Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat | Entscheidungsdatum | 14.01.2015 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | L 18 AL 66/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 117 SGB 3, § 118 SGB 3, § 119 SGB 3, § 1 Abs 1 S 2 ErreichbAnO |
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Februar 2013 aufgehoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2008 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im gesamten Verfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides, mit dem die Beklagte unter entsprechender Aufhebung der Bewilligung die Erstattung von überzahltem Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. Mai 2004 bis zum 10. Mai 2005 iHv insgesamt 15.030,68 € fordert.
Der 1951 geborene, geschiedene Kläger schloss 1984 ein Studium mit dem Titel Historiker ab. Danach war er bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt, ua bis zum 30. April 2003 als Erzieher. Am 8. Mai 2003 meldete er sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Die Beklagte bewilligte für die Zeit ab 8. Mai 2003 Alg für 780 Tage iH eines wöchentlichen Leistungssatzes (ab 1. Januar 2004) von 210,14 € bzw ab 1. Januar 2005 iH eines täglichen Leistungssatzes von 31,22 € (Bescheid vom 26. Mai 2003). Wegen der Aufnahme einer Tätigkeit als „freier Mitarbeiter“ ab 9. Mai 2005 bis zum 13. August 2006 bei dem Verein für P S und P B & B e.V. (im Folgenden: Verein) hob die Beklagte die Alg-Bewilligung mWv 11. Mai 2005 auf.
Vereinszweck des im September 2003 gegründeten Vereins, zu dessen drei Geschäftsführern der Kläger zählte, waren Hilfeleistungen für schwererziehbare Kinder und Jugendliche, individuelle Hilfeleistungen und Spezialbetreuung für Kinder und Jugendliche zur Ermöglichung einer Rückkehr in die Familie und Gesellschaft. Auf polnischer Seite wurde ein Verein mit gleicher Zielsetzung gegründet (I P P S), dessen Vorsitzender J W (im Folgenden: W) war. Zusammen mit dem polnischen Verein betrieb der deutsche Verein in Polen ein Ausbildungszentrum, in dem deutsche Jugendliche lebten und betreut wurden, um dort eine Ausbildung nachzuholen. Die Kosten wurden von den deutschen Jugendämtern übernommen. Der Verein wurde 2007 aufgelöst.
Im Mai 2007 teilte die Staatsanwaltschaft Berlin der Beklagten im Rahmen eines Auskunftsersuchens mit, dass dem Kläger vorgeworfen werde, er habe von Mai bis einschließlich Dezember 2004 sowie im Februar und März 2005 dem polnischen Verein entgeltlich Arbeitsleistungen erbracht und es bestehe der Verdacht, gleichzeitig Sozialleistungen bezogen zu haben, weshalb gegen ihn ein Ermittlungsverfahren geführt werde. Die Beklagte hörte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 7. Mai 2008 zu einer Tätigkeit bei dem polnischen Verein ab Mai 2004 während des Bezuges von Alg und zur beabsichtigten Aufhebung der Bewilligung verbunden mit der Rückforderung an und hob durch Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 17. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2008 die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 1. Mai 2004 bis zum 10. Mai 2005 auf. Dem Kläger sei Alg iHv 11.413,50 € zu Unrecht gezahlt worden. Diese Summe und die gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (KV/PV; 3.242,23 € bzw 374,95 €), insgesamt damit ein Betrag iHv 15.030,68 €, seien zu erstatten.
Im Klageverfahren bei dem Sozialgericht (SG) Berlin hat der Kläger vorgetragen, der Umfang der von ihm ausgeübten freiberuflichen Tätigkeit bei dem Verein habe die Grenze von wöchentlich 15 Stunden nicht überschritten. Er sei zwar diverse Male im Auftrag des Vereins – in der Regel am Wochenende - nach Polen gereist und dort im Rahmen von Jugendbetreuungsprojekten stundenweise für den Verein tätig gewesen, die überwiegende Zeit habe er dort jedoch ehrenamtlich gearbeitet und ausweislich seiner Einkommensteuerbescheide aus selbständiger Tätigkeit im Jahr 2004 einen Verlust iHv 5.324,00 € und im Jahr 2005 lediglich einen Gewinn iHv 3.800,00 € erwirtschaftet. Hieraus sei zu entnehmen, dass es sich nur um eine Tätigkeit von unbedeutendem Umfang gehandelt habe. Von montags bis freitags hingegen habe er der Beklagten für Vermittlungsbemühungen in Berlin zur Verfügung gestanden. Bis April 2005 habe er nur Aufwandsentschädigungen für Fahrtkosten erhalten, ab Mai 2005 dann als freier Mitarbeiter ohne Anstellungsvertrag 7,50 € pro Kind und Tag. Für die Erteilung des Unterrichts habe er in der Zeit bis April 2005 von W nur ganz gelegentlich 100,- € bis 200,- € erhalten, was er jedoch nicht als Honorar angesehen habe. Der Kläger hat ferner eine schriftliche Erklärung der Büroleiterin des Vereins, I W, vom 29. November 2009 vorgelegt, auf deren Inhalt verwiesen wird.
Durch Urteil des Amtsgerichts (AG) Tiergarten vom 22. Juli 2009 (<328 Ds> 35 Js 1751/07 <53/08>) wurde der Kläger wegen Betruges durch Unterlassen zu Lasten der Beklagten zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30,00 € verurteilt; auf das Urteil wird Bezug genommen.
Das SG hat Beweis erhoben durch Vernehmung der I W und des pädagogischen Leiters des polnischen Vereins, A H, als Zeugen; auf die Anlagen zur Sitzungsniederschrift vom 14. Februar 2013 wird Bezug genommen. Durch Urteil vom 14. Februar 2013 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Beklagte habe die Alg-Bewilligung zu Recht für den Zeitraum vom 1. Mai 2004 bis zum 10. Juni 2005 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) aufgehoben, weil der Kläger durch die Ausübung seiner Tätigkeit als Mitarbeiter bei dem Verein nicht mehr beschäftigungslos iSd § 118 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) gewesen und hierdurch der Anspruch auf Alg entfallen sei. Es habe sich nicht lediglich um eine ehrenamtliche Betätigung gehandelt, vielmehr sei der Kläger als stellvertretender Vorsitzender des Vereins mit einer leitenden Funktion betraut gewesen, welche von ihm nicht unentgeltlich ausgeübt worden sei. Diese Tätigkeit habe auch mindestens die Grenze von 15 Wochenstunden erreicht. Denn bereits durch Erteilung des Unterrichts in Polen sei ein Arbeitstag von 8 Stunden anzusetzen. Hinzuzurechnen seien außerdem noch die Stunden für die Vorbereitung des Unterrichts sowie der zeitliche Aufwand für die persönlichen und telefonischen Kontakte des Klägers mit den zuständigen Jugendämtern in Berlin und anderen Bundesländern. Durch die geständige Einlassung im Strafverfahren habe der Kläger zudem selbst eingeräumt, zumindest im streitgegenständlichen Zeitraum nicht beschäftigungslos iS des SGB III gewesen zu sein. Indem der Kläger seine Arbeitsaufnahme und Einkünfte der Beklagten nicht mitgeteilt habe, sei er seiner Mitteilungspflicht aus § 60 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) nicht nachgekommen, weshalb die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X vorlägen. Die Erstattungsforderung bezüglich des Alg folge aus § 50 Abs. 1 SGB X und hinsichtlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung aus § 335 Abs. 1 und 5 SGB III.
Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen dieses Urteil. Er trägt vor: Er habe pro Woche für seine ehrenamtliche Tätigkeit als stellvertretender Vorsitzender des Vereins lediglich insgesamt 9 Stunden aufgewendet: er habe drei Stunden unterrichtet, eine Stunde für die Vorbereitung des Unterrichts und eine Stunde für die Besprechung mit den Erziehern aufgewendet. Da in den Ferien nicht unterrichtet worden sei, müssten noch insgesamt 11 Wochen pro Jahr abgezogen werden. Er sei auch verfügbar gewesen, da er jeweils spätestens am Montagabend wieder Zugang zu seinem Briefkasten gehabt habe. Auch sei der Umfang seiner Tätigkeit bei dem Verein nicht Gegenstand des Strafverfahrens gewesen, darin sei es lediglich um die empfangenen Zahlungen gegangen. Der Kläger legt eine handschriftliche Aufstellung seiner Fahrten nach Polen im Streitzeitraum sowie diverse – unvollständige - Kontoauszüge aus dem Jahr 2004 vor; hierauf wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Februar 2013 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, bei einer unterrichtenden Tätigkeit sei mindestens dieselbe Zeit, die für die Unterrichtsstunden aufgewendet würde, nochmal für die Vorbereitung anzusetzen, im Falle des Klägers mithin mindestens 15 Stunden wöchentlich. Im Übrigen seien bereits durch das erstmalige Überschreiten der 15-Stunden-Grenze die Wirkungen der Arbeitslosmeldung entfallen, weshalb es nicht darauf ankomme, ob der Kläger in den Ferien gearbeitet habe. Der Kläger trage zudem die Beweislast dafür, dass er trotz seiner freiberuflichen Tätigkeit weiter einen Alg-Anspruch gehabt habe. Dieser Beweis sei ihm nicht gelungen. Zumindest durch die anhand des vorgelegten Fahrtenbuches dokumentierte Vertretungstätigkeit vom 28. Mai (Freitag) bis 30. Mai 2004 (Sonntag) sei eine mindestens 15-stündige wöchentliche Beschäftigung belegt.
Der Senat hat die Gerichtsakte des AG Tiergarten beigezogen. Darin enthalten waren unter anderem Kopien von mit einem auf den Kläger lautenden Briefkopf erstellten Rechnungen für Lehrtätigkeiten und Beratertätigkeiten im Zeitraum von Mai 2004 bis März 2005 bei dem polnischen Verein, die jeweils bar ausgezahlt worden seien; hierzu hat der Kläger ausgeführt, es handle sich um Fälschungen. Auf den weiteren Inhalt dieser Rechnungskopien und das ergänzende Vorbringen des Klägers im Verhandlungstermin vom 14. Januar 2015 wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten (2 Bände) verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind .
Die Berufung des Klägers, mit der dieser seine statthafte isolierte Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2008 weiter verfolgt, ist begründet.
Die Beklagte war nicht berechtigt, die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 1. Mai 2004 bis 10. Mai 2005 gegenüber dem Kläger aufzuheben und die Erstattung des insoweit erbrachten Alg iHv 11.413,50 € € sowie der KV/PV-Beiträge iHv 3.617,18 € zu fordern.
Die Entscheidung der Beklagten beruht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X iVm § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bei einer wesentlichen tatsächlichen oder rechtlichen Änderung der Verhältnisse, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, mWv Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Kläger einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2) oder wusste bzw nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4). Ermessen ist dabei auch in so genannten atypischen Fällen nicht auszuüben (§ 330 Abs. 3 SGB III).
Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass der Alg-Bewilligung vom 26. Mai 2013 vorgelegen haben, ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens bezogen auf den vorliegend streitigen Zeitraum vom 1. Mai 2004 bis 10. Mai 2005 mit der erforderlichen zweifelsfreien Gewissheit zur Überzeugung des Senats nicht feststellbar. Insbesondere vermochte der Senat im erforderlichen Vollbeweis keine Tatsachen festzustellen, die den Wegfall der Arbeitslosigkeit des Klägers und damit seines Alg-Anspruchs im Streitzeitraum zur Folge gehabt hätten.
Nach § 117 Abs. 1 Nr. 1 SGB III idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997 (BGBl I 594) - ab 1. Januar 2005 nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 SGB III idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2848) - setzte der Anspruch auf Alg ua Arbeitslosigkeit voraus. Es lässt sich mit der erforderlichen Sicherheit nicht feststellen, dass die hierfür erforderliche Erreichbarkeit (vgl §§ 118 Abs. 1 Nr. 2, 119 Abs. 1 Nr. 2 iVm Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 3 SGB III bzw. – ab 1. Januar 2005 - § 119 Abs. 1 Nr. 3 iVm Abs. 5 SGB III in den bis 31. März 2012 geltenden Fassungen und jeweils iVm § 1 Abs. 1 Satz 2 Erreichbarkeits-Anordnung – ErreichbarkeitsAO – vom 23. Oktober 1997 - ANBA 1685 -) und Beschäftigungslosigkeit iSv § 118 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB III aF (ab 1. Januar 2005: § 119 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 SGB III in den bis 31. März 2012 geltenden Fassungen) des Klägers (mit der Folge des Erlöschens der Arbeitslosmeldung; vgl § 122 Abs. 2 Nr. 2 SGB III in der bis 31. März 2012 geltenden Fassung) zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb des in Rede stehenden Zeitraums vom 1. Mai 2004 bis 10. Mai 2005 entfallen war.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 ErreichbarkeitsAO hat der Arbeitslose sicherzustellen, dass die Agentur für Arbeit ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann. Hierzu hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass den in § 1 Abs. 1 Satz 2 ErreichbarkeitsAO formulierten Anforderungen an die Erreichbarkeit ein Arbeitsloser jedenfalls dann entspricht, wenn er sich einmal werktäglich in seiner Wohnung aufhält, um die Briefpost in Empfang und zur Kenntnis zu nehmen (grundlegend BSGE 88, 172, 176 = SozR 3-4300 § 119 Nr. 3; vgl auch BSG SozR 3-4300 § 119 Nr. 4 sowie BSG SozR 4-4300 § 428 Nr. 2). Beschäftigungslosigkeit iSv § 118 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB III aF (ab 1. Januar 2005: § 119 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 SGB III in den bis 31. März 2012 geltenden Fassungen) liegt bei Personen vor, die vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, wobei die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassenden Beschäftigung unschädlich ist; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben unberücksichtigt.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass der Kläger im Streitzeitraum bei dem Verein eine mindestens 15 Wochenstunden umfassende selbständige Tätigkeit oder Beschäftigung ausgeübt hatte. Die Aussagen der gerichtlich hierzu vernommenen Zeugen sind insoweit letztlich nicht sehr ergiebig und insbesondere nicht geeignet, die Einlassungen des Klägers, er sei regelmäßig sonntags nach Polen gefahren, habe dort montags drei bis vier Stunden Unterricht erteilt und sei am Montagabend wieder nach Berlin in seine Wohnung zurückgekehrt, habe somit „ehrenamtlich“ insgesamt ca. neun Stunden wöchentlich für diese Tätigkeit aufgewandt, zu widerlegen. Vielmehr haben sowohl die Zeugin W als auch der Zeuge H bestätigt, dass der Unterricht „nur am Montag“ (W) stattfand bzw. der Kläger „regelmäßig Sonntagabend zum polnischen Verein kam, um am Montag Schulunterricht zu erteilen, danach fuhr der Kläger wieder nach Berlin zurück“ (H). Entgegen der Auffassung des SG existiert auch kein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts, dass für erforderliche Vor- und Nacharbeiten ein derart großer zeitlicher Umfang zugrunde zu legen wäre, dass „bei lebensnaher Betrachtung“ ohne weiteres ein wöchentlicher Stundenumfang von mindestens 15 Stunden erreicht worden wäre. Hierbei handelt es sich um eine bloße Vermutung. Es sind auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der zeitliche Aufwand für die erforderlichen Kontakte zu Behörden und Eltern, die der Kläger nach seinen Einlassungen im Wesentlichen telefonisch erledigt haben will und die im Einzelnen ohnehin nicht feststellbar waren, einen derartigen wöchentlichen Umfang gehabt hätten, dass von einem regelmäßigen Erreichen der 15-Stunden-Grenze auszugehen wäre. Bei der Vertretungstätigkeit vom 28. Mai 2004 (Freitag) bis 30. Mai 2004 (Sonntag), zu der der Kläger in der mündlichen Verhandlung eingehend befragt worden ist, soll es sich nach dessen Angaben um eine nicht vorhersehbare unentgeltliche Aufsichtstätigkeit als Vertreter eines erkrankten Kollegen in Polen gehandelt haben. Unabhängig davon, ob für die Zeitgrenze auf die Kalenderwoche (dann wären alle drei Tage vom 28. Mai bis 30. Mai 2004 umfasst) oder – wozu das BSG tendiert – auf die Beschäftigungswoche (dann wären bezogen auf einen Beschäftigungsbeginn am 1. Mai 2004 der 28. Mai 2004 einerseits und der 29. und 30. Mai 2004 andererseits jeweils unterschiedlichen Beschäftigungswochen zuzuordnen) abzustellen wäre (vgl hierzu BSG, Urteil vom 13. Juli 2006 – B 7a AL 16/05 R = SozR 4-4300 § 122 Nr. 5), ist hierbei in Rechnung zu stellen, dass – nicht vorhersehbare - gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer (vgl § 118 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB III bzw ab 1. Januar 2005 § 119 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB III in der bis 31. März 2012 geltenden Fassung) unberücksichtigt bleiben. Auch die Erklärung des Klägers, weshalb er im April 2004 nur am Mittwoch (anstelle montags) Unterricht erteilt habe, war nicht zu widerlegen, ebenso wenig die anhand der Fahrtenaufzeichnungen plausibel erscheinende Erklärung, an den Unterrichtstagen in Polen jeweils abends nach Berlin zurückgefahren zu sein. Damit steht auch nicht fest, dass der Kläger wegen fehlender Erreichbarkeit iS der ErreichbarkeitsAO zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb des Streitzeitraums nicht (mehr) arbeitslos war. Dass sich der Kläger nachweislich nicht am Samstag, dem 29. Mai 2004, in Berlin und damit auch nicht in seiner Wohnung aufgehalten hatte, ist dabei unschädlich. Denn er war durch die Rückkehr am Sonntag in der Lage, am Samstag eingegangene Briefpost durchzusehen und die Agentur für Arbeit damit am nächsten dienstbereiten Tag (Montag) aufzusuchen.
Aus dem Inhalt der Strafakten haben sich ebenfalls keine Erkenntnisse ergeben, die die sichere Feststellung für den Alg-Anspruch schädlicher Tatsachen in dem in Rede stehenden Zeitraum zuließen. Das AG Tiergarten hat weder Feststellungen zum zeitlichen Umfang noch zum Beginn der Tätigkeit des Klägers für den Verein getroffen. Diesbezüglich waren dem Strafverfahren auch keine „geständigen Einlassungen“ des Klägers zu entnehmen. Ebenso wenig war dem Kläger die Behauptung zu widerlegen, die (auch im Strafverfahren nur in Kopie vorliegenden) Honorarrechnungen habe er nicht selbst verfasst und unterschrieben. Die bloße Verurteilung des Klägers wegen Betruges ersetzt nicht die Feststellung konkreter Tatsachen, aus denen sich die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebungsentscheidung zweifelsfrei herleiten lassen. Die Nichtfeststellbarkeit der die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Alg in dem hier streitigen Zeitraum rechtfertigenden Tatsachen trifft nach Ausschöpfung der verfügbaren Amtsermittlungsmöglichkeiten die Beklagte. Eine Beweislastumkehr dahingehend, dass der Kläger zu beweisen hätte, dass die in Rede stehende Tätigkeit bei dem Verein weniger als 15 Wochenstunden umfasst hatte, kommt vorliegend nicht in Betracht. Zwar kann in Fällen, in denen sich nach Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten ergibt, dass der Sphäre des Arbeitslosen zuzuordnende Vorgänge nicht aufklärbar sind, unter besonderen Umständen eine Beweislastumkehr erfolgen. Insbesondere kann sich dabei eine dem Arbeitslosen anzulastende Beweisnähe daraus ergeben, dass er durch Unterlassung von Angaben im Zusammenhang mit den Antragstellungen eine zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts unmöglich gemacht hat (vgl zu alledem BSG, Urteile vom 13. September 2006 - B 11a AL 19/06 R und B 11a AL 13/06 R - juris; Urteil vom 24. Mai 2006 - B 11a AL 49/05 R – juris; Urteil vom 28. August 2007 – B 7a AL 10/06 R – juris), maW muss der Arbeitslose die Beweisnot selbst herbeigeführt haben. Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen.
Eine Beweislastumkehr stets und in allen Fällen, in denen nicht zweifelsfrei geklärte Tatsachen die persönliche Sphäre des Arbeitslosen betreffen, besteht nicht (vgl BSG, Urteil vom 24. November 2010 – B 11 AL 35/09 R – juris). Die Grundsätze der Beweislastumkehr können jedoch dann eingreifen, wenn es um in der Sphäre des Arbeitslosen liegende Tatsachen geht, die die Beklagte in Ermangelung entsprechender Angaben des Arbeitslosen nicht kennt und nicht kennen muss (vgl BSG SozR 4-1500 § 128 Nr. 5 Rn 17 unter Hinweis auf BSGE 71, 256, 263 = SozR 3-4100 § 119 Nr. 7). Auf dieser Linie liegt es, dass das BSG im Urteil vom 24. Mai 2006 und in den nachfolgenden Entscheidungen (aaO) als Beispiele für eine dem Arbeitslosen anzulastende Beweisnähe, die eine Umkehr der Beweislast rechtfertigen kann, Verhaltensweisen des Arbeitslosen genannt hat, welche zu einer Erschwerung oder Verhinderung der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen führen, zB die fehlende Angabe von Vermögenswerten bei der Antragstellung auf Arbeitslosenhilfe oder Grundsicherungsleistungen (vgl auch BSG, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 89/12 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 62). Anhaltspunkte für ein solches Verhalten des Klägers sind nicht ersichtlich. Dem Kläger war – die Wahrheit seiner nicht zu widerlegenden und in wesentlichen Punkten sogar von den gehörten Zeugen bestätigten Angaben zum Umfang und Inhalt seiner Tätigkeit im Streitzeitraum unterstellt – nicht verpflichtet, eine nicht anspruchsschädliche Tätigkeit bzw Beschäftigung mitzuteilen. Eine diesbezügliche Beweisnot hat er daher weder herbeigeführt noch kann sie allein ihm angelastet werden.
Mangels Aufhebung der Bewilligung hat der Kläger auch die geforderten Erstattungsbeträge nicht zu zahlen (vgl § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.