Gericht | FG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 26.01.2012 | |
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Aktenzeichen | 10 K 10438/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Februar 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2008 verpflichtet, Kindergeld für die drei Kinder des Klägers für den Zeitraum November 2003 bis Oktober 2008 festzusetzen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Der Kläger war seit dem 20. Juli 1999 Inhaber eines Ausweises für Ortskräfte der Botschaft der Republik L … Nach Mitteilung des Auswärtigen Amtes vom 18. August 2009 war der aktuelle Ausweis am 3. August 2009 ausgelaufen und bis dahin kein neuer beantragt worden. Zuvor hatte sich der Kläger vom 3. August 1996 bis 18. Februar 1997 mit einem grauen Ausweis als Angestellter der Generalkonsulats der Republik L ... in M … in Deutschland aufgehalten. Nachfolgend war er im Mai 1998 mit einem Visum eingereist und im September 1998, wohl nach damaligem Scheitern der Aufnahme einer Beschäftigung beim verwaltungstechnischen Personal der L … Botschaft, im September 1998 wieder ausgereist. Die Ehefrau des Klägers hielt sich seit dem 1. Oktober 1999 mit Protokollausweis als Ehefrau in Deutschland auf. Der Kläger ist seit dem 20. Juli 1999 bei der AOK N … versichert. Die Familie verfügt nunmehr über Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz - Erwerbstätigkeit gestattet - bis 2014.
Der Kläger beantragte erstmals im September 2003 Kindergeld für die 1994, 1999 und 2001 geborenen Kinder. Der ablehnende Bescheid vom 16. Oktober 2003 wurde bestandskräftig.
Gegen den auf den erneuten Antrag im Januar 2005 ergangenen Bescheid vom 25. Februar 2005 legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein. Er erklärte seit 1999 sozialversichert zu sein. Er gehöre nicht zu dem diplomatischen Personenkreis, der nach bestimmter Zeit versetzt werden müsse und werde solange bleiben, wie es ihm möglich sei. Die Aufenthaltserlaubnis werde vom Auswärtigen Amt immer für drei Jahre erteilt Das Rechtsbehelfsverfahren ruhte im Hinblick auf anhängige Revisionsverfahren. Die Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2008 als unbegründet zurück.
Mit der hiergegen erhobenen Klage macht der Kläger geltend, ihm stünde nach den Gründen der Urteile des Bundesfinanzhofs vom 27. Juli 2007 (III R 81/03 und III R 55/02) Kindergeld für die drei Kinder zu. Hiernach habe er in analoger Anwendung des § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Anspruch auf Kindergeld, weil er als ständig ansässig behandelt werde und ab Juli 1999 Pflichtbeiträge entrichte, u. a. auch für die gesetzliche Rentenversicherung. Zwar habe der Bundesfinanzhof offen gelassen, ob dies auch für Personen gelte, die nach dem 31. März 1999 ihre Tätigkeit bei einer Botschaft aufgenommen haben. Aber auch unter Berücksichtigung der neuen Richtlinien des Auswärtigen Amtes sei sein Aufenthalt nicht zeitlich begrenzt und berechtige zur Erwerbstätigkeit. Er arbeite nunmehr das zehnte Jahr ununterbrochen bei der L … Botschaft, ohne dass ein zeitliches Ende absehbar sei. Im Übrigen seien nach § 63 Abs. 2 Nr. 3 EStG selbst Personen mit einem prekären Aufenthaltstitel ab dem Moment, in dem sie erstmals eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz erhielten und erlaubt eine Erwerbstätigkeit aufnehmen könnten, nach dreijähriger Aufenthaltsdauer kindergeldberechtigt. Es entstünde auch ein erheblicher Wertungswiderspruch, wenn Ortskräfte einerseits als ständig ansässig behandelt und zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen, aber andererseits von der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Kindergeld ausgenommen würden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Februar 2005 in Ge-stalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2008 – zugegangen am 8. Oktober 2008 – zu verpflichten, Kindergeld für seine Kinder B …, C … und D … zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie sei an die bisherige Weisungslage gebunden und könne nur in den Fällen, in denen der Sachverhalt von der BFH-Entscheidung vom 25. Juli 2007 erfasst sei, einen Anspruch nach § 62 Abs. 2 EStG zuerkennen.
Die Klage ist begründet.
Der Bescheid vom 25. Februar 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs.1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Kläger hat Anspruch auf Kindergeld für die im Streitzeitraum - November 2003 bis Oktober 2008 - minderjährigen und in Deutschland lebenden Kinder.
Ausländische Staatsangehörige, die vor dem 1. April 1999 eine Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungs- und technischen Personals oder des dienstlichen Hauspersonals einer Botschaft aufgenommen haben und nicht im Besitz eines ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels sind, haben Anspruch auf Kindergeld, wenn sie einen vom Auswärtigen Amt ausgestellten "gelben Ausweis" besitzen und hinsichtlich der Sozialversicherungs- sowie der Einkommensteuerpflicht als ständig ansässig behandelt worden sind. § 62 Abs. 2 EStG enthält eine planwidrige Regelungslücke, die im Wege der Analogie dadurch zu schließen ist, dass bei ausländischen Staatsangehörigen, die vor dem 1. April 1999 eine Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungspersonals und technischen Personals oder des dienstlichen Hauspersonals einer Botschaft aufgenommen haben, in der Bundesrepublik als ständig ansässig behandelt wurden und nicht im Besitz eines ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels sind, der gelbe Ausweis einer zur Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG gleichzustellen ist. Es widerspräche dem Zweck der Kindergeldregelung und wäre auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich, wenn ausländische Staatsangehörige, die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten, voraussichtlich auf Dauer in der Bundesrepublik einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen, in das Sozialversicherungssystem eingegliedert und einkommensteuerpflichtig sind, vom Kindergeld ausgeschlossen würden, weil sie für ihren rechtmäßigen Aufenthalt kraft gesetzlicher Regelung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind und deshalb keinen Aufenthaltstitel erhalten (BFH, Urteil vom 25. Juli 2007, III R 55/02, BStBl. II 2008, 758).
Nach den neu gefassten, am 1. April 1999 in Kraft getretenen Richtlinien des Auswärtigen Amt für die Einreise und den Aufenthalt von nicht entsandten Mitgliedern des Verwaltungs- und technischen Personals, des dienstlichen Hauspersonals und der privaten Hausangestellten (nicht veröffentlicht) dürfen im Ausland rekrutierte Personen nicht (mehr) zu einer anderen Botschaft wechseln und auch keiner sonstigen Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Botschaft ist dafür verantwortlich, dass die im Ausland rekrutierten Personen nach Beendigung ihrer Tätigkeit bei der Botschaft mit ihrer Familie die Bundesrepublik unverzüglich verlassen. Ob aufgrund dieser Richtlinien für Botschaftsbedienstete, die nach dem 31. März 1999 in die Bundesrepublik eingereist sind, eine andere Beurteilung geboten ist, obwohl die betroffenen Personen nach wie vor zur Sozialversicherung herangezogen werden, hat der Bundesfinanzhof offen lassen, da die Kläger bereits zuvor in die Bundesrepublik eingereist waren (BFH, Urteile vom 25. Juli 2007, III R 55/02, BStBl. II 2008, 758; III R 81/03, BFH/NV 2008, 196; III R 56/00 – nicht veröffentlicht).
Zwar hat der Kläger seine Tätigkeit bei der Botschaft erst wieder nach dem 1. April 1999 aufgenommen. Er wurde gleichwohl – jedenfalls hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht – als ständig ansässig behandelt und ist nach den Grundsätzen der vorgenannten Entscheidung aufgrund des gelben Ausweises Inhabern einer zur Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthalterlaubnis im Sinne von § 62 Abs.2 Nr. 2 EStG gleichzustellen. Die Tatsache, dass er sich nach den Regelungen des Auswärtigen Amt nur im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses mit der Botschaft berechtigt in Deutschland aufhielt, ist nach Auffassung des Gerichts für die Beurteilung des Anspruchs auf Kindergeld ohne Bedeutung.
Der Kläger hat mithin nach den vorgenannten Grundsätzen Anspruch auf Kindergeld, auf seinen Antrag von Januar 2005 rückwirkend ab November 2003 bis Oktober 2008.
Nach § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist für das Kindergeld vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer - hier der Anspruch auf die Steuervergütung Kindergeld - entstanden ist. Das als Steuervergütung ausgestaltete Kindergeld wird auf Antrag (§ 67 S. 1 EStG) vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen weggefallen sind (§ 66 Abs. 2 EStG). Der Anspruch auf das Kindergeld entsteht somit für jeden Monat, in dem die Anspruchsvoraussetzungen zu irgendeinem Zeitpunkt vorgelegen haben. Da das Kindergeld nach § 66 Abs. 1 EStG monatlich gezahlt wird, beginnt die Festsetzungsfrist für das in den einzelnen Monaten des jeweiligen Kalenderjahres gezahlte Kindergeld somit mit Ablauf dieses Kalenderjahres.
Einer Festsetzung für Zeiträume vor November 2003 auf den Antrag von Januar 2005 steht aber die Bestandskraft des Bescheides vom 16. Oktober 2003 entgegen. Sie erstreckt sich in zeitlicher Hinsicht bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe (z. B. BFH Beschluss vom 15. April 2011, III B 200/10, BFH/NV 2011, 1291; Urteil vom 23. November 2001 VI R 125/00, BFHE 197, 387, BStBl II 2002, 296).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.