Gericht | VG Potsdam 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 25.02.2015 | |
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Aktenzeichen | VG 6 K 1554/14.A | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 27a AsylVfG, § 34a AsylVfG, Art 29 Abs 2 EUV 604/2013, § 43 Abs 1 VwGO, § 43 Abs 2 VwVfG |
Der Ablauf der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III VO zieht die Unwirksamkeit des Dublin Bescheides nach sich.
Es wird festgestellt, dass sich der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Dezember 2013 insgesamt erledigt hat.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der nach eigenen Angaben 1988 in Somalia geborene Kläger meldete sich am 11. Dezember 2012 in Braunschweig als Asylsuchender. Nach Umverteilung in das Land Brandenburg stellte er am 10. Januar 2013 bei der Außenstelle Eisenhüttenstadt des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen unbeschränkten Asylantrag.
Anlässlich seiner Befragung am 10. Januar 2013 gab der Kläger unter anderem an, er sei somalischer Staatsangehöriger aus … ohne Dokumente. Im August 2011 sei er von Libyen nach Italien gelangt, von wo er am 7. Dezember 2012 nach Deutschland gereist sei. Er habe die Entscheidung über seinen in Italien gestellten Asylantrag nicht abgewartet, da er zu Verwandten nach Deutschland gelangen wollte. In Italien gebe es für ihn keine Lebensgrundlage.
Auf den am 19. Dezember 2012 generierten EURODAC-Treffer IT1BA00UOE ersuchte das Bundesamt Italien am 2. Dezember 2013 um Wiederaufnahme des Klägers, ohne dass Italien hierauf reagierte. Am 20. Dezember 2013 teilte das Bundesamt der italienischen Behörde (Innenministerium) mit, dass es wegen des unbeantwortet gebliebenen Wiederaufnahmegesuchs vom 2. Dezember 2013 von der Zuständigkeit Italiens ausgehe.
Mit auf §§ 27a, 34a AsylVfG (Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO) gestütztem Bescheid vom 23. Dezember 2013 lehnte das Bundesamt sodann den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (Nr. 1) und ordnete es seine Abschiebung nach Italien an (Nr. 2).
Die hiergegen vom Kläger am 10. Januar 2014 erhobene Klage wurde durch rechtskräftig gewordenes Urteil vom 19. Mai 2014 abgewiesen (VG 6 K 49/14.A). Der zugleich mit der Klage gestellte Eilrechtsschutzantrag wurde mit Beschluss vom 22. Januar 2014, beim Bundesamt zugegangen am 27. Januar 2014, als unbegründet abgelehnt (VG 6 L 14/14.A).
Am 25. Juni 2014 hat der Kläger gegen den Bundesamtsbescheid vom 23. Dezember 2013 erneut mit der Begründung Klage erhoben, dass inzwischen Deutschland für die Prüfung seines Asylantrages vom 10. Januar 2013 zuständig sei, und ebenfalls erneut um Eilrechtsschutz nachgesucht. Mit am 28. Juli 2014 abgesandtem Beschluss vom 24. Juli 2014 hat der Berichterstatter als Einzelrichter die aufschiebende Wirkung der neuen Klage angeordnet, da die Überstellungsfrist inzwischen abgelaufen und der Bescheid vom 23. Dezember 2013 daher rechtswidrig sei (VG 6 L 561/14.A).
Die Entscheidung über die Klage ist zunächst mit Beschluss der Kammer vom 15. August 2014 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden. Nach Anhörung der Beteiligten hat der Einzelrichter den Rechtsstreit mit Beschluss vom 28. Januar 2015 wegen der rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftigen Frage auf die Kammer zurückübertragen, welche Folgen ein Ablauf der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO für den umstrittenen Dublin-Bescheid sowie für das anhängige Klageverfahren hat.
In der mündlichen Verhandlung beantragt der Kläger mit Blick auf den Ablauf der Überstellungsfrist
festzustellen, dass sich der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. Dezember 2013 erledigt hat und nicht mehr vollzogen werden darf.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (jeweils beide Klage- und Eilverfahren) sowie des Bundesamtsvorganges Bezug genommen.
Die Kammer konnte trotz Fernbleibens der Beklagten im Termin zur Durchführung der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, weil die Beteiligten hierauf mit der Ladung hingewiesen worden sind, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere hat der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass sich der Bundesamtsbescheid vom 23. Dezember 2013 erledigt hat.
Die Feststellungsklage ist begründet.
Der Bundesamtsbescheid vom 23. Dezember 2013 ist mit Ablauf der einschlägigen Überstellungsfrist und damit durch Zeitablauf unwirksam geworden (vgl. § 43
Abs. 2 VwVfG), so dass seine Erledigung eingetreten ist.
Die auf § 27a AsylVfG gestützte Regelung in Nr. 1 des genannten Bescheides beruhte zwar zutreffend darauf, dass Italien für die Prüfung des Asylantrages des Klägers vom 10. Januar 2013 zuständig war. Diese Zuständigkeit ergab sich aus Art. 20 Abs. 1 lit. c der gemäß Art. 49 Satz 3 der Verordnung [EU] Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl. EU L 180/31 vom 29. Juni 2013 - „Dublin III-VO“ -) insoweit fortgeltenden Verordnung [EG] Nr. 343/2003 vom 18. Februar 2003 (ABl. EU L 50/1 vom 25. Februar 2003 - „Dublin II-VO“ -); auf das Urteil VG 6 K 49/14.A vom 19. Mai 2014 wird Bezug genommen.
Diese Zuständigkeit Italiens ist indes inzwischen mit der Folge entfallen, dass eine Überstellung dorthin nicht mehr durchsetzbar ist, weil die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages des Klägers auf Deutschland übergegangen ist. Dies zieht die Wirkungslosigkeit der Regelung in Nr. 1 des Bundesamtsbescheides vom 23. Dezember 2013 nach sich.
Denn gemäß der nunmehr anwendbaren Regelung in Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO - die mit der hier einschlägigen früheren Regelung in Art. 20 Abs. 1 lit. d Satz 2 Dublin II-VO inhaltlich übereinstimmt - erfolgt die Überstellung des Antragstellers aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des [Aufnahme- oder] Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf [oder eine Überprüfung], wenn diese[r] [gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO] aufschiebende Wirkung hat.
Hier war gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO davon auszugehen, dass Italien die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs am 16. Dezember 2013 erklärt habe, nämlich zwei Wochen nach dem am 2. Dezember 2013 gestellten deutschen Gesuch. Folglich lief die Überstellungsfrist grundsätzlich sechs Monate später, am 16. Juni 2013, ab. Die Klage VG 6 K 49/14.A als in Deutschland einschlägiger Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung hatte gemäß § 75 Abs. 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung. Der Ablauf der Überstellungsfrist bedeutet nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO wiederum, dass Italien als zuständiger Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person, des Klägers, verpflichtet und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat, Deutschland, übergegangen ist.
Entgegen der in ständiger Verwaltungspraxis vertretenen Auffassung der Beklagten wirkt sich der Umstand, dass der Kläger im Zusammenhang mit der gegen die Überstellungsentscheidung gerichteten Klage (VG 6 K 49/14.A) ein Eilverfahren hinsichtlich der Überstellungsentscheidung (VG 6 L 14/14.A) durchgeführt hat, nicht auf die Feststellung der Erledigung des Bundesamtsbescheides aus. Auch wenn der Eilantrag vom 10. Januar 2014 im Sinne der vom Bundesamt vertretenen Rechtsauffassung wegen des Abschiebungsverbots des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG zur Folge gehabt hätte, dass die sechsmonatige Überstellungsfrist erst mit der Bekanntgabe des ablehnenden Eilbeschlusses am 27. Januar 2014 zu laufen begonnen hätte, wäre die Sechsmonatsfrist inzwischen am 27. Juli 2014 abgelaufen. Dies gilt ungeachtet des weiteren Umstandes, dass der neuerliche Eilrechtsschutzbeschluss VG 6 L 561/14.A vom 24. Juli 2014 dahin tenoriert worden ist, dass die aufschiebende Wirkung der Klage vom 25. Juni 2014 angeordnet wird. Denn dieser Beschluss ist dem Bundesamt erst nach dem 27. Juli 2014 bekannt geworden. Daher war die Überstellungsfrist jedenfalls im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Eilbeschlusses vom 24. Juli 2014 bereits abgelaufen.
Die Überstellungsfrist hat sich im vorliegenden Fall auch nicht etwa gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO verlängert. Nach dieser Vorschrift kann die Überstellungsfrist höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betroffenen Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist. Dies war hier indes nicht der Fall, denn im Rahmen des Eilverfahrens VG 6 L 561/14.A ist eine Mitteilung der Ausländerbehörde vom 24. Juli 2014 aktenkundig geworden, wonach sich der Kläger durchgängig unter der Anschrift, welcher er zugewiesen ist, aufgehalten habe.
Der in Nr. 1 des Bundesamtsbescheides sinngemäß enthaltenen Feststellung, dass Italien für die Prüfung des Asylantrages des Klägers zuständig ist, wohnt von Rechts wegen die Regelung in Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO zum Zuständigkeitsübergang auf den ersuchenden Mitgliedstaat inne, so dass dieser Teil der Überstellungsentscheidung mit Ablauf der einschlägigen Überstellungsfrist unwirksam wird.
Nach der § 43 Abs. 2 VwVfG bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.
Mit dem an den Fristablauf geknüpften Zuständigkeitsübergang nach Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin III-VO liegt ein Fall der Erledigung durch Zeitablauf vor. Maßgeblich für die Erledigung i.S.v. § 43 Abs. 2 VwVfG ist, dass die sich aus dem Tenor und den Gründen des Bescheides ergebende innere Wirksamkeit, also der Inhalt, mit dem der Bescheid bekannt gegeben worden war (vgl. § 43 Abs. 1 S. 2 VwVfG), entfallen ist.
Aus dem Regelungsregime der aktuellen Dublin-Verordnung, namentlich aus den in ihr bestimmten Fristen, die allesamt Teil des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) sind (vgl. 2. Erwägungsgrund der Dublin III-VO), folgt, dass die Verordnung dem Ziel dient, „eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats (zu) ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung des Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden“ (5. Erwägungsgrund a.a.O.). Die nach der Dublin-Verordnung im Einzelfall von dem ersuchenden Mitgliedstaat (hier: Deutschland) getroffene Zuständigkeitsfeststellung (nach Maßgabe von Art. 26 Abs. 1 Dublin III-VO: Entscheidung über die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat) - mit der hieran notwendigerweise anknüpfenden Abschiebungsentscheidung - erledigt sich daher mit dem in der Dublin-Verordnung geregelten Zuständigkeitswechsel; die in der Überstellungsentscheidung notwendigerweise enthaltene Zuständigkeitsfeststellung gilt von vornherein nur für den dort vorgesehenen Zeitraum (Überstellungsfrist). Endet dieser Zeitraum ohne Überstellung oder Ausreise, entfällt die Wirksamkeit der Überstellungsentscheidung automatisch, d.h. ohne dass es noch eines staatlichen Willensaktes bedarf (vgl. zur Erledigung: Stein, in Bauer u.a., VwVfG, Kommentar 2012, Rn. 23 zu § 43). Dublin-Bescheide lassen sich als Verwaltungsakte qualifizieren, die für die Bundesrepublik Deutschland eine unter zeitlichem Vorbehalt stehende Dauerwirkung im Hinblick auf ihre Unzuständigkeit entfalten. Macht die Bundesrepublik Deutschland innerhalb des gesetzlich bestimmten Rahmens von der Möglichkeit keinen Gebrauch, diesen Bescheid auch zu vollziehen, wächst ihr die Zuständigkeit für das Asylverfahren des jeweiligen Asylantragstellers aufgrund fruchtlosen Zeitablaufs zu.
Auch die in Nr. 2 des Bundesamtsbescheides geregelte Abschiebungsanordnung wird mit Ablauf der einschlägigen Überstellungsfrist unwirksam. Denn als inhaltlich auf die Regelung in Nr. 1 bezogener Teil der Überstellungsentscheidung i.S.v. Art. 26 Abs. 1 Dublin III-VO teilt sie ihr rechtliches Schicksal. Dies folgt bereits aus § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG und nicht zuletzt aus dem unionsrechtlichen Verständnis von der einheitlichen Überstellungsentscheidung: stimmt der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme oder Wiederaufnahme eines Antragstellers zu, setzt der ersuchende Mitgliedstaat die betreffende Person von der Entscheidung in Kenntnis, sie in den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, sowie gegebenenfalls von der Entscheidung, ihren Antrag auf internationalen Schutz nicht zu prüfen (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO).
Der Kläger hat zuletzt ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass sich der Bundesamtsbescheid vom 23. Dezember 2013 (insgesamt) erledigt hat. Denn die Beklagte geht entgegen der inzwischen eingetretenen Unwirksamkeit des Bescheides augenscheinlich davon aus, dass sie die Überstellung des Klägers auf der Grundlage dieses Bescheides je nach dem Ergebnis ihrer weiteren Prüfung hinsichtlich des Status´ des Klägers in Italien durchführen dürfe. Sie ist aber nach inzwischen eingetretenem Ablauf der Überstellungsfrist für die Prüfung des Asylantrages des Klägers zuständig und hat diesen Antrag in einem anderweitigen Verfahren nach § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zu bescheiden.
Die Kostenfolgen ergeben sich aus §§ 154 Abs. 1 VwGO; 83b AsylVfG
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