Gericht | FG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 29.08.2013 | |
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Aktenzeichen | 5 K 5270/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Unter teilweiser Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 20.6.2011 und Änderung des Bescheides vom 18.12.2007 wird die Umsatzsteuer 2006 auf ./. 8.463,44 € festgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Beteiligten jeweils zur Hälfte auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Kläger betreibt seit dem 1.6.2004 ein Bestattungsinstitut. Nach seinem Geschäftsmodell bot er Bestattungsvorsorgeverträge an, bei denen die Kunden ihn beauftragten, nach ihrem Versterben die Bestattung durchzuführen. Die Bestattungsvorsorgeverträge wurden bei Bedarf mit einer Sterbegeldversicherung gekoppelt, die der Kläger vermittelte. Das Bezugsrecht der Versicherungsleistung lautete auf das Bestattungsinstitut des Klägers. Der Kläger erhielt von den Versicherern für die Vermittlung Provisionen, die er als steuerfreie Umsätze behandelte.
In den eingereichten Umsatzsteuererklärungen machte der Kläger folgende Angaben:
2004 | 2005 | 2006 | |
Steuerpflichtige Umsätze 16 % | 0,00 € | 7.067,07 € | 28.504,00 € |
steuerpflichtige Umsätze 7 % | 0,00 € | 88,00 € | 2.051,00 € |
steuerfreie Umsätze | 35.257,35 € | 59.277,78 € | 0,00 € |
Vorsteuer | 4.230,67 € | 8.820,47 € | 13.628,35 € |
Der Beklagte stellte den vorstehend geschilderten Sachverhalt anlässlich einer bei dem Kläger durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung fest. Im Prüfungsbericht vom 15.11.2006, auf den Bezug genommen wird (Bl. 42 ff. der Gerichtsakte), vertrat der Prüfer die Auffassung, dass aufgrund der Erzielung von steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen eine Aufteilung der Vorsteuern bei den Eingangsleistungen für Kraftfahrzeug, Telefon und Werbung vorzunehmen sei. Da der Kläger hierzu weder Aufzeichnungen geführt noch im Laufe der Prüfung eine nachvollziehbare Zuordnung vorgenommen habe, sei der Aufteilungsmaßstab zu schätzen. Dem folgte der Beklagte in den geänderten Umsatzsteuerbescheiden für die Jahre 2004 und 2005 vom 7.12.2006 und im erstmaligen Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 18.12.2007.
Auf die gegen diese Bescheide eingelegten Einsprüche hin setzte der Beklagte die Umsatzsteuer für die Streitjahre mit der Einspruchsentscheidung vom 20.6.2011 herab. Dabei hielt er nicht weiter an der von dem Prüfer vorgenommenen Aufteilung fest, sondern schätzte diese nach einem "auf dem jeweiligen, durchschnittlich erzielten Erlös der einzelnen Geschäftszweige beruhenden Kostenansatz". Hinsichtlich der Einzelheiten und insbesondere hinsichtlich der Berechnung wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen (Bl. 5 ff. der Gerichtsakte).
Mit der Klage macht der Kläger geltend, dass er in der Anfangszeit keine Umsätze aus Bestattungen erzielt habe, weil er zunächst am Markt habe bekannt werden müssen. Er habe Werbemaßnahmen durchgeführt und unter anderem ein CallCenter eingerichtet. Insgesamt habe er etwa 800 Bestattungsvorsorgeverträge abgeschlossen, die allerdings noch nicht unmittelbar zu Umsätzen geführt hätten. Daher seien zunächst nur die Provisionen aus den Vermittlungen der Sterbegeldversicherungen angefallen. Im Jahr 2006 habe ein Mitbewerber ihn, den Kläger, gezwungen, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Danach sei es ihm untersagt gewesen, potenziellen Kunden unaufgefordert Bestattungsvorsorgeverträge anzubieten. Dies habe ihn dazu gezwungen, sein Geschäftsmodell umzustellen. Durch den inzwischen gestiegenen Bekanntheitsgrad und die bereits abgeschlossenen Bestattungsvorsorgeverträge sei es ihm gelungen, im Jahr 2006 die ersten Bestattungen durchführen zu können.
Die von dem Beklagten geforderte Aufteilung der vorsteuerbehafteten Aufwendungen auf die steuerfreien und die steuerpflichtigen Umsätze sei nicht möglich. Die Aufwendungen seien ausschließlich für die steuerpflichtigen Umsätze angefallen. Der Abschluss einer Sterbegeldversicherung habe keinen Aufwand mit sich gebracht. Es sei lediglich ein Formular auszufüllen und ein Eintrag in seiner, des Klägers, Datenbank vorzunehmen gewesen. Angesichts dessen habe er, der Kläger, vorgeschlagen, die Vorsteuern zu 96 % den umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen zuzuordnen. Dies habe auf dem Verhältnis der zu erwartenden steuerfreien zu den zu erwarteten steuerpflichtigen Umsätzen beruht, und zwar ausgehend von einem üblichen Bestattungsvorsorgevertrag mit einem Umsatz in Höhe von 3.000,00 € und einer Sterbegeldversicherung in gleicher Höhe, bei der sich die Provision auf etwa 120,00 € belaufe. Damit habe er, der Kläger, eine Schätzung nach der Verwendungsabsicht der vorsteuerbehafteten Aufwendungen vorgenommen. Der Beklagte sei dem jedoch nicht gefolgt.
Der Kläger beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide 2004 und 2005, beide vom 7.12.2006, sowie den Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 18.12.2007 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 20.6.2011 dahin gehend zu ändern, dass Vorsteuerbeträge für 2004 i. H. v. 4.061,44 €, für 2005 i. H. v. 8.467,65 € und für 2006 i. H. v. 13.167,65 € berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er beruft sich darauf, dass der Kläger keine Aufzeichnungen zur Aufteilung der vorsteuerbehafteten Aufwendungen vorgenommen habe, obwohl er zu Beginn seiner unternehmerischen Tätigkeit offensichtlich klare Vorstellungen über die Geschäftsidee und die organisatorische Ausgestaltung gehabt habe. Abgesehen davon spreche der nunmehrige Vortrag dafür, dass es sich bei der Vermittlung der Versicherungen um eine Nebenleistung zur Hauptleistung gehandelt habe, die das Schicksal der Hauptleistung teile und damit der Umsatzsteuer zu unterwerfen sei. Dies erfordere, dass der Kläger sämtliche Unterlagen zur Einsichtnahme vorlege. Hinzu komme, dass eine Vermittlungsleistung nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur dann vorliege, wenn der Versicherungsvermittler Kunden suche und mit dem Versicherer zusammenführe. Das bloße Erheben von Kundendaten reiche nicht aus.
Neben der Verfahrensakte und der Akte zum Verfahren 5 V 5444/11 (Aussetzung der Vollziehung) haben dem Gericht bei der Entscheidung die Umsatzsteuerakte (blattiert bis Bl. 144) und eine Akte zur Umsatzsteuer-Nachschau (unblattiert) vorgelegen.
Die Klage ist zu Teil begründet. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid 2006 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Dem Kläger steht zwar der volle Vorsteuerabzug in den Streitjahren zu. Dieser wird in den Streitjahren 2004 und 2005 aber über die bisherigen Festsetzungen hinaus durch den Umstand kompensiert, dass die erhaltenen Provisionen für die Vermittlung von Sterbegeldversicherungen steuerbar und steuerpflichtig sind.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der sich der Senat anschließt, ist bei einem Umsatz, der ein Leistungsbündel darstellt, eine Gesamtbetrachtung erforderlich. Aus dem in den Streitjahren anzuwendenden Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG ergibt sich nach Auffassung des Gerichtshofs, dass zwar jede Dienstleistung in der Regel als eigene, selbstständige Dienstleistung zu betrachten ist. Es darf dabei aber eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich gespalten werden. Deshalb ist das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher mehrere selbstständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, wobei auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist. Eine einheitliche Leistung liegt insbesondere vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile aber Nebenleistungen darstellen, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen (vgl. z.B. Gerichtshof der Europäischen Union – EuGH –, Urteil vom 25.02.1999 – Rs. C-349/96 – Card Protection Plan Ltd (CCP), Amtliche Sammlung der Entscheidungen des EuGH – Slg. – 1999, I-973). So liegt es auch im vorliegenden Fall. Die Vermittlung der Sterbegeldversicherungen ist eine Nebenleistung zu den von dem Kläger abgeschlossenen Bestattungsvorsorgeverträgen.
Charakteristikum für eine Nebenleistung zu einer steuerbaren und steuerpflichtigen Leistung ist, dass sie für den Leistungsempfänger keinen eigenständigen Zweck hat, sondern lediglich das Mittel darstellt, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 25.02.1999 – Rs. C-349/96 – Card Protection Plan Ltd (CCP), Slg. 1999, I-973 Rn. 29 f.; Bundesfinanzhof – BFH –, Urteil vom 13.01.2011 – V R 63/09, Bundessteuerblatt – BStBl. – II 2011, 461, Rn. 22; Stadie, UStG, 2. Auflage Köln 2012, § 3 Rn. 202, jeweils mit weiteren Nachweisen). Gerade das ist hier der Fall. Der Kläger hat nach seinem eigenen Vortrag Bestattungsvorsorgeverträge angeboten, die bei Bedarf mit den von dem Kläger vermittelten Sterbegeldversicherungen kombiniert wurden. Eigenständige Sterbegeldversicherungen hat der Kläger nicht vermittelt. Angesichts dieser Koppelung von Bestattungsvorsorgeverträgen und Sterbegeldversicherungsverträgen hatten Letztere für die Kunden des Klägers keinen eigenständigen Zweck. Sie dienten lediglich dazu, die Hauptleistung der späteren Bestattung unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können. Diese „optimalen Bedingungen“ bestanden in der Abdeckung der Kosten, die für die spätere Bestattung anfallen würden. Hierfür wurden die Mittel aus den Sterbegeldversicherungen eingesetzt. Das Bezugsrecht stand dem Kläger zu zur Durchführung der vereinbarten Bestattung. Dieses konnte zwar von den Kunden geändert werden. Dies ändert nach Auffassung des Senats aber nichts an der Tatsache, dass es sich bei dem mit einer Sterbegeldversicherung gekoppelten Bestattungsvorsorgevertrag um ein Gesamtpaket handelt, welches einer künstlichen Aufteilung nicht zugänglich ist.
Da die Nebenleistungen das Schicksal der Hauptleistungen teilen (Stadie, UStG, 2. Auflage Köln 2012, § 3 Rn. 202), sind die Provisionen aus der Vermittlung der Sterbegeldversicherungen umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig. Für die einzelnen Streitjahre ergeben sich folgende Steuerbeträge:
2004 | 2005 | 2006 | |
Provisionen aus der Vermittlung | 35.257,35 € | 59.277,78 € | 0,00 € |
Umsatzsteuer | 4.863,08 € | 8.176,24 € | 0,00 € |
Angesichts der Steuerbarkeit und Steuerpflicht der Umsätze aus der Vermittlung der Sterbegeldversicherungen steht dem Kläger in den Streitjahren der volle Vorsteuerabzug zu. § 15 Abs. 2 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz – UStG – greift mangels Verwendung der bezogenen Lieferungen und sonstigen Leistungen für steuerfreie Umsätze nicht ein. Für die Streitjahre 2004 und 2005 führt dies gleichwohl zu einer Klageabweisung. Der Kläger begehrt den Ansatz von Vorsteuer für das Jahr 2004 i. H. v. 4.230,67 € anstelle der berücksichtigten 1.607,65 € und für das Jahr 2005 i. H. v. 8.820,47 € anstelle der berücksichtigten 3.351,78 €. Die Differenzbeträge werden indes durch die Erhöhung der Umsatzsteuer infolge der Steuerbarkeit und Steuerpflicht der Vermittlungsprovisionen aufgezehrt.
Für das Streitjahr 2006 ist die Vorsteuer antragsgemäß mit 13.167,65 € zu berücksichtigen. Angesichts der bislang berücksichtigten Vorsteuer i. H. v. 5.212,19 € war die Umsatzsteuer um 7.955,46 € auf ./. 8.463,44 € herabzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.