Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 25. Kammer | Entscheidungsdatum | 09.06.2011 | |
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Aktenzeichen | 25 Sa 315/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 9d Anl 6 TV-N BE |
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17.11.2010 - 60 Ca 9482/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Die Parteien streiten um die Auslegung einer tariflichen Regelung zur Entgeltsicherung.
Der am …1954 geborene Kläger war seit dem Jahr 1978 bei der Beklagten, einem Unternehmen des öffentlichen Personennahverkehrs, beschäftigt, dabei seit Januar 1994 aufgrund Arbeitsvertrages vom 05.01.1994 als Omnibusfahrer. Nach Ziffer 02 des Arbeitsvertrages vom 05.01.1994 richtete sich das Arbeitsverhältnis nach den jeweils gültigen Bestimmungen des Bundesmanteltarifvertrages für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe - BMT-G - mit den zusätzlich abgeschlossenen Tarifverträgen in ihrer jeweiligen Fassung bzw. nach den an deren Stelle tretenden Tarifverträgen und den für den Bereich der Beklagten jeweils geltenden sonstigen Tarifverträgen. Zu letzteren gehörte der am 31.08.2005 in Kraft getretene Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei den Nahverkehrsbetrieben im Land Berlin (TV-N Berlin).
Für die im Fahrdienst eingesetzten Arbeitnehmer der Beklagten enthielten die zeitlich vorausgegangene Regelung in § 16 der Anlage 1 zum BMT-G II i.V.m. § 16 ZusTV BVG Nr. 1 ebenso wie der TV-N Berlin eine Regelung zur Entgeltsicherung für den Fall der unverschuldeten Dienstuntauglichkeit für die Tätigkeit im Fahrdienst unter bestimmten tariflich geregelten Voraussetzungen. Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger unstreitig, insbesondere lagen eine mehr als 10jährige Beschäftigungszeit vor der Dienstuntauglichkeit, eine Beschäftigung zum Stichtag 31.08.2005, eine unverschuldete Untauglichkeit für die bisherige Tätigkeit und die Zuweisung einer anderen niedriger eingruppierten Tätigkeit vor.
Der Kläger wurde infolge eines im Dienst erlittenen körperlichen Angriffs fahrdienstuntauglich. Die Beklagte versetzte ihn aufgrund eines betriebsärztlichen Gutachtens vom 08.02.2007 ab dem 13.02.2007 in ihren Bereich PM-Mag.net sowie später in den Bereich PM-PD. Zunächst war der Kläger nach der Versetzung in die Entgeltgruppe EG 01 Nr. 01 eingruppiert, seit Mai 2009 war er als Verwaltungsangestellter in der Entgeltgruppe 04 Nr. 1 b eingesetzt. Bei seiner Tätigkeit als Omnibusfahrer war er zuletzt in die Entgeltgruppe 05 Nr. 04 eingruppiert.
Hinsichtlich der Entgeltsicherung für fahrdienstuntaugliche Mitarbeiter im Fahrdienst regelten die Tarifparteien in § 9 Abs. 1 Satz 5 der Anlage 6 zum TV-N Berlin das Folgende:
„Wenn ihm aus diesem Grunde eine Tätigkeit zugewiesen wird, die einer niedrigeren Entgeltgruppe entspricht, erhält er als Entgeltausgleich die Differenz zwischen dem für die zugewiesene Tätigkeit jeweils zustehenden monatlichen Entgelt (Anlage 2 TV-N Berlin) und dem jeweiligen monatlichen Entgelt (Anlage 2 TV-N Berlin) aus seiner Tätigkeit bei Eintritt der Untauglichkeit.“
Die entsprechende Vorgängerregelung in § 16 der Anlage 1 zum BMT-G II i.V.m. § 16 ZusTV BVG Nr. 1 lautete:
„Arbeiter … erhalten, sofern sie ohne ihr Verschulden untauglich für die bisherige Tätigkeit im Fahrdienst werden und ihnen aus diesem Grunde Arbeiten niedrigerer Lohngruppen zugewiesen werden, als Lohnausgleich die Differenz zwischen dem für die zugewiesene Arbeit jeweils zustehenden Monatsgrundlohn zuzüglich ständiger Lohnzuschläge einerseits und dem jeweiligen Monatsgrundlohn zuzüglich ständiger Lohnzuschläge nach der Lohngruppe, der sie bei Eintritt dieser Fahrdienstuntauglichkeit angehört haben, andererseits.“
Die Beklagte zahlte an den Kläger eine Vergütung nach der ihm neu zugewiesenen Entgeltgruppe zzgl. einer Zulage in Höhe der Differenz zur vormaligen Entgeltgruppe 5. Zum 08.08.2008 wurden die Tabellenentgelte der Stufe 5 um 60,-- € erhöht. Die Beklagte gab diese Tariflohnerhöhung an den Kläger weiter, kürzte jedoch im gleichen Umfang die an den Kläger bisher gezahlte Zulage nach dem Abschmelzmodell mit der Folge, dass die Höhe der Vergütung des Klägers zunächst unverändert blieb. Nachfolgend erklärte die Beklagte dem Kläger sowie allen Arbeitnehmern in vergleichbarer Situation mit Schreiben von Oktober 2008, sie zahle ohne Begründung eines Rechtsanspruchs einen monatlichen Betrag von 60,-- € als übertarifliche Zulage. Dies hatte zur Folge, dass der Kläger der Vergütungshöhe nach im Ergebnis so stand wie er bei fortgesetzter Tätigkeit als Omnibusfahrer gestanden hätte. Anlässlich der Tariflohnerhöhung zum 01.08.2009 und zum 01.05.2010 verfuhr die Beklagte in gleicher Weise, zahlte jedoch keine übertarifliche Zulage an den Kläger. Sein Entgelt stagnierte daher in der bis August 2009 gezahlten Höhe.
Der Kläger verlangte mit der am 21.06.2010 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage die Feststellung, dass die Entgeltsicherung in Form der Zulage dynamisch anzupassen sei mit der Folge, dass seine Vergütung jeweils im Ergebnis so erfolge, als sei er weiterhin als Omnibusfahrer tätig. Bei der Berechnung der Zulage solle dabei die Differenz zwischen dem jeweils aktuellen Entgelt für eine Tätigkeit als Omnibusfahrer (EG 05) und für eine Tätigkeit in der Entgeltgruppe 04 unter Berücksichtigung der Tariflohnerhöhungen für beide Entgeltgruppen maßgeblich sein.
Er hat erstinstanzlich ausgeführt, aus der Formulierung in § 9 der Anlage 6 zum TV-N Berlin ergebe sich eine dynamische Entgeltsicherung, da für beide Vergleichsgrößen das jeweils zustehende Entgelt maßgeblich sei. Nach Struktur und Inhalt entspräche die Regelung in § 9 der Anlage 6 zum TV-N Berlin der Regelung in § 16 der Anlage 1 zum BMT-G II, die bis zum Inkrafttreten des TV-N Berlin denselben Lebenssachverhalt geregelt habe. Die unterschiedliche Formulierung in den tariflichen Regelungen führe zu keinem inhaltlichen Unterschied, wobei insbesondere nicht ersichtlich sei, dass die Tarifparteien eine Anrechnung der Zulage auf die Tariferhöhung beabsichtigt hätten, da sie in diesem Fall auf das Wort „jeweiligen“ in § 9 der Anlage 6 zum TV-N Berlin verzichtet oder geregelt hätten, dass die bisherige Vergütung so lange unverändert weitergezahlt werde, bis die Vergütung der neu zugewiesenen Tätigkeit diese übersteige. Da den Tarifparteien die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zu der Vorgängerregelung und zur vergleichbaren Regelung in § 28 Abs. 1 BMT-G II bekannt gewesen seien, könne nicht von einem abweichenden Regelungswillen bei fortgesetzter Verwendung der für die Dynamik maßgeblichen Begriffe „jeweils/jeweiliges“ ausgegangen werden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger über den 31. Juli 2009 hinaus einen Entgeltausgleich nach § 9 Anlage 6 zum TV-N Berlin zu zahlen, der der Differenz wischen dem jeweils aktuellen Tabellenentgelt nach der Anlage 2 zum TV-N Berlin, welches dem Kläger bei Fortsetzung seiner Tätigkeit als Omnibusfahrer zustünde, und dem aktuellen Tabellenentgelt nach der Anlage 2 zum TV-N Berlin für seine zurzeit zugewiesene Tätigkeit entspricht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat ausgeführt, nach dem Wortlaut der Entgeltsicherungsregelung in § 9 der Anlage 6 zum TV-N Berlin handele es sich um eine stichtagsbezogene statische Bezugnahme auf diejenige Vergütung, die der Kläger zuletzt bei seiner Tätigkeit als Omnibusfahrer zum Zeitpunkt des Eintritts der Fahrdienstuntauglichkeit erhalten habe. Nur diese Auslegung der tariflichen Regelung sei sinnvoll, da anderenfalls die Fortzahlung des Entgelts nach der für Omnibusfahrer maßgeblichen Entgeltgruppe hätte geregelt werden können. Beim Vergleich der sprachlichen Fassungen der neuen und der vorangehenden Regelung ergebe sich deutlich, dass ein Unterschied bestehe und auch gewollt sei. Abweichend von den früheren Regelungen nehme § 9 der Anlage 6 zum TV-N Berlin nicht auf die jeweilige Lohngruppe, sondern auf das am Stichtag der Fahrdienstuntauglichkeit gezahlte Entgelt Bezug.
Von einer weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes I. Instanz wird unter Bezugnahme auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils abgesehen (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
Das Arbeitsgericht Berlin hat durch Urteil vom 17.11.2010 der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, sprachlich und inhaltlich seien sowohl die Regelung in § 9 der Anlage 6 zum TV-N Berlin als auch die Vorgängerregelung in § 16 Abs. 1 des ZusTV BVG Nr. 1 zu § 16 der Anlage 1 zum BMT-G II und § 28 BMT-G II dynamisch und nicht stichtagsbezogen statisch ausgestaltet. Dies ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut der tariflichen Regelungen als auch aus deren Entstehungsgeschichte und dem daraus abzuleitenden Willen der Tarifvertragsparteien. Soweit die Regelung stichtagsbezogen sei, handele es sich sprachlich hinsichtlich des Stichtages um die zum Stichtag ausgeübte Tätigkeit und nicht um das zum Stichtag bezogene konkrete Entgelt. Erheblich seien die bei Eintritt der Fahrdienstuntauglichkeit ausgeübte Tätigkeit und das für diese Tätigkeit jeweils zu zahlende Entgelt, während auf das zum Zeitpunkt des Eintritts der Untauglichkeit konkret gezahlte Entgelt nicht abzustellen sei. Etwas anderes ergebe sich weder aus der Tarifgeschichte noch aus dem Gesamtzusammenhang. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
Gegen dieses ihr am 24.01.2011 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 09.02.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufung, die die Beklagte mit der am 24.03.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufungsbegründungsschrift begründet hat.
Die Beklagte führt unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag aus, sprachlich unterschieden sich die aktuelle und die Vorgängerregelung klar dahingehend, dass nunmehr von einer statischen Verweisung auf das zum Zeitpunkt des Eintritts der Dienstuntauglichkeit gezahlte Entgelt abzustellen sei. Die Regelung in § 9 der Anlage 6 zum TV-N Berlin nehme auf das Entgelt zum Stichtag und nicht auf das Entgelt nach der Tabelle Bezug. Deshalb seien die zu § 28 BMT-G II ergangene Rechtsprechung sowie die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung des § 16 der Anlage 1 des BMT-G II nicht auf den nunmehr gültigen § 9 der Anlage 6 zum TV-N Berlin übertragbar. Eine dynamische Verweisung hätte durch Beibehaltung der bisherigen Entgeltgruppe für die fahrdienstuntauglichen Mitarbeiter erreicht werden könne. Da dies nicht erfolgt sei, sei ersichtlich auch eine dynamische Regelung nicht beabsichtigt gewesen. Die im Jahr 2008 geleistete freiwillige Zahlung in Höhe der Entgelterhöhung der Entgeltstufe 5 sei nicht im Hinblick auf Zweifel an der statischen Verweisung erfolgt, sondern ausschließlich aus sozialen Erwägungen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. November 2010 zum Az. 60 Ca 9482/10 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er führt unter Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen Vortrag aus, dass sowohl sprachlich als auch nach Sinn und Zweck der Entgeltsicherung ausschließlich eine dynamische Verweisung in Betracht komme. Nach Wortsinn und Regelungszweck sei die Regelung in § 9 zur Anlage 6 TV-N Berlin identisch mit der Vorgängerregelung und entspreche der bereits in § 28 Abs. 1 BMT-G II getroffenen dynamischen Regelung. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu diesen Regelungen sei ohne weiteres auch für die neue Regelung heranzuziehen, da der früher genannte Monatstabellenlohn demjenigen Entgelt entspreche, das sich aus der Anlage 2 zum TV-N Berlin ergebe. Die Beklagte selbst habe offensichtlich Zweifel an der Richtigkeit ihrer Annahme einer statischen Verweisung gehabt, da sie anderenfalls nicht die Entgelterhöhung im August 2008 weitergegeben hätte.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beklagten vom 24.03.2011 und 11.05.2011 (Bl. 65 ff. und 78 ff. d. A.) sowie auf den Schriftsatz des Klägers vom 11.04.2011 (Bl. 75 ff. d. A.) Bezug genommen.
I.
Die gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO) und damit zulässig.
II.
Die Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz führt zu keinem abweichenden Ergebnis.
1.
Die Klage ist – wie vom Arbeitsgericht in Ziffer I. des erstinstanzlichen Urteils zutreffend festgestellt - zulässig.
Das gemäß § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, da zwischen den Parteien ausschließlich über die Frage der Berechnungsart für die Zulage gestritten wird und diese Frage durch den Rechtsstreit abschließend geklärt werden kann. Bei dieser Konstellation ist die Beschränkung der Feststellungsklage auf einzelne Ansprüche oder auf den Umfang einer Leistungspflicht zulässig (vgl. BAG, Urteil vom 21.04.2010 – 4 AZR 755/08 – AP Nr. 101 zu § 256 ZPO und juris Rz. 21).
Vorliegend sind diese Voraussetzungen erfüllt, denn die Parteien streiten ausschließlich über die Berechnung der Zulage vor dem Hintergrund der Frage ihrer Dynamik oder Statik, ohne dass Einzelheiten über die Höhe der dann vorzunehmenden Berechnung streitig wären.
2.
Die Klage ist auch begründet. § 9 der Anlage 6 zum TV-N Berlin ist dahingehend auszulegen, dass die Zahlung der Zulage dynamisch zu erfolgen hat. Bei der Berechnung der Zulage ist die Differenz zwischen dem jeweils aktuellen Tabellenentgelt für die neue Entgeltgruppe (seit Mai 2009 für den Kläger EG 04) und dem für Omnibusfahrer jeweils aktuellen Tabellenentgelt der Entgeltgruppe 05 zu bilden. Im Ergebnis bedeutet dies für den Kläger, dass er aufgrund der tariflich geregelten Entgeltsicherung genau so zu vergüten ist wie dies bei fortgesetzter Tätigkeit als Omnibusfahrer ohne die unverschuldete Fahrdienstuntauglichkeit der Fall wäre.
Bei der Auslegung tariflicher Regelungen ist – wie vom Arbeitsgericht zutreffend dargestellt - zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Der maßgebliche Sinn der Erklärung ist festzustellen, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei ist der Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in der tariflichen Norm Niederschlag gefunden haben. Unter Berücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhanges sind bei verbleibenden Zweifeln weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages zu berücksichtigen mit dem Ziel, bei der Tarifauslegung zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung zu gelangen (vgl. BAG, Urteile vom 10.12.2008 – 4 AZR 862/07 – ZTR 2009, 314 und juris, Rz. 25; und vom 17.10.2007 – 4 AZR 1005/06 – AP Nr. 40 zu § 1 TVG und juris Rz. 40).
Vorliegend ergibt sich in Anwendung dieser Grundsätze eine dynamische Auslegung der tariflichen Regelung in § 9 der Anlage 6 zum TV-N Berlin. Bereits der Wortlaut der Regelung in § 9 der Anlage 6 zum TV-N Berlin spricht für eine dynamische Auslegung. Auch der Vergleich zur Vorgängerregelung in § 16 der Anlage 1 zum BMT-G II, Sinn und Zweck sowie der Gesamtzusammenhang der Regelung führen zum Verständnis als dynamische Anpassung der Zulage. Die von der Beklagten vorgenommene Auslegung ist dem Wortlaut nach ebenfalls möglich, aber aus Sicht der Kammer nicht nahe liegend. Unter ergänzender Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Regelung nach dem Willen der Tarifparteien handelt es sich jedoch eindeutig um eine dynamische Regelung zur Entgeltsicherung mit dem Ergebnis, dass dem unverschuldet fahrdienstuntauglich gewordenen Mitarbeiter aus diesem Umstand keine finanziellen Nachteile erwachsen sollen.
2.1.
Nach dem Wortlaut der Regelung ist die Differenz zwischen dem für die neue Tätigkeit „jeweils zustehenden monatlichen Entgelt (Anlage 2 TV-N Berlin) und dem jeweiligen monatlichen Entgelt (Anlage 2 TV-N Berlin) aus der Tätigkeit bei Eintritt der Untauglichkeit“ im Wege der Entgeltsicherung zu zahlen. Die im Klammerzusatz zweifach in Bezug genommene Anlage 2 zum TV-N Berlin ist die Tabelle der Monatsentgelte, so dass durch den Klammerzusatz klargestellt wird, dass das Entgelt nach der Tabelle zu berechnen bzw. dieser zu entnehmen ist. Die Formulierung „Entgelt (Anlage 2 TV-N Berlin)“ ist daher gleichzusetzen mit der Formulierung „Tabellenentgelt“ oder „Entgelt nach der Tabelle der Monatsentgelte“ und entspricht nicht einem festen Betrag, sondern jeweils dem aktuellen Betrag, der sich aus der Tabelle ergibt. Durch die Formulierung „dem jeweiligen monatlichen Entgelt (Anlage 2 TV-N Berlin)“ haben die Tarifparteien erklärt, dass das aktuelle tarifliche Entgelt gemeint ist. Die unterschiedliche Formulierung hinsichtlich der alten und der neuen Tätigkeit folgt konsequent dem Tarifgefüge, wonach das tarifliche Entgelt für die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit zu zahlen ist. Deshalb ist das Entgelt für die neue, tatsächlich ausgeübte Tätigkeit das „jeweils zustehende“ Entgelt und das Entgelt für die alte, wegen der Untauglichkeit nicht mehr ausgeübte Tätigkeit das „jeweilige monatliche Entgelt“ aus der am Stichtag ausgeübten Tätigkeit. Zu unterscheiden sind nach dem Wortlaut die jeweils den aktuellen tariflichen Regelungen entsprechenden Entgelte nach der Tabelle der Monatsentgelte, die für die neue Verwaltungstätigkeit (EG 04) einerseits und die alte Omnibusfahrertätigkeit, die bei Eintritt der Untauglichkeit ausgeübt wurde (EG 05), andererseits gelten.
2.2.
Ein anderes Verständnis der Regelung, insbesondere das der Beklagten, scheitert an der Verwendung oder zumindest an der Stellung im Satz des Wortes „jeweiligen“. Würde es, wie die Beklagte meint, um das zum Stichtag des Eintritts der Fahrdienstuntauglichkeit gezahlte Entgelt gehen, bliebe für das Wort „jeweiligen“ kein Raum. Denn ein Fixbetrag zu einem bestimmten Stichtag existiert für jeden betroffenen Arbeitnehmer nur einmalig und nicht jeweils, auch wenn es um eine für eine Vielzahl von Arbeitnehmern konzipierte Formulierung geht. Sollte im Hinblick auf diese breite Anwendungsmöglichkeit klargestellt werden, dass die Art der ehemaligen Tätigkeit bei den verschiedenen Arbeitnehmern variieren könnte, hätte auf das monatliche Entgelt aus der jeweiligen Tätigkeit bei Eintritt der Untauglichkeit Bezug genommen werden können, auch wenn dies zum Verständnis nicht erforderlich wäre, denn jeder von der Regelung Betroffene wird nur eine Tätigkeit am Stichtag ausgeübt haben.
2.3.
Sinn und Zweck der Regelung zur Entgeltsicherung führen zu demselben Ergebnis.
Entgegen der Einschätzung der Beklagten wäre bei von den Tarifparteien gewünschter Beibehaltung der dynamischen Anpassung nicht nur die Beibehaltung der zuletzt in der Vorgängerregelung oder in § 28 Abs. 1 BMT-G II verwendeten Formulierungen sinnvoll. Die Regelung wird durch die der Tarifsystematik folgende Struktur von Entgelt für die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit zuzüglich einer Differenzzulage nicht sinnentleert. Da das Tarifentgelt für die neue Tätigkeit nicht im gleichen Umfang verändert werden muss wie das Tarifentgelt für Omnibusfahrer, kann die mit der Entgeltsicherungsregelung zu berechnende Differenz der Höhe nach variieren. Bei einer angenommenen erheblichen Steigerung der Entgeltgruppe 04 und gleichzeitiger Stagnation der Entgeltgruppe 05 etwa wäre die Zulage zu verringern, im umgekehrten Fall zu erhöhen.
Eine dem § 28 BMT-G II entsprechende Formulierung („behält den jeweiligen Monatstabellenlohn seiner bisherigen Lohngruppe“) wäre zwar einfacher verständlich. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Entgeltsicherung gemäß § 28 BMT-G II ist regelmäßig bei der Formulierung „jeweiliger Monatstabellenlohn“ von einem der weiteren Lohnentwicklung angepassten Lohn auszugehen. Insbesondere ist der jeweilige Monatstabellenlohn derjenige Lohn, der jeweils zum aktuellen Zeitpunkt zu zahlen ist (vgl. BAG, Urteil vom 06.07.1975 – 4 AZR 433/74 – AP Nr. 1 zu § 28 BMT-G II; Urteil vom 02.04.1992 – 6 AZR 610/90 – AP Nr. 4 zu § 28 BMT-G II).
Eine solche Formulierung passt jedoch nicht in die Tarifsystematik, nach der das auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit entfallende Entgelt zu zahlen ist. Die schlichte Formulierung, es solle auch bei grundsätzlich geringer eingruppierter Tätigkeit weiterhin das für Omnibusfahrer relevante Entgelt gezahlt werden, wäre zwar hinsichtlich des Verständnisses der Regelung tatsächlich einfacher, entspräche aber ebenfalls nicht der Tarifsystematik.
2.4.
Die Entstehungsgeschichte der aktuellen Regelung bestätigt dieses Ergebnis, insbesondere unter Berücksichtigung der inhaltsgleichen Vorgängerregelung. Die Kammer geht insbesondere davon aus, dass die Tarifparteien im Falle einer gewünschten Änderung der bisherigen Regelung nach § 16 der Anlage 1 zum BMT-G II, bei der auch die Beklagte von einer dynamischen Anpassung ausgegangen ist und diese entsprechend jeweils umgesetzt hat, eine eindeutige entsprechende Formulierung gewählt hätten. Eine solche Formulierung wäre ohne weiteres möglich gewesen, etwa in der Weise, dass der Unterschiedsbetrag zwischen dem jeweils zustehenden monatlichen Entgelt für die neue Tätigkeit und dem zum Zeitpunkt des Eintritts der Dienstuntauglichkeit zuletzt bezogenen Entgelt vereinbart worden wäre.
Entsprechend haben sowohl die Tarifvertragsparteien als auch die Beklagte die Regelung in § 16 der Anlage 1 zum BMT-G II verstanden und angewandt. In dieser Regelung ist die Differenz zwischen dem jeweils zustehenden Monatsgrundlohn für die neue und für die ehemalige Tätigkeit maßgeblich. Aufgrund der Formulierung in § 9 der Anlage 6 zum TV-N Berlin ist nicht ersichtlich, dass eine Abkehr von der dynamischen Lohnsicherung zum Abschmelzmodell erfolgen sollte. Der veränderte Wortlaut ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass nach den Entgeltregelungen im TV-N Berlin kein Monatsgrundlohn mehr zu zahlen ist, sondern ein monatliches Entgelt nach der Tabelle der Monatsentgelte. Für eine inhaltliche Veränderung der Regelung gegenüber der Vorgängerregelung über die sprachliche Anpassung hinaus sind keine Anhaltspunkte vorhanden.
Eine schematische Gegenüberstellung der hier verglichenen tariflichen Regelungen, die die Beklagte im erstinstanzlichen Urteil vermisst hat, ergibt nichts anderes. Insoweit übernimmt die Kammer die im Parallelrechtsstreit 9 Sa 2504/10 von dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg erstellte Übersicht und schließt sich der dortigen Würdigung an, dass ein maßgeblicher Unterschied nicht erkennbar sei:
§ 9 Abs. 1 Satz 3 der Anlage 6 zum TV-N § 16 ZusTV BVG Nr. 1
… erhält er als Entgeltausgleich
… erhalten … als Lohnausgleich
die Differenz zwischen dem für die zugewiesene Tätigkeit
die Differenz zwischen dem für die zugewiesene Arbeit
jeweils zustehenden monatlichen Entgelt (Anlage 2 TV-N Berlin)
jeweils zustehenden Monatsgrundlohn zzgl. ständiger Lohnzuschläge, einerseits
und dem jeweiligen monatlichen Entgelt (Anlage 2 TV-N Berlin)
und dem jeweiligen Monatsgrundlohn zzgl. ständiger Lohnzuschläge nach der Lohngruppe,
aus seiner Tätigkeit bei Eintritt der Untauglichkeit
der sie bei Eintritt dieser Fahrdienstuntauglichkeit angehört haben, andererseits.
2.5
Soweit sich die Parteien in der Berufungsinstanz mit der Frage auseinandergesetzt haben, ob die Beklagte selbst Zweifel an der zutreffenden Auslegung der Entgeltsicherungsregelung gehabt und deshalb seit August 2008 eine übertarifliche Zulage gezahlt habe, kam es auf diese Frage nicht entscheidungserheblich an. Aus den von der Beklagten vorgelegten Musterschreiben an alle betroffenen Mitarbeiter von Oktober 2008 ergeben sich solche Zweifel nicht. Selbst wenn die Beklagte (auch) aus einem solchen Motiv die zusätzliche Zahlung geleistet haben sollte, wäre sie jedoch nicht gehindert, nach Klärung ggf. bestehender Zweifel aus ihrer Sicht eine andere Position zu vertreten. Dass die Beklagte Zusagen im Hinblick auf eine dynamische Auslegung der Regelung abgegeben hätte, an die sie gebunden wäre, hat auch der Kläger nicht behauptet.
III.
Die Berufung der Beklagten war mit der Folge zurückzuweisen, dass sie die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen hat.
IV.
Die Revision gegen die Entscheidung war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, weil die Auslegung der tariflichen Entgeltsicherungsregelung eine Vielzahl von Mitarbeitern betrifft und daher grundsätzliche Bedeutung hat.