu zahlen. Im normalen Wirtschaftsleben führe dies dazu, dass der Arbeitnehmer kündigen und von der Arbeitsagentur Insolvenzgeld beanspruchen müsse. Auf die Personalratsbeteiligung zu den Kündigungen komme es nicht an, weil das Arbeitsverhältnis aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen zum 30.06.2011 beendet worden sei. Hinsichtlich der Beendigung der Arbeitsverhältnisse aufgrund der Schließung habe der Personalrat nicht beteiligt werden müssen. Im Übrigen sei der Personalrat sowohl an der vorsorglichen als auch an der höchstvorsorglichen Kündigung vom 19.05.2011 ordnungsgemäß beteiligt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Schriftsatz der Klägerin und Berufungsklägerin vom 23.10.2012 (Bl. 220 bis 222 d. A.), den Schriftsatz der Beklagten und Berufungsbeklagten vom 28.11.2012 (Bl. 235 bis 238 d. A.) und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.01.2013 (Bl. 239/ 240 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 c) ArbGG statthafte sowie gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete und somit zulässige Berufung der Klägerin hat auch in der Sache Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat weder aufgrund der Schließung der Beklagten zum 30.06.2011 noch durch die vorsorgliche und die höchstvorsorgliche Kündigung der Beklagten vom 19.05.2011 mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2011 bzw. zum 31.12.2011 sein Ende gefunden.

I.

Die Klage ist zulässig.

Die Beklagte ist passivlegitimiert. Nach § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V gilt die Betriebskrankenkasse bis zur Abwicklung der Geschäfte als fortbestehend, soweit es der Zweck der Abwicklung erfordert. Dieser Zweck erfordert auch die Auseinandersetzung mit der Beendigung der Arbeitsverhältnisse infolge der Schließung der Beklagten. Ein Hinweis im Rubrum darauf, dass sich die Beklagte in Abwicklung befindet, war nicht erforderlich, da dieser an der Rechtspersönlichkeit der Beklagten nichts ändern konnte (so auch Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom – 12 Sa 905/12 -, zitiert nach juris-Datenbank).

Das besondere Feststellungsinteresse des § 256 Abs. 1 ZPO ist für beide Feststellungsanträge gegeben. Für den Antrag zu 1. folgt dies daraus, dass die Beklagte im Gegensatz zur Klägerin die Ansicht vertritt, aufgrund ihrer Schließung habe das Arbeitsverhältnis der Parteien nach gesetzlichen Vorschriften zum 30.06.2011 geendet, und dieser Streit der Parteien einer alsbaldigen Klärung durch die begehrte Feststellung bedarf. Für den Antrag zu 2. ergibt sich das besondere Feststellungsinteresse bereits aus § 13 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 und 7 KSchG. Danach musste sich die Klägerin gegen die Kündigungen der Beklagten rechtzeitig innerhalb von drei Wochen nach Zugang des Kündigungsschreibens mit der Feststellungsklage gerichtlich zur Wehr setzen, um die Fiktionswirkung des § 7 KSchG zu vermeiden.

II.

Die Klage ist auch insgesamt begründet.

1.

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin endete nicht aufgrund der Schließung der Beklagten am 30.06.2011.

2.1

Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien zum 30.06.2011 ist nicht bereits deshalb eingetreten, weil die Existenz der C. BKK als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit ihrer Schließung endete und der Klägerin deshalb ihr Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt schlicht abhanden gekommen wäre, wie die Beklagte erstinstanzlich gemeint hat. Vielmehr gilt die Beklagte nach § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V bis zur Abwicklung der Geschäfte als fortbestehend, soweit es der Zweck der Abwicklung erfordert. Hierfür wird eine neue Abwicklungsgesellschaft nicht fingiert. Bei der geschlossenen Kasse und der Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung handelt es sich vielmehr um dasselbe Rechtssubjekt, weshalb es auch einen ggf. erforderlichen Errichtungsakt nicht gab. Bereits an der Weiterbeschäftigung einer Vielzahl von Arbeitnehmern für die Zwecke der Abwicklung wird deutlich, dass nicht bereits die Schließung der Beklagten als solche zur Beendigung sämtlicher Arbeitsverhältnisse geführt haben kann. Überdies hätte es der Vorschrift des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V, nach welcher die Vertragsverhältnisse derjenigen Beschäftigten, die nicht nach Abs. 3 untergebracht werden, mit dem Tag der Schließung enden, nicht bedurft, wenn bereits die Schließung als solche eine Beendigung sämtlicher Vertragsverhältnisse auslösen würde (so auch Urteile des LAG Berlin Brandenburg vom 12.04.2012 – 5 Sa 142/12 – und vom 27.06.2012 – 24 Sa 2524/11 -, jeweils zitiert nach juris-Datenbank).

2.2

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht aufgrund der Schließung der Beklagten am 30.06.2011 nach § 155 Abs. 4 Satz 9 i.V.m. § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V beendet worden.

2.2.1

In § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V ist bestimmt, dass die in § 164 Abs. 2 bis 4 SGB V für den Fall der Auflösung oder Schließung einer Innungskrankenkasse geregelten gesetzlichen Vorschriften für Betriebskrankenkassen entsprechend gelten mit der Maßgabe, dass § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V nur für Beschäftigte gilt, deren Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden kann. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift auf die Schließung einer Betriebskrankenkasse ist allen Beschäftigten, die nicht Dienstordnungsangestellte sind und deren Arbeitsverhältnis nicht durch ordentliche Kündigung beendet werden kann, bei dem Landesverband der Betriebskrankenkassen oder einer anderen Betriebskrankenkasse eine Stellung anzubieten, die ihnen unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung zuzumuten ist. Des Weiteren ist bei entsprechender Anwendung von § 164 Abs. 3 Satz 4 SGB V jede Betriebskrankenkasse verpflichtet, Anstellungen nach Satz 3 anzubieten und die Angebote den Beschäftigten in geeigneter Form zugänglich zu machen. Wenn es sodann in § 164 Abs. 4 Satz 1 heißt, dass die Vertragsverhältnisse der Beschäftigten, die nicht nach Abs. 3 untergebracht werden, mit dem Tag der Auflösung oder Schließung enden, setzt dies nichtnur voraus, dass eine anderweitige Unterbringung nicht vorliegt, sondern auch, dass zuvor das gesetzlich vorgeschriebene Unterbringungsverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde, im Ergebnis aber nicht zur anderweitigen Weiterbeschäftigung den unkündbaren Beschäftigten der geschlossenen Betriebskrankenkasse geführt hat. Dies ergibt eine Auslegung der gesetzlichen Vorschriften.

2.2.2

Der einfach-gesetzlichen Auslegung von Gesetzen ist der Wortlaut der Vorschrift, der systematische Gesamtzusammenhang, die Entstehungsgeschichte und der Zweck, soweit er im Gesetz erkennbar Ausdruck gefunden hat, zugrunde zu legen (vgl. Urteile des BAG vom 15.11.2011 – 9 AZR 348/10 -, NZA 212, S. 323 ff. und vom 20.05.2008 – 9 AZR 219/07 -, NZA 2008, S. 1237 ff.).

2.2.2.1

Wortlaut und Systematik von § 164 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 SGB V, wonach die Vertragsverhältnisse der nicht nach Abs. 3 untergebrachten Beschäftigten mit dem Tag der Auflösung oder Schließung enden, machen deutlich, dass nicht allein die Tatsache einer ausgebliebenen Unterbringung der Beschäftigten, sondern auch die in Abs. 3 für diese Unterbringung geregelten Maßgaben eingehalten sein müssen, damit es zur Beendigung der Vertragsverhältnisse im Zeitpunkt der Schließung kommt. Die Bezugnahme auf Absatz 3 in Abs. 4 Satz 1 zeigt, dass beide Absätze miteinander in einem systematischen Zusammenhang stehen. Wenn es in den für die Beschäftigten, die nicht Dienstordnungsangestellte sind, allein heranzuziehenden Sätzen 3 und 4 des Absatzes 3 sodann in entsprechender Anwendung auf die Betriebskrankenkassen heißt, dass diesen bei dem Landesverband der Betriebskrankenkassen oder einer anderen Betriebskrankenkasse eine Stellung anzubieten ist, die ihnen unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung zuzumuten ist, und dass die Betriebskrankenkassen verpflichtet sind, entsprechende Anstellungen anzubieten, lässt dies darauf schließen, dass regelmäßig derartige zumutbare Angebote vorangegangen sein müssen, um die in § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V bezeichnete Rechtsfolge der Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit der Schließung auszulösen.

2.2.2.2

Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt diese Auslegung. In der Gesetzesbegründung des GKV-OrgVVG (BT-Drucks. 16/9559, S. 19), mit dem die Verweisungsnorm in § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V eingeführt wurde, heißt es dazu:

„Durch die entsprechende Anwendung des § 164 Abs. 2 bis 4 werden auch im Bereich der Betriebskrankenkassen die Beschäftigungsansprüche der Dienstordnungsangestellten (DO-Angestellten) und der übrigen Beschäftigten in unkündbaren Arbeitsverhältnissen insoweit gesichert, als ihnen bei den anderen Betriebskrankenkassen eine ihrer bisherigen Stelle entsprechende Stelle anzubieten ist. Die Rechtsposition wird hierdurch entsprechend den vorhandenen Regelungen für Orts- und Innungskrankenkassen gesichert, wie es als Folge von kassenübergreifenden Fusionen bereits in § 171 a SGB V geregelt ist.“

Die Gesetzesbegründung der gleich lautenden und deshalb auch vergleichbaren Vorgängerbestimmungen von § 164 Abs. 3 SGB V für die Innungskrankenkassen in § 173 Abs. 3 bis 5 SGB V a.F. (BT-Drucksache 11/2237, S. 212) lautet:

„Im Interesse des von der Auflösung oder Schließung einer Innungskrankenkasse betroffenen Personals wird vorgesehen, dass grundsätzlich sowohl den dienstordnungsmäßigen Angestellten als auch den übrigen Bediensteten der Krankenkasse die Weiterbeschäftigung entweder beim zuständigen Landesverband der Innungskrankenkassen oder bei einer anderen Innungskrankenkasse anzubieten ist. Die Übernahme der Beschäftigten soll zu denselben oder zumindest gleichwertigen Bedingungen erfolgen. Nur in den Fällen, in denen eine Weiterbeschäftigung nicht möglich ist, sollen die Vertragsverhältnisse enden.“

Die Gesetzesbegründung der gleich lautenden Vorgängerbestimmungen besagt klar und eindeutig, dass der Beendigung der Vertragsverhältnisse im Zeitpunkt der Schließung grundsätzlich ein zumutbares Weiterbeschäftigungsangebot beim Landesverband oder einer anderen Kasse vorangegangen sein muss, ohne dass es jedoch im Ergebnis zu einer anderweitigen Unterbringung gekommen ist. Wenn nach dieser Gesetzesbegründung nur im Falle der Unmöglichkeit einer Weiterbeschäftigung die Vertragsverhältnisse enden sollen, lässt dies allerdings offen, aus welchen Gründen eine Weiterbeschäftigung nicht möglich war und es deshalb letztlich nicht zu einer Unterbringung gekommen ist. Da grundsätzlich sämtlichen Beschäftigten, die nicht Dienstordnungsangestellte sind, zumutbare Angebote zu unterbreiten sind, wird das Ausbleiben einer Unterbringung in diesen Fällen regelmäßig daran liegen, dass diese von den jeweiligen Beschäftigten nicht angenommen wurden. Sind die betroffenen Arbeitnehmer mit einem zumutbaren Angebot nicht einverstanden, ist eine diesem entsprechende Weiterbeschäftigung unmöglich. Denkbar ist nach der Gesetzesbegründung jedoch auch, dass im ausnahmsweisen Einzelfall die anderweitige Unterbringung daran scheitert, dass im Rahmen des zwingend durchzuführenden Unterbringungsverfahrens weder beim Landesverband noch bei einer anderen Kasse zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten gefunden wurden, die den jeweiligen Beschäftigten angeboten werden konnten. Auch in einem solchen Fall wäre eine anderweitige Weiterbeschäftigung im Sinne der Gesetzesbegründung „nicht möglich“. Eine Unmöglichkeit der Unterbringung in diesem Sinne liegt indes nicht vor, wenn das Unterbringungsverfahren überhaupt unterblieben ist oder wenn einem unkündbaren Beschäftigten im Rahmen dieses Verfahrens eine Stellung angeboten wurde, die ihm unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung nicht zuzumuten war, weil dann das Unterbringungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. In beiden Fällen mangelt es an der Einhaltung der Voraussetzungen von § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V, die § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V in Bezug nimmt. Der Arbeitnehmer kann daher auch ein unzumutbares Angebot im Rahmen des Unterbringungsverfahrens ausschlagen, ohne dass ihn die Rechtsfolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der Schließung trifft.

2.2.2.3

Aus dieser Entstehungsgeschichte ist zudem der Zweck der Regelungen in § 164 Abs. 3 und 4 SGB V erkennbar, den von der Schließung betroffenen unkündbaren Angestellten im Regelfall zur Sicherung ihrer Beschäftigungsansprüche eine Weiterbeschäftigung zu gleichen oder zumindest gleichwertigen Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, um die Folge der Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse im Zeitpunkt der Schließung möglichst zu vermeiden. Dieser Gesetzeszweck, der in den gesetzlichen Regelungen mit dem Erfordernis entsprechender Angebote und der Verpflichtung des Landesverbandes bzw. der anderen Betriebskrankenkassen zu deren Unterbreitung entsprechenden Ausdruck gefunden hat, ist auch bei der Auslegung der Beendigungsnorm des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V zu beachten, da diese Vorschrift nur auf die Vertragsverhältnisse derjenigen Beschäftigten zur Anwendung kommen soll, die nicht nach Abs. 3 untergebracht werden.

2.2.2.4

Dies steht der Rechtsauffassung der Beklagten entgegen, dass § 164 Abs. 4 Satz 1 SBG V allein dem Schutz des Gesundheitssystems und der Versichertengemeinschaft diene und dass mit der Vorschrift allein der Gefahr eines „Domino-Effekts“, der Schließung einer Kasse nach der anderen aufgrund einer stetigen Steigerung der Verbindlichkeiten bei einer immer kleiner werdenden Haftungsgemeinschaft, begegnet werden solle, indem die Beendigung aller Arbeitsverhältnisse mit dem Schließungszeitpunkt angeordnet werde. Wenn § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V die Maßgaben von § 164 Abs. 3 SGB V ausdrücklich in Bezug nimmt, dient die Vorschrift jedenfalls auch dem Interesse des von Auflösung oder Schließung betroffenen Personals an einer zumutbaren anderweitigen Weiterbeschäftigung und der Sicherung der Weiterbeschäftigungsansprüche der von der Schließung der Kasse betroffenen unkündbaren Arbeitnehmer. Nur wenn von den Betroffenen zumutbare anderweitige Beschäftigungsangebote nicht angenommen wurden oder wenn im Ausnahmefall das Unterbringungsverfahren trotz ausreichender Bemühungen wegen fehlender zumutbarer Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten beim Landesverband oder einer anderen Betriebskrankenkasse ohne Ergebnis blieb, soll es vielmehr zur Beendigung der Vertragsverhältnisse der unkündbaren Beschäftigten kommen und rückt dann der mit der Vorschrift ebenfalls bezweckte Schutz des Gesundheitssystems und der Versichertengemeinschaft vor finanzieller Überforderung durch Verpflichtungen aus infolge des Fehlens von Beschäftigungsmöglichkeiten ggf. sinnlos gewordenen Arbeitsverhältnissen der unkündbaren Arbeitnehmer in den Vordergrund (so auch Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 12.04.2012 – 5 Sa 142/12 -, zitiert nach juris-Datenbank).

2.2.2.5

Führt somit bereits die einfach-gesetzliche Auslegung dazu, dass eine Beendigung der Arbeitsverhältnisse der unkündbaren Arbeitnehmer eine letztlich erfolglose, stets aber ordnungsgemäße Durchführung des Unterbringungsverfahrens nach § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V voraussetzt, so gebietet auch die verfassungskonforme Auslegung dieses Ergebnis. Das in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes schützt den Einzelnen in seinem Entschluss, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in dem gewählten Beruf zu ergreifen, beizubehalten oder aufzugeben. Greift eine Regelung in die freie Wahl des Arbeitsplatzes mit ähnlicher Wirkung ein wie eine objektive Zulassungsschranke in die Freiheit der Berufswahl, ist sie nur zur Sicherung eines entsprechend wichtigen Gemeinschaftsguts und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. Urteil des BVerfG vom 24.04.1991 – 1 BvR 1341/90 -, EzA Art. 13 Einigungsvertrag Nr. 1).

Die in § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V bestimmte Beendigung der Arbeitsverhältnisse der unkündbaren Arbeitnehmer mit der Schließung der Krankenkasse greift in den freien Entschluss dieser Arbeitnehmer, die konkrete Beschäftigungsmöglichkeit bei der Kasse beizubehalten oder aufzugeben, mit ähnlicher Wirkung ein wie eine objektive Zulassungsschranke. Mit dem Zweck, ein funktionierendes Gesundheitssystem zu erhalten und die Versichertengemeinschaft vor finanzieller Überforderung zu schützen, sollen die gesetzlichen Vorschriften demgegenüber besonders wichtige Gemeinschaftsgüter sichern. Der gesetzliche Eingriff in die Arbeitsverhältnisse, insbesondere die gesetzliche Anordnung ihrer Beendigung im Zeitpunkt der Schließung der Kasse, ist jedoch nur unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als zulässig anzusehen.

Indem mit dem zwingend angeordneten Unterbringungsverfahren den betroffenen Arbeitnehmern grundsätzlich die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung beim Landesverband oder einer anderen Betriebskrankenkasse zu gleichen oder zumindest gleichwertigen Arbeitsbedingungen eröffnet wird, erfolgt jedenfalls dann, wenn sie dieses Angebot annehmen, ein angemessener Ausgleich dieses Eingriffes durch die Sicherung ihres Lebensunterhalts mit dieser anderweitigen zumutbaren Weiterbeschäftigung. Hingegen wäre der Eingriff in die Berufsfreiheit ohne jegliche gesetzlich vorgesehene Kompensation im Sinne der von der Beklagten vertretenen „tabula-rasa-Lösung“ trotz des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers zwar ebenfalls zur Gefahrenabwehr für das System des gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes geeignet, jedoch im Hinblick auf zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Verbund der Betriebskrankenkassen bereits nicht erforderlich. Es war nicht erkennbar, weshalb gerade durch das gesetzlich angeordnete Unterbringungsverfahren der von der Beklagten befürchtete „Domino-Effekt“ eintreten könnte, zumal die Kassen, die von der Schließung betroffene Arbeitnehmer weiterbeschäftigen, für deren Bezahlung im Gegenzug die von diesen zu erbringenden Arbeitsleistungen erhalten. Jedenfalls aber wäre eine solche Lösung nicht angemessen, da in diesem Fall im Gesetz selbst weder eine ansatzweise Sicherung der Beschäftigungsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer noch eine anderweitige Kompensation für den schwerwiegenden Eingriff in ihre Berufsfreiheit enthalten wäre (ebenso insgesamt Urteile des LAG Berlin-Brandenburg vom 27.06.2012 – 24 Sa 2524/11 – und vom 12.04.2012 – 5 Sa 142/12 -, zitiert nach juris-Datenbank).

2.2.2.6

Soweit diese Auslegung in der Konsequenz dazu führte, dass § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V auf ordentlich kündbare Beschäftigte nicht anwendbar wäre, stünde dies entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in Widerspruch zu der Verweisungsnorm in § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V und wäre auch nicht evident und grob wertungswidersprüchlich. Einer ausdrücklichen Einschränkung auch des § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB V auf die unkündbaren Beschäftigten in der Verweisungsnorm bedurfte es nicht, da sich diese bereits aus der auf diese Beschäftigten eingeschränkten Bezugnahme auf § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V in der Verweisungsnorm ergibt. Auch ein eklatanter Wertungswiderspruch ist nicht erkennbar. Ordentlich kündbare Arbeitnehmer können bei Schließung der Kasse betriebsbedingt gekündigt werden und ihren Arbeitsplatz dadurch endgültig verlieren, während den unkündbaren Arbeitnehmern mit dem zwingend erforderlichen Angebot anderweitiger zumutbarer Beschäftigungsmöglichkeiten eine dauerhafte Perspektive zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze geboten wird (so auch Urteile des LAG Berlin-Brandenburg vom 27.06.2012 – 24 Sa 2524/11 – und vom 12.04.2012 – 5 Sa 142/12 -, zitiert nach juris-Datenbank). Ein etwaiger Wertungswiderspruch führte zudem allenfalls zu einem erhöhten Bestandsschutz, nicht aber zu einer Schmälerung des Bestandsschutzes auch der unkündbaren Beschäftigten (vgl. auch Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 14.08.2012 - 12 Sa 905/12 -, zitiert nach juris-Datenbank).

2.2.3

Die Klägerin ist unstreitig aufgrund tarifvertraglicher Vorschrift (§ 20 Abs. 1 des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten der Betriebskrankenkassen vom 15.03.2010/ 24.03.2011) ordentlich unkündbar. Ihr war deshalb anlässlich der Schließung der Beklagten nach §§ 155 Abs. 4 Satz 9, 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V ein zumutbares Beschäftigungsangebot zu unterbreiten. Dies ist nicht geschehen.

Nach § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist in dem Unterbringungsverfahren den Beschäftigten eine Stellung anzubieten, die ihnen unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung zuzumuten ist. Die Gesetzesmaterialien bieten weitere Anhaltspunkte für die Auslegung dieser Vorschrift. Der Gesetzesbegründung des GKV-OrgVVG ist zu entnehmen, dass den Beschäftigten diesbezüglich bei den anderen Betriebskrankenkassen eine ihrer bisherigen Stelle entsprechende Stelle anzubieten ist. Nach der Gesetzesbegründung der gleich lautenden Vorgängerbestimmung in § 173 Abs. 3 bis 5 SGB V a.F. soll die Übernahme der Beschäftigten zu denselben oder zumindest gleichwertigen Bedingungen erfolgen. Danach ist eine der Art der bisherigen Tätigkeit und ihrer Einordnung in die betriebliche Hierarchie entsprechende Stellung anzubieten, das Entgelt hierfür muss annähernd dem Entgelt für die bisherige Tätigkeit entsprechen.

Das der Klägerin vom Landesverband Baden-Württemberg unterbreitete Stellenangebot am Standort Villingen-Schwenningen mit einer Bruttomonatsvergütung von 2.719,00 € auf Basis einer Vollbeschäftigung und ohne Anerkennung des erreichten Besitzstands war ihr nach diesen Maßgaben nicht zumutbar. Die Klägerin ist mit 50 % der tariflichen Arbeitszeit teilzeitbeschäftigt, weshalb bereits ein Angebot auf Vollzeitbeschäftigung nicht ihrer bisherigen Tätigkeit entsprach. Wäre die Klägerin auf der in Villingen-Schwenningen angebotenen Stelle wie bisher in Teilzeit beschäftigt worden, hätte sie hierfür nur 1.359,50 € brutto, somit ein um 454,50 € brutto niedrigeres Entgelt erhalten als bisher. Dieses Entgelt hätte nicht annähernd ihrem bisherigen Verdienst entsprochen. Zudem hätte sie eine Beschäftigung nahezu 600 km von ihrem bisherigen Arbeitsort in Berlin entfernt aufnehmen müssen. Auch wenn ein Ortswechsel die Zumutbarkeit des Angebots nicht generell in Frage stellen konnte, hätte die Beklagte angesichts des Alters der Klägerin und ihrer besonderen Ortsgebundenheit durch die Pflege der in Berlin lebenden Mutter zumindest näher darlegen müssen, weshalb eine ortsnähere Beschäftigung nicht möglich gewesen wäre. § 164 Abs. 3 SBG V verlangt, dass über den Bundesverband bei ihm selbst oder einzelnen Landesverbänden besetzbare Stellen für die von der Schließung betroffenen Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer aufgezeigt werden müssen. Die Verteilung dieser Stellen hat mindestens nach billigem Ermessen zu erfolgen. Die Beklagte hat hierzu keinerlei Erklärungen abgegeben. Zu einer solchen Erläuterung war die Beklagte ungeachtet des Umstandes in der Lage, dass nicht sie, sondern der Landesverband das Angebot abgegeben hatte. Nach Satzungslage waren die Landesverbände zur gegenseitigen Unterrichtung und Beratung verpflichtet (so auch Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 14.08.2012 – 12 Sa 905/12 -, zitiert nach juris-Datenbank). Anhaltspunkte dafür, dass es weder bei dem Landesverband noch bei einer anderen Betriebskrankenkasse eine der Klägerin zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gegeben hätte, hatte die Beklagte nicht vorgetragen und waren auch sonst nicht ersichtlich.

Die Klägerin durfte das ihr unterbreitete Angebot wegen dessen Unzumutbarkeit daher ausschlagen, ohne dass dies zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien im Zeitpunkt der Schließung führte.

2.3

Die von der Beklagten mit Schreiben vom 19.05.2011 vorsorglich zum 30.06.2011, höchst vorsorglich zum nächstmöglichen Termin, d.h. zum 31.12.2011, erklärten Kündigungen haben das Arbeitsverhältnis der Parteien ebenfalls nicht beendet. Diese Kündigungen sind rechtsunwirksam.

Die Klägerin hat diese Kündigungen im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG rechtzeitig innerhalb einer Frist von drei Wochen nach ihrem Zugang mit der am 08.06.2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageerweiterung angegriffen, sodass die in § 7 KSchG vorgesehene Wirksamkeitsfiktion für den Fall nicht rechtzeitiger Klageerhebung nicht eingetreten ist. Hierfür ist es unschädlich, dass die Klägerin im Klageantrag zu 2) ursprünglich mit dem „17.05.2011“ ein unzutreffendes Datum der Kündigung angegeben hat, was offenbar bis hin zum erstinstanzlichen Urteil niemanden aufgefallen ist. Es handelte sich insoweit erkennbar um eine offensichtlich versehentliche Falschbezeichnung. Der Klageerweiterung war eine Kopie des Kündigungsschreibens vom 19.05.2011 beigefügt, sodass ohne weiteres erkennbar war, dass sich ihr Antrag nur auf diese Kündigung beziehen konnte.

Es konnte dahinstehen, ob die Beklagte im Hinblick auf die Unkündbarkeit der Klägerin nach § 20 Abs. 1 MTV überhaupt zum ausnahmsweisen Ausspruch außerordentlicher betriebsbedingter Kündigungen mit sozialer Auslauffrist berechtigt gewesen wäre und ob der Personalrat zu diesen Kündigungen ordnungsgemäß beteiligt wurde. Die Wirksamkeit dieser Kündigungen scheiterte bereits am Fehlen dringender betrieblicher Erfordernisse im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG. Es war bezogen auf den Kündigungszeitpunkt nicht feststellbar, dass das Bedürfnis für die Beschäftigung der Klägerin zum 30.06.2011 oder zum 31.12.2011 entfallen wäre.

Mit der Schließung der Kasse war keine vollständige Betriebsstilllegung verbunden. Vielmehr hat die Beklagte über den 30.06.2011 und auch über den 31.12.2011 hinaus eine große Anzahl von Arbeitnehmern mit Abwicklungsarbeiten weiterbeschäftigt. Diese Abwicklungsarbeiten sollen nach den Angaben der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erst zum 30.06.2013 mit Sicherheit abgeschlossen sein. Die Beklagte gilt nach § 155 Abs. 1 Satz 2 SGB V als fortbestehend, soweit es der Zweck der Abwicklung erfordert. Auch hat die Beklagte nicht vorgetragen, dass sie im Kündigungszeitpunkt damit gerechnet hätte, dass sämtliche Abwicklungsarbeiten zum 31.12.2011 abgeschlossen sein würden. Sie hat auch nicht vorgetragen, aufgrund welcher Umstände gerade für die Klägerin jegliche Beschäftigungsmöglichkeit nach dem 30.06.2001 bzw. nach dem 31.12.2011 entfallen wäre. Dagegen sprach bereits, dass sie der Klägerin nach ihrer Behauptung sogar ein Angebot zur Weiterbeschäftigung mit Abwicklungsarbeiten gemacht haben will.

Die Wirksamkeit der Kündigungen scheitert überdies am Unterbleiben einer Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG, worauf sich die Klägerin zu Recht berufen hat. Die Kündigung ist nach dieser Vorschrift auch dann sozial nicht gerechtfertigt, wenn bei der Auswahl des zu Kündigenden soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Der Sinn des Kündigungsschutzgesetzes besteht darin, den gekündigten Arbeitnehmern so weit wie möglich einen Arbeitsplatz zu erhalten. Gerade weil im Falle einer etappenweise durchgeführten Betriebsstilllegung oftmals nicht abzusehen ist, wie lange noch Mitarbeiter für die Abwicklung benötigt werden, ist es erforderlich, zumindest dem schutzbedürftigsten Teil der Mitarbeiter die noch vorhandenen Arbeitsplätze zu sichern. Solange noch Arbeit vorhanden ist und diese aufgrund der getroffenen Unternehmensentscheidung von Mitarbeitern der ehemaligen Belegschaft bewältigt werden sollen, muss sich die Auswahl, welche Arbeitnehmer hierfür weiterbeschäftigt werden sollen, nach sozialen Gesichtspunkten richten (vgl. Urteil des BAG vom 16.09.1982 - 2 AZR 271/80 – EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 18). Eine solche Auswahl hat anlässlich der Schließung der Kasse für die mit Abwicklungsarbeiten weiterbeschäftigten Arbeitnehmer offenbar nicht stattgefunden, da die Beklagte hierzu nichts vorgetragen hat. Unter anderem mit der unterbliebenen Sozialauswahl hat im Übrigen auch der Personalrat seinen Widerspruch gegen die Kündigungen vom 17.05.2011 begründet.

3.

Aus diesen Gründen war das erstinstanzliche Urteil abzuändern und nach den Feststellungsanträgen der Klägerin zu erkennen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

IV.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier vorgenommenen Auslegung der gesetzlichen Vorschriften für eine Vielzahl weiterer Streitfälle sowie der abweichenden Entscheidung der 23. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg – 23 Sa 847/12 – nach § 72 Abs. 2 Ziffern 1 und 2 ArbGG zuzulassen.