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Vorläufiger Rechtsschutz gegen Versagung der Aufenthaltserlaubnis; Unzulässigkeit mangels Rechtsschutzbedürfnisses; Verlängerungsantrag nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis; keine Fiktionswirkung; keine Anordnung der Fortgeltungswirkung; einstweilige Anordnung auf Abschiebungsschutz; kein Anordnungsgrund, weil Haftentlassung und Abschiebung gegenwärtig nicht drohen


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 18.09.2014
Aktenzeichen OVG 11 S 49.14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 80 Abs 5 VwGO, § 123 VwGO, § 81 Abs 4 AufenthG, Art 2 Abs 1 GG, Art 8 MRK

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. August 2014 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Durch Beschluss vom 12. August 2014 hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis und die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid des Antragsgegners vom 5. August 2013 anzuordnen, hilfsweise, dem Antragsteller im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Abschiebung zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Soweit sich der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis richte, sei er mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weil der Antrag des Antragstellers vom 20. Juli 2009 auf Verlängerung der zuletzt bis zum 18. Juni 2009 erteilten Aufenthaltserlaubnis verspätet gewesen sei und damit keine Fiktionswirkung im Sinne von § 81 Abs. 4 AufenthG habe auslösen können. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, aber unbegründet. Der hilfsweise gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO habe ebenfalls keinen Erfolg, weil der Antragsteller einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht habe. Da er eine Haftstrafe verbüße und das Strafende auf den 15. Februar 2015 notiert sei, drohe seine Abschiebung derzeit nicht.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg, weil sein nach § 146 Abs. 4 VwGO zu berücksichtigendes Beschwerdevorbringen eine Änderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nicht rechtfertigt.

1. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zutreffend mit der Begründung verneint, dass der Antrag nicht geeignet sei, die Rechtsposition des Antragstellers zu verbessern. Denn der am 20. Juli 2009 gestellte Antrag auf Verlängerung der bereits am 18. Juni 2009 abgelaufenen Aufenthaltserlaubnis war verspätet und damit nicht geeignet, eine Fiktionswirkung im Sinne von § 81 Abs. 4 AufenthG auszulösen, die im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wieder aufleben würde.

a) Gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG in der bei Stellung des Verlängerungsantrags vom 20. Juli 2009 geltenden Fassung galt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Ausländer die Verlängerung seines Aufenthaltstitels oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragte. Nach der vom Senat geteilten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2011 – 1 C 5.10 –, bei Juris) zu dieser Vorschrift war ein Antrag auf „Verlängerung“ eines bereits erloschenen Aufenthaltstitels nicht geeignet, die Fiktionswirkung auszulösen, wobei das Bundesverwaltungsgericht die Frage offen ließ, ob diese Folge dann unverhältnismäßig sei, wenn der Betreffende die verspätete Antragstellung nicht zu vertreten habe. Letzterem braucht hier nicht nachgegangen zu werden, denn der Antragsteller wendet sich nicht gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, er habe keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass er die verspätete Vorsprache beim Antragsgegner nicht zu vertreten habe.

Soweit sich der Antragsteller auf § 81 Abs. 4 AufenthG in der nunmehr geltenden Fassung beruft, führt dies nicht zum Erfolg seiner Beschwerde. Gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG in der seit dem 1. August 2012 geltenden Fassung gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut bestätigt diese Regelung die bereits zuvor bestehende, oben dargestellte Rechtslage. Allerdings bestimmt § 81 Abs. 4 Satz 2 (seit dem 6. September 2013 nunmehr Satz 3) AufenthG, dass die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen kann, wenn der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt wurde. Soweit der Antragsteller geltend macht, diese Vorschrift gelange hier zur Anwendung, weil für Verpflichtungsklagen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz maßgeblich sei, vernachlässigt er, dass es im Ausgangspunkt um das Rechtsschutzbedürfnis für seinen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO geht, der eine Anfechtungslage voraussetzt (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO). Selbst wenn es § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG dem Antragsgegner bis zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis ermöglicht hätte, die Fortgeltung der Fiktionswirkung anzuordnen, ist festzustellen, dass eine derartige Ermessensentscheidung nicht ergangen ist. Damit konnte die Versagung der Aufenthaltserlaubnis entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht in eine bereits bestehende Rechtsposition eingreifen. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Voraussetzungen einer außergewöhnlichen Härte im Sinne von § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG dargetan waren und vorlagen (vgl. dazu BT-Drs. 17/8682, Seite 22 f.) und ob das behördliche Ermessen entsprechend reduziert gewesen wäre.

b) Dem Antragsteller ist auch nicht darin zu folgen, dass die Zulässigkeit seines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis aus Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK bzw. dem von ihm angeführten Urteil des EuGH vom 16. März 2000 (Rs. C-329/97 – Ergat) herzuleiten wäre. Inwieweit vorliegend in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) oder das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK) dadurch eingegriffen sein sollte, dass die Fortgeltung einer Aufenthaltserlaubnis bei verspätetem Verlängerungsantrag nicht fingiert wird, ist weder vom Antragsteller dargelegt worden noch sonst ersichtlich. Ebenso wenig ist die vom Antragsteller angeführte Entscheidung des EuGH hier einschlägig. Vielmehr hat der EuGH in dieser Entscheidung ausdrücklich ausgeführt, die Mitgliedstaaten könnten von den in ihrem Gebiet anwesenden Ausländern verlangen, dass sie eine gültige Aufenthaltserlaubnis besitzen und, wenn diese nur befristet erteilt worden ist, rechtzeitig ihre Verlängerung beantragen. Diese Obliegenheiten der Ausländer entsprächen im Wesentlichen Verwaltungserfordernissen (Urteil vom 16. März 2000, a.a.O., Rz. 52 f.). Der EuGH hat lediglich festgestellt, die Mitgliedstaaten seien nicht befugt, das dem türkischen Staatsangehörigen unmittelbar durch das Gemeinschaftsrecht verliehene Recht auf freien Zugang zu jeder beruflichen Tätigkeit und das entsprechende Recht, sich zu diesem Zweck im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten, dadurch zu beschränken, dass Sie die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung ablehnen, er habe sie verspätet beantragt (Urteil vom 16. März 2000, a.a.O., Rz. 58). Um eine solche Konstellation geht es hier aber nicht, weil eine Assoziationsberechtigung des Antragstellers und damit ein unmittelbar durch das Gemeinschaftsrecht verliehenes Recht, vom Antragsteller ausdrücklich nicht angeführt wird. Die vom Antragsteller schließlich noch beanstandete Ungleichbehandlung zu denjenigen türkischen Staatsangehörigen, die sich auf das bezeichnete Urteil des EuGH berufen können, findet ihre sachliche Rechtfertigung in der unterschiedlichen rechtlichen Ausgangssituation.

c) Auf die Ausführungen des Antragstellers zur Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Versagung der Aufenthaltserlaubnis kommt es nicht an, weil nach alledem von der Unzulässigkeit des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen diese Versagung auszugehen ist.

2. Soweit das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung als unbegründet abgelehnt hat, macht der Antragsteller mit der Beschwerde keine gesonderten Einwendungen geltend.

3. Schließlich rechtfertigt die Beschwerdebegründung auch nicht die Annahme, das Verwaltungsgericht habe den Hilfsantrag nach § 123 Abs. 1 VwGO zu Unrecht abgelehnt.

a) Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass es zurzeit bereits an einem Anordnungsgrund fehlt, weil sich der Antragsteller nach der gegenwärtigen Vollzugsplanung bis zum 1... in Haft befinden wird und damit seine Abschiebung derzeit nicht droht. Der vom Antragsteller eingereichte Bericht der J... rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Zwar wird darin zu dem am 4... gestellten Antrag nach § 57 StGB ausgeführt, es erscheine vertretbar, die verbleibenden sechs Monate bis zur Entlassung zur Bewährung auszusetzen. Dass eine entsprechende Entscheidung des Gerichts bereits ergangen ist, behauptet der Antragsteller aber selbst nicht. Vielmehr ist in dem Bericht der Justizvollzugsanstalt P... angegeben, die vorliegende Vollzugsplanung gehe noch von einer Entlassung nach Vollverbüßung aus.

b) Soweit der Antragsteller geltend macht, er könne als faktischer Inländer einen erweiterten Rechtsschutz beanspruchen als ein ausreisepflichtiger Ausländer, der sich nur kurze Zeit im Bundesgebiet aufgehalten habe, handelt es sich um materiell rechtliche Einwände, die nicht geeignet sind, den prozessual erforderlichen Anordnungsgrund anzunehmen.

c) Auch der Einwand des Antragstellers, das Verwaltungsgericht favorisiere „Last-Minute-Anträge“, bei denen zu besorgen sei, dass ihm für eine wirksame Geltendmachung seiner Rechte in einem Beschwerdeverfahren und die gebotene ausführliche Begründung und gegebenenfalls zusätzliche Glaubhaftmachung seines Begehrens keine ausreichende Zeit mehr verbleibe, kann nicht zum Erfolg seiner Beschwerde führen. Es entspricht der Erfahrung des Senats, dass der Antragsgegner auf Bitten des Gerichts in aller Regel bereit ist, mit einer Abschiebung bis zum Ergehen der gerichtlichen Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zuzuwarten. Sollte dies ausnahmsweise nicht der Fall sein, bliebe immer noch die Möglichkeit einer gerichtlichen Zwischenanordnung. Sowohl die Einholung einer Zusicherung als auch einen solchen Beschluss kann der Antragsteller, wenn er denn eine Vereitelung seiner Rechte durch die vorzeitige Vollziehung seiner Abschiebung befürchtet, bei Gericht beantragen.

d) Auf das „wohlverstandene“ öffentliche Interesse an der Schonung staatlicher Ressourcen kann sich der Antragsteller nicht berufen. In diesem Zusammenhang ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass Abschiebungshindernisse immer aufgrund der aktuellen Sachlage zu beurteilen sind. Der Antragsteller wäre also für den Fall, dass ein Anordnungsanspruch gegenwärtig zu verneinen wäre, nicht gehindert, eine im Zeitpunkt seiner tatsächlich drohenden Abschiebung eingetretene Änderung der Sachlage mit einem erneuten Antrag auf Abschiebungsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO geltend zu machen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).