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Entscheidung 5 O 25/14


Metadaten

Gericht LG Neuruppin 5. Zivilkammer Entscheidungsdatum 05.06.2014
Aktenzeichen 5 O 25/14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der sofortigen Beschwerde vom 8. Mai 2014 wird nicht abgeholfen.

Die sofortige Beschwerde wird dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe

1. Es wird zunächst auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen. Die Kammer verbleibt auch unter Berücksichtigung der Beschwerde bei der bisher geäußerten Rechtsauffassung.

a) Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Kern der in Rede stehenden Vorlagefrage durch die vom Kläger zitierten EuGH-Entscheidungen nicht mit der hierfür notwendigen Sicherheit geklärt, denn vorliegend steht nicht allein die Frage inmitten, ob die Anwendung von Art. 1 der VO (EG) Nr. 1393/2007 des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen (EuZVO) davon abhängt, ob die im Streitverfahren geltend gemachten Anspruchsgrundlagen zivilrechtlicher Natur sind. Letzteres ist unzweifelhaft positiv. Fraglich ist hingegen, ob sinngemäß auch die Auffassung des Klägers und des Oberlandesgerichts München in dem zitierten Beschluss vom 14. März 2014 (8 W 377/14) zutrifft, wonach sich an der zivilrechtlichen Einordnung eines Rechtstreits nichts dadurch ändern könne, dass die Beklagte durch Gesetzgebung in dieses Rechtsverhältnis eingegriffen hat. Diese Rechtsfrage ist gerade Prüfgegenstand der bereits vom Landgericht Wiesbaden veranlassten Vorabentscheidungsverfahren. Hintergrund der Vorabentscheidungsersuchen sind begründete Zweifel, ob der Europäische Gerichthof mit Blick auf die in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 EuZVO statuierte Bereichsausnahme für Rechtstreitigkeiten, die „acta iure imperii“ betreffen, auch in Fällen wie den hiesigen das Vorliegen einer „Zivilsache“ im Sinne des Art. 1 EuZVO bejahen wird. Es ist gerichtsbekannt, dass in dem vor dem Landgericht Wiesbaden zu 5 O 258/12 geführten Verfahren das Bundesamt für Justiz eben deshalb Bedenken an der Einordnung einer wegen des „Schuldenschnitts“ auf zivilrechtliche Ansprüche gestützten Klage gegen die Hellenische Republik als Zivilsache geäußert hat.

b) Vor diesem Hintergrund sollte deutlich werden, dass es für die aufgeworfene Rechtsfrage nicht maßgeblich auf eine womöglich unterschiedliche zivilrechtliche Struktur der vom hiesigen Kläger und der in den Vorlageverfahren des Landgerichts Wiesebaden geltend gemachten zivilrechtlichen Normen - mithin des nationalen Rechts - ankommt, sondern auf das entscheidungserhebliche Handeln der Beklagten, welches unzweifelhaft öffentlich-rechtlicher Natur ist. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Anwendungsbereich der Verordnung ohnedies nicht mit Rücksicht auf die nach mitgliedstaatlichem Recht bedeutsame Einordnung der jeweiligen Anspruchsnormen zu bestimmen, sondern europarechtlich autonom. Andernfalls könnten Mitgliedstaaten durch legislative Maßnahmen die Reichweite der Verordnung erweitern oder einengen. Es obliegt deshalb allein dem Europäischen Gerichtshof, die gebotene autonome Auslegung der in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 EuZVO statuierten Bereichsausnahme vorzunehmen, wobei er alle Umstände berücksichtigen kann, die hierfür aus seiner Sicht europarechtlich relevant sind. Gemäß dieser Rechtslage ist die teilweise Sachverhaltsabweichung im vorliegenden Verfahren zum Vorlageverfahren, auf die der Kläger gleichsam schematisch abstellt, kein ausschlaggebender Gesichtspunkt. Sie in diesem Verfahren gleichwohl zum Anlass zu nehmen, ein eigenständiges Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV durchzuführen, liefe auf Förmelei und eine sachlich nicht zu rechtfertigende Mehrfachbelastung des Europäischen Gerichtshofs hinaus. Die dort bereits anhängigen Vorabentscheidungsverfahren sind vielmehr auch für das hiesige Verfahren erheblich, weil den „Vorlageverfahren und dem vorliegenden Verfahren (…) hinsichtlich dieser Fragen weitgehend übereinstimmende Fallgestaltungen“ zugrunde liegen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2013 - I ZR 76/11, juris Rn. 7).

c) Unabhängig davon setzt sich der Kläger nach wie vor nicht damit auseinander, dass in den betreffenden Verfahren jeweils auch ein Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB gegen die Beklagte erhoben wird, obwohl dies zumindest eine für die von ihm vertretene Sichtweise nicht außer Acht zu lassende sachverhaltsbezogene Teilidentität der Anspruchsnormen begründet.

2. Abschließend sei angemerkt, dass die in dem Beschluss des Oberlandsgerichts München unter Hinweis auf die Entscheidung des Landgerichts Konstanz vom 19. November 2013 (2 O 132/13, juris) angedeutete Möglichkeit, den Rechtsstreit nach einer gemäß den Regeln der EuZVO erfolgten Zustellung der Klage sodann mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Gerichte als unzulässig abzuweisen, nicht überzeugend ist, weil sich in der Konsequenz einer solchen Klagezustellung die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte typischerweise aus Art. 16 Abs. 1 EuGVVO ergeben müsste.

a) Nach Art. 16 Abs. 1 EuGVVO kann die Klage des Verbrauchers eines Mitgliedstaates gegen den anderen Vertragspartner auch vor dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Nach Art. 1 Abs. 1 EuGVVO ist „diese Verordnung in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.“ Was eine Zivil- und Handelssache ist, ist auch hier nicht nach der lex fori, sondern verordnungsautonom zu bestimmen, damit die Anwendung der Verordnung europaweit einheitlich ist. Es besteht insofern ein weitgehender Gleichlauf zur Reichweite des Art. 1 EuZVO (vgl. dazu auch Zöller/Geimer, ZPO, 30. Aufl., Anh I Art 1 EuGVVO Rn. 19 ff. mwN).

b) Von Rechtsirrtum beeinflusst ist deshalb die vom Oberlandesgericht München indirekt herangezogene Argumentation des Landgerichts Konstanz, wenn dieses ausführt (aaO, Rn. 22 ff.):

Nachdem sich die griechische Regierung und die Zentralbank aber im Rahmen der durch das Gesetz geschaffenen Ermächtigungsgrundlage gehalten haben, würde dies wiederum bedeuten, dass letztlich das Gesetz selbst an höherrangigem Recht zu messen und ggf. für unwirksam zu erklären wäre. Dies aber ist, nachdem sich die Beklagte mit Recht auf den Grundsatz der Staatenimmunität berufen hat, nicht möglich. Fehlt es aber aus diesen Gründen an der Gerichtsbarkeit überhaupt, so ist die EuGVVO von vorneherein sachlich unanwendbar. (…) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahre 1963 (NJW 1963, 1732; bestätigt in BVerfG NJW 2006, 2542; vgl. ferner BGH NJW 1979, 1101) festgestellt, dass den Staaten nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts Immunität von inländischer Gerichtsbarkeit zusteht, wenn und soweit es um die Beurteilung ihres hoheitlichen Verhaltens (sog. "acta iure imperii") geht. (…) Für die Abgrenzung kommt es im Einzelfall darauf an, ob der ausländische Staat in Ausübung der ihm zustehenden Hoheitsgewalt, also öffentlich-rechtlich, oder wie eine Privatperson im kommerziellen Bereich, mithin privatrechtlich (sog. "acta iure gestionis"), tätig geworden ist. Ob dies der Fall ist, richtet sich wiederum nicht nach dem Motiv oder Zweck, sondern nach der Art und Natur der zu beurteilenden staatlichen Handlung oder des streitigen Rechtsverhältnisses (s. auch BGH, Beschl. v. 30.01.2013, III ZB 40/12). (…) Wollte ein deutsches Gericht dieses Vorbringen nun aber inhaltlich überprüfen, so würde es zweifellos gerade in den Kernbereich hoheitlicher Betätigung des Staates Griechenland, nämlich in dessen Gesetzgebung, eingreifen. Dies ist, wie dargelegt, generell nicht zulässig: Es steht deutschen Gerichten schlicht nicht zu, die Verfassungsmäßigkeit eines ausländischen Gesetzes – und zwar weder nach Maßgabe der Verfassung des betreffenden Staates noch gar nach den Maßstäben des deutschen Grundgesetzes – zu hinterfragen.

Der damit vom Landgericht Konstanz gewählte Begründungsweg stellt eine Umgehung unmittelbar anzuwendenden Sekundärrechts dar, denn ob eine Entscheidung in der Sache geeignet ist, in die Souveränität eines anderen Staates respektive in den Bereich von dessen hoheitlicher Tätigkeit einzugreifen, ist bereits gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 2 EuZVO zu prüfen. Es ist daher ersichtlich europarechtswidrig (und indiziert einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), die Klage zunächst nach den Regeln der EuZVO zuzustellen, um die hierfür notwendige Negativvoraussetzung auf der nachgelagerten Ebene des nationalen Rechts zu verneinen, die der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs naturgemäß entzogen ist. Dies ist umso auffälliger, als das Landgericht Konstanz - wohl mit Zustimmung des Oberlandesgerichts München - zur Begründung seiner Auffassung auf die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ und den „Grundsatz der Staatenimmunität als anerkannte Regel des Völkerrechts (…) gem. Art. 25 GG“ zurückgreift (aaO, Rn. 24 f.). Es liegt auf der Hand, dass EU-Recht im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten als lex specialis gegenüber dem allgemeinen Völkerrecht vorrangig ist. Dem gemäß liegen den dort in Anspruch genommenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs (aaO, Rn. 24 mwN) ausschließlich Sachverhalte zugrunde, bei denen es im Verhältnis der beteiligten Staaten einschlägige europarechtliche Regelungen entweder noch nicht gab oder schon mangels entsprechender EWG/EG/EU-Mitgliedschaft nicht geben konnte (Kaiserreich Iran, Bundesrepublik Nigeria, Königreich Thailand etc.).